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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zentrum mit Katholizismus

arg enttäuscht. Sie läßt ja auch an Grundsatzlosigkeit, an Widerspruch gegen
alles, was die Partei gerade bei den links gerichteten Wählern an Hoffnungen
erweckt hatte, nichts zu wünschen übrig. Die Quittung hierauf hat das Zentrum
schon bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Neustadt-Landau erhalten, bei der
es fast zwanzig Prozent seiner bisherigen Stimmen an die Sozialdemokratie
verlor und sich bei der Stichwahl die sozialdemokratischen Tendenzen der dortigen
Zentrumswähler noch klarer offenbarten. Das Zentrum kämpft jetzt mit Hoch¬
druck durch "aufklärende" Vorträge über die Reichsfinanzreform, um weiteres
Unheil im gleichen Sinne zu verhüten. Ob mit viel endgiltigen Erfolg? Wir
möchten es bezweifeln. Das Schlimmste hierbei ist nur, daß die durch die
wechselnde, erst anziehende, dann abstoßende Politik der Zentrumspartei vor
den Kopf gestoßnen Wühler zunächst für die bürgerlichen Parteien überhaupt
verloren sind.

Überblickt man die Gesamtlage, so darf man wohl sagen, daß die auf eine
Beseitigung des Zentrums und eine nationale Beendigung der Katholiken hin¬
zielende Arbeit keinesfalls aussichtslos ist. Immerhin bleibt noch ein gut Stück
Arbeit zu leisten, sowohl innerhalb wie außerhalb des Zentrums. Soll diese
Arbeit aber von Erfolg gekrönt werden, so genügt es nicht, daß sich ihr nur
die Katholiken unterzieh"; sie müssen auch von den nichtkatholischen Mitbürgern
gefördert werden. Freilich ist dies in einer andern Weise gemeint, als es land¬
läufig aufgefaßt zu werden pflegt. Nicht das Mitmachen des Kampfes
ist hier Stütze, sondern die Beseitigung der Kampfvorwände für
das Zentrum. Nichts ist mehr geeignet, den Antizentrumskatholiken die Lust
zum Kampf zu nehmen und ihre Erfolge in Frage zu stellen, als Ausbrüche
einer gehässigen Gesinnung gegen den Katholizismus als solchen. Es ist wohl
nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß zu der immerhin erfolgreichen
Abwehr des gegnerischen Angriffs, die dem Zentrum im Jahre 1907 gelang
und ihm Gelegenheit gab, übertreibend von einem Siege zu sprechen, am meisten
das Hinüberspielen des Kampfes auf das religiöse Gebiet und die hierbei
zutage tretenden Gehässigkeiten gegen den Katholizismus beigetragen haben.
Dies gab dem Zentrum das beste Mittel an die Hand, eine große Zahl
schwankender Gemüter bei der Fahne zu halten. Angesichts der Gehässigkeiten
konnte es den Glauben als bedroht hinstellen und hatte Material zur Verfügung,
um die eine solche Bedrohung leugnenden "Nationalkatholiken" bloßzustellen.
Die letzte Frage endlich, was an Stelle des Zentrums zu treten habe, ob eine
anders geartete katholische Partei oder Verteilung der alten Zentrumsleute
auf die bestehenden oder auf neu zu bildende rein politische Fraktionell, und
was hiervon für uns Katholiken am wünschenswertesten wäre, kann man zur¬
zeit füglich noch offen lassen. Man soll das Fell des Löwen nicht teilen, ehe
er erlegt ist. Nur so viel möchten wir erwähnen, daß auch ihre Lösung von
dem Verhalten unsrer nichtkatholischen Mitbürger abhängen wird. Prinzipiell
ist die Bildung einer konfessionellen Partei jedenfalls vom Übel.


Zentrum mit Katholizismus

arg enttäuscht. Sie läßt ja auch an Grundsatzlosigkeit, an Widerspruch gegen
alles, was die Partei gerade bei den links gerichteten Wählern an Hoffnungen
erweckt hatte, nichts zu wünschen übrig. Die Quittung hierauf hat das Zentrum
schon bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Neustadt-Landau erhalten, bei der
es fast zwanzig Prozent seiner bisherigen Stimmen an die Sozialdemokratie
verlor und sich bei der Stichwahl die sozialdemokratischen Tendenzen der dortigen
Zentrumswähler noch klarer offenbarten. Das Zentrum kämpft jetzt mit Hoch¬
druck durch „aufklärende" Vorträge über die Reichsfinanzreform, um weiteres
Unheil im gleichen Sinne zu verhüten. Ob mit viel endgiltigen Erfolg? Wir
möchten es bezweifeln. Das Schlimmste hierbei ist nur, daß die durch die
wechselnde, erst anziehende, dann abstoßende Politik der Zentrumspartei vor
den Kopf gestoßnen Wühler zunächst für die bürgerlichen Parteien überhaupt
verloren sind.

