Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Professor (damit ist Dr. Biernier gemeint) und einem jüdischen Privatdozenten Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin- Friedencm. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 20, zu richten. Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig Maßgebliches und Unmaßgebliches Professor (damit ist Dr. Biernier gemeint) und einem jüdischen Privatdozenten Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin- Friedencm. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 20, zu richten. Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313859"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_625" prev="#ID_624"> Professor (damit ist Dr. Biernier gemeint) und einem jüdischen Privatdozenten<lb/> (Liefmann) gelehrt. Ob es nicht angezeigt sei, eine zweite nationalökonomische<lb/> Professur zu schaffen und sie mit dem „Professor" Rusland zu besetzen, dessen der<lb/> Landwirtschaft freundliches System auf dem des Gründers der physiokratischen<lb/> Schule, des Arztes Quesnay, ruhe. Wie fern dem Professor Dr. Biermer Feindschaft<lb/> gegen die Landwirtschaft oder auch nur Unterschätzung ihrer Wichtigkeit liegt, geht<lb/> aus einem Vortrage hervor, den er am 17. Januar 1901 in Mainz gehalten hat,<lb/> und der mit den Sätzen beginnt: „Mir hat noch niemand bewiesen, daß die Agrar-<lb/> krisis, soweit sie sich als Folge des russischen und transozeanischen Wettbewerbs<lb/> zeigt, auch in Zukunft in gleicher Stärke fortbestehen wird. Aber auch wenn das<lb/> anzunehmen wäre, würde ich doch, zumal da dann auch der Bauernstand in Mit¬<lb/> leidenschaft gezogen und in großem Umfange proletarisiert werden würde, die ciller-<lb/> ernstesten volkswirtschaftlichen Bedenken tragen, einer solchen Wirtschaftspolitik, die<lb/> das landwirtschaftliche Gewerbe mit seiner großen sozialen Bedeutung seinem Schicksale<lb/> überließe, zuzustimmen. Wenn es Mittel gibt, eine Klasse zu retten, ohne daß diese<lb/> die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung stören, so dürfen diese Mittel nicht unver¬<lb/> sucht bleiben. Die britische wirtschaftliche Entwicklung ist für mich kein unbedingtes<lb/> Ideal." Demgemäß empfiehlt er die Erhöhung des Getreidezolls von 3^ Mark<lb/> auf 5 Mark, während er allerdings den vom Bunde der Landwirte geforderten<lb/> 7^/2-Markzoll für unannehmbar erklärt. Bei dem Antrage Köhler handelte es sich<lb/> jedoch nicht um den Getreidezoll, sondern um die Besetzung der akademischen Lehr¬<lb/> stühle. Biermer sagt darüber unter anderm in seinem Schlußwort am letzten Ver¬<lb/> handlungstage: „Und, meine Herren vom Gerichtshof! Sie mögen es mir glauben<lb/> oder nicht, die Gefahren, die von dieser Seite den Hochschulen drohen, sind ganz<lb/> ungewöhnliche. Es sind nicht Gefahren für die jetzigen Stelleninhaber national-<lb/> ökonomischer Lehrstühle; das wäre in der Tat ziemlich nebensächlich und für die<lb/> Allgemeinheit direkt gleichgiltig. Aber ich versichere Sie, es gehört ein ungewöhnliches<lb/> Maß von Selbstbeherrschung, Selbstprüfung und Objektivität dazu, in die wirtschaft¬<lb/> lichen Kämpfe der Gegenwart nicht mehr, als es staatsbürgerliche Pflicht ist, einzu¬<lb/> greifen, damit unsre Studenten unbefangen bleiben und auch die Gegenansichten<lb/> hören und würdigen können. sGroße und mächtige Parteien erstrebten nun Einflu߬<lb/> nahme auf eine Besetzung der akademischen Lehrstühle, um im Gegensatz zu der<lb/> gewissenhaften Objektivität der akademischen Lehrweise die zukünftigen Verwaltungs-<lb/> beamten mit einer einseitigen Parteidoktrin zu durchtränken.j Auch damit mußte ich<lb/> rechnen, daß der Plan Köhlers gelang, weil ich die Zusammensetzung unsrer Kammer<lb/> kannte, wo viel mehr als in Preußen das Parlamentarische Regime herrscht." Deshalb<lb/> also fühlte er sich verpflichtet, gegen diesen Plan öffentlich zu polemisieren, was ihm<lb/> dann die Beleidigungsklage Ruhlands eingetragen hat. Der 288 Seiten starke<lb/> Prozeßbericht enthält wichtige Beiträge zur Kenntnis sowohl des Verfahrens bei<lb/> Besetzung der Professuren wie auch zu der der nationalökonomischen Schulen und<lb/> Strömungen; das vom Geheimrat Professor Dr. Lexis verkehre Gutachten darf man<lb/> eine Abhandlung über Agrarpolitik nennen. Über Herrn Rusland bekommt man<lb/> erstaunliche Aufschlüsse. Aber die muß der Leser schon selbst aus Professor Biermers<lb/> Prozeßbericht schöpfen, denn wenn ich etwas davon mitteilte oder auch nur andeutete,<lb/> so würde ich dadurch der Redaktion der Grenzboten eine unerquickliche Korrespondenz<lb/><note type="byline"> T. I.</note> mit dem interessanten Herrn — interessant ist er wirklich — zuziehn. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin-<lb/> Friedencm. 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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Professor (damit ist Dr. Biernier gemeint) und einem jüdischen Privatdozenten
