Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Kurpfuscher und soziale Pfuscher
von Di', Alexander Lister

impirioi und insäieg-stri, Winkel-, Versuchs-, Stümpel- und After-
ürzte, Störer und Quacksalber, so faßte man in Verordnungen
des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts jene schädlichen
Volksbeglücker zusammen, die wir heute Kurpfuscher nennen.
I Früher sammelte man also Schimpfworte an Stelle einer Defi¬
nition; heute haben wir ein Wort, aber müssen es näher begrenzen. Früher
bestrafte man sie "unnachsichtlich, nachdrücklich, ernstlich und empfindlich, ge¬
bührend und hoch"; heute hat man ihnen Gewerbefreiheit gegeben und hütet
sich, mit ihnen zu brechen.

Wenigstens bis zur Stunde ist es noch so; der Reichsgesetzentwurf be¬
treffend "die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und
den Geheimmittelverkehr" liegt noch bei maßgebenden Stellen der Gesetzgebung
und scheint nicht rasch voranzurücken. Wenn wir ihn haben, wird zwar noch
nicht, wie fast in allen andern Kulturländern, ein Kurpfuschereiverbot ohne
Wenn und Aber erlassen sein, wohl aber vielen Auswüchsen wirksam gesteuert
werden können. Denn unter anderm wird nichtapprobierten Personen ver¬
boten und mit Strafe belegt: die Fernbehandlung, die Behandlung von Ge¬
schlechtskrankheiten, die Anwendung von Betäubungsmitteln, die Behandlung
mittels Hypnose und mittels mystischer Verfahren. Aber die Giftpflanze selber
wird nicht ausgerottet werden. Die Zahl der Kurpfuscher in Berlin ist nach
Graack (Kurpfuscherei und Kurpfuschereiverbot) in den Jahren 1879 bis 1903
von 28 auf 1013, das heißt um 3518 Prozent gestiegen (während die Ein¬
wohnerzahl in derselben Zeit um 120 Prozent zugenommen hat), in Sachsen
(1874 bis 1903) von 323 auf 1001 usw.; von Kurpfuschern verfaßte medi¬
zinische Bücher sind von 1888 bis 1899 in Deutschland 1724000 Stück zum
Preise von 14642750 Mark verkauft worden. Alle die Existenzen, die das
niunäus vult äövixi an der offnen Seite ihres Geldbeutels angeschrieben haben,
werden Umwege und Schleichwege ausfindig machen, um weiter zum Schaden
des Soziallebens wirken zu können. Deshalb erweitern wir unsre Betrachtung,
die nicht nur auf die Kurpfuscher beschränkt werden darf, sondern wollen diese
Kategorie von Pfuschern mit andern sozialen Pfuschern auf eine Stufe stellen,
in ein Licht der Betrachtung rücken, um das Gemeinsame in ihrer sozialen
Schädigung zu skizzieren.


ß



Kurpfuscher und soziale Pfuscher
von Di', Alexander Lister

impirioi und insäieg-stri, Winkel-, Versuchs-, Stümpel- und After-
ürzte, Störer und Quacksalber, so faßte man in Verordnungen
des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts jene schädlichen
Volksbeglücker zusammen, die wir heute Kurpfuscher nennen.
I Früher sammelte man also Schimpfworte an Stelle einer Defi¬
nition; heute haben wir ein Wort, aber müssen es näher begrenzen. Früher
bestrafte man sie „unnachsichtlich, nachdrücklich, ernstlich und empfindlich, ge¬
bührend und hoch"; heute hat man ihnen Gewerbefreiheit gegeben und hütet
sich, mit ihnen zu brechen.

