Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Englische Eigenart Brix Förster George Gissing, von übersetzt und bearbeitet von UMente nach vierzig Jahren denke ich noch mit Schaudern an die Ich kann mir nicht helfen: ich halte es für besser, daß England irgend Grenzboten III 190g
Englische Eigenart Brix Förster George Gissing, von übersetzt und bearbeitet von UMente nach vierzig Jahren denke ich noch mit Schaudern an die Ich kann mir nicht helfen: ich halte es für besser, daß England irgend Grenzboten III 190g
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313962"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_313702/figures/grenzboten_341889_313702_313962_000.jpg"/><lb/> <p xml:id="ID_1093"> Englische Eigenart<note type="byline"> Brix Förster</note><note type="byline"> George Gissing, </note> von übersetzt und bearbeitet von</p><lb/> <p xml:id="ID_1094"> UMente nach vierzig Jahren denke ich noch mit Schaudern an die<lb/> Zeit zurück, wo ich mit meinen Schulkameraden regelmäßig einmal<lb/> in der Woche gedrillt wurde. Die unsinnigen, rein mechanischen<lb/> Übungen konnte ich nicht ausstehn; das stramme Einhalten der<lb/> I Frontlinie, das taktmäßige Ausstrecken von Armen und Beinen,<lb/> das Stampfen des Bodens in gleichem Schritt und Tritt und andres mehr waren<lb/> mir ein Greuel. Nicht mehr eine Individualität sein zu dürfen, erschien mir<lb/> geradezu schimpflich. Raunzte mich der Sergeant wegen eines kleinen Fehlers<lb/> an und rief mich dabei mit „Nummer 7" an, kochte ich vor Wut. Ich kam mir<lb/> nicht wie ein menschliches Wesen vor, sondern wie ein Teil einer Maschine, und<lb/> dieser Teil hieß: Nummer 7! Ich wunderte mich über meinen Nebenmann; der<lb/> fand das Exerzieren amüsant und entwickelte dabei entsetzlich viel Eifer und<lb/> Energie. Auch die andern zum größten Teil machten mit Lust die Übungen oder<lb/> wenigstens ohne Murren. Sie schlössen sogar Freundschaft mit dem Sergeanten<lb/> und waren stolz darauf, an seiner Seite herumgehn zu dürfen, ohne Schritt<lb/> halten zu müssen. Ich haßte ihn, wie ich noch nie einen Menschen gehaßt hatte,<lb/> diesen vierschrötiger Kerl mit den steinharten Zügen und der schmetternden Stimme.<lb/> Jedes Wort, das er mir sagte, klang wie eine Beleidigung. Sobald ich ihn<lb/> nur von ferne sah, wich ich ihm aus, um nicht Salutieren zu müssen; ich zitterte<lb/> förmlich vor Aufregung. Ich glaube alles Ernstes, daß meine Nervosität, an<lb/> der ich seit meiner Jugend leide, von jenen verdammten Exerzierstunden herrührt,<lb/> und bin überzeugt, daß mein hochfahrendes Wesen, das leider so charakteristisch<lb/> für mich ist, ebenfalls von jener Zeit her datiert. Damals schmeichelte es meiner<lb/> hochmütigen Einbildung, daß ich allein es war, der die Erniedrigung des Drittens<lb/> bitter empfand. Jetzt kommt es mir vor, als ob gar mancher unter den Kameraden<lb/> ebenso dachte wie ich und ebenso innerlich empört war, auch die wenigen — ein<lb/> oder zwei — nicht ausgenommen, die nach Knabenart am Exerzieren ihr Ver¬<lb/> gnügen hatten, und die damals die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit<lb/> Freuden begrüßt haben würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1095" next="#ID_1096"> Ich kann mir nicht helfen: ich halte es für besser, daß England irgend<lb/> einmal unter einer Invasion leide, als daß es in gedankenloser Übereilung</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 190g</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
[Abbildung]
Englische Eigenart Brix Förster George Gissing, von übersetzt und bearbeitet von
UMente nach vierzig Jahren denke ich noch mit Schaudern an die
Zeit zurück, wo ich mit meinen Schulkameraden regelmäßig einmal
in der Woche gedrillt wurde. Die unsinnigen, rein mechanischen
Übungen konnte ich nicht ausstehn; das stramme Einhalten der
I Frontlinie, das taktmäßige Ausstrecken von Armen und Beinen,
das Stampfen des Bodens in gleichem Schritt und Tritt und andres mehr waren
mir ein Greuel. Nicht mehr eine Individualität sein zu dürfen, erschien mir
geradezu schimpflich. Raunzte mich der Sergeant wegen eines kleinen Fehlers
an und rief mich dabei mit „Nummer 7" an, kochte ich vor Wut. Ich kam mir
nicht wie ein menschliches Wesen vor, sondern wie ein Teil einer Maschine, und
dieser Teil hieß: Nummer 7! Ich wunderte mich über meinen Nebenmann; der
fand das Exerzieren amüsant und entwickelte dabei entsetzlich viel Eifer und
Energie. Auch die andern zum größten Teil machten mit Lust die Übungen oder
wenigstens ohne Murren. Sie schlössen sogar Freundschaft mit dem Sergeanten
und waren stolz darauf, an seiner Seite herumgehn zu dürfen, ohne Schritt
halten zu müssen. Ich haßte ihn, wie ich noch nie einen Menschen gehaßt hatte,
diesen vierschrötiger Kerl mit den steinharten Zügen und der schmetternden Stimme.
Jedes Wort, das er mir sagte, klang wie eine Beleidigung. Sobald ich ihn
nur von ferne sah, wich ich ihm aus, um nicht Salutieren zu müssen; ich zitterte
förmlich vor Aufregung. Ich glaube alles Ernstes, daß meine Nervosität, an
der ich seit meiner Jugend leide, von jenen verdammten Exerzierstunden herrührt,
und bin überzeugt, daß mein hochfahrendes Wesen, das leider so charakteristisch
für mich ist, ebenfalls von jener Zeit her datiert. Damals schmeichelte es meiner
hochmütigen Einbildung, daß ich allein es war, der die Erniedrigung des Drittens
bitter empfand. Jetzt kommt es mir vor, als ob gar mancher unter den Kameraden
ebenso dachte wie ich und ebenso innerlich empört war, auch die wenigen — ein
oder zwei — nicht ausgenommen, die nach Knabenart am Exerzieren ihr Ver¬
gnügen hatten, und die damals die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit
Freuden begrüßt haben würden.
Ich kann mir nicht helfen: ich halte es für besser, daß England irgend
einmal unter einer Invasion leide, als daß es in gedankenloser Übereilung
Grenzboten III 190g
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