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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schulte? Lebenserinnerungen

soweit" selbstlos gewesen. Daß sein Ziel gewesen sei, die Katholiken in Deutsch¬
land zur politischen Herrschaft zu führen, halte ich für eine Einbildung Schuttes,
der, selbst eine Autokratennatur, allzusehr geneigt ist, Äußerungen katholischer
Frömmigkeit beim höhern Klerus aus hierarchischen Gelüsten abzuleiten. Man
muß es ihm nachrühmen, heißt es im Schluß der Charakteristik: "Er war im
römischen Sinne ein ganzer Mann. Was uns an ihm nicht gefällt, die
Sophisterei, die Kunst, das Gefährliche des Ultramontanismus zu verschleiern,
ist für den richtigen Ultramontanen sein höchstes Verdienst; die Opferung der
eignen Überzeugung auf dem Einheitsaltar der Kirche wird sein Verdienst
bleiben. Rom liebte ihn nicht, weil er die diplomatische Schminke verabscheute
und ein Feind jeder sittlichen Fäulnis war. Antonelli nannte ihn unwillig
den groben deutschen Bischof, und Pius machte sich über seinen Fußfall lustig."
(Ketteler hat bekanntlich den Papst fußfällig gebeten, auf die Proklamation der
Unfehlbarkeit zu verzichten.) Ist es vielleicht weniger sophistisch, wenn man
mit Schulte den katholischen Kirchenbegriff preisgibt und dann zu beweisen
versucht, man repräsentiere die wahre katholische Kirche und habe auf deren
Vermögen Anspruch? Ein Mann der Wissenschaft sei Ketteler nicht gewesen,
an gründlichen Kenntnissen habe es ihm gefehlt, aber er habe klar, populär
und elegant über alle Fragen geschrieben, "auch wenn er sachlich wenig davon
wußte". Das ist richtig, ein Gelehrter ist Ketteler nicht gewesen. Aber wenn
man, wie in dem kleinen Buche "Freiheit, Autorität und Kirche" (in dem unter
andern, die organische Auffassung der Germanen vom Staat gegen den
mechanisch-zaristischen der Romanen verteidigt wird) gute und nützliche Ge¬
danken in schöner und edler Sprache verständlich und überzeugend darlegt, so
wirkt man damit hundertmal, vielleicht tausendmal mehr als mit streng wissen¬
schaftlichen Abhandlungen und urgelehrten dickleibigen Werken. Dazu seine
soziale Gesinnung und seine Askese! Man mag die Askese für nur relativ
berechtigt oder für ganz unberechtigt erklären, wird aber nicht leugnen wollen,
daß sie mächtig aufs Volk wirkt. Damit ist ein drittes hervorgehoben, was
den deutschen Katholizismus im neunzehnten Jahrhundert stark gemacht hat
^ Schulte nennt es nicht ausdrücklich, aber er liefert viele Veitrüge zur Dar¬
stellung dieses Umstandes --: die Makellosigkeit des höhern Klerus und die
große Zahl tüchtiger Männer, hervorragender Talente und ausgezeichneter
Charaktere in seinen Reihen. Nicht wenige gewannen auch durch ihre Liebens¬
würdigkeit die Herzen, so der als Bischof vom Speyer gestorbne Benedik¬
tinerabt Haneberg, eine Zierde der Münchner Universität. "Haneberg war der
Liebling Münchens, geachtet bei den Männern der Wissenschaft, Katholiken wie
Protestanten." Bei den Katholiken, die ja natürlich ihre eignen Leute sehr
gut, die der andern Konfession wenig oder gar nicht kannten, setzte sich der
Gedanke fest, daß nur der katholische Glaube solche Charaktere erzeugen könne,
und dieser Gedanke hat als kräftigster Beweis für die Wahrheit des katholischen
Glaubens gewirkt. Dazu kam noch, daß mehrere von diesen Männern schon


Grenzboten VII 1909 41
