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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Englische Eigenart

Seele war das Verständnis für die ethische Bedeutung der Anhänglichkeit zur
adligen Herrschaft vorhanden. Der Lord war ein durch Geburt bevorzugtes
Wesen, durchdrungen von dem Willen zu allein Guten und ausgestattet mit den
Mitteln, das Gute ins Werk zu setzen. Ein armer Adliger war ein Wider¬
spruch in sich selbst; gab es einen solchen, so sprach man von ihm mit trüb¬
seligen Mitleid; er galt als das Opfer einer Schicksalslaune. Der richtige
Lord war "Honourable", "Right Honourable"; was er tat und sprach, wurde
zum Ehrenkodex, und nach diesem richtete die Nation ihr Leben ein.

In der Neuen Welt, jenseits des Ozeans, wuchs eine neue Nasse, ein
Sprößling von England, heran, der sein Dasein ohne Rücksicht auf die alten
Prinzipien einer ererbten Herrenwürde umgestaltete; im Verlauf der Zeit fing die
triumphierende Republik an, die Götzenbilder des Mutterlandes abzuschütteln.
Ihre Zivilisation ist daher trotz des äußern Anscheins durchaus keine englische,
vielleicht eine höhere, wie manche meinen; jedenfalls waren in ihr die natür¬
lichen Tendenzen englischen Geistes noch lebendig, als sie sich von der alten
Kultur loslöste. Leicht begreiflich erscheint es, daß manche den Einfluß der
mächtigen Republik auf unser Land als ein Übel betrachten. War und ist er
nicht von Übel, der tatsächliche Beweis dafür fehlt noch. In Alt-England ist
Demokratie ein ganz fremdartiges Ding, so entgegengesetzt aller Tradition und
dem angebornen Gemeingefühl, daß sie bei zunehmender Verbreitung zum Ruin
führen müßte. Schon vor dem Wort schaudern wir zurück; es bedeutet für uns
Abfall vom Glauben an uns als Nation, es erheischt von uns Verlassen der
Fahne, unter der wir Ruhm und Ehre erkämpft haben. Der demokratisierte
Engländer hat natürlich einen schlimmen Stand: er hat das Ideal verloren,
das bisher seine urwüchsigen, zügellosen und übermütigen Begierden beherrschte;
er hat an die Stelle des zu edelm Tun gebornen Right Honourable den Plebs
ohne weiteres gesetzt, der von Geburt an zu allen möglichen Gemeinheiten auf¬
gelegt ist und sich trotz seines prahlerischer Selbstvertrauens von Angst und
Furcht hin und her treiben läßt.

Die Aufgabe, vor die wir gestellt sind, ist wahrlich keine leichte. Können
wir nach der Vertilgung der Aristokratie den Geist bewahren, dessen Reprä¬
sentant sie gewesen? Können wir Engländer, die wir von jeher unsern Nacken
unter die gegebnen Verhältnisse gebeugt haben, uns plötzlich von der ursprüng¬
lichen Gemeinschaft losreißen und doch zugleich ihren innern Wert für unser
geistiges Leben wirksam erhalten? Werden wir mit denselben Augen, die auf¬
gehört haben, mit Ehrfurcht zu den abgenutzten Vorbildern emporzublicken, im¬
stande sein, eine Auswahl unter der tauscndköpfigen, kitteltragcnden Menge zu
treffen, und werden wir dann dem Erkornen noch größere Hochachtung des¬
wegen erweisen, "weil er sein Adelspatent direkt vom Allmächtigen bekommen
hat"? Auf dieser unwahrscheinlichen Möglichkeit beruht die Zukunft von England.
In vergangnen Zeiten hegte der Bürger von echtem Schrot und Korn fast den¬
selben Abscheu vor dem Gemeinen wie wir, die echten Gentlemen; jedenfalls bildete


Englische Eigenart

Seele war das Verständnis für die ethische Bedeutung der Anhänglichkeit zur
adligen Herrschaft vorhanden. Der Lord war ein durch Geburt bevorzugtes
Wesen, durchdrungen von dem Willen zu allein Guten und ausgestattet mit den
Mitteln, das Gute ins Werk zu setzen. Ein armer Adliger war ein Wider¬
spruch in sich selbst; gab es einen solchen, so sprach man von ihm mit trüb¬
seligen Mitleid; er galt als das Opfer einer Schicksalslaune. Der richtige
Lord war „Honourable", „Right Honourable"; was er tat und sprach, wurde
zum Ehrenkodex, und nach diesem richtete die Nation ihr Leben ein.

In der Neuen Welt, jenseits des Ozeans, wuchs eine neue Nasse, ein
Sprößling von England, heran, der sein Dasein ohne Rücksicht auf die alten
Prinzipien einer ererbten Herrenwürde umgestaltete; im Verlauf der Zeit fing die
triumphierende Republik an, die Götzenbilder des Mutterlandes abzuschütteln.
Ihre Zivilisation ist daher trotz des äußern Anscheins durchaus keine englische,
vielleicht eine höhere, wie manche meinen; jedenfalls waren in ihr die natür¬
lichen Tendenzen englischen Geistes noch lebendig, als sie sich von der alten
Kultur loslöste. Leicht begreiflich erscheint es, daß manche den Einfluß der
mächtigen Republik auf unser Land als ein Übel betrachten. War und ist er
nicht von Übel, der tatsächliche Beweis dafür fehlt noch. In Alt-England ist
Demokratie ein ganz fremdartiges Ding, so entgegengesetzt aller Tradition und
dem angebornen Gemeingefühl, daß sie bei zunehmender Verbreitung zum Ruin
führen müßte. Schon vor dem Wort schaudern wir zurück; es bedeutet für uns
Abfall vom Glauben an uns als Nation, es erheischt von uns Verlassen der
Fahne, unter der wir Ruhm und Ehre erkämpft haben. Der demokratisierte
Engländer hat natürlich einen schlimmen Stand: er hat das Ideal verloren,
das bisher seine urwüchsigen, zügellosen und übermütigen Begierden beherrschte;
er hat an die Stelle des zu edelm Tun gebornen Right Honourable den Plebs
ohne weiteres gesetzt, der von Geburt an zu allen möglichen Gemeinheiten auf¬
gelegt ist und sich trotz seines prahlerischer Selbstvertrauens von Angst und
Furcht hin und her treiben läßt.

Die Aufgabe, vor die wir gestellt sind, ist wahrlich keine leichte. Können
wir nach der Vertilgung der Aristokratie den Geist bewahren, dessen Reprä¬
sentant sie gewesen? Können wir Engländer, die wir von jeher unsern Nacken
unter die gegebnen Verhältnisse gebeugt haben, uns plötzlich von der ursprüng¬
lichen Gemeinschaft losreißen und doch zugleich ihren innern Wert für unser
geistiges Leben wirksam erhalten? Werden wir mit denselben Augen, die auf¬
gehört haben, mit Ehrfurcht zu den abgenutzten Vorbildern emporzublicken, im¬
stande sein, eine Auswahl unter der tauscndköpfigen, kitteltragcnden Menge zu
treffen, und werden wir dann dem Erkornen noch größere Hochachtung des¬
wegen erweisen, „weil er sein Adelspatent direkt vom Allmächtigen bekommen
hat"? Auf dieser unwahrscheinlichen Möglichkeit beruht die Zukunft von England.
In vergangnen Zeiten hegte der Bürger von echtem Schrot und Korn fast den¬
selben Abscheu vor dem Gemeinen wie wir, die echten Gentlemen; jedenfalls bildete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/476>, abgerufen am 22.12.2024.