Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Veit Valentin

War NUN seit fast acht Jahren dieser Name ausgelöscht. Jetzt ist er auf einmal in
seinem einzigen, gleichnamigen Sohne neu auferstanden, und dessen erste Leistung
ist so. daß sich an sie die Hoffnung knüpfen muß, dieser Name werde in der
Welt des geistigen Schaffens ebenfalls zu guten Ehren gelangen.

Vater und Sohn erscheinen bei allen Zügen, die in dem Sohn an den
Vater erinnern, doch wesentlich verschieden veranlagt; der Vater so, daß er in
engerm Kreise höchst ehrenvoll fortlebt, der Sohn so, daß seine Arbeit noch
weitere Kreise interessieren wird. Veit Valentins des ältern eigenste Begabung
war die des Dranges zu wissenschaftlicher Erkenntnis der Kunst nach ihrem
Wesen und nach ihren Hervorbringungen auf allen Gebieten des Schönen und
auch des Nützlichen; nur die Musik lag ihm, abgesehen von ihren Grundeigen¬
schaften, die sie mit aller Kunst gemeinsam hat, nach ihrem eigenartigen Leben
etwas ferner. Die "Vildkunst". wie er die Malerei und die Plastik zusammen¬
zufassen pflegte, und die Poesie standen seiner brennenden Liebe und seinem
eindringenden Forschungsinteresse gleich nahe, wie seine sich auf beide Gebiete
ungefähr gleichmäßig verteilenden zahlreichen Arbeiten beweisen. Mit Kunst¬
theorie. Kunstenthusiasmus und Kunstauslegung sind nun freilich die Herzen der
Menschen ebenso gut zu erobern wie mit Erforschung und Darstellung der neuern,
bis an die Gegenwart heranreichenden Geschichte, die als die Domäne Veit
Valentins des jüngern erscheint; denn einen Vorsprung, die Intensität der Teil¬
nahme der Lebenden zu gewinnen, vor der Geschichte überhaupt und namentlich
den ältern Perioden hat begreiflicherweise die neuere und neueste Geschichte
jedenfalls. Aber Veit Valentin der Vater schrieb recht wenig im Sinne und
nach dem Gefallen des großen Publikums. Er genoß allerdings die Hochschätzung
mancher seiner Fachgenossen, die sich die Mühe gaben, ihn ganz zu versteh",
im höchsten Grade, aber in den geistigen Besitz der Gebildeten überhaupt ist
er doch nicht sehr eingedrungen. Das lag daran: er war zu selbständig in
seinem Denken, zu fein und subtil in seinen Darlegungen, verschmähte zu sehr
von den Redewendungen und Schlagwörtern, die schon Allgemeingut sind und
hinreißende, vielleicht auch blendende oder gar hypnotisierende Macht haben,
Gebrauch zu machen, mochte zu wenig seine Originalität zurücksetzen, um sich
"~ gleiche Brüder, gleiche Kappen -- in die im Gange befindliche Kollektiv¬
arbeit einzuordnen. Nun kann freilich die ausgeprägte Sonderart, die in die
Augen springende Ursprünglichkeit noch mehr überwältigen als glänzende Nor¬
malität: aber es darf den Menschen nicht schwer werden, ihr zu folgen. Der
Ästhetiker Veit Valentin aber macht wirklich große Ansprüche an die Bereitwillig¬
keit seiner Leser, ihre Denkkraft zu konzentrieren und anzustrengen. Begeisterung
für die Kunst und all ihr Schaffen erfüllte ihn freilich in tiefster Seele, die
höchste natürlich für die hohen Werke der Kunst - aber als Kunstschriftsteller
wollte er mit der Begeisterung nicht beginnen, weil er den Anhauch der Ver¬
schwommenheit und die Verführung zu unwahrem Gerede von ihr fürchtete;
die Begeisterung sollte als eine doch auch ihrer Gründe bewußte zum Schluß


Veit Valentin

War NUN seit fast acht Jahren dieser Name ausgelöscht. Jetzt ist er auf einmal in
seinem einzigen, gleichnamigen Sohne neu auferstanden, und dessen erste Leistung
ist so. daß sich an sie die Hoffnung knüpfen muß, dieser Name werde in der
Welt des geistigen Schaffens ebenfalls zu guten Ehren gelangen.