Johann Friedrich von Schulte? Lebenserinnerungen

soweit" selbstlos gewesen. Daß sein Ziel gewesen sei, die Katholiken in Deutsch¬
land zur politischen Herrschaft zu führen, halte ich für eine Einbildung Schuttes,
der, selbst eine Autokratennatur, allzusehr geneigt ist, Äußerungen katholischer
Frömmigkeit beim höhern Klerus aus hierarchischen Gelüsten abzuleiten. Man
muß es ihm nachrühmen, heißt es im Schluß der Charakteristik: „Er war im
römischen Sinne ein ganzer Mann. Was uns an ihm nicht gefällt, die
Sophisterei, die Kunst, das Gefährliche des Ultramontanismus zu verschleiern,
ist für den richtigen Ultramontanen sein höchstes Verdienst; die Opferung der
eignen Überzeugung auf dem Einheitsaltar der Kirche wird sein Verdienst
bleiben. Rom liebte ihn nicht, weil er die diplomatische Schminke verabscheute
und ein Feind jeder sittlichen Fäulnis war. Antonelli nannte ihn unwillig
den groben deutschen Bischof, und Pius machte sich über seinen Fußfall lustig."
(Ketteler hat bekanntlich den Papst fußfällig gebeten, auf die Proklamation der
Unfehlbarkeit zu verzichten.) Ist es vielleicht weniger sophistisch, wenn man
mit Schulte den katholischen Kirchenbegriff preisgibt und dann zu beweisen
versucht, man repräsentiere die wahre katholische Kirche und habe auf deren
Vermögen Anspruch? Ein Mann der Wissenschaft sei Ketteler nicht gewesen,
an gründlichen Kenntnissen habe es ihm gefehlt, aber er habe klar, populär
und elegant über alle Fragen geschrieben, „auch wenn er sachlich wenig davon
wußte". Das ist richtig, ein Gelehrter ist Ketteler nicht gewesen. Aber wenn
man, wie in dem kleinen Buche „Freiheit, Autorität und Kirche" (in dem unter
andern, die organische Auffassung der Germanen vom Staat gegen den
mechanisch-zaristischen der Romanen verteidigt wird) gute und nützliche Ge¬
danken in schöner und edler Sprache verständlich und überzeugend darlegt, so
wirkt man damit hundertmal, vielleicht tausendmal mehr als mit streng wissen¬
schaftlichen Abhandlungen und urgelehrten dickleibigen Werken. Dazu seine
soziale Gesinnung und seine Askese! Man mag die Askese für nur relativ
berechtigt oder für ganz unberechtigt erklären, wird aber nicht leugnen wollen,
daß sie mächtig aufs Volk wirkt. Damit ist ein drittes hervorgehoben, was
den deutschen Katholizismus im neunzehnten Jahrhundert stark gemacht hat
^ Schulte nennt es nicht ausdrücklich, aber er liefert viele Veitrüge zur Dar¬
stellung dieses Umstandes —: die Makellosigkeit des höhern Klerus und die
große Zahl tüchtiger Männer, hervorragender Talente und ausgezeichneter
Charaktere in seinen Reihen. Nicht wenige gewannen auch durch ihre Liebens¬
würdigkeit die Herzen, so der als Bischof vom Speyer gestorbne Benedik¬
tinerabt Haneberg, eine Zierde der Münchner Universität. „Haneberg war der
Liebling Münchens, geachtet bei den Männern der Wissenschaft, Katholiken wie
Protestanten." Bei den Katholiken, die ja natürlich ihre eignen Leute sehr
gut, die der andern Konfession wenig oder gar nicht kannten, setzte sich der
Gedanke fest, daß nur der katholische Glaube solche Charaktere erzeugen könne,
und dieser Gedanke hat als kräftigster Beweis für die Wahrheit des katholischen
Glaubens gewirkt. Dazu kam noch, daß mehrere von diesen Männern schon


Grenzboten VII 1909 41
