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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

muß zum Beispiel Adolf Schmitthenners "Das deutsche Herz", Adolf Bartels
"Dithmarscher", manches von Wilhelm Arminius und nicht wenig andres hinzu¬
rechnen und erhält dann das Bild einer lebendig blühenden historischen Roman-
und Novellenliteratur. Nicht auf Ebers etwa weisen die meisten dieser Schöpfungen
zurück, sondern erstens auf den größten Meister des historischen Romans, den
Deutschland je besessen hat, nämlich auf Willibald Alexis, dann aber lebt bei
vielen ein gut Stück von der Art und Kraft historischer Darstellung wieder
auf, die Wilhelm Raabe in manchen seiner Meisterwerke bewährte. Seine in
jungen Jahren geschriebne Magdeburger Geschichte "Unsers Herrgotts Kanzlei"
bringt nur ein paar feine Züge, ist sonst ein tüchtiges, doch nicht eben bedeutendes
Buch, aber in vielen seiner spätern Erzählungen sprudelt gerade auch der Quell
der Historie, wird die Geschichte bezwungen. Überall wird die Forderung Sterns
erfüllt, es müsse so viel rein Dichterisches (Menschliches) in historischen Er¬
zählungen stecken, daß alles andre nur das Verhältnis des Brennstoffs zum
Feuer habe.

Auf ein wie breites Interesse diese neu emporgeblühte historische Dichtung
stößt, lehrt insbesondre der Erfolg August Sperls. Seine "Fahrt nach der
alten Urkunde", kein zusammenhängender Roman, sondern eine leicht gereihte
Kette von Geschichten und Bildern aus dem Leben eines Emigrantengeschlechts,
ist nun schon in neunter bis zwölfter Auflage, in neuer, reizvoller Ausstattung
(bei C. H. Beck in München) erschienen. Hier fallen aus der Gegenwart immer
wieder Reflexe in ferne und fernste Vergangenheit und bringen Gestalten der
Vorzeit mit herauf, denen sich die lebenden Nachfahren verwandt fühlen. In
objektiver Bezwingung gestaltet spert historische Schickungen in seinem neuen
Roman "Richiza" (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Es ist eine Geschichte
aus dem Leben des Hauses Castell, aus dessen Archiven der Dichter uns vor
kurzem ein hier angezeigtes, reichhaltiges Werk gegeben hat. Sieben Söhne
zjehn aus zur Zeit der ersten Kreuzzüge, sieben Grafen Castell reiten in eine
Fehde, die der Ehrgeiz des stolzen Geschlechts ohne Not heraufbeschworen hat.
Verrat eines schlecht behandelten Lehnspflichtigen heftet sich an ihre Fersen,
fünf fallen, einer kehrt als Krüppel zurück, einer verschläft, schlaftrunken gemacht,
die Schlacht. Ihn stößt das Haus aus, bis er sich wieder ehrlich gemacht hat,
spät kehrt er zurück und findet ein durch all die Jahre der Trennung treu
bewahrtes Liebesglück. Alles ist in Sperls knapper Weise erzählt, immer mit
dem echten Ton einer andern Zeit, einer Zeit, die weniger Worte hatte als die
unsre, in der der Arm zum Schlagen flinker war. Aber niemals altertümelt
der Verfasser, niemals spielt er nur mit historischen Requisiten, sondern er
steht immer mitten im Leben, er deutet alles Beiwerk nur eben an, er müht
sich immer wieder, die Charaktere inmitten ihrer Umwelt darzustellen, und das
gelingt ihm denn insbesondre bei den Männern vollauf, wie denn Sperls Kunst
denen überhaupt gerechter wird als den Frauen. So erscheint mir denn auch
als der einzige Fehler des Buches, daß durch den Titel eine Gestalt in den


Literarische Rundschau

muß zum Beispiel Adolf Schmitthenners „Das deutsche Herz", Adolf Bartels
„Dithmarscher", manches von Wilhelm Arminius und nicht wenig andres hinzu¬
rechnen und erhält dann das Bild einer lebendig blühenden historischen Roman-
und Novellenliteratur. Nicht auf Ebers etwa weisen die meisten dieser Schöpfungen
zurück, sondern erstens auf den größten Meister des historischen Romans, den
Deutschland je besessen hat, nämlich auf Willibald Alexis, dann aber lebt bei
vielen ein gut Stück von der Art und Kraft historischer Darstellung wieder
auf, die Wilhelm Raabe in manchen seiner Meisterwerke bewährte. Seine in
jungen Jahren geschriebne Magdeburger Geschichte „Unsers Herrgotts Kanzlei"
bringt nur ein paar feine Züge, ist sonst ein tüchtiges, doch nicht eben bedeutendes
Buch, aber in vielen seiner spätern Erzählungen sprudelt gerade auch der Quell
der Historie, wird die Geschichte bezwungen. Überall wird die Forderung Sterns
erfüllt, es müsse so viel rein Dichterisches (Menschliches) in historischen Er¬
zählungen stecken, daß alles andre nur das Verhältnis des Brennstoffs zum
Feuer habe.

