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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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verbundnen Einzelwirtschaften mehr leisteten, als sie in der Vereinzelung leisten
könnten (indem sie zum Beispiel das Betriebskapital des Landwirth, des Fabri¬
kanten verstärken). Die Schuldverhältnisse ermöglichen "einen Wechsel in den
sAustausch der?j Wirtschaftsgegenständen" und schützen die Gesellschaft vor der
Verknöcherung, "die eintreten würde, wenn die Verteilung der Güter eine ewige
und unverbrüchliche wäre". Und sie stellen durch Zins und Diskont die Zu¬
kunft in den Dienst der Gegenwart. "Die Völker, die die Zukunft diskon¬
tieren, sind optimistische, zukunftsfreudige Völker." Den Orientalen erscheint
es unerlaubt, zukünftige Werte in den Geschäftsverkehr einzubeziehen, daher
die Zinsverbote. Und die Schuldverhältnisse erhöhen das ethische Niveau,
indem sich ein festes Schuldrecht nur bilden kann auf Grund allgemein
herrschender Wahrhaftigkeit, Treue, Vertrauenswürdigkeit und des dieser ent¬
sprechenden Vertrauens. Nur hätte bei dieser Gelegenheit hervorgehoben werden
sollen, daß die ethisierende Wirkung des Schuldenmachens und Darleihens ins
Gegenteil umschlägt, wenn von dem Mittel ein allzuhüufiger und unstatthafter
Gebrauch gemacht wird. Selbst ein Rechtsphilosoph sollte es nicht unter seiner
Würde halten, bei jeder Gelegenheit eine Philippika loszulassen gegen die in
Deutschland herrschende unsittliche, unwirtschaftliche, besonders den Handwerker
und den Kleinhändler schwer schädigende Pumpwirtschaft, der entgegenzuwirken
das Hauptverdienst der Konsumvereine, der Einkaufsgenossenschaften und der
Warenhäuser ist. In England und in Nordamerika haben nicht einmal die
Ärzte und die Apotheker an Neujahr Rechnungen zu schreiben, weil auch bei
ihnen Barzahlung die Regel ist. Die Vertragstreue, wird dann bemerkt,
finde ihre Grenzen an der Erlaubtheit des Inhalts des Vertrages; sei dieser
unsittlich, so dürfe das gegebne Wort nicht gehalten werden. Bedingung der
verpflichtende" Kraft beim Vertrage sei namentlich die Freiheit beider Teile
bei seiner Abschließung. Da diese auf der Seite des einzelnen armen Lohn¬
arbeiters gegenüber dem kapitalkräftigen Unternehmer nicht vorhanden ist, so
wird an einer spätern Stelle (beim "Dienstverkehr") die kollektive Vertrag-
schließung gerechtfertigt. Das Kartell- und Trustwesen wird als ein Mißbrauch
des Vertragsrechts charakterisiert. Eine der wichtigsten Umbildungen des ur¬
sprünglichen Schuldrechts besteht darin, daß an die Stelle der Haftung des
Schuldners mit Leib und Leben die Verpflichtung tritt: der Gedanke und das
Gefühl, daß man gewisse Gebote befolgen müsse, wenn man als ein voll¬
berechtigtes und untadelhaftes Mitglied der Gesellschaft gelten wolle. Es sieht
beinahe so aus, als solle die Pflicht aus dem Schuldrecht abgeleitet werden,
dann aber scheint wieder die sittliche Verpflichtung bloß äußerlich an die
juristische angeknüpft und jene bei dieser Gelegenheit kurz abgefertigt werden
zu sollen. "Die Verpflichtung tritt auch in der Sittenlehre ein stritt auch im
sittlichen Gebiet ein, oder: auch die Sittenlehre hat sich mit der Pflicht zu
befassenj. . . . Man hat diese Pflicht vielfach übertrieben, und von niemandem