Vater und Sohn erscheinen bei allen Zügen, die in dem Sohn an den
Vater erinnern, doch wesentlich verschieden veranlagt; der Vater so, daß er in
engerm Kreise höchst ehrenvoll fortlebt, der Sohn so, daß seine Arbeit noch
weitere Kreise interessieren wird. Veit Valentins des ältern eigenste Begabung
war die des Dranges zu wissenschaftlicher Erkenntnis der Kunst nach ihrem
Wesen und nach ihren Hervorbringungen auf allen Gebieten des Schönen und
auch des Nützlichen; nur die Musik lag ihm, abgesehen von ihren Grundeigen¬
schaften, die sie mit aller Kunst gemeinsam hat, nach ihrem eigenartigen Leben
etwas ferner. Die „Vildkunst". wie er die Malerei und die Plastik zusammen¬
zufassen pflegte, und die Poesie standen seiner brennenden Liebe und seinem
eindringenden Forschungsinteresse gleich nahe, wie seine sich auf beide Gebiete
ungefähr gleichmäßig verteilenden zahlreichen Arbeiten beweisen. Mit Kunst¬
theorie. Kunstenthusiasmus und Kunstauslegung sind nun freilich die Herzen der
Menschen ebenso gut zu erobern wie mit Erforschung und Darstellung der neuern,
bis an die Gegenwart heranreichenden Geschichte, die als die Domäne Veit
Valentins des jüngern erscheint; denn einen Vorsprung, die Intensität der Teil¬
nahme der Lebenden zu gewinnen, vor der Geschichte überhaupt und namentlich
den ältern Perioden hat begreiflicherweise die neuere und neueste Geschichte
jedenfalls. Aber Veit Valentin der Vater schrieb recht wenig im Sinne und
nach dem Gefallen des großen Publikums. Er genoß allerdings die Hochschätzung
mancher seiner Fachgenossen, die sich die Mühe gaben, ihn ganz zu versteh»,
im höchsten Grade, aber in den geistigen Besitz der Gebildeten überhaupt ist
er doch nicht sehr eingedrungen. Das lag daran: er war zu selbständig in
seinem Denken, zu fein und subtil in seinen Darlegungen, verschmähte zu sehr
von den Redewendungen und Schlagwörtern, die schon Allgemeingut sind und
hinreißende, vielleicht auch blendende oder gar hypnotisierende Macht haben,
Gebrauch zu machen, mochte zu wenig seine Originalität zurücksetzen, um sich
"~ gleiche Brüder, gleiche Kappen — in die im Gange befindliche Kollektiv¬
arbeit einzuordnen. Nun kann freilich die ausgeprägte Sonderart, die in die
Augen springende Ursprünglichkeit noch mehr überwältigen als glänzende Nor¬
malität: aber es darf den Menschen nicht schwer werden, ihr zu folgen. Der
Ästhetiker Veit Valentin aber macht wirklich große Ansprüche an die Bereitwillig¬
keit seiner Leser, ihre Denkkraft zu konzentrieren und anzustrengen. Begeisterung
für die Kunst und all ihr Schaffen erfüllte ihn freilich in tiefster Seele, die
höchste natürlich für die hohen Werke der Kunst - aber als Kunstschriftsteller
wollte er mit der Begeisterung nicht beginnen, weil er den Anhauch der Ver¬
schwommenheit und die Verführung zu unwahrem Gerede von ihr fürchtete;
die Begeisterung sollte als eine doch auch ihrer Gründe bewußte zum Schluß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313934"/>
          <fw type="header" place="top"> Veit Valentin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_971" prev="#ID_970"> War NUN seit fast acht Jahren dieser Name ausgelöscht. Jetzt ist er auf einmal in<lb/>
seinem einzigen, gleichnamigen Sohne neu auferstanden, und dessen erste Leistung<lb/>