Wenigstens bis zur Stunde ist es noch so; der Reichsgesetzentwurf be¬
treffend „die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und
den Geheimmittelverkehr" liegt noch bei maßgebenden Stellen der Gesetzgebung
und scheint nicht rasch voranzurücken. Wenn wir ihn haben, wird zwar noch
nicht, wie fast in allen andern Kulturländern, ein Kurpfuschereiverbot ohne
Wenn und Aber erlassen sein, wohl aber vielen Auswüchsen wirksam gesteuert
werden können. Denn unter anderm wird nichtapprobierten Personen ver¬
boten und mit Strafe belegt: die Fernbehandlung, die Behandlung von Ge¬
schlechtskrankheiten, die Anwendung von Betäubungsmitteln, die Behandlung
mittels Hypnose und mittels mystischer Verfahren. Aber die Giftpflanze selber
wird nicht ausgerottet werden. Die Zahl der Kurpfuscher in Berlin ist nach
Graack (Kurpfuscherei und Kurpfuschereiverbot) in den Jahren 1879 bis 1903
von 28 auf 1013, das heißt um 3518 Prozent gestiegen (während die Ein¬
wohnerzahl in derselben Zeit um 120 Prozent zugenommen hat), in Sachsen
(1874 bis 1903) von 323 auf 1001 usw.; von Kurpfuschern verfaßte medi¬
zinische Bücher sind von 1888 bis 1899 in Deutschland 1724000 Stück zum
Preise von 14642750 Mark verkauft worden. Alle die Existenzen, die das
niunäus vult äövixi an der offnen Seite ihres Geldbeutels angeschrieben haben,
werden Umwege und Schleichwege ausfindig machen, um weiter zum Schaden
des Soziallebens wirken zu können. Deshalb erweitern wir unsre Betrachtung,
die nicht nur auf die Kurpfuscher beschränkt werden darf, sondern wollen diese
Kategorie von Pfuschern mit andern sozialen Pfuschern auf eine Stufe stellen,
in ein Licht der Betrachtung rücken, um das Gemeinsame in ihrer sozialen
Schädigung zu skizzieren.


