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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78y

in der noch wichtigern Frage, ob die Generalstände nach Ständen oder nach
Köpfen abstimmen sollten, weit mehr zur Abstimmung nach Ständen. Sie ver¬
zichteten nochmals, wie 1787, ausdrücklich auf alle Steuerprivilegien, hielten
aber im übrigen um so fester an den alten Formen und Organisationen. Da¬
gegen fiel die Entscheidung der übrigen Fragen um so liberaler aus: das aktive
und das passive Wahlrecht sollte im Alter von fünfundzwanzig Jahren erworben
werden, der Sekundärklerus beide Rechte ebenfalls ausüben dürfen, ebenso der
gesamte Adel. Die beiden letzten Entscheidungen zeugten von großer Weit¬
herzigkeit,- denn ein großer Teil der Landgeistlichkeit und des verarmten Land¬
adels hielt ja unbedingt zum dritten Stande. Dieselbe Weitherzigkeit herrschte
in den meisten Bureaus in betreff der Bestimmungen, die man für die Wahlen
des dritten Standes in den Städten und auf den Dörfern festsetzte. Zweifelhaft
konnte es sein, ob der dem dritten Stande erfüllte Wunsch, wonach Geistliche
und Adlige von der Wahl ausgeschlossen wurden, dem dritten Stande wirklich
zugute kommen würde; denn ein Sieyes, ein Mirabeau hatten für den TierS
mehr getan, als es einem Vertreter dieses Standes selbst möglich war. Da¬
gegen konnten die Parlamente ihre Hoffnung, in den Generalständen eine ent¬
scheidende Rolle zu spielen, für immer begraben; sie waren es gewesen, die
hauptsächlich den Sturm der Empörung gegen die Regierung groß gezogen
hatten, dann aber doch mit aller Gewalt an dem alten Regime festhielten.

Am 12. Dezember wurde die Notabelnversammlung geschlossen. Auch ihr
kann man den Vorwurf nicht ersparen, daß sie die politische Lage verkannt
habe: die dem dritten Stande gemachten Zugeständnisse ließen doch die Garantie
für den notwendigen Fortbestand und die Sicherheit der Privilegierten gar zu
sehr vermissen. In dieser Beziehung war der in jenen Tagen erscheinende
Prinzenbrief iMtre ass vrinves), eine von Artois, Conde, Bourbon, Enghien
und Conti unterzeichnete Denkschrift an den König, scharfsichtiger. Sie begann
mit den richtigen Worten: "Sire, der Staat ist in Gefahr" und verlangte in
scharfem Tone die Berufung der Generalstände nach der alten Form, da der
dritte Stand, wenn man seine Vertreter verdoppeln wolle, immer mehr fordern
werde; die beiden ersten Stände sollten nur dann auf ihre Steuerprivilegien
verzichten, wenn sich der dritte Stand ruhig verhalte. Schließlich drohte der
Brief damit, daß der Adel die Generalstände nicht beschicken, daß also eine
Spaltung eintreten werde. Man empfindet ohne weitere Darlegungen, wie
unpolitisch das Verhalten der Prinzen in dieser Zeit war, und eine Entgegnung
seitens des Adels blieb auch nicht aus. Wenig Tage später (20. Dezember)
richteten nämlich die Pairs Frankreichs ebenfalls einen öffentlichen Brief an
den König, in dem sie ohne jede Einschränkung für volle Steuergleichheit ein¬
traten, und denselben Gedanken sprach am 22. Dezember das Pariser Parlament
aus. Necker befand sich in der schwersten Verlegenheit, wie er sich zu den
widerspruchsvollen Wünschen der maßgebenden Körperschaften und der öffent¬
lichen Meinung stellen sollte. Seine Entscheidung, durch die Königin stark


Grenzboten III 1909 40
Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78y

in der noch wichtigern Frage, ob die Generalstände nach Ständen oder nach
Köpfen abstimmen sollten, weit mehr zur Abstimmung nach Ständen. Sie ver¬
zichteten nochmals, wie 1787, ausdrücklich auf alle Steuerprivilegien, hielten
aber im übrigen um so fester an den alten Formen und Organisationen. Da¬
gegen fiel die Entscheidung der übrigen Fragen um so liberaler aus: das aktive
und das passive Wahlrecht sollte im Alter von fünfundzwanzig Jahren erworben
werden, der Sekundärklerus beide Rechte ebenfalls ausüben dürfen, ebenso der
gesamte Adel. Die beiden letzten Entscheidungen zeugten von großer Weit¬
herzigkeit,- denn ein großer Teil der Landgeistlichkeit und des verarmten Land¬
adels hielt ja unbedingt zum dritten Stande. Dieselbe Weitherzigkeit herrschte
in den meisten Bureaus in betreff der Bestimmungen, die man für die Wahlen
des dritten Standes in den Städten und auf den Dörfern festsetzte. Zweifelhaft
konnte es sein, ob der dem dritten Stande erfüllte Wunsch, wonach Geistliche
und Adlige von der Wahl ausgeschlossen wurden, dem dritten Stande wirklich
zugute kommen würde; denn ein Sieyes, ein Mirabeau hatten für den TierS
mehr getan, als es einem Vertreter dieses Standes selbst möglich war. Da¬
gegen konnten die Parlamente ihre Hoffnung, in den Generalständen eine ent¬
scheidende Rolle zu spielen, für immer begraben; sie waren es gewesen, die
hauptsächlich den Sturm der Empörung gegen die Regierung groß gezogen
hatten, dann aber doch mit aller Gewalt an dem alten Regime festhielten.