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[0323] Johann Friedrich von Schulte? Lebenserinnerungen soweit" selbstlos gewesen. Daß sein Ziel gewesen sei, die Katholiken in Deutsch¬ land zur politischen Herrschaft zu führen, halte ich für eine Einbildung Schuttes, der, selbst eine Autokratennatur, allzusehr geneigt ist, Äußerungen katholischer Frömmigkeit beim höhern Klerus aus hierarchischen Gelüsten abzuleiten. Man muß es ihm nachrühmen, heißt es im Schluß der Charakteristik: „Er war im römischen Sinne ein ganzer Mann. Was uns an ihm nicht gefällt, die Sophisterei, die Kunst, das Gefährliche des Ultramontanismus zu verschleiern, ist für den richtigen Ultramontanen sein höchstes Verdienst; die Opferung der eignen Überzeugung auf dem Einheitsaltar der Kirche wird sein Verdienst bleiben. Rom liebte ihn nicht, weil er die diplomatische Schminke verabscheute und ein Feind jeder sittlichen Fäulnis war. Antonelli nannte ihn unwillig den groben deutschen Bischof, und Pius machte sich über seinen Fußfall lustig." (Ketteler hat bekanntlich den Papst fußfällig gebeten, auf die Proklamation der Unfehlbarkeit zu verzichten.) Ist es vielleicht weniger sophistisch, wenn man mit Schulte den katholischen Kirchenbegriff preisgibt und dann zu beweisen versucht, man repräsentiere die wahre katholische Kirche und habe auf deren Vermögen Anspruch? Ein Mann der Wissenschaft sei Ketteler nicht gewesen, an gründlichen Kenntnissen habe es ihm gefehlt, aber er habe klar, populär und elegant über alle Fragen geschrieben, „auch wenn er sachlich wenig davon wußte". Das ist richtig, ein Gelehrter ist Ketteler nicht gewesen. Aber wenn man, wie in dem kleinen Buche „Freiheit, Autorität und Kirche" (in dem unter andern, die organische Auffassung der Germanen vom Staat gegen den mechanisch-zaristischen der Romanen verteidigt wird) gute und nützliche Ge¬ danken in schöner und edler Sprache verständlich und überzeugend darlegt, so wirkt man damit hundertmal, vielleicht tausendmal mehr als mit streng wissen¬ schaftlichen Abhandlungen und urgelehrten dickleibigen Werken. Dazu seine soziale Gesinnung und seine Askese! Man mag die Askese für nur relativ berechtigt oder für ganz unberechtigt erklären, wird aber nicht leugnen wollen, daß sie mächtig aufs Volk wirkt. Damit ist ein drittes hervorgehoben, was den deutschen Katholizismus im neunzehnten Jahrhundert stark gemacht hat ^ Schulte nennt es nicht ausdrücklich, aber er liefert viele Veitrüge zur Dar¬ stellung dieses Umstandes —: die Makellosigkeit des höhern Klerus und die große Zahl tüchtiger Männer, hervorragender Talente und ausgezeichneter Charaktere in seinen Reihen. Nicht wenige gewannen auch durch ihre Liebens¬ würdigkeit die Herzen, so der als Bischof vom Speyer gestorbne Benedik¬ tinerabt Haneberg, eine Zierde der Münchner Universität. „Haneberg war der Liebling Münchens, geachtet bei den Männern der Wissenschaft, Katholiken wie Protestanten." Bei den Katholiken, die ja natürlich ihre eignen Leute sehr gut, die der andern Konfession wenig oder gar nicht kannten, setzte sich der Gedanke fest, daß nur der katholische Glaube solche Charaktere erzeugen könne, und dieser Gedanke hat als kräftigster Beweis für die Wahrheit des katholischen Glaubens gewirkt. Dazu kam noch, daß mehrere von diesen Männern schon Grenzboten VII 1909 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/323>, abgerufen am 23.07.2024.