ist sie mehr übertrieben worden als von Kant und seinen Nachfolgern, die in


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verbundnen Einzelwirtschaften mehr leisteten, als sie in der Vereinzelung leisten
könnten (indem sie zum Beispiel das Betriebskapital des Landwirth, des Fabri¬
kanten verstärken). Die Schuldverhältnisse ermöglichen „einen Wechsel in den
sAustausch der?j Wirtschaftsgegenständen" und schützen die Gesellschaft vor der
Verknöcherung, „die eintreten würde, wenn die Verteilung der Güter eine ewige
und unverbrüchliche wäre". Und sie stellen durch Zins und Diskont die Zu¬
kunft in den Dienst der Gegenwart. „Die Völker, die die Zukunft diskon¬
tieren, sind optimistische, zukunftsfreudige Völker." Den Orientalen erscheint
es unerlaubt, zukünftige Werte in den Geschäftsverkehr einzubeziehen, daher
die Zinsverbote. Und die Schuldverhältnisse erhöhen das ethische Niveau,
indem sich ein festes Schuldrecht nur bilden kann auf Grund allgemein
herrschender Wahrhaftigkeit, Treue, Vertrauenswürdigkeit und des dieser ent¬
sprechenden Vertrauens. Nur hätte bei dieser Gelegenheit hervorgehoben werden
sollen, daß die ethisierende Wirkung des Schuldenmachens und Darleihens ins
Gegenteil umschlägt, wenn von dem Mittel ein allzuhüufiger und unstatthafter
Gebrauch gemacht wird. Selbst ein Rechtsphilosoph sollte es nicht unter seiner
Würde halten, bei jeder Gelegenheit eine Philippika loszulassen gegen die in
Deutschland herrschende unsittliche, unwirtschaftliche, besonders den Handwerker
und den Kleinhändler schwer schädigende Pumpwirtschaft, der entgegenzuwirken
das Hauptverdienst der Konsumvereine, der Einkaufsgenossenschaften und der
Warenhäuser ist. In England und in Nordamerika haben nicht einmal die
Ärzte und die Apotheker an Neujahr Rechnungen zu schreiben, weil auch bei
ihnen Barzahlung die Regel ist. Die Vertragstreue, wird dann bemerkt,
finde ihre Grenzen an der Erlaubtheit des Inhalts des Vertrages; sei dieser
unsittlich, so dürfe das gegebne Wort nicht gehalten werden. Bedingung der
verpflichtende« Kraft beim Vertrage sei namentlich die Freiheit beider Teile
bei seiner Abschließung. Da diese auf der Seite des einzelnen armen Lohn¬
arbeiters gegenüber dem kapitalkräftigen Unternehmer nicht vorhanden ist, so
wird an einer spätern Stelle (beim „Dienstverkehr") die kollektive Vertrag-
schließung gerechtfertigt. Das Kartell- und Trustwesen wird als ein Mißbrauch
des Vertragsrechts charakterisiert. Eine der wichtigsten Umbildungen des ur¬
sprünglichen Schuldrechts besteht darin, daß an die Stelle der Haftung des
Schuldners mit Leib und Leben die Verpflichtung tritt: der Gedanke und das
Gefühl, daß man gewisse Gebote befolgen müsse, wenn man als ein voll¬
berechtigtes und untadelhaftes Mitglied der Gesellschaft gelten wolle. Es sieht
beinahe so aus, als solle die Pflicht aus dem Schuldrecht abgeleitet werden,
dann aber scheint wieder die sittliche Verpflichtung bloß äußerlich an die
juristische angeknüpft und jene bei dieser Gelegenheit kurz abgefertigt werden
zu sollen. „Die Verpflichtung tritt auch in der Sittenlehre ein stritt auch im
sittlichen Gebiet ein, oder: auch die Sittenlehre hat sich mit der Pflicht zu
befassenj. . . . Man hat diese Pflicht vielfach übertrieben, und von niemandem