Am 12. Dezember wurde die Notabelnversammlung geschlossen. Auch ihr
kann man den Vorwurf nicht ersparen, daß sie die politische Lage verkannt
habe: die dem dritten Stande gemachten Zugeständnisse ließen doch die Garantie
für den notwendigen Fortbestand und die Sicherheit der Privilegierten gar zu
sehr vermissen. In dieser Beziehung war der in jenen Tagen erscheinende
Prinzenbrief iMtre ass vrinves), eine von Artois, Conde, Bourbon, Enghien
und Conti unterzeichnete Denkschrift an den König, scharfsichtiger. Sie begann
mit den richtigen Worten: „Sire, der Staat ist in Gefahr" und verlangte in
scharfem Tone die Berufung der Generalstände nach der alten Form, da der
dritte Stand, wenn man seine Vertreter verdoppeln wolle, immer mehr fordern
werde; die beiden ersten Stände sollten nur dann auf ihre Steuerprivilegien
verzichten, wenn sich der dritte Stand ruhig verhalte. Schließlich drohte der
Brief damit, daß der Adel die Generalstände nicht beschicken, daß also eine
Spaltung eintreten werde. Man empfindet ohne weitere Darlegungen, wie
unpolitisch das Verhalten der Prinzen in dieser Zeit war, und eine Entgegnung
seitens des Adels blieb auch nicht aus. Wenig Tage später (20. Dezember)
richteten nämlich die Pairs Frankreichs ebenfalls einen öffentlichen Brief an
den König, in dem sie ohne jede Einschränkung für volle Steuergleichheit ein¬
traten, und denselben Gedanken sprach am 22. Dezember das Pariser Parlament
aus. Necker befand sich in der schwersten Verlegenheit, wie er sich zu den
widerspruchsvollen Wünschen der maßgebenden Körperschaften und der öffent¬
lichen Meinung stellen sollte. Seine Entscheidung, durch die Königin stark


Grenzboten III 1909 40
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[0315] Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78y in der noch wichtigern Frage, ob die Generalstände nach Ständen oder nach Köpfen abstimmen sollten, weit mehr zur Abstimmung nach Ständen. Sie ver¬ zichteten nochmals, wie 1787, ausdrücklich auf alle Steuerprivilegien, hielten aber im übrigen um so fester an den alten Formen und Organisationen. Da¬ gegen fiel die Entscheidung der übrigen Fragen um so liberaler aus: das aktive und das passive Wahlrecht sollte im Alter von fünfundzwanzig Jahren erworben werden, der Sekundärklerus beide Rechte ebenfalls ausüben dürfen, ebenso der gesamte Adel. Die beiden letzten Entscheidungen zeugten von großer Weit¬ herzigkeit,- denn ein großer Teil der Landgeistlichkeit und des verarmten Land¬ adels hielt ja unbedingt zum dritten Stande. Dieselbe Weitherzigkeit herrschte in den meisten Bureaus in betreff der Bestimmungen, die man für die Wahlen des dritten Standes in den Städten und auf den Dörfern festsetzte. Zweifelhaft konnte es sein, ob der dem dritten Stande erfüllte Wunsch, wonach Geistliche und Adlige von der Wahl ausgeschlossen wurden, dem dritten Stande wirklich zugute kommen würde; denn ein Sieyes, ein Mirabeau hatten für den TierS mehr getan, als es einem Vertreter dieses Standes selbst möglich war. Da¬ gegen konnten die Parlamente ihre Hoffnung, in den Generalständen eine ent¬ scheidende Rolle zu spielen, für immer begraben; sie waren es gewesen, die hauptsächlich den Sturm der Empörung gegen die Regierung groß gezogen hatten, dann aber doch mit aller Gewalt an dem alten Regime festhielten. Am 12. Dezember wurde die Notabelnversammlung geschlossen. Auch ihr kann man den Vorwurf nicht ersparen, daß sie die politische Lage verkannt habe: die dem dritten Stande gemachten Zugeständnisse ließen doch die Garantie für den notwendigen Fortbestand und die Sicherheit der Privilegierten gar zu sehr vermissen. In dieser Beziehung war der in jenen Tagen erscheinende Prinzenbrief iMtre ass vrinves), eine von Artois, Conde, Bourbon, Enghien und Conti unterzeichnete Denkschrift an den König, scharfsichtiger. Sie begann mit den richtigen Worten: „Sire, der Staat ist in Gefahr" und verlangte in scharfem Tone die Berufung der Generalstände nach der alten Form, da der dritte Stand, wenn man seine Vertreter verdoppeln wolle, immer mehr fordern werde; die beiden ersten Stände sollten nur dann auf ihre Steuerprivilegien verzichten, wenn sich der dritte Stand ruhig verhalte. Schließlich drohte der Brief damit, daß der Adel die Generalstände nicht beschicken, daß also eine Spaltung eintreten werde. Man empfindet ohne weitere Darlegungen, wie unpolitisch das Verhalten der Prinzen in dieser Zeit war, und eine Entgegnung seitens des Adels blieb auch nicht aus. Wenig Tage später (20. Dezember) richteten nämlich die Pairs Frankreichs ebenfalls einen öffentlichen Brief an den König, in dem sie ohne jede Einschränkung für volle Steuergleichheit ein¬ traten, und denselben Gedanken sprach am 22. Dezember das Pariser Parlament aus. Necker befand sich in der schwersten Verlegenheit, wie er sich zu den widerspruchsvollen Wünschen der maßgebenden Körperschaften und der öffent¬ lichen Meinung stellen sollte. Seine Entscheidung, durch die Königin stark Grenzboten III 1909 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/315>, abgerufen am 23.07.2024.