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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

_ Die Mutter unterbrach sie scharf: Darüber kannst du doch keine Ansicht
haben, Kind.

Der Assessor wandte sich zu Jnger: Sieh an, sieh an -- Sie halten es
ständig mit Ole, Fräulein. Und Sie. gnädige Frau?

Emilie sprach schnell: Das Kind sagt, was es glaubt. Ich dagegen
glaube nicht, daß sie etwas darüber wissen kann, denn ich selbst kann mich auf
nichts besinnen. Wenn mein Mann sagt, daß er vom Felde kam, dann kam er
vom Felde.

Emilie, sagte Hilmer etwas scharf, du irrst dich. Ich bitte dich nur zu
sagen, was du weißt. Du tust mir keinen Gefallen, wenn du mir nach dem Munde
redest. Ich wünsche nicht, daß der Herr Assessor glauben soll, meine Frau
und ich --

Der Assessor unterbrach ihn freundlich: Sie mißverstanden das Ganze, Herr
Gutsbesitzer.

Haben Sie etwas dagegen, Herr Assessor, daß ich nach der Wirtschaft sehe?
fragte Emilie schwach.

Der Assessor verneigte sich. Aber bitte, gnädige Frau! Ich habe Sie gar
nicht gebeten zu sprechen. Es handelte sich durchaus nicht um ein Verhör, und
es wäre mir äußerst unangenehm, wenn Sie den Eindruck bekommen haben sollten,
gnädige Frau.

Ich verstehe sehr wohl, sagte Emilie. Jnger, komm jetzt. Und die Damen
verließen den Raum.

Hilmer ging nervös im Zimmer ans und ab, während sich der Assessor ruhig
an Ole wandte.

Sprachen Sie mit dem Herrn Gutsbesitzer? fragte er.

Ole schüttelte den Kopf. Nein, der Gutsbesitzer ging so eilig vorbei. Er
wollte wohl hinauf und sich vor dem Mittagessen waschen.

Nun konnte Hilmer sich nicht mehr halten: Das ist Blödsinn, Ole. Ole ist
zuweilen nicht ganz klar im Oberstübchen. Ich habe ihn dieselbe Geschichte dem
Bürgermeister erzählen hören, aber ich sagte auch damals: Das stimmt nicht.

Ole wurde eigensinnig: Doch, es wird schon stimmen. Und was den hier
-- er deutete auf den Kopf -- anlangt, so brauchen der Herr Gutsbesitzer keine
Angst zu haben, der ist für mich gut genug.

Von alledem steht nichts in den Protokollen, sagte der Assessor zu Hilmer
gewandt.

Hilmer antwortete nervös: Nein, ich bat den Herrn Bürgermeister darum,
es nicht einzuschreiben.

Es hätte doch dastehn müssen. Man soll keine Aussage weglassen. Und Ole
bleibt ja dabei.

Der Assessor wurde ordentlich guter Laune.

Ole verstand ihn nicht. Was gibts? fragte er.

Der Assessor lächelte. Ich meine, Sie können sich besinnen, daß Sie Herrn
Hilmer im Scheunentor trafen?

Ole nickte zufrieden: Ja, und das sogar ganz bestimmt. Er kam aus der
südlichen Scheune und bog in den Torweg ein, als ich von draußen kam.

Hilmer verlor die Geduld: Bist du heute betrunken, Ole?

Nein, Herr Gutsbesitzer, heute bin ich nüchtern wie ein Licht.

Der Assessor fuhr, zu ihm gewandt, fort: Haben Sie jemals geglaubt, Ole,
daß das Feuer angelegt war?


Der rote Hahn

_ Die Mutter unterbrach sie scharf: Darüber kannst du doch keine Ansicht
haben, Kind.

Der Assessor wandte sich zu Jnger: Sieh an, sieh an — Sie halten es
ständig mit Ole, Fräulein. Und Sie. gnädige Frau?

Emilie sprach schnell: Das Kind sagt, was es glaubt. Ich dagegen
glaube nicht, daß sie etwas darüber wissen kann, denn ich selbst kann mich auf
nichts besinnen. Wenn mein Mann sagt, daß er vom Felde kam, dann kam er
vom Felde.

Emilie, sagte Hilmer etwas scharf, du irrst dich. Ich bitte dich nur zu
sagen, was du weißt. Du tust mir keinen Gefallen, wenn du mir nach dem Munde
redest. Ich wünsche nicht, daß der Herr Assessor glauben soll, meine Frau
und ich —

Der Assessor unterbrach ihn freundlich: Sie mißverstanden das Ganze, Herr
Gutsbesitzer.

Haben Sie etwas dagegen, Herr Assessor, daß ich nach der Wirtschaft sehe?
fragte Emilie schwach.

Der Assessor verneigte sich. Aber bitte, gnädige Frau! Ich habe Sie gar
nicht gebeten zu sprechen. Es handelte sich durchaus nicht um ein Verhör, und
es wäre mir äußerst unangenehm, wenn Sie den Eindruck bekommen haben sollten,
gnädige Frau.

Ich verstehe sehr wohl, sagte Emilie. Jnger, komm jetzt. Und die Damen
verließen den Raum.

Hilmer ging nervös im Zimmer ans und ab, während sich der Assessor ruhig
an Ole wandte.

Sprachen Sie mit dem Herrn Gutsbesitzer? fragte er.