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[0605] Line Rechtsphilosophie verbundnen Einzelwirtschaften mehr leisteten, als sie in der Vereinzelung leisten könnten (indem sie zum Beispiel das Betriebskapital des Landwirth, des Fabri¬ kanten verstärken). Die Schuldverhältnisse ermöglichen „einen Wechsel in den sAustausch der?j Wirtschaftsgegenständen" und schützen die Gesellschaft vor der Verknöcherung, „die eintreten würde, wenn die Verteilung der Güter eine ewige und unverbrüchliche wäre". Und sie stellen durch Zins und Diskont die Zu¬ kunft in den Dienst der Gegenwart. „Die Völker, die die Zukunft diskon¬ tieren, sind optimistische, zukunftsfreudige Völker." Den Orientalen erscheint es unerlaubt, zukünftige Werte in den Geschäftsverkehr einzubeziehen, daher die Zinsverbote. Und die Schuldverhältnisse erhöhen das ethische Niveau, indem sich ein festes Schuldrecht nur bilden kann auf Grund allgemein herrschender Wahrhaftigkeit, Treue, Vertrauenswürdigkeit und des dieser ent¬ sprechenden Vertrauens. Nur hätte bei dieser Gelegenheit hervorgehoben werden sollen, daß die ethisierende Wirkung des Schuldenmachens und Darleihens ins Gegenteil umschlägt, wenn von dem Mittel ein allzuhüufiger und unstatthafter Gebrauch gemacht wird. Selbst ein Rechtsphilosoph sollte es nicht unter seiner Würde halten, bei jeder Gelegenheit eine Philippika loszulassen gegen die in Deutschland herrschende unsittliche, unwirtschaftliche, besonders den Handwerker und den Kleinhändler schwer schädigende Pumpwirtschaft, der entgegenzuwirken das Hauptverdienst der Konsumvereine, der Einkaufsgenossenschaften und der Warenhäuser ist. In England und in Nordamerika haben nicht einmal die Ärzte und die Apotheker an Neujahr Rechnungen zu schreiben, weil auch bei ihnen Barzahlung die Regel ist. Die Vertragstreue, wird dann bemerkt, finde ihre Grenzen an der Erlaubtheit des Inhalts des Vertrages; sei dieser unsittlich, so dürfe das gegebne Wort nicht gehalten werden. Bedingung der verpflichtende« Kraft beim Vertrage sei namentlich die Freiheit beider Teile bei seiner Abschließung. Da diese auf der Seite des einzelnen armen Lohn¬ arbeiters gegenüber dem kapitalkräftigen Unternehmer nicht vorhanden ist, so wird an einer spätern Stelle (beim „Dienstverkehr") die kollektive Vertrag- schließung gerechtfertigt. Das Kartell- und Trustwesen wird als ein Mißbrauch des Vertragsrechts charakterisiert. Eine der wichtigsten Umbildungen des ur¬ sprünglichen Schuldrechts besteht darin, daß an die Stelle der Haftung des Schuldners mit Leib und Leben die Verpflichtung tritt: der Gedanke und das Gefühl, daß man gewisse Gebote befolgen müsse, wenn man als ein voll¬ berechtigtes und untadelhaftes Mitglied der Gesellschaft gelten wolle. Es sieht beinahe so aus, als solle die Pflicht aus dem Schuldrecht abgeleitet werden, dann aber scheint wieder die sittliche Verpflichtung bloß äußerlich an die juristische angeknüpft und jene bei dieser Gelegenheit kurz abgefertigt werden zu sollen. „Die Verpflichtung tritt auch in der Sittenlehre ein stritt auch im sittlichen Gebiet ein, oder: auch die Sittenlehre hat sich mit der Pflicht zu befassenj. . . . Man hat diese Pflicht vielfach übertrieben, und von niemandem ist sie mehr übertrieben worden als von Kant und seinen Nachfolgern, die in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/605>, abgerufen am 23.07.2024.