Auf ein wie breites Interesse diese neu emporgeblühte historische Dichtung
stößt, lehrt insbesondre der Erfolg August Sperls. Seine „Fahrt nach der
alten Urkunde", kein zusammenhängender Roman, sondern eine leicht gereihte
Kette von Geschichten und Bildern aus dem Leben eines Emigrantengeschlechts,
ist nun schon in neunter bis zwölfter Auflage, in neuer, reizvoller Ausstattung
(bei C. H. Beck in München) erschienen. Hier fallen aus der Gegenwart immer
wieder Reflexe in ferne und fernste Vergangenheit und bringen Gestalten der
Vorzeit mit herauf, denen sich die lebenden Nachfahren verwandt fühlen. In
objektiver Bezwingung gestaltet spert historische Schickungen in seinem neuen
Roman „Richiza" (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Es ist eine Geschichte
aus dem Leben des Hauses Castell, aus dessen Archiven der Dichter uns vor
kurzem ein hier angezeigtes, reichhaltiges Werk gegeben hat. Sieben Söhne
zjehn aus zur Zeit der ersten Kreuzzüge, sieben Grafen Castell reiten in eine
Fehde, die der Ehrgeiz des stolzen Geschlechts ohne Not heraufbeschworen hat.
Verrat eines schlecht behandelten Lehnspflichtigen heftet sich an ihre Fersen,
fünf fallen, einer kehrt als Krüppel zurück, einer verschläft, schlaftrunken gemacht,
die Schlacht. Ihn stößt das Haus aus, bis er sich wieder ehrlich gemacht hat,
spät kehrt er zurück und findet ein durch all die Jahre der Trennung treu
bewahrtes Liebesglück. Alles ist in Sperls knapper Weise erzählt, immer mit
dem echten Ton einer andern Zeit, einer Zeit, die weniger Worte hatte als die
unsre, in der der Arm zum Schlagen flinker war. Aber niemals altertümelt
der Verfasser, niemals spielt er nur mit historischen Requisiten, sondern er
steht immer mitten im Leben, er deutet alles Beiwerk nur eben an, er müht
sich immer wieder, die Charaktere inmitten ihrer Umwelt darzustellen, und das
gelingt ihm denn insbesondre bei den Männern vollauf, wie denn Sperls Kunst
denen überhaupt gerechter wird als den Frauen. So erscheint mir denn auch
als der einzige Fehler des Buches, daß durch den Titel eine Gestalt in den


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[0266] Literarische Rundschau muß zum Beispiel Adolf Schmitthenners „Das deutsche Herz", Adolf Bartels „Dithmarscher", manches von Wilhelm Arminius und nicht wenig andres hinzu¬ rechnen und erhält dann das Bild einer lebendig blühenden historischen Roman- und Novellenliteratur. Nicht auf Ebers etwa weisen die meisten dieser Schöpfungen zurück, sondern erstens auf den größten Meister des historischen Romans, den Deutschland je besessen hat, nämlich auf Willibald Alexis, dann aber lebt bei vielen ein gut Stück von der Art und Kraft historischer Darstellung wieder auf, die Wilhelm Raabe in manchen seiner Meisterwerke bewährte. Seine in jungen Jahren geschriebne Magdeburger Geschichte „Unsers Herrgotts Kanzlei" bringt nur ein paar feine Züge, ist sonst ein tüchtiges, doch nicht eben bedeutendes Buch, aber in vielen seiner spätern Erzählungen sprudelt gerade auch der Quell der Historie, wird die Geschichte bezwungen. Überall wird die Forderung Sterns erfüllt, es müsse so viel rein Dichterisches (Menschliches) in historischen Er¬ zählungen stecken, daß alles andre nur das Verhältnis des Brennstoffs zum Feuer habe. Auf ein wie breites Interesse diese neu emporgeblühte historische Dichtung stößt, lehrt insbesondre der Erfolg August Sperls. Seine „Fahrt nach der alten Urkunde", kein zusammenhängender Roman, sondern eine leicht gereihte Kette von Geschichten und Bildern aus dem Leben eines Emigrantengeschlechts, ist nun schon in neunter bis zwölfter Auflage, in neuer, reizvoller Ausstattung (bei C. H. Beck in München) erschienen. Hier fallen aus der Gegenwart immer wieder Reflexe in ferne und fernste Vergangenheit und bringen Gestalten der Vorzeit mit herauf, denen sich die lebenden Nachfahren verwandt fühlen. In objektiver Bezwingung gestaltet spert historische Schickungen in seinem neuen Roman „Richiza" (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Es ist eine Geschichte aus dem Leben des Hauses Castell, aus dessen Archiven der Dichter uns vor kurzem ein hier angezeigtes, reichhaltiges Werk gegeben hat. Sieben Söhne zjehn aus zur Zeit der ersten Kreuzzüge, sieben Grafen Castell reiten in eine Fehde, die der Ehrgeiz des stolzen Geschlechts ohne Not heraufbeschworen hat. Verrat eines schlecht behandelten Lehnspflichtigen heftet sich an ihre Fersen, fünf fallen, einer kehrt als Krüppel zurück, einer verschläft, schlaftrunken gemacht, die Schlacht. Ihn stößt das Haus aus, bis er sich wieder ehrlich gemacht hat, spät kehrt er zurück und findet ein durch all die Jahre der Trennung treu bewahrtes Liebesglück. Alles ist in Sperls knapper Weise erzählt, immer mit dem echten Ton einer andern Zeit, einer Zeit, die weniger Worte hatte als die unsre, in der der Arm zum Schlagen flinker war. Aber niemals altertümelt der Verfasser, niemals spielt er nur mit historischen Requisiten, sondern er steht immer mitten im Leben, er deutet alles Beiwerk nur eben an, er müht sich immer wieder, die Charaktere inmitten ihrer Umwelt darzustellen, und das gelingt ihm denn insbesondre bei den Männern vollauf, wie denn Sperls Kunst denen überhaupt gerechter wird als den Frauen. So erscheint mir denn auch als der einzige Fehler des Buches, daß durch den Titel eine Gestalt in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/266>, abgerufen am 22.12.2024.