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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zu Bülows Rücktritt

Aber sonst lärmte die Presse zur offenbaren Freude des Auslands und der
Sozialdemokratie weiter, und die Spitze kehrte sich nun ausschließlich gegen die
Person des Kaisers mit dem ständigen Refrain, es habe sich eine tiefe Kluft
zwischen ihm und dem Volke aufgetan. Unausgesetzt wurde die Phrase vom
persönlichen Regiment wiederholt, und die seit der großen Wahlniederlage des
liberalen Radikalismus im Jahre 1887 sorgsam zurückgehaltne Forderung nach
dem parlamentarischen Regiment tauchte geräuschvoll wieder auf.

Unter dieser von der Presse hervorgerufuen Stimmung trat am 4. November
der Reichstag wieder zusammen, der die mit dem Block vereinbarte, aber vom
Bundesrat in betreff der Besitzsteuern abgeänderte Reichsfinanzreform beraten
sollte. Es mußte sich nun zeigen, wie weit sich die zunächst in Frage kommende
Blockmehrheit auf den Standpunkt der Milieupresfe stellen werde, worauf bei
der Entscheidung über die Finanzreform viel ankam. Der Reichstag verschob
die Verhandlung über den ärgerlichen Zwischenfall bis zum 12. November,
denn man war nicht darüber einig, wie man die Sache anfangen sollte. Den
richtigen Weg, den verfassungsmüßig allein verantwortlichen Reichskanzler ge¬
wissermaßen als Sündenbock in die Wüste zu stoßen, wollte man nicht be¬
treten, und eigentlich waren alle froh, daß der Kaiser durch seine Entscheidung
bereits ein Hindernis dagegen aufgerichtet hatte. Ein wirklich starkes Parlament
würde vielleicht anders gehandelt haben, aber das war eben nicht vorhanden.
Also wollte man das nicht, so mußte man sich auf einen Tadel gegen das
Auswärtige Amt beschränken und konnte auch unter den obwaltenden Umständen
die mehr oder minder bestimmte Bitte an den Kaiser richten, nach den neuer¬
lichen Erfahrungen eine Änderung in seiner persönlichen Beteiligung an der
Politik eintreten zu lassen. Dafür wäre vielleicht Einstimmigkeit zu erzielen
gewesen, und der deutsche Reichstag hätte damit eine Tat getan, die seiner würdig
gewesen wäre, und die ihm niemand, auch der Kaiser nicht, hätte übelnehmen
können. Dagegen wollten die Blocklinke und die Sozialdemokraten die Macht
des Reichstags durch Kraftreden gegen den Kaiser erweisen, die übrigens nichts
brachten, was nicht in der Milieupresse hie und da schon besser gestanden hatte.
Und dazu wurde die Forderung des parlamentarischen Regiments mehr oder
weniger offen erhoben. Nur die beiden Redner der konservativen Parteien hielten
sich im Rahmen der obigen Ausführung. Man wird sich wohl keiner Täuschung
mit der Annahme hingeben, daß Fürst Bülow angesichts dieser ausgesprochnen
Stellungnahme der Blocklinken auf dem Standpunkt der Milieupresse jede Aussicht
zusammenbrechen sah, die von ihm angestrebte Hebung des Reichstags durch das
Zusammenarbeiten der Konservativen und Liberalen zu verwirklichen.

Seine kurze, aber sehr ernste Rede ist von der Milieupresse nur in ihrem
Sinne ausgelegt, aber kaum richtig verstanden worden. Sie wird nach ver-
schiednen Richtungen erst vollkommen klar, wenn man sie unter dem vorhin aus¬
gesprochnen Gesichtspunkte betrachtet. Bülows Mahnung, das Unglück nicht zur
Katastrophe zu machen und die Besonnenheit zu wahren, die dem Ernste der


Zu Bülows Rücktritt

Aber sonst lärmte die Presse zur offenbaren Freude des Auslands und der
Sozialdemokratie weiter, und die Spitze kehrte sich nun ausschließlich gegen die
Person des Kaisers mit dem ständigen Refrain, es habe sich eine tiefe Kluft
zwischen ihm und dem Volke aufgetan. Unausgesetzt wurde die Phrase vom
persönlichen Regiment wiederholt, und die seit der großen Wahlniederlage des
liberalen Radikalismus im Jahre 1887 sorgsam zurückgehaltne Forderung nach
dem parlamentarischen Regiment tauchte geräuschvoll wieder auf.