ist so. daß sich an sie die Hoffnung knüpfen muß, dieser Name werde in der<lb/>
Welt des geistigen Schaffens ebenfalls zu guten Ehren gelangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Vater und Sohn erscheinen bei allen Zügen, die in dem Sohn an den<lb/>
Vater erinnern, doch wesentlich verschieden veranlagt; der Vater so, daß er in<lb/>
engerm Kreise höchst ehrenvoll fortlebt, der Sohn so, daß seine Arbeit noch<lb/>
weitere Kreise interessieren wird. Veit Valentins des ältern eigenste Begabung<lb/>
war die des Dranges zu wissenschaftlicher Erkenntnis der Kunst nach ihrem<lb/>
Wesen und nach ihren Hervorbringungen auf allen Gebieten des Schönen und<lb/>
auch des Nützlichen; nur die Musik lag ihm, abgesehen von ihren Grundeigen¬<lb/>
schaften, die sie mit aller Kunst gemeinsam hat, nach ihrem eigenartigen Leben<lb/>
etwas ferner. Die &#x201E;Vildkunst". wie er die Malerei und die Plastik zusammen¬<lb/>
zufassen pflegte, und die Poesie standen seiner brennenden Liebe und seinem<lb/>
eindringenden Forschungsinteresse gleich nahe, wie seine sich auf beide Gebiete<lb/>
ungefähr gleichmäßig verteilenden zahlreichen Arbeiten beweisen. Mit Kunst¬<lb/>
theorie. Kunstenthusiasmus und Kunstauslegung sind nun freilich die Herzen der<lb/>
Menschen ebenso gut zu erobern wie mit Erforschung und Darstellung der neuern,<lb/>
bis an die Gegenwart heranreichenden Geschichte, die als die Domäne Veit<lb/>
Valentins des jüngern erscheint; denn einen Vorsprung, die Intensität der Teil¬<lb/>
nahme der Lebenden zu gewinnen, vor der Geschichte überhaupt und namentlich<lb/>
den ältern Perioden hat begreiflicherweise die neuere und neueste Geschichte<lb/>
jedenfalls. Aber Veit Valentin der Vater schrieb recht wenig im Sinne und<lb/>
nach dem Gefallen des großen Publikums. Er genoß allerdings die Hochschätzung<lb/>
mancher seiner Fachgenossen, die sich die Mühe gaben, ihn ganz zu versteh»,<lb/>
im höchsten Grade, aber in den geistigen Besitz der Gebildeten überhaupt ist<lb/>
er doch nicht sehr eingedrungen. Das lag daran: er war zu selbständig in<lb/>
seinem Denken, zu fein und subtil in seinen Darlegungen, verschmähte zu sehr<lb/>
von den Redewendungen und Schlagwörtern, die schon Allgemeingut sind und<lb/>
hinreißende, vielleicht auch blendende oder gar hypnotisierende Macht haben,<lb/>
Gebrauch zu machen, mochte zu wenig seine Originalität zurücksetzen, um sich<lb/>
"~ gleiche Brüder, gleiche Kappen &#x2014; in die im Gange befindliche Kollektiv¬<lb/>
arbeit einzuordnen. Nun kann freilich die ausgeprägte Sonderart, die in die<lb/>
Augen springende Ursprünglichkeit noch mehr überwältigen als glänzende Nor¬<lb/>
malität: aber es darf den Menschen nicht schwer werden, ihr zu folgen. Der<lb/>
Ästhetiker Veit Valentin aber macht wirklich große Ansprüche an die Bereitwillig¬<lb/>
keit seiner Leser, ihre Denkkraft zu konzentrieren und anzustrengen. Begeisterung<lb/>
für die Kunst und all ihr Schaffen erfüllte ihn freilich in tiefster Seele, die<lb/>
höchste natürlich für die hohen Werke der Kunst - aber als Kunstschriftsteller<lb/>
wollte er mit der Begeisterung nicht beginnen, weil er den Anhauch der Ver¬<lb/>
schwommenheit und die Verführung zu unwahrem Gerede von ihr fürchtete;<lb/>
