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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zentrum und Katholizismus

Statistik, die das verhältnismäßig stärkere Wachstum der katholischen Be¬
völkerung gegenüber der protestantischen feststellt, ebenso wie der gewaltige
Aufschwung, den alle katholischen Veranstaltungen, wie Katholikentage,
Eucharistische Kongresse, Volksverein für das katholische Deutschland usw. ge¬
nommen haben, beweisen das Gegenteil. Sie alle zeigen, daß der katholische
Volksteil Deutschlands Leben und Kraft in sich hat, und daß er durchaus
nicht gesonnen ist, sich sein Hausrecht nehmen zu lassen.

Es heißt deshalb nicht praktische Politik treiben, wenn man seine
Kräfte im Kampf um Papsttum und Luthertum und um die größere oder ge¬
ringere innere Berechtigung des Standpunkts der einen oder andern Kon¬
fession verbraucht, statt sie geeint in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.
Es ist vaterländisch wohl erstrebenswert, die Anhänger der beiden Konfessionen
zur Arbeit miteinander zu verbinden, aber nicht sie gegeneinander zu
Hetzen. Dies Ziel sollte in unsrer ganzen politischen Tätigkeit nie aus dem
Auge gelassen werden.

Legt man sich die Frage vor, warum dies nicht geschieht, warum im
Gegenteil, besonders in den letzten Jahrzehnten, der konfessionelle Zwist so
unerfreulich überhandgenommen hat, fragt man sich als Katholik von dem
Standpunkt aus, daß jeder zuerst vor seiner Tür zu kehren habe, inwieweit
hier die katholische Seite die Schuld trifft, so müssen wir zugeben: Das Ver¬
halten der Zentrumspartei im Zusammenhange mit dem Umstände, daß wir
Katholiken uicht schärfer dagegen ankämpften, haben viel, wenn nicht das
meiste zu dieser unerquicklichen Sachlage beigetragen. Das Zentrum hat
zeitweise bei den Nichtkatholiken Haß und Vorurteil geradezu gro߬
gezogen.

Für uns Katholiken war es ein Verhängnis, daß mit der Errichtung des
Deutschen Reiches zugleich der Kulturkampf einsetzte. Die Frage nach der
Schuld an seinem Entstehn und seiner scharfen Zuspitzung soll hier nicht von
neuem aufgerollt werden. Sein Ergebnis war jedenfalls die Trennung des
katholischen Volkes von der Negierung durch eine tiefe Kluft. In jener Zeit
haben sowohl die Partikularistischen als auch die Bestrebungen der dem neuen
Deutschen Reiche wegen seiner protestantischen Spitze mißtrauenden katholischen
Elemente Oberwasser bekommen. Durch sie ist es schließlich dahin gekommen,
daß in der katholischen Partei, im Zentrum, alles Neichsfeiudliche Unterkunft
gefunden hat. Wieviel Böses diese Elemente hier angerichtet hatten, das zeigte
sich in ganzer Deutlichkeit aber erst, als der eigentliche Kulturkampf durch das
Einlenken des Staates sein Ende gefunden hatte. Da erst wurde erkannt,
wie schwer es halten würde, den dem einheitlichen Reichsgedanken in der
Kampfzeit zugefügten Schaden wieder wett zu machen. Nun erst trat in
der Haltung der Zentrumspartei, die sich als die politische Vertretung des
deutschen Katholizismus betrachtet und es zum größten Teil auch tatsäch¬
lich ist, die Einwirkung aller im Schatten des Kulturkampfes hochgekommnen


Zentrum und Katholizismus

Statistik, die das verhältnismäßig stärkere Wachstum der katholischen Be¬
völkerung gegenüber der protestantischen feststellt, ebenso wie der gewaltige
Aufschwung, den alle katholischen Veranstaltungen, wie Katholikentage,
Eucharistische Kongresse, Volksverein für das katholische Deutschland usw. ge¬
nommen haben, beweisen das Gegenteil. Sie alle zeigen, daß der katholische
Volksteil Deutschlands Leben und Kraft in sich hat, und daß er durchaus
nicht gesonnen ist, sich sein Hausrecht nehmen zu lassen.

Es heißt deshalb nicht praktische Politik treiben, wenn man seine
Kräfte im Kampf um Papsttum und Luthertum und um die größere oder ge¬
ringere innere Berechtigung des Standpunkts der einen oder andern Kon¬
fession verbraucht, statt sie geeint in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.
Es ist vaterländisch wohl erstrebenswert, die Anhänger der beiden Konfessionen
zur Arbeit miteinander zu verbinden, aber nicht sie gegeneinander zu
Hetzen. Dies Ziel sollte in unsrer ganzen politischen Tätigkeit nie aus dem
Auge gelassen werden.

Legt man sich die Frage vor, warum dies nicht geschieht, warum im
Gegenteil, besonders in den letzten Jahrzehnten, der konfessionelle Zwist so
unerfreulich überhandgenommen hat, fragt man sich als Katholik von dem
Standpunkt aus, daß jeder zuerst vor seiner Tür zu kehren habe, inwieweit
hier die katholische Seite die Schuld trifft, so müssen wir zugeben: Das Ver¬
halten der Zentrumspartei im Zusammenhange mit dem Umstände, daß wir
Katholiken uicht schärfer dagegen ankämpften, haben viel, wenn nicht das
meiste zu dieser unerquicklichen Sachlage beigetragen. Das Zentrum hat
zeitweise bei den Nichtkatholiken Haß und Vorurteil geradezu gro߬
gezogen.

