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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Wehrbewegung in Lngland

Machtverhältnis von früher wiederherzustellen vermag und darum auch nicht
im Ernst als Grund für die überaus beschleunigten und vermehrten britischen
Flottenbauten angeführt werden kann.

Dann kamen noch die Lehren des russisch-japanischen Kriegs, der England
eine politische und eine militärische Überraschung brachte. Die Schwächung
Rußlands hatte man gewünscht und eine japanische vorausgesehen. Beides ist
eingetroffen, aber Japan ist in der Hauptsache nur dadurch geschwächt worden,
weil es ihm nicht gelang, eine bare Kriegsentschädigung zu erkämpfen. Trotzdem
hat es sich mit einem Schlage zur ersten Macht in Asien emporgeschwungen,
und die Erwartung Englands, daß es nach einer tüchtigen Schwächung der
beiden Kämpfer mit seinen heutigen Kräfteverhältnissen von selbst als eigentlich
führende Macht übrig bleiben würde, hat sich nicht erfüllt. Napoleon der Dritte
hat durch Sadowa eine ähnliche Enttäuschung erlebt wie die Engländer durch
die entscheidende Seeschlacht von Tsushima. Diese brachte außerdem zwei Lehren:
erstens, daß unter den heutigen Verhältnissen nur die großen Panzerschiffe mit
weittragenden Geschützen die Entscheidung bringen, und zum zweiten, daß für
den Erfolg eine in taktischen Übungen und großen Manövern sorgsam aus¬
gebildete Flotte die einzige Bedingung ist. Die Japaner hatten zu Lande
die deutsche Gefechtsweise angenommen und sie auch mit den sich erst im Kriege
selbst herausbildenden praktischen Abänderungen beibehalten. Aber auch zur See
hatten sie die Formierung und Fechtweise der deutschen Flotte adoptiert, was
nur nach unausgesetzter Übung vom großen bis ins kleine durchzuführen war.
Danach läßt sich die Seegeltung nicht mehr wie bisher durch öftere Vorführung
größerer oder kleinerer Geschwader, sondern nur durch eine aus den mächtigsten
Fahrzeugen mit gewaltigen Geschützen bestehende und im höchsten Maße durch¬
gebildete und manövrierfähige Flotte erhalten. Wenn man unter diesem Ge¬
sichtspunkte die neuern englischen Flottenmaßnahmen betrachtet, werden sie erst
recht verständlich. England begann sofort mit dem eiligen Bau größter Linien¬
schiffe und Panzerkreuzer und leitete eine ganz neue Art der Ausbildung der
Flotte für den großen Seekampf ein, wozu die Zusammenziehung der bisher
zerstreuten Geschwader die Voraussetzung war, wofür aber nur die heimischen
Häfen die erforderlichen Stützpunkte bieten konnten. Darum wurde fast die
gesamte Flotte bei den britischen Inseln konzentriert und die deutsche Gefahr,
die nicht besteht, nur vorgeschützt. Auch die neuen Flottenstützpunkte und die
Erweiterung andrer an der Nordseeküste dienen nur dem erwähnten Zwecke und
haben in erster Linie mit der Abwehr deutscher Angriffe nichts zu tun, obgleich
sie in zweiter Linie gegen solche sehr nützlich sein würden. Die englische Politik
ist nie so naiv gewesen, ihre wirklichen Triebfedern offen darzulegen, und sie
findet dabei in der Presse ihres Landes stets verständnisvolle Unterstützung.

Aber sie hat doch auch einige Mißgriffe begangen, deren Folgen ihr recht
empfindlich geworden sind. Der erste war die überlaute Ankündigung, nachdem
sich kaum die Urteile über die japanischen Siege zur See geklärt hatten, England


Die Wehrbewegung in Lngland

Machtverhältnis von früher wiederherzustellen vermag und darum auch nicht
im Ernst als Grund für die überaus beschleunigten und vermehrten britischen
Flottenbauten angeführt werden kann.

Dann kamen noch die Lehren des russisch-japanischen Kriegs, der England
eine politische und eine militärische Überraschung brachte. Die Schwächung
Rußlands hatte man gewünscht und eine japanische vorausgesehen. Beides ist
eingetroffen, aber Japan ist in der Hauptsache nur dadurch geschwächt worden,
weil es ihm nicht gelang, eine bare Kriegsentschädigung zu erkämpfen. Trotzdem
hat es sich mit einem Schlage zur ersten Macht in Asien emporgeschwungen,
und die Erwartung Englands, daß es nach einer tüchtigen Schwächung der
beiden Kämpfer mit seinen heutigen Kräfteverhältnissen von selbst als eigentlich
führende Macht übrig bleiben würde, hat sich nicht erfüllt. Napoleon der Dritte
hat durch Sadowa eine ähnliche Enttäuschung erlebt wie die Engländer durch
die entscheidende Seeschlacht von Tsushima. Diese brachte außerdem zwei Lehren:
erstens, daß unter den heutigen Verhältnissen nur die großen Panzerschiffe mit
weittragenden Geschützen die Entscheidung bringen, und zum zweiten, daß für
den Erfolg eine in taktischen Übungen und großen Manövern sorgsam aus¬
gebildete Flotte die einzige Bedingung ist. Die Japaner hatten zu Lande
die deutsche Gefechtsweise angenommen und sie auch mit den sich erst im Kriege
selbst herausbildenden praktischen Abänderungen beibehalten. Aber auch zur See
hatten sie die Formierung und Fechtweise der deutschen Flotte adoptiert, was
nur nach unausgesetzter Übung vom großen bis ins kleine durchzuführen war.
Danach läßt sich die Seegeltung nicht mehr wie bisher durch öftere Vorführung
größerer oder kleinerer Geschwader, sondern nur durch eine aus den mächtigsten
Fahrzeugen mit gewaltigen Geschützen bestehende und im höchsten Maße durch¬
gebildete und manövrierfähige Flotte erhalten. Wenn man unter diesem Ge¬
sichtspunkte die neuern englischen Flottenmaßnahmen betrachtet, werden sie erst
recht verständlich. England begann sofort mit dem eiligen Bau größter Linien¬
schiffe und Panzerkreuzer und leitete eine ganz neue Art der Ausbildung der
Flotte für den großen Seekampf ein, wozu die Zusammenziehung der bisher
zerstreuten Geschwader die Voraussetzung war, wofür aber nur die heimischen
Häfen die erforderlichen Stützpunkte bieten konnten. Darum wurde fast die
gesamte Flotte bei den britischen Inseln konzentriert und die deutsche Gefahr,
die nicht besteht, nur vorgeschützt. Auch die neuen Flottenstützpunkte und die
Erweiterung andrer an der Nordseeküste dienen nur dem erwähnten Zwecke und
haben in erster Linie mit der Abwehr deutscher Angriffe nichts zu tun, obgleich
sie in zweiter Linie gegen solche sehr nützlich sein würden. Die englische Politik
ist nie so naiv gewesen, ihre wirklichen Triebfedern offen darzulegen, und sie
findet dabei in der Presse ihres Landes stets verständnisvolle Unterstützung.

Aber sie hat doch auch einige Mißgriffe begangen, deren Folgen ihr recht
empfindlich geworden sind. Der erste war die überlaute Ankündigung, nachdem
sich kaum die Urteile über die japanischen Siege zur See geklärt hatten, England


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/500>, abgerufen am 23.07.2024.