Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der Regierung gegenüber vollkommen loyale und dabei auf dem Boden freier Was die Kritik an dem Verhalten der konservativen Parteileitung und der Maßgebliches und Unmaßgebliches der Regierung gegenüber vollkommen loyale und dabei auf dem Boden freier Was die Kritik an dem Verhalten der konservativen Parteileitung und der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0584" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314287"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3027" prev="#ID_3026"> der Regierung gegenüber vollkommen loyale und dabei auf dem Boden freier<lb/> Überzeugung bleibende Darstellung nennen will, Ware schließlich gleichgiltig, wenn<lb/> man es überall mit verständigen Menschen und mit gutem Willen zu tun<lb/> hätte. Aber das alberne Gerede, das die Artikel bestimmter Zeitschriften und<lb/> Tageszeitungen in vollendeter Gedankenlosigkeit ohne jede Prüfung von Inhalt und<lb/> Zusammenhang mit dem Ausdruck „offiziös" belegt, um unbequemen Meinungen<lb/> den Makel der Unfreiheit anzuheften, bedeutet eine öffentliche Kalamität, die für<lb/> die Entwicklung unsrer Presse verhängnisvoll ist. Wir haben es da mit einem<lb/> Überbleibsel der Vergangenheit zu tun, einer Überlieferung aus der Zeit, als die<lb/> deutsche Presse noch in den Kinderschuhen steckte und der in politischen Dingen die<lb/> öffentliche Meinung beherrschende Philistergeist jedesmal die freie deutsche Mannes¬<lb/> seele in Gefahr glaubte, wenn sie einmal zufällig derselben Meinung war wie die<lb/> Regierung. Jetzt ist das deutsche Volk zwar in seinen gebildeten Schichten längst<lb/> darüber hinausgewachsen, aber es bewahrt in einem Geheimfach seiner Seele noch<lb/> einen Rest davon. Der klägliche Brotneid einer untergeordneten Gattung des<lb/> Journalismus benutzt das als bequemes Mittel im Partei- und Konkurrenzkampf<lb/> und zeichnet gern das Bild des antichambrierenden, hungrig nach hingeworfnen<lb/> Jnformationsbrocken schnappenden Journalisten. Diese Leute begreifen nicht, wie<lb/> sehr sie mit diesem unwahren Zerrbilde ihren eignen Beruf bloßstellen und herunter¬<lb/> ziehen, ja noch mehr — wie sie seine Entwicklung hemmen. Im innern Partei¬<lb/> kampf mag das alles noch hingehn, schlimmer jedoch sind die Wirkungen nach außen<lb/> hin. Woher nimmt das Ausland die dort herrschende Meinung, daß es keine un¬<lb/> abhängige deutsche Presse gebe, und daß der unabhängig denkende Teil des deutschen<lb/> Volkes im Gegensatz zur Regierung stehe, mindestens ohne jeden innern Zusammen-<lb/> hang mit ihr sei? Diese Meinung stammt nicht aus Tatsachen oder selbständiger<lb/> Beobachtung, sondern aus der deutschen Presse selbst, in der jede auf wirklich<lb/> guter Information beruhende Meinung, die mit der Ansicht der Regierung überein¬<lb/> stimmt, als offiziös gekennzeichnet wird. Die ausländische Presse muß ja doch<lb/> auf den Gedanken kommen, daß in Deutschland jede Einsicht in den wirklichen Zu¬<lb/> sammenhang der Tatsachen und alles, was über bloße Stimmungsäußerungen aus<lb/> Grund von oberflächlichen Eindrücken hinausgeht, mit dem Opfer der Unabhängigkeit<lb/> der Überzeugungen bezahlt werden müsse. Damit wird unendlich viel Schaden<lb/> gestiftet.</p><lb/> <p xml:id="ID_3028" next="#ID_3029"> Was die Kritik an dem Verhalten der konservativen Parteileitung und der<lb/> Reichstagsfraktion anlangt, so haben die Konservativen unter sich Fehden genug<lb/> durchzukämpfen gehabt, und erst bei Beginn der verflossenen Woche haben sich Kreuz¬<lb/> zeitung und Reichsbote darüber auseinandergesetzt; ja auch zwischen der Kreuz¬<lb/> zeitung und der Deutschen Tageszeitung sind spitze Bemerkungen und unangenehme<lb/> Monna ausgetauscht worden. Es ist aber nicht unsre Absicht, hierauf einzugehn.<lb/> Zunächst wollen wir nur feststellen, daß unsre Befürchtungen wegen der Folgen<lb/> der hauptsächlich durch die Konservativen herbeigeführten Lage bei der Entscheidung<lb/> über die Reichsfincmzreform neuerdings Wahrheit zu werden scheinen. Bei der<lb/> Neichstagsersatzwahl in dem sächsischen Wahlkreise Schneeberg-Stollberg ist auch dies¬<lb/> mal wieder der sozialdemokratische Kandidat Sieger geblieben. Die Wahl des an<lb/> Stelle des verstorbnen Abgeordneten Goldstein aufgestellten „Genossen" Schöpflin<lb/> war ja vorauszusehen. Aber während 1907 dem Sozialdemokraten, der 19000<lb/> Stimmen erhielt, 14000 für deu bürgerlichen Kandidaten gegenüberstanden, war<lb/> diesmal das Verhältnis 21000:9000. Das bedeutet also in runden Zahlen für<lb/> den Wahlkreis ein Mehr von 2000 Sozialdemokraten und 3000 NichtWählern.<lb/> Die Zunahme der Sozialdemokraten und der NichtWähler ist als Folge der Sprengung<lb/> des Blocks von allen denen vorausgesagt worden, die die Bedeutung der Wahlen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0584]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Regierung gegenüber vollkommen loyale und dabei auf dem Boden freier