ß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313827"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_313702/figures/grenzboten_341889_313702_313827_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kurpfuscher und soziale Pfuscher<lb/><note type="byline"> von Di', Alexander Lister</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_461"> impirioi und insäieg-stri, Winkel-, Versuchs-, Stümpel- und After-<lb/>
ürzte, Störer und Quacksalber, so faßte man in Verordnungen<lb/>
des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts jene schädlichen<lb/>
Volksbeglücker zusammen, die wir heute Kurpfuscher nennen.<lb/>
I Früher sammelte man also Schimpfworte an Stelle einer Defi¬<lb/>
nition; heute haben wir ein Wort, aber müssen es näher begrenzen. Früher<lb/>
bestrafte man sie &#x201E;unnachsichtlich, nachdrücklich, ernstlich und empfindlich, ge¬<lb/>
bührend und hoch"; heute hat man ihnen Gewerbefreiheit gegeben und hütet<lb/>
sich, mit ihnen zu brechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_462"> Wenigstens bis zur Stunde ist es noch so; der Reichsgesetzentwurf be¬<lb/>
treffend &#x201E;die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und<lb/>
den Geheimmittelverkehr" liegt noch bei maßgebenden Stellen der Gesetzgebung<lb/>
und scheint nicht rasch voranzurücken. Wenn wir ihn haben, wird zwar noch<lb/>
nicht, wie fast in allen andern Kulturländern, ein Kurpfuschereiverbot ohne<lb/>
Wenn und Aber erlassen sein, wohl aber vielen Auswüchsen wirksam gesteuert<lb/>
werden können. Denn unter anderm wird nichtapprobierten Personen ver¬<lb/>
boten und mit Strafe belegt: die Fernbehandlung, die Behandlung von Ge¬<lb/>
schlechtskrankheiten, die Anwendung von Betäubungsmitteln, die Behandlung<lb/>
mittels Hypnose und mittels mystischer Verfahren. Aber die Giftpflanze selber<lb/>
wird nicht ausgerottet werden. Die Zahl der Kurpfuscher in Berlin ist nach<lb/>
Graack (Kurpfuscherei und Kurpfuschereiverbot) in den Jahren 1879 bis 1903<lb/>
von 28 auf 1013, das heißt um 3518 Prozent gestiegen (während die Ein¬<lb/>
wohnerzahl in derselben Zeit um 120 Prozent zugenommen hat), in Sachsen<lb/>
(1874 bis 1903) von 323 auf 1001 usw.; von Kurpfuschern verfaßte medi¬<lb/>
zinische Bücher sind von 1888 bis 1899 in Deutschland 1724000 Stück zum<lb/>
Preise von 14642750 Mark verkauft worden. Alle die Existenzen, die das<lb/>
niunäus vult äövixi an der offnen Seite ihres Geldbeutels angeschrieben haben,<lb/>
werden Umwege und Schleichwege ausfindig machen, um weiter zum Schaden<lb/>
des Soziallebens wirken zu können. Deshalb erweitern wir unsre Betrachtung,<lb/>
die nicht nur auf die Kurpfuscher beschränkt werden darf, sondern wollen diese<lb/>
Kategorie von Pfuschern mit andern sozialen Pfuschern auf eine Stufe stellen,<lb/>
in ein Licht der Betrachtung rücken, um das Gemeinsame in ihrer sozialen<lb/>
Schädigung zu skizzieren.</p><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ß</head><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] [Abbildung] Kurpfuscher und soziale Pfuscher von Di', Alexander Lister impirioi und insäieg-stri, Winkel-, Versuchs-, Stümpel- und After- ürzte, Störer und Quacksalber, so faßte man in Verordnungen des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts jene schädlichen Volksbeglücker zusammen, die wir heute Kurpfuscher nennen. I Früher sammelte man also Schimpfworte an Stelle einer Defi¬ nition; heute haben wir ein Wort, aber müssen es näher begrenzen. Früher bestrafte man sie „unnachsichtlich, nachdrücklich, ernstlich und empfindlich, ge¬ bührend und hoch"; heute hat man ihnen Gewerbefreiheit gegeben und hütet sich, mit ihnen zu brechen. Wenigstens bis zur Stunde ist es noch so; der Reichsgesetzentwurf be¬ treffend „die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und den Geheimmittelverkehr" liegt noch bei maßgebenden Stellen der Gesetzgebung und scheint nicht rasch voranzurücken. Wenn wir ihn haben, wird zwar noch nicht, wie fast in allen andern Kulturländern, ein Kurpfuschereiverbot ohne Wenn und Aber erlassen sein, wohl aber vielen Auswüchsen wirksam gesteuert werden können. Denn unter anderm wird nichtapprobierten Personen ver¬ boten und mit Strafe belegt: die Fernbehandlung, die Behandlung von Ge¬ schlechtskrankheiten, die Anwendung von Betäubungsmitteln, die Behandlung mittels Hypnose und mittels mystischer Verfahren. Aber die Giftpflanze selber wird nicht ausgerottet werden. Die Zahl der Kurpfuscher in Berlin ist nach Graack (Kurpfuscherei und Kurpfuschereiverbot) in den Jahren 1879 bis 1903 von 28 auf 1013, das heißt um 3518 Prozent gestiegen (während die Ein¬ wohnerzahl in derselben Zeit um 120 Prozent zugenommen hat), in Sachsen (1874 bis 1903) von 323 auf 1001 usw.; von Kurpfuschern verfaßte medi¬ zinische Bücher sind von 1888 bis 1899 in Deutschland 1724000 Stück zum Preise von 14642750 Mark verkauft worden. Alle die Existenzen, die das niunäus vult äövixi an der offnen Seite ihres Geldbeutels angeschrieben haben, werden Umwege und Schleichwege ausfindig machen, um weiter zum Schaden des Soziallebens wirken zu können. Deshalb erweitern wir unsre Betrachtung, die nicht nur auf die Kurpfuscher beschränkt werden darf, sondern wollen diese Kategorie von Pfuschern mit andern sozialen Pfuschern auf eine Stufe stellen, in ein Licht der Betrachtung rücken, um das Gemeinsame in ihrer sozialen Schädigung zu skizzieren. ß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/124>, abgerufen am 22.07.2024.