Für uns Katholiken war es ein Verhängnis, daß mit der Errichtung des
Deutschen Reiches zugleich der Kulturkampf einsetzte. Die Frage nach der
Schuld an seinem Entstehn und seiner scharfen Zuspitzung soll hier nicht von
neuem aufgerollt werden. Sein Ergebnis war jedenfalls die Trennung des
katholischen Volkes von der Negierung durch eine tiefe Kluft. In jener Zeit
haben sowohl die Partikularistischen als auch die Bestrebungen der dem neuen
Deutschen Reiche wegen seiner protestantischen Spitze mißtrauenden katholischen
Elemente Oberwasser bekommen. Durch sie ist es schließlich dahin gekommen,
daß in der katholischen Partei, im Zentrum, alles Neichsfeiudliche Unterkunft
gefunden hat. Wieviel Böses diese Elemente hier angerichtet hatten, das zeigte
sich in ganzer Deutlichkeit aber erst, als der eigentliche Kulturkampf durch das
Einlenken des Staates sein Ende gefunden hatte. Da erst wurde erkannt,
wie schwer es halten würde, den dem einheitlichen Reichsgedanken in der
Kampfzeit zugefügten Schaden wieder wett zu machen. Nun erst trat in
der Haltung der Zentrumspartei, die sich als die politische Vertretung des
deutschen Katholizismus betrachtet und es zum größten Teil auch tatsäch¬
lich ist, die Einwirkung aller im Schatten des Kulturkampfes hochgekommnen


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[0544] Zentrum und Katholizismus Statistik, die das verhältnismäßig stärkere Wachstum der katholischen Be¬ völkerung gegenüber der protestantischen feststellt, ebenso wie der gewaltige Aufschwung, den alle katholischen Veranstaltungen, wie Katholikentage, Eucharistische Kongresse, Volksverein für das katholische Deutschland usw. ge¬ nommen haben, beweisen das Gegenteil. Sie alle zeigen, daß der katholische Volksteil Deutschlands Leben und Kraft in sich hat, und daß er durchaus nicht gesonnen ist, sich sein Hausrecht nehmen zu lassen. Es heißt deshalb nicht praktische Politik treiben, wenn man seine Kräfte im Kampf um Papsttum und Luthertum und um die größere oder ge¬ ringere innere Berechtigung des Standpunkts der einen oder andern Kon¬ fession verbraucht, statt sie geeint in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Es ist vaterländisch wohl erstrebenswert, die Anhänger der beiden Konfessionen zur Arbeit miteinander zu verbinden, aber nicht sie gegeneinander zu Hetzen. Dies Ziel sollte in unsrer ganzen politischen Tätigkeit nie aus dem Auge gelassen werden. Legt man sich die Frage vor, warum dies nicht geschieht, warum im Gegenteil, besonders in den letzten Jahrzehnten, der konfessionelle Zwist so unerfreulich überhandgenommen hat, fragt man sich als Katholik von dem Standpunkt aus, daß jeder zuerst vor seiner Tür zu kehren habe, inwieweit hier die katholische Seite die Schuld trifft, so müssen wir zugeben: Das Ver¬ halten der Zentrumspartei im Zusammenhange mit dem Umstände, daß wir Katholiken uicht schärfer dagegen ankämpften, haben viel, wenn nicht das meiste zu dieser unerquicklichen Sachlage beigetragen. Das Zentrum hat zeitweise bei den Nichtkatholiken Haß und Vorurteil geradezu gro߬ gezogen. Für uns Katholiken war es ein Verhängnis, daß mit der Errichtung des Deutschen Reiches zugleich der Kulturkampf einsetzte. Die Frage nach der Schuld an seinem Entstehn und seiner scharfen Zuspitzung soll hier nicht von neuem aufgerollt werden. Sein Ergebnis war jedenfalls die Trennung des katholischen Volkes von der Negierung durch eine tiefe Kluft. In jener Zeit haben sowohl die Partikularistischen als auch die Bestrebungen der dem neuen Deutschen Reiche wegen seiner protestantischen Spitze mißtrauenden katholischen Elemente Oberwasser bekommen. Durch sie ist es schließlich dahin gekommen, daß in der katholischen Partei, im Zentrum, alles Neichsfeiudliche Unterkunft gefunden hat. Wieviel Böses diese Elemente hier angerichtet hatten, das zeigte sich in ganzer Deutlichkeit aber erst, als der eigentliche Kulturkampf durch das Einlenken des Staates sein Ende gefunden hatte. Da erst wurde erkannt, wie schwer es halten würde, den dem einheitlichen Reichsgedanken in der Kampfzeit zugefügten Schaden wieder wett zu machen. Nun erst trat in der Haltung der Zentrumspartei, die sich als die politische Vertretung des deutschen Katholizismus betrachtet und es zum größten Teil auch tatsäch¬ lich ist, die Einwirkung aller im Schatten des Kulturkampfes hochgekommnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/544>, abgerufen am 22.12.2024.