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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die tvehrbewcgung in England

Engländer jeden Zwang haßt, dessen logische Notwendigkeit er nicht erkennt.
Wer dagegen beobachtet, wie willig er sich den sehr strengen Spielregeln unter¬
wirft, gegen die der Deutsche bei der Nachahmung englischer Sportvergnügen
gern vernünftelt und diplomatisiert, dem wird einleuchten, daß sich der Engländer
auch der militärischen Zucht unterordnen wird, sobald ihn die Umstünde von
ihrer Notwendigkeit überzeugt haben. Hierbei ist auch die Fügsamkeit der Briten
gegenüber der Polizei zu beachten, während in Deutschland Rechthaberei und
Widerstand die Regel bilden. Die doppelte Aufgabe, das englische Volk zur
höhern Achtung vor dem Militär und zur Erkenntnis der Notwendigkeit mili¬
tärischer Disziplin zu erziehn, wird seit Jahren in immer lebhafterer Weise
betrieben. Die Mittel dafür sind sehr geschickt gewählt; es gehören dazu die
eifrige Förderung der Jugendwehren sin Deutschland spielen die Knaben von selbst
Soldaten), die häufigere Veranstaltung von Paraden und andern militärischen
Schauspielen, die Ausscheidung der Vereinsmeierei aus den Freiwilligen-
formationen und ihre Heranbildung zu einer militärisch brauchbaren Miliz¬
truppe usw. Es sind auf allen diesen Gebieten binnen kurzer Zeit schon
beachtenswerte Fortschritte gemacht worden, und König Eduard setzt seinen
persönlichen Einfluß dafür bei jeder Gelegenheit ein.

Mit besondrer Klugheit hat man dabei zunächst die Förderung der in
England immer volkstümlichen Flotte in den Vordergrund geschoben und schon
erreicht, daß der für Abrüstung und den Weltfrieden schwärmende Teil der die
Negierung beeinflussenden liberalen Partei verstummt ist und sogar schon für die
neuen Dreadnoughts stimmt. Aber das ist gar nicht die Hauptsache, das Schwer¬
gewicht muß auf die Schaffung einer ausreichenden Landmacht gelegt werden.
Die Verbündeten und Freunde Englands haben wiederholt mit Nachdruck darauf
hingewiesen, daß ohne diese die britische Freundschaft wenig Wert hat. Mit
Einmütigkeit wendet sich zwar die englische Presse stets gegen dieses Ansinnen,
aber den politischen Führern ist es gar nicht so unangenehm, wenn von
französischen Blättern behauptet wird, England müsse seine ganze bisherige
Weltmachtpolitik aufgeben, wenn es nicht in der Lage sei, achtzehn Divisionen
an der Maas aufmarschieren zu lassen. Derartige Anregungen halten die Sache
im Flusse, und der deutliche Hinweis auf Deutschland ist den Wehrpflichtfreunden
lieber als die Anrührung der indischen Frage, denn die Möglichkeit eines
Feldzugs in Indien ist ein Hauptgrund der Abneigung gegen den allgemeinen
Wehrdienst. Aber der phantastische Gedanke eines deutschen Überfalls wird mit
Eifer genährt; um sein Haus, seine Burg vor barbarischen Feinden zu schützen,
nähme der Brite auch die allgemeine Wehrpflicht auf sich. Das im vorigen
Jahre mit ungeheuerm Erfolg auf allen englischen Bühnen gegebne Sensations¬
stück ^n LnAiisKman's Horns mag uns albern, unkünstlerisch erscheinen, aber
es ist ausgezeichnet für die Wirkung auf den Durchschnittsengländer berechnet
und dient ebenso dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht wie die Reden


Grenzboten III 1909 64
Die tvehrbewcgung in England

Engländer jeden Zwang haßt, dessen logische Notwendigkeit er nicht erkennt.
Wer dagegen beobachtet, wie willig er sich den sehr strengen Spielregeln unter¬
wirft, gegen die der Deutsche bei der Nachahmung englischer Sportvergnügen
gern vernünftelt und diplomatisiert, dem wird einleuchten, daß sich der Engländer
auch der militärischen Zucht unterordnen wird, sobald ihn die Umstünde von
ihrer Notwendigkeit überzeugt haben. Hierbei ist auch die Fügsamkeit der Briten
gegenüber der Polizei zu beachten, während in Deutschland Rechthaberei und
Widerstand die Regel bilden. Die doppelte Aufgabe, das englische Volk zur
höhern Achtung vor dem Militär und zur Erkenntnis der Notwendigkeit mili¬
tärischer Disziplin zu erziehn, wird seit Jahren in immer lebhafterer Weise
betrieben. Die Mittel dafür sind sehr geschickt gewählt; es gehören dazu die
eifrige Förderung der Jugendwehren sin Deutschland spielen die Knaben von selbst
Soldaten), die häufigere Veranstaltung von Paraden und andern militärischen
Schauspielen, die Ausscheidung der Vereinsmeierei aus den Freiwilligen-
formationen und ihre Heranbildung zu einer militärisch brauchbaren Miliz¬
truppe usw. Es sind auf allen diesen Gebieten binnen kurzer Zeit schon
beachtenswerte Fortschritte gemacht worden, und König Eduard setzt seinen
persönlichen Einfluß dafür bei jeder Gelegenheit ein.

