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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Doch die Fremden durften nichts merken, und die Gesellschaft setzte sich um die
Punschbowle.

Der Bürgermeister schlug an sein Glas, und dann ergriff er das Wort: Liebe
Freunde, denn das sind wir ja alle miteinander -- lassen Sie es mich sein, den
Ältesten von uns allen, der Zeuge gewesen ist, wie dieses Hans gebaut wurde, der
die derbe Arbeit gesehn hat, die Stein auf Stein legte, der den Dank der Freunde
für den heutigen Tag darbringt. Ich denke an die Schilderung meines alten
Freundes Dickens von Pegottys Heim unter dem umgekehrten Boot. Es war nicht
viel mehr als ein umgekehrtes Boot, in das Hans Hiliner seine junge, an die
Hauptstadt gewöhnte Gattin führte. Hier draußen an den Deichen und dem ein¬
gedämmten Fjorde. Es waren warme Herzen, und deshalb wurde es warm. Dann
sandte Gott einen Strahl seiner Sonne. Wißt ihr nicht mehr den Tag, als wir
Klein-Jnger zum erstenmal sahen? Sie saß auf dem Arme ihres Vaters, klein,
blondlockig und lächelnd und streckte mir ihre runden Ärmchen entgegen. Ich weiß
noch, wie sie nach meiner goldbetreßten Mütze langte und sagte: Jnger will Dold-
troue von alte Mann.

Die Jahre verstrichen, und Jnger wuchs heran. Sie wurde, was wir er¬
hoffte", sie wurde eine Sonne ihres Heims; was das heißt, das versteht der am
besten, der sein ganzes Leben ohne so eine kleine strahlende Sonne des Hanfes
verbracht hat.

Es kamen schwere Jahre, es kamen Kampf und Streit, und Klein-Jnger lernte
versteh", sie war es, die der Mutter die Tränen aus den Augen küßte, sie war
es, die die Runzeln auf des Vaters Stirn glättete.

Nur Gott weiß, welches Schicksal diesem Hause in Zukunft beschieden ist. Wir
wollen nicht an die Wolken denken, die wir, die am meisten Wissenden, am Horizont
auftauchen sehen. Wir wollen daran denken, daß Klein-Jnger heute achtzehn Lenze
alt ist. Ein paar Jahre lange wird sie wohl noch als Sonne in diesem Hause
strahlen. Seid dankbar für das Geschenk, das euch wurde -- wie wir dankbar
sind, Klein-Jnger, für das, was du uus, den Freunden dieses Hauses, gewesen bist.

Gott segne dich beim ersten Schritt deines jungen Lebens, mit dem du dem
großen Ziel entgegengehst, das außerhalb deiner vier Wände liegt -- dem Ziele,
das du uoch nicht kennst! Dein Wohl, Klein-Jnger!

Und dann stießen alle mit ihr an.

Jetzt mußte sie sich bedanken: Dank, ihr alle! Dank, lieber Bürgermeister,
dank, liebes Mütterchen, dank! Ihr müßt es einsehen -- der, dem ich besonders zu
danken wünsche, das ist der Vater, mein teurer, großer, lieber Vater -- ja, ich
kann nicht sprechen -- aber nicht wahr, Vater, du weißt, wie ich es meine, denn
alles, was ich auf Erden an Glück kennen gelernt habe, das verdanke ich dir und
Mutter! Aber Mutter sagt selbst, daß wir dir am meisten verdanken. Und Mutter
hat immer recht. Wir wollen so gut, so gut gegen dich sein, Vater. Und dies Glas
sei dir gebracht. Und dann küßte Jnger ihren Vater.

(Fortsetzung folgt)




Der rote Hahn

Doch die Fremden durften nichts merken, und die Gesellschaft setzte sich um die
Punschbowle.

Der Bürgermeister schlug an sein Glas, und dann ergriff er das Wort: Liebe
Freunde, denn das sind wir ja alle miteinander — lassen Sie es mich sein, den
Ältesten von uns allen, der Zeuge gewesen ist, wie dieses Hans gebaut wurde, der
die derbe Arbeit gesehn hat, die Stein auf Stein legte, der den Dank der Freunde
für den heutigen Tag darbringt. Ich denke an die Schilderung meines alten
Freundes Dickens von Pegottys Heim unter dem umgekehrten Boot. Es war nicht
viel mehr als ein umgekehrtes Boot, in das Hans Hiliner seine junge, an die
Hauptstadt gewöhnte Gattin führte. Hier draußen an den Deichen und dem ein¬
gedämmten Fjorde. Es waren warme Herzen, und deshalb wurde es warm. Dann
sandte Gott einen Strahl seiner Sonne. Wißt ihr nicht mehr den Tag, als wir
Klein-Jnger zum erstenmal sahen? Sie saß auf dem Arme ihres Vaters, klein,
blondlockig und lächelnd und streckte mir ihre runden Ärmchen entgegen. Ich weiß
noch, wie sie nach meiner goldbetreßten Mütze langte und sagte: Jnger will Dold-
troue von alte Mann.

Die Jahre verstrichen, und Jnger wuchs heran. Sie wurde, was wir er¬
hoffte«, sie wurde eine Sonne ihres Heims; was das heißt, das versteht der am
besten, der sein ganzes Leben ohne so eine kleine strahlende Sonne des Hanfes
verbracht hat.

Es kamen schwere Jahre, es kamen Kampf und Streit, und Klein-Jnger lernte
versteh», sie war es, die der Mutter die Tränen aus den Augen küßte, sie war
es, die die Runzeln auf des Vaters Stirn glättete.

Nur Gott weiß, welches Schicksal diesem Hause in Zukunft beschieden ist. Wir
wollen nicht an die Wolken denken, die wir, die am meisten Wissenden, am Horizont
auftauchen sehen. Wir wollen daran denken, daß Klein-Jnger heute achtzehn Lenze
alt ist. Ein paar Jahre lange wird sie wohl noch als Sonne in diesem Hause
strahlen. Seid dankbar für das Geschenk, das euch wurde — wie wir dankbar
sind, Klein-Jnger, für das, was du uus, den Freunden dieses Hauses, gewesen bist.

Gott segne dich beim ersten Schritt deines jungen Lebens, mit dem du dem
großen Ziel entgegengehst, das außerhalb deiner vier Wände liegt — dem Ziele,
das du uoch nicht kennst! Dein Wohl, Klein-Jnger!

Und dann stießen alle mit ihr an.

Jetzt mußte sie sich bedanken: Dank, ihr alle! Dank, lieber Bürgermeister,
dank, liebes Mütterchen, dank! Ihr müßt es einsehen — der, dem ich besonders zu
danken wünsche, das ist der Vater, mein teurer, großer, lieber Vater — ja, ich
kann nicht sprechen — aber nicht wahr, Vater, du weißt, wie ich es meine, denn
alles, was ich auf Erden an Glück kennen gelernt habe, das verdanke ich dir und
Mutter! Aber Mutter sagt selbst, daß wir dir am meisten verdanken. Und Mutter
hat immer recht. Wir wollen so gut, so gut gegen dich sein, Vater. Und dies Glas
sei dir gebracht. Und dann küßte Jnger ihren Vater.

(Fortsetzung folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/581>, abgerufen am 22.12.2024.