Überblickt man die Gesamtlage, so darf man wohl sagen, daß die auf eine
Beseitigung des Zentrums und eine nationale Beendigung der Katholiken hin¬
zielende Arbeit keinesfalls aussichtslos ist. Immerhin bleibt noch ein gut Stück
Arbeit zu leisten, sowohl innerhalb wie außerhalb des Zentrums. Soll diese
Arbeit aber von Erfolg gekrönt werden, so genügt es nicht, daß sich ihr nur
die Katholiken unterzieh«; sie müssen auch von den nichtkatholischen Mitbürgern
gefördert werden. Freilich ist dies in einer andern Weise gemeint, als es land¬
läufig aufgefaßt zu werden pflegt. Nicht das Mitmachen des Kampfes
ist hier Stütze, sondern die Beseitigung der Kampfvorwände für
das Zentrum. Nichts ist mehr geeignet, den Antizentrumskatholiken die Lust
zum Kampf zu nehmen und ihre Erfolge in Frage zu stellen, als Ausbrüche
einer gehässigen Gesinnung gegen den Katholizismus als solchen. Es ist wohl
nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß zu der immerhin erfolgreichen
Abwehr des gegnerischen Angriffs, die dem Zentrum im Jahre 1907 gelang
und ihm Gelegenheit gab, übertreibend von einem Siege zu sprechen, am meisten
das Hinüberspielen des Kampfes auf das religiöse Gebiet und die hierbei
zutage tretenden Gehässigkeiten gegen den Katholizismus beigetragen haben.
Dies gab dem Zentrum das beste Mittel an die Hand, eine große Zahl
schwankender Gemüter bei der Fahne zu halten. Angesichts der Gehässigkeiten
konnte es den Glauben als bedroht hinstellen und hatte Material zur Verfügung,
um die eine solche Bedrohung leugnenden „Nationalkatholiken" bloßzustellen.
Die letzte Frage endlich, was an Stelle des Zentrums zu treten habe, ob eine
anders geartete katholische Partei oder Verteilung der alten Zentrumsleute
auf die bestehenden oder auf neu zu bildende rein politische Fraktionell, und
was hiervon für uns Katholiken am wünschenswertesten wäre, kann man zur¬
zeit füglich noch offen lassen. Man soll das Fell des Löwen nicht teilen, ehe
er erlegt ist. Nur so viel möchten wir erwähnen, daß auch ihre Lösung von
dem Verhalten unsrer nichtkatholischen Mitbürger abhängen wird. Prinzipiell
ist die Bildung einer konfessionellen Partei jedenfalls vom Übel.


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[0548] Zentrum mit Katholizismus arg enttäuscht. Sie läßt ja auch an Grundsatzlosigkeit, an Widerspruch gegen alles, was die Partei gerade bei den links gerichteten Wählern an Hoffnungen erweckt hatte, nichts zu wünschen übrig. Die Quittung hierauf hat das Zentrum schon bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Neustadt-Landau erhalten, bei der es fast zwanzig Prozent seiner bisherigen Stimmen an die Sozialdemokratie verlor und sich bei der Stichwahl die sozialdemokratischen Tendenzen der dortigen Zentrumswähler noch klarer offenbarten. Das Zentrum kämpft jetzt mit Hoch¬ druck durch „aufklärende" Vorträge über die Reichsfinanzreform, um weiteres Unheil im gleichen Sinne zu verhüten. Ob mit viel endgiltigen Erfolg? Wir möchten es bezweifeln. Das Schlimmste hierbei ist nur, daß die durch die wechselnde, erst anziehende, dann abstoßende Politik der Zentrumspartei vor den Kopf gestoßnen Wühler zunächst für die bürgerlichen Parteien überhaupt verloren sind. Überblickt man die Gesamtlage, so darf man wohl sagen, daß die auf eine Beseitigung des Zentrums und eine nationale Beendigung der Katholiken hin¬ zielende Arbeit keinesfalls aussichtslos ist. Immerhin bleibt noch ein gut Stück Arbeit zu leisten, sowohl innerhalb wie außerhalb des Zentrums. Soll diese Arbeit aber von Erfolg gekrönt werden, so genügt es nicht, daß sich ihr nur die Katholiken unterzieh«; sie müssen auch von den nichtkatholischen Mitbürgern gefördert werden. Freilich ist dies in einer andern Weise gemeint, als es land¬ läufig aufgefaßt zu werden pflegt. Nicht das Mitmachen des Kampfes ist hier Stütze, sondern die Beseitigung der Kampfvorwände für das Zentrum. Nichts ist mehr geeignet, den Antizentrumskatholiken die Lust zum Kampf zu nehmen und ihre Erfolge in Frage zu stellen, als Ausbrüche einer gehässigen Gesinnung gegen den Katholizismus als solchen. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß zu der immerhin erfolgreichen Abwehr des gegnerischen Angriffs, die dem Zentrum im Jahre 1907 gelang und ihm Gelegenheit gab, übertreibend von einem Siege zu sprechen, am meisten das Hinüberspielen des Kampfes auf das religiöse Gebiet und die hierbei zutage tretenden Gehässigkeiten gegen den Katholizismus beigetragen haben. Dies gab dem Zentrum das beste Mittel an die Hand, eine große Zahl schwankender Gemüter bei der Fahne zu halten. Angesichts der Gehässigkeiten konnte es den Glauben als bedroht hinstellen und hatte Material zur Verfügung, um die eine solche Bedrohung leugnenden „Nationalkatholiken" bloßzustellen. Die letzte Frage endlich, was an Stelle des Zentrums zu treten habe, ob eine anders geartete katholische Partei oder Verteilung der alten Zentrumsleute auf die bestehenden oder auf neu zu bildende rein politische Fraktionell, und was hiervon für uns Katholiken am wünschenswertesten wäre, kann man zur¬ zeit füglich noch offen lassen. Man soll das Fell des Löwen nicht teilen, ehe er erlegt ist. Nur so viel möchten wir erwähnen, daß auch ihre Lösung von dem Verhalten unsrer nichtkatholischen Mitbürger abhängen wird. Prinzipiell ist die Bildung einer konfessionellen Partei jedenfalls vom Übel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/548>, abgerufen am 23.07.2024.