die Begeisterung sollte als eine doch auch ihrer Gründe bewußte zum Schluß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] Veit Valentin War NUN seit fast acht Jahren dieser Name ausgelöscht. Jetzt ist er auf einmal in seinem einzigen, gleichnamigen Sohne neu auferstanden, und dessen erste Leistung ist so. daß sich an sie die Hoffnung knüpfen muß, dieser Name werde in der Welt des geistigen Schaffens ebenfalls zu guten Ehren gelangen. Vater und Sohn erscheinen bei allen Zügen, die in dem Sohn an den Vater erinnern, doch wesentlich verschieden veranlagt; der Vater so, daß er in engerm Kreise höchst ehrenvoll fortlebt, der Sohn so, daß seine Arbeit noch weitere Kreise interessieren wird. Veit Valentins des ältern eigenste Begabung war die des Dranges zu wissenschaftlicher Erkenntnis der Kunst nach ihrem Wesen und nach ihren Hervorbringungen auf allen Gebieten des Schönen und auch des Nützlichen; nur die Musik lag ihm, abgesehen von ihren Grundeigen¬ schaften, die sie mit aller Kunst gemeinsam hat, nach ihrem eigenartigen Leben etwas ferner. Die „Vildkunst". wie er die Malerei und die Plastik zusammen¬ zufassen pflegte, und die Poesie standen seiner brennenden Liebe und seinem eindringenden Forschungsinteresse gleich nahe, wie seine sich auf beide Gebiete ungefähr gleichmäßig verteilenden zahlreichen Arbeiten beweisen. Mit Kunst¬ theorie. Kunstenthusiasmus und Kunstauslegung sind nun freilich die Herzen der Menschen ebenso gut zu erobern wie mit Erforschung und Darstellung der neuern, bis an die Gegenwart heranreichenden Geschichte, die als die Domäne Veit Valentins des jüngern erscheint; denn einen Vorsprung, die Intensität der Teil¬ nahme der Lebenden zu gewinnen, vor der Geschichte überhaupt und namentlich den ältern Perioden hat begreiflicherweise die neuere und neueste Geschichte jedenfalls. Aber Veit Valentin der Vater schrieb recht wenig im Sinne und nach dem Gefallen des großen Publikums. Er genoß allerdings die Hochschätzung mancher seiner Fachgenossen, die sich die Mühe gaben, ihn ganz zu versteh», im höchsten Grade, aber in den geistigen Besitz der Gebildeten überhaupt ist er doch nicht sehr eingedrungen. Das lag daran: er war zu selbständig in seinem Denken, zu fein und subtil in seinen Darlegungen, verschmähte zu sehr von den Redewendungen und Schlagwörtern, die schon Allgemeingut sind und hinreißende, vielleicht auch blendende oder gar hypnotisierende Macht haben, Gebrauch zu machen, mochte zu wenig seine Originalität zurücksetzen, um sich "~ gleiche Brüder, gleiche Kappen — in die im Gange befindliche Kollektiv¬ arbeit einzuordnen. Nun kann freilich die ausgeprägte Sonderart, die in die Augen springende Ursprünglichkeit noch mehr überwältigen als glänzende Nor¬ malität: aber es darf den Menschen nicht schwer werden, ihr zu folgen. Der Ästhetiker Veit Valentin aber macht wirklich große Ansprüche an die Bereitwillig¬ keit seiner Leser, ihre Denkkraft zu konzentrieren und anzustrengen. Begeisterung für die Kunst und all ihr Schaffen erfüllte ihn freilich in tiefster Seele, die höchste natürlich für die hohen Werke der Kunst - aber als Kunstschriftsteller wollte er mit der Begeisterung nicht beginnen, weil er den Anhauch der Ver¬ schwommenheit und die Verführung zu unwahrem Gerede von ihr fürchtete; die Begeisterung sollte als eine doch auch ihrer Gründe bewußte zum Schluß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/231>, abgerufen am 22.12.2024.