Ole schüttelte den Kopf. Nein, der Gutsbesitzer ging so eilig vorbei. Er
wollte wohl hinauf und sich vor dem Mittagessen waschen.

Nun konnte Hilmer sich nicht mehr halten: Das ist Blödsinn, Ole. Ole ist
zuweilen nicht ganz klar im Oberstübchen. Ich habe ihn dieselbe Geschichte dem
Bürgermeister erzählen hören, aber ich sagte auch damals: Das stimmt nicht.

Ole wurde eigensinnig: Doch, es wird schon stimmen. Und was den hier
— er deutete auf den Kopf — anlangt, so brauchen der Herr Gutsbesitzer keine
Angst zu haben, der ist für mich gut genug.

Von alledem steht nichts in den Protokollen, sagte der Assessor zu Hilmer
gewandt.

Hilmer antwortete nervös: Nein, ich bat den Herrn Bürgermeister darum,
es nicht einzuschreiben.

Es hätte doch dastehn müssen. Man soll keine Aussage weglassen. Und Ole
bleibt ja dabei.

Der Assessor wurde ordentlich guter Laune.

Ole verstand ihn nicht. Was gibts? fragte er.

Der Assessor lächelte. Ich meine, Sie können sich besinnen, daß Sie Herrn
Hilmer im Scheunentor trafen?

Ole nickte zufrieden: Ja, und das sogar ganz bestimmt. Er kam aus der
südlichen Scheune und bog in den Torweg ein, als ich von draußen kam.

Hilmer verlor die Geduld: Bist du heute betrunken, Ole?

Nein, Herr Gutsbesitzer, heute bin ich nüchtern wie ein Licht.

Der Assessor fuhr, zu ihm gewandt, fort: Haben Sie jemals geglaubt, Ole,
daß das Feuer angelegt war?


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[0532] Der rote Hahn _ Die Mutter unterbrach sie scharf: Darüber kannst du doch keine Ansicht haben, Kind. Der Assessor wandte sich zu Jnger: Sieh an, sieh an — Sie halten es ständig mit Ole, Fräulein. Und Sie. gnädige Frau? Emilie sprach schnell: Das Kind sagt, was es glaubt. Ich dagegen glaube nicht, daß sie etwas darüber wissen kann, denn ich selbst kann mich auf nichts besinnen. Wenn mein Mann sagt, daß er vom Felde kam, dann kam er vom Felde. Emilie, sagte Hilmer etwas scharf, du irrst dich. Ich bitte dich nur zu sagen, was du weißt. Du tust mir keinen Gefallen, wenn du mir nach dem Munde redest. Ich wünsche nicht, daß der Herr Assessor glauben soll, meine Frau und ich — Der Assessor unterbrach ihn freundlich: Sie mißverstanden das Ganze, Herr Gutsbesitzer. Haben Sie etwas dagegen, Herr Assessor, daß ich nach der Wirtschaft sehe? fragte Emilie schwach. Der Assessor verneigte sich. Aber bitte, gnädige Frau! Ich habe Sie gar nicht gebeten zu sprechen. Es handelte sich durchaus nicht um ein Verhör, und es wäre mir äußerst unangenehm, wenn Sie den Eindruck bekommen haben sollten, gnädige Frau. Ich verstehe sehr wohl, sagte Emilie. Jnger, komm jetzt. Und die Damen verließen den Raum. Hilmer ging nervös im Zimmer ans und ab, während sich der Assessor ruhig an Ole wandte. Sprachen Sie mit dem Herrn Gutsbesitzer? fragte er. Ole schüttelte den Kopf. Nein, der Gutsbesitzer ging so eilig vorbei. Er wollte wohl hinauf und sich vor dem Mittagessen waschen. Nun konnte Hilmer sich nicht mehr halten: Das ist Blödsinn, Ole. Ole ist zuweilen nicht ganz klar im Oberstübchen. Ich habe ihn dieselbe Geschichte dem Bürgermeister erzählen hören, aber ich sagte auch damals: Das stimmt nicht. Ole wurde eigensinnig: Doch, es wird schon stimmen. Und was den hier — er deutete auf den Kopf — anlangt, so brauchen der Herr Gutsbesitzer keine Angst zu haben, der ist für mich gut genug. Von alledem steht nichts in den Protokollen, sagte der Assessor zu Hilmer gewandt. Hilmer antwortete nervös: Nein, ich bat den Herrn Bürgermeister darum, es nicht einzuschreiben. Es hätte doch dastehn müssen. Man soll keine Aussage weglassen. Und Ole bleibt ja dabei. Der Assessor wurde ordentlich guter Laune. Ole verstand ihn nicht. Was gibts? fragte er. Der Assessor lächelte. Ich meine, Sie können sich besinnen, daß Sie Herrn Hilmer im Scheunentor trafen? Ole nickte zufrieden: Ja, und das sogar ganz bestimmt. Er kam aus der südlichen Scheune und bog in den Torweg ein, als ich von draußen kam. Hilmer verlor die Geduld: Bist du heute betrunken, Ole? Nein, Herr Gutsbesitzer, heute bin ich nüchtern wie ein Licht. Der Assessor fuhr, zu ihm gewandt, fort: Haben Sie jemals geglaubt, Ole, daß das Feuer angelegt war?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/532>, abgerufen am 23.07.2024.