Unter dieser von der Presse hervorgerufuen Stimmung trat am 4. November
der Reichstag wieder zusammen, der die mit dem Block vereinbarte, aber vom
Bundesrat in betreff der Besitzsteuern abgeänderte Reichsfinanzreform beraten
sollte. Es mußte sich nun zeigen, wie weit sich die zunächst in Frage kommende
Blockmehrheit auf den Standpunkt der Milieupresfe stellen werde, worauf bei
der Entscheidung über die Finanzreform viel ankam. Der Reichstag verschob
die Verhandlung über den ärgerlichen Zwischenfall bis zum 12. November,
denn man war nicht darüber einig, wie man die Sache anfangen sollte. Den
richtigen Weg, den verfassungsmüßig allein verantwortlichen Reichskanzler ge¬
wissermaßen als Sündenbock in die Wüste zu stoßen, wollte man nicht be¬
treten, und eigentlich waren alle froh, daß der Kaiser durch seine Entscheidung
bereits ein Hindernis dagegen aufgerichtet hatte. Ein wirklich starkes Parlament
würde vielleicht anders gehandelt haben, aber das war eben nicht vorhanden.
Also wollte man das nicht, so mußte man sich auf einen Tadel gegen das
Auswärtige Amt beschränken und konnte auch unter den obwaltenden Umständen
die mehr oder minder bestimmte Bitte an den Kaiser richten, nach den neuer¬
lichen Erfahrungen eine Änderung in seiner persönlichen Beteiligung an der
Politik eintreten zu lassen. Dafür wäre vielleicht Einstimmigkeit zu erzielen
gewesen, und der deutsche Reichstag hätte damit eine Tat getan, die seiner würdig
gewesen wäre, und die ihm niemand, auch der Kaiser nicht, hätte übelnehmen
können. Dagegen wollten die Blocklinke und die Sozialdemokraten die Macht
des Reichstags durch Kraftreden gegen den Kaiser erweisen, die übrigens nichts
brachten, was nicht in der Milieupresse hie und da schon besser gestanden hatte.
Und dazu wurde die Forderung des parlamentarischen Regiments mehr oder
weniger offen erhoben. Nur die beiden Redner der konservativen Parteien hielten
sich im Rahmen der obigen Ausführung. Man wird sich wohl keiner Täuschung
mit der Annahme hingeben, daß Fürst Bülow angesichts dieser ausgesprochnen
Stellungnahme der Blocklinken auf dem Standpunkt der Milieupresse jede Aussicht
zusammenbrechen sah, die von ihm angestrebte Hebung des Reichstags durch das
Zusammenarbeiten der Konservativen und Liberalen zu verwirklichen.

Seine kurze, aber sehr ernste Rede ist von der Milieupresse nur in ihrem
Sinne ausgelegt, aber kaum richtig verstanden worden. Sie wird nach ver-
schiednen Richtungen erst vollkommen klar, wenn man sie unter dem vorhin aus¬
gesprochnen Gesichtspunkte betrachtet. Bülows Mahnung, das Unglück nicht zur
Katastrophe zu machen und die Besonnenheit zu wahren, die dem Ernste der


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[0064] Zu Bülows Rücktritt Aber sonst lärmte die Presse zur offenbaren Freude des Auslands und der Sozialdemokratie weiter, und die Spitze kehrte sich nun ausschließlich gegen die Person des Kaisers mit dem ständigen Refrain, es habe sich eine tiefe Kluft zwischen ihm und dem Volke aufgetan. Unausgesetzt wurde die Phrase vom persönlichen Regiment wiederholt, und die seit der großen Wahlniederlage des liberalen Radikalismus im Jahre 1887 sorgsam zurückgehaltne Forderung nach dem parlamentarischen Regiment tauchte geräuschvoll wieder auf. Unter dieser von der Presse hervorgerufuen Stimmung trat am 4. November der Reichstag wieder zusammen, der die mit dem Block vereinbarte, aber vom Bundesrat in betreff der Besitzsteuern abgeänderte Reichsfinanzreform beraten sollte. Es mußte sich nun zeigen, wie weit sich die zunächst in Frage kommende Blockmehrheit auf den Standpunkt der Milieupresfe stellen werde, worauf bei der Entscheidung über die Finanzreform viel ankam. Der Reichstag verschob die Verhandlung über den ärgerlichen Zwischenfall bis zum 12. November, denn man war nicht darüber einig, wie man die Sache anfangen sollte. Den richtigen Weg, den verfassungsmüßig allein verantwortlichen Reichskanzler ge¬ wissermaßen als Sündenbock in die Wüste zu stoßen, wollte man nicht be¬ treten, und eigentlich waren alle froh, daß der Kaiser durch seine Entscheidung bereits ein Hindernis dagegen aufgerichtet hatte. Ein wirklich starkes Parlament würde vielleicht anders gehandelt haben, aber das war eben nicht vorhanden. Also wollte man das nicht, so mußte man sich auf einen Tadel gegen das Auswärtige Amt beschränken und konnte auch unter den obwaltenden Umständen die mehr oder minder bestimmte Bitte an den Kaiser richten, nach den neuer¬ lichen Erfahrungen eine Änderung in seiner persönlichen Beteiligung an der Politik eintreten zu lassen. Dafür wäre vielleicht Einstimmigkeit zu erzielen gewesen, und der deutsche Reichstag hätte damit eine Tat getan, die seiner würdig gewesen wäre, und die ihm niemand, auch der Kaiser nicht, hätte übelnehmen können. Dagegen wollten die Blocklinke und die Sozialdemokraten die Macht des Reichstags durch Kraftreden gegen den Kaiser erweisen, die übrigens nichts brachten, was nicht in der Milieupresse hie und da schon besser gestanden hatte. Und dazu wurde die Forderung des parlamentarischen Regiments mehr oder weniger offen erhoben. Nur die beiden Redner der konservativen Parteien hielten sich im Rahmen der obigen Ausführung. Man wird sich wohl keiner Täuschung mit der Annahme hingeben, daß Fürst Bülow angesichts dieser ausgesprochnen Stellungnahme der Blocklinken auf dem Standpunkt der Milieupresse jede Aussicht zusammenbrechen sah, die von ihm angestrebte Hebung des Reichstags durch das Zusammenarbeiten der Konservativen und Liberalen zu verwirklichen. Seine kurze, aber sehr ernste Rede ist von der Milieupresse nur in ihrem Sinne ausgelegt, aber kaum richtig verstanden worden. Sie wird nach ver- schiednen Richtungen erst vollkommen klar, wenn man sie unter dem vorhin aus¬ gesprochnen Gesichtspunkte betrachtet. Bülows Mahnung, das Unglück nicht zur Katastrophe zu machen und die Besonnenheit zu wahren, die dem Ernste der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/64>, abgerufen am 23.07.2024.