Überzeugung bleibende Darstellung nennen will, Ware schließlich gleichgiltig, wenn
man es überall mit verständigen Menschen und mit gutem Willen zu tun
hätte. Aber das alberne Gerede, das die Artikel bestimmter Zeitschriften und
Tageszeitungen in vollendeter Gedankenlosigkeit ohne jede Prüfung von Inhalt und
Zusammenhang mit dem Ausdruck „offiziös" belegt, um unbequemen Meinungen
den Makel der Unfreiheit anzuheften, bedeutet eine öffentliche Kalamität, die für
die Entwicklung unsrer Presse verhängnisvoll ist. Wir haben es da mit einem
Überbleibsel der Vergangenheit zu tun, einer Überlieferung aus der Zeit, als die
deutsche Presse noch in den Kinderschuhen steckte und der in politischen Dingen die
öffentliche Meinung beherrschende Philistergeist jedesmal die freie deutsche Mannes¬
seele in Gefahr glaubte, wenn sie einmal zufällig derselben Meinung war wie die
Regierung. Jetzt ist das deutsche Volk zwar in seinen gebildeten Schichten längst
darüber hinausgewachsen, aber es bewahrt in einem Geheimfach seiner Seele noch
einen Rest davon. Der klägliche Brotneid einer untergeordneten Gattung des
Journalismus benutzt das als bequemes Mittel im Partei- und Konkurrenzkampf
und zeichnet gern das Bild des antichambrierenden, hungrig nach hingeworfnen
Jnformationsbrocken schnappenden Journalisten. Diese Leute begreifen nicht, wie
sehr sie mit diesem unwahren Zerrbilde ihren eignen Beruf bloßstellen und herunter¬
ziehen, ja noch mehr — wie sie seine Entwicklung hemmen. Im innern Partei¬
kampf mag das alles noch hingehn, schlimmer jedoch sind die Wirkungen nach außen
hin. Woher nimmt das Ausland die dort herrschende Meinung, daß es keine un¬
abhängige deutsche Presse gebe, und daß der unabhängig denkende Teil des deutschen
Volkes im Gegensatz zur Regierung stehe, mindestens ohne jeden innern Zusammen-
hang mit ihr sei? Diese Meinung stammt nicht aus Tatsachen oder selbständiger
Beobachtung, sondern aus der deutschen Presse selbst, in der jede auf wirklich
guter Information beruhende Meinung, die mit der Ansicht der Regierung überein¬
stimmt, als offiziös gekennzeichnet wird. Die ausländische Presse muß ja doch
auf den Gedanken kommen, daß in Deutschland jede Einsicht in den wirklichen Zu¬
sammenhang der Tatsachen und alles, was über bloße Stimmungsäußerungen aus
Grund von oberflächlichen Eindrücken hinausgeht, mit dem Opfer der Unabhängigkeit
der Überzeugungen bezahlt werden müsse. Damit wird unendlich viel Schaden
gestiftet.
Was die Kritik an dem Verhalten der konservativen Parteileitung und der
Reichstagsfraktion anlangt, so haben die Konservativen unter sich Fehden genug
durchzukämpfen gehabt, und erst bei Beginn der verflossenen Woche haben sich Kreuz¬
zeitung und Reichsbote darüber auseinandergesetzt; ja auch zwischen der Kreuz¬
zeitung und der Deutschen Tageszeitung sind spitze Bemerkungen und unangenehme
Monna ausgetauscht worden. Es ist aber nicht unsre Absicht, hierauf einzugehn.
Zunächst wollen wir nur feststellen, daß unsre Befürchtungen wegen der Folgen
der hauptsächlich durch die Konservativen herbeigeführten Lage bei der Entscheidung
über die Reichsfincmzreform neuerdings Wahrheit zu werden scheinen. Bei der
Neichstagsersatzwahl in dem sächsischen Wahlkreise Schneeberg-Stollberg ist auch dies¬
mal wieder der sozialdemokratische Kandidat Sieger geblieben. Die Wahl des an
Stelle des verstorbnen Abgeordneten Goldstein aufgestellten „Genossen" Schöpflin
war ja vorauszusehen. Aber während 1907 dem Sozialdemokraten, der 19000
Stimmen erhielt, 14000 für deu bürgerlichen Kandidaten gegenüberstanden, war
diesmal das Verhältnis 21000:9000. Das bedeutet also in runden Zahlen für
den Wahlkreis ein Mehr von 2000 Sozialdemokraten und 3000 NichtWählern.
Die Zunahme der Sozialdemokraten und der NichtWähler ist als Folge der Sprengung
des Blocks von allen denen vorausgesagt worden, die die Bedeutung der Wahlen
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