Mit besondrer Klugheit hat man dabei zunächst die Förderung der in
England immer volkstümlichen Flotte in den Vordergrund geschoben und schon
erreicht, daß der für Abrüstung und den Weltfrieden schwärmende Teil der die
Negierung beeinflussenden liberalen Partei verstummt ist und sogar schon für die
neuen Dreadnoughts stimmt. Aber das ist gar nicht die Hauptsache, das Schwer¬
gewicht muß auf die Schaffung einer ausreichenden Landmacht gelegt werden.
Die Verbündeten und Freunde Englands haben wiederholt mit Nachdruck darauf
hingewiesen, daß ohne diese die britische Freundschaft wenig Wert hat. Mit
Einmütigkeit wendet sich zwar die englische Presse stets gegen dieses Ansinnen,
aber den politischen Führern ist es gar nicht so unangenehm, wenn von
französischen Blättern behauptet wird, England müsse seine ganze bisherige
Weltmachtpolitik aufgeben, wenn es nicht in der Lage sei, achtzehn Divisionen
an der Maas aufmarschieren zu lassen. Derartige Anregungen halten die Sache
im Flusse, und der deutliche Hinweis auf Deutschland ist den Wehrpflichtfreunden
lieber als die Anrührung der indischen Frage, denn die Möglichkeit eines
Feldzugs in Indien ist ein Hauptgrund der Abneigung gegen den allgemeinen
Wehrdienst. Aber der phantastische Gedanke eines deutschen Überfalls wird mit
Eifer genährt; um sein Haus, seine Burg vor barbarischen Feinden zu schützen,
nähme der Brite auch die allgemeine Wehrpflicht auf sich. Das im vorigen
Jahre mit ungeheuerm Erfolg auf allen englischen Bühnen gegebne Sensations¬
stück ^n LnAiisKman's Horns mag uns albern, unkünstlerisch erscheinen, aber
es ist ausgezeichnet für die Wirkung auf den Durchschnittsengländer berechnet
und dient ebenso dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht wie die Reden


Grenzboten III 1909 64
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[0503] Die tvehrbewcgung in England Engländer jeden Zwang haßt, dessen logische Notwendigkeit er nicht erkennt. Wer dagegen beobachtet, wie willig er sich den sehr strengen Spielregeln unter¬ wirft, gegen die der Deutsche bei der Nachahmung englischer Sportvergnügen gern vernünftelt und diplomatisiert, dem wird einleuchten, daß sich der Engländer auch der militärischen Zucht unterordnen wird, sobald ihn die Umstünde von ihrer Notwendigkeit überzeugt haben. Hierbei ist auch die Fügsamkeit der Briten gegenüber der Polizei zu beachten, während in Deutschland Rechthaberei und Widerstand die Regel bilden. Die doppelte Aufgabe, das englische Volk zur höhern Achtung vor dem Militär und zur Erkenntnis der Notwendigkeit mili¬ tärischer Disziplin zu erziehn, wird seit Jahren in immer lebhafterer Weise betrieben. Die Mittel dafür sind sehr geschickt gewählt; es gehören dazu die eifrige Förderung der Jugendwehren sin Deutschland spielen die Knaben von selbst Soldaten), die häufigere Veranstaltung von Paraden und andern militärischen Schauspielen, die Ausscheidung der Vereinsmeierei aus den Freiwilligen- formationen und ihre Heranbildung zu einer militärisch brauchbaren Miliz¬ truppe usw. Es sind auf allen diesen Gebieten binnen kurzer Zeit schon beachtenswerte Fortschritte gemacht worden, und König Eduard setzt seinen persönlichen Einfluß dafür bei jeder Gelegenheit ein. Mit besondrer Klugheit hat man dabei zunächst die Förderung der in England immer volkstümlichen Flotte in den Vordergrund geschoben und schon erreicht, daß der für Abrüstung und den Weltfrieden schwärmende Teil der die Negierung beeinflussenden liberalen Partei verstummt ist und sogar schon für die neuen Dreadnoughts stimmt. Aber das ist gar nicht die Hauptsache, das Schwer¬ gewicht muß auf die Schaffung einer ausreichenden Landmacht gelegt werden. Die Verbündeten und Freunde Englands haben wiederholt mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß ohne diese die britische Freundschaft wenig Wert hat. Mit Einmütigkeit wendet sich zwar die englische Presse stets gegen dieses Ansinnen, aber den politischen Führern ist es gar nicht so unangenehm, wenn von französischen Blättern behauptet wird, England müsse seine ganze bisherige Weltmachtpolitik aufgeben, wenn es nicht in der Lage sei, achtzehn Divisionen an der Maas aufmarschieren zu lassen. Derartige Anregungen halten die Sache im Flusse, und der deutliche Hinweis auf Deutschland ist den Wehrpflichtfreunden lieber als die Anrührung der indischen Frage, denn die Möglichkeit eines Feldzugs in Indien ist ein Hauptgrund der Abneigung gegen den allgemeinen Wehrdienst. Aber der phantastische Gedanke eines deutschen Überfalls wird mit Eifer genährt; um sein Haus, seine Burg vor barbarischen Feinden zu schützen, nähme der Brite auch die allgemeine Wehrpflicht auf sich. Das im vorigen Jahre mit ungeheuerm Erfolg auf allen englischen Bühnen gegebne Sensations¬ stück ^n LnAiisKman's Horns mag uns albern, unkünstlerisch erscheinen, aber es ist ausgezeichnet für die Wirkung auf den Durchschnittsengländer berechnet und dient ebenso dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht wie die Reden Grenzboten III 1909 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/503>, abgerufen am 22.12.2024.