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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die politische Lage

Wie notwendig es ist, daß endlich Handel und Industrie und damit das
Bürgertum mit seiner ganzen Autorität in die politische Arena eintritt, zeigt
nicht nur der beschämende Verlauf der Reichssinanzreform. Auch die Zusammen¬
setzung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung lenkt
unsre Gedanken in jene Richtung. Wir begrüßen die Einberufung der Kommission
mit einem lachenden und einem tränenden Auge. Sie ist uns das erfreuliche
Zeichen für die Lebensenergie und Tatkraft des Königs und seiner obersten Be¬
rater. Es gehört in der Tat ein außerordentliches Kraftbewußtsein dazu, grund¬
legende Veränderungen in der Staatsverwaltung von sich aus vorzunehmen, die
manche erprobte Einrichtung beseitigen sollen. Es gehört ein großes Vertrauen
in die Tüchtigkeit der gesamten Beamtenschaft und besonders in die der ältern
dazu, wenn man ihre zur Gewohnheit gewordne Tätigkeit glaubt ohne Gefahr
für das Ganze in neue Bahnen lenken zu können. Diese Zuversicht ist es,
die uns mit freudigem Stolz erfüllt. "Der Meister kann die Form zerbrechen,
mit weiser Hand zur rechten Zeit!" Nun sollten wir es eigentlich dem Meister
auch nicht verargen, wenn er die alte Form mit den weisen, längst erprobten
Händen zerbrechen will, mit denselben Händen, die, durch keinerlei Neben¬
interessen beirrt, immer die Festigkeit des Staatsbaues über alle sonstigen
Forderungen der Politik gestellt haben. Aus der ganzen Tradition des
preußischen Staates heraus und bestärkt durch die vorher gekennzeichnete Ent¬
wicklung im letzten Menschenalter ergibt sich, daß die Reform notwendiger¬
weise in die Hände des politisch endigen Junkertums gelegt werden mußte,
nicht in die Hände der Kreise, die sich ängstlich von jeder öffentlichen poli¬
tischen Betätigung zurückgehalten haben. Die Tatsache ist vielleicht bedauer¬
lich, aber sicher nicht die Schuld einer Regierung, die reformieren und
nicht experimentieren soll. Immerhin wäre es sehr erwünscht, wenn neben
den bisher ernannten Mitgliedern und unbeschadet des Übergewichts von er¬
probten Beamten noch einige Vertreter von Handels- und Gewerbekammern
sowie der mittlern Jndustrieunternehmungen Eingang in die Kommission
funden. Bei der außerordentlichen Entwicklung, die Handel und Industrie
nun einmal genommen haben, könnten die Arbeiten der Kommission dadurch
nnr gewinnen. Die Bedenken, die einige Blätter der Linken im übrigen gegen
die Zusammensetzung der Kommission vorgetragen haben, scheinen uns nicht
stichhaltig. Was dagegen beunruhigen kann, ist die Geheimhaltung des vom
Minister des Innern ausgearbeiteten Reformentwurfs. Bisher sind nur
Bruchstücke in die Öffentlichkeit gelangt, von denen man nicht weiß, wie weit
sie den Tatsachen entsprechen. Verfolgt die Regierung, wie ihr untergeschoben
wird, wirklich reaktionäre Ziele, so würde sie die Geheimhaltung vor heftigen
und berechtigten Angriffen nicht bewahren, aber der Unmut würde sich Bahn
brechen auf dem Gebiete von weit heiklen Fragen, die gerade deshalb immer
häufiger in Preußen aufgeworfen werden, weil die Verwaltung unmodern ist.
Wir sind überzeugt, daß zum Beispiel die Wahlrechtsfrage in Preußen die


Die politische Lage

Wie notwendig es ist, daß endlich Handel und Industrie und damit das
Bürgertum mit seiner ganzen Autorität in die politische Arena eintritt, zeigt
nicht nur der beschämende Verlauf der Reichssinanzreform. Auch die Zusammen¬
setzung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung lenkt
unsre Gedanken in jene Richtung. Wir begrüßen die Einberufung der Kommission
mit einem lachenden und einem tränenden Auge. Sie ist uns das erfreuliche
Zeichen für die Lebensenergie und Tatkraft des Königs und seiner obersten Be¬
rater. Es gehört in der Tat ein außerordentliches Kraftbewußtsein dazu, grund¬
legende Veränderungen in der Staatsverwaltung von sich aus vorzunehmen, die
manche erprobte Einrichtung beseitigen sollen. Es gehört ein großes Vertrauen
in die Tüchtigkeit der gesamten Beamtenschaft und besonders in die der ältern
dazu, wenn man ihre zur Gewohnheit gewordne Tätigkeit glaubt ohne Gefahr
für das Ganze in neue Bahnen lenken zu können. Diese Zuversicht ist es,
die uns mit freudigem Stolz erfüllt. „Der Meister kann die Form zerbrechen,
mit weiser Hand zur rechten Zeit!" Nun sollten wir es eigentlich dem Meister
auch nicht verargen, wenn er die alte Form mit den weisen, längst erprobten
Händen zerbrechen will, mit denselben Händen, die, durch keinerlei Neben¬
interessen beirrt, immer die Festigkeit des Staatsbaues über alle sonstigen
Forderungen der Politik gestellt haben. Aus der ganzen Tradition des
preußischen Staates heraus und bestärkt durch die vorher gekennzeichnete Ent¬
wicklung im letzten Menschenalter ergibt sich, daß die Reform notwendiger¬
weise in die Hände des politisch endigen Junkertums gelegt werden mußte,
nicht in die Hände der Kreise, die sich ängstlich von jeder öffentlichen poli¬
tischen Betätigung zurückgehalten haben. Die Tatsache ist vielleicht bedauer¬
lich, aber sicher nicht die Schuld einer Regierung, die reformieren und
nicht experimentieren soll. Immerhin wäre es sehr erwünscht, wenn neben
den bisher ernannten Mitgliedern und unbeschadet des Übergewichts von er¬
probten Beamten noch einige Vertreter von Handels- und Gewerbekammern
sowie der mittlern Jndustrieunternehmungen Eingang in die Kommission
funden. Bei der außerordentlichen Entwicklung, die Handel und Industrie
nun einmal genommen haben, könnten die Arbeiten der Kommission dadurch
nnr gewinnen. Die Bedenken, die einige Blätter der Linken im übrigen gegen
die Zusammensetzung der Kommission vorgetragen haben, scheinen uns nicht
stichhaltig. Was dagegen beunruhigen kann, ist die Geheimhaltung des vom
Minister des Innern ausgearbeiteten Reformentwurfs. Bisher sind nur
Bruchstücke in die Öffentlichkeit gelangt, von denen man nicht weiß, wie weit
sie den Tatsachen entsprechen. Verfolgt die Regierung, wie ihr untergeschoben
wird, wirklich reaktionäre Ziele, so würde sie die Geheimhaltung vor heftigen
und berechtigten Angriffen nicht bewahren, aber der Unmut würde sich Bahn
brechen auf dem Gebiete von weit heiklen Fragen, die gerade deshalb immer
häufiger in Preußen aufgeworfen werden, weil die Verwaltung unmodern ist.
Wir sind überzeugt, daß zum Beispiel die Wahlrechtsfrage in Preußen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/13>, abgerufen am 22.12.2024.