(Liefmann) gelehrt. Ob es nicht angezeigt sei, eine zweite nationalökonomische
Professur zu schaffen und sie mit dem „Professor" Rusland zu besetzen, dessen der
Landwirtschaft freundliches System auf dem des Gründers der physiokratischen
Schule, des Arztes Quesnay, ruhe. Wie fern dem Professor Dr. Biermer Feindschaft
gegen die Landwirtschaft oder auch nur Unterschätzung ihrer Wichtigkeit liegt, geht
aus einem Vortrage hervor, den er am 17. Januar 1901 in Mainz gehalten hat,
und der mit den Sätzen beginnt: „Mir hat noch niemand bewiesen, daß die Agrar-
krisis, soweit sie sich als Folge des russischen und transozeanischen Wettbewerbs
zeigt, auch in Zukunft in gleicher Stärke fortbestehen wird. Aber auch wenn das
anzunehmen wäre, würde ich doch, zumal da dann auch der Bauernstand in Mit¬
leidenschaft gezogen und in großem Umfange proletarisiert werden würde, die ciller-
ernstesten volkswirtschaftlichen Bedenken tragen, einer solchen Wirtschaftspolitik, die
das landwirtschaftliche Gewerbe mit seiner großen sozialen Bedeutung seinem Schicksale
überließe, zuzustimmen. Wenn es Mittel gibt, eine Klasse zu retten, ohne daß diese
die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung stören, so dürfen diese Mittel nicht unver¬
sucht bleiben. Die britische wirtschaftliche Entwicklung ist für mich kein unbedingtes
Ideal." Demgemäß empfiehlt er die Erhöhung des Getreidezolls von 3^ Mark
auf 5 Mark, während er allerdings den vom Bunde der Landwirte geforderten
7^/2-Markzoll für unannehmbar erklärt. Bei dem Antrage Köhler handelte es sich
jedoch nicht um den Getreidezoll, sondern um die Besetzung der akademischen Lehr¬
stühle. Biermer sagt darüber unter anderm in seinem Schlußwort am letzten Ver¬
handlungstage: „Und, meine Herren vom Gerichtshof! Sie mögen es mir glauben
oder nicht, die Gefahren, die von dieser Seite den Hochschulen drohen, sind ganz
ungewöhnliche. Es sind nicht Gefahren für die jetzigen Stelleninhaber national-
ökonomischer Lehrstühle; das wäre in der Tat ziemlich nebensächlich und für die
Allgemeinheit direkt gleichgiltig. Aber ich versichere Sie, es gehört ein ungewöhnliches
Maß von Selbstbeherrschung, Selbstprüfung und Objektivität dazu, in die wirtschaft¬
lichen Kämpfe der Gegenwart nicht mehr, als es staatsbürgerliche Pflicht ist, einzu¬
greifen, damit unsre Studenten unbefangen bleiben und auch die Gegenansichten
hören und würdigen können. sGroße und mächtige Parteien erstrebten nun Einflu߬
nahme auf eine Besetzung der akademischen Lehrstühle, um im Gegensatz zu der
gewissenhaften Objektivität der akademischen Lehrweise die zukünftigen Verwaltungs-
beamten mit einer einseitigen Parteidoktrin zu durchtränken.j Auch damit mußte ich
rechnen, daß der Plan Köhlers gelang, weil ich die Zusammensetzung unsrer Kammer
kannte, wo viel mehr als in Preußen das Parlamentarische Regime herrscht." Deshalb
also fühlte er sich verpflichtet, gegen diesen Plan öffentlich zu polemisieren, was ihm
dann die Beleidigungsklage Ruhlands eingetragen hat. Der 288 Seiten starke
Prozeßbericht enthält wichtige Beiträge zur Kenntnis sowohl des Verfahrens bei
Besetzung der Professuren wie auch zu der der nationalökonomischen Schulen und
Strömungen; das vom Geheimrat Professor Dr. Lexis verkehre Gutachten darf man
eine Abhandlung über Agrarpolitik nennen. Über Herrn Rusland bekommt man
erstaunliche Aufschlüsse. Aber die muß der Leser schon selbst aus Professor Biermers
Prozeßbericht schöpfen, denn wenn ich etwas davon mitteilte oder auch nur andeutete,
so würde ich dadurch der Redaktion der Grenzboten eine unerquickliche Korrespondenz
T. I. mit dem interessanten Herrn — interessant ist er wirklich — zuziehn.
Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin-
Friedencm. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 20, zu richten.
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