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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lines Toren Waldfahrt

ergriff unwillkürlich die Menschen. Und als sie wieder zu atmen wagten und ihre
Augen sich in der goldigen Dämmerung zurechtfanden, griff wohl verstohlen einer
nach der Hand des andern, und scheu und flüsternd bahnte sich der erste Jubel
den Weg. -- -- --

Nun war das Forsthaus, mit dem eine Wirtschaft verbunden war, erreicht,
und im Nu brach wieder der Alltagslärm durch. Eine geraume Zeit verging, bis
die Pferde alle untergebracht und versorgt waren, bis sich die Menschen an den
schon gerüsteten Tischen niedergelassen hatten. Und dann vergnügte sich jeder wieder
in der gewöhnlichen Art und Weise, wie sie sich daheim auch vergnügten; fast
vergessen war, was sie hergezogen hatte, ihre blöden Augen sahen kein Geheimnis
mehr, da es vor ihnen lag.

Einer schlich sich leise an der lenken Gesellschaft vorüber: Momme Tetens.
Er hatte mit noch ein paar andern Knechten zusammen für die Tiere gesorgt und
ging nun davon; sie hatten ihn mithinein nehmen wollen zum Essen und Trinken,
er aber war ohne Antwort gegangen. Hastig und achtlos verzehrte er jetzt ein
Stückchen Brot, das man ihm heute morgen eingepackt hatte, und dann bog er vom
Fahrweg ab auf den ersten Fußsteig, der waldeinwärts führte. Rasch und rascher
ging er vorwärts, ohne sich umzusehen, nur in dem Bestreben, sich möglichst zu
sichern vor einer Störung durch die andern. Endlich ging er langsamer -- kein
menschlicher Laut drang mehr an sein Ohr. Und nun riß er die Mütze vom Kopf
und atmete tief, wie erlöst, auf. Wenn er doch auf einmal all die Wonne fassen
könnte, die ihn hier umgab! Das quälte ihn fast, dieses Nichtausschöpfenkönneu.
Gierig tranken seine Augen die überströmende Herrlichkeit, die er wohl heimlich
geahnt und heimlich gewußt hatte -- aber doch nicht so, nicht so! Hätte er dieses
wohl je träumen können: diese grüngoldige Dämmerung, dies verwirrende Spiel der
Sonnenfunken, wie es durch das dichte Gezweig schlüpfte, wie es an den Stämmen
hinabglitt und nun metallisch auf dem Moosboden gleißte und glänzte! Und um
ihn herum all das heimliche Leben und Weben, all die jubilierenden Vogelstimmen
und dazu wie ein herber, nie gespürter Duft der kräftige, alles erfüllende Odem
des Waldes?

War es nicht beinahe, als ob man es selber in durstigen Zügen tränke, das
Leben, das in all den grauen Stämmen, durch die feinen Adern des grünen Laubes
pulsierte? Und wie es ihn von allen Seiten umhüllte, umfriedete, beschützte! Wie
Kiuder einen Kreis schließen um das Kleinste in der Mitte, so stellten sich immer
wieder die Bäume zusammen, wo er auch hinging -- wie ernste Wächter, wie große
Brüder! Er blieb stehen und sah sich um und nickte den wunderlichen, gefurchten
Gesichtern der Stämme zu: Da bin ich! Wahrhaftig, da bin ich! Was sagt ihr
dazu? Schließlich legte er sich in wohliger Müdigkeit irgendwo hin ins Moos,
zu Füßen einer mächtigen Buche, deren Wurzeln auf der andern Seite hügelab
liefen, auf einen schmalen Fußweg hinunter.

Und nun, o Wald, laß dein größtes Wunder kommen! Horchst du nicht schon
selber auf seinen Schritt? Ist nicht deine Einsamkeit voll von Warten? Jubelst
du ihm nicht schon mit tausend Stimmen entgegen?

Um jene Wegebiegung wird es schreiten -- mit sonnigen Augen und mit
schimmerndem Haar! Wie schwer ist das Warten, das letzte Warten, Franke! Aber
dn kommst, du kommst! Die andern halten dich nicht ...

Die müden Lider fielen ihm zu, noch einen Augenblick wehrte er sich vergeblich
gegen den Schlaf, und dann sank er wie in weiche ausgestreckte Arme hinein.




Lines Toren Waldfahrt

ergriff unwillkürlich die Menschen. Und als sie wieder zu atmen wagten und ihre
Augen sich in der goldigen Dämmerung zurechtfanden, griff wohl verstohlen einer
nach der Hand des andern, und scheu und flüsternd bahnte sich der erste Jubel
den Weg. — — —

Nun war das Forsthaus, mit dem eine Wirtschaft verbunden war, erreicht,
und im Nu brach wieder der Alltagslärm durch. Eine geraume Zeit verging, bis
die Pferde alle untergebracht und versorgt waren, bis sich die Menschen an den
schon gerüsteten Tischen niedergelassen hatten. Und dann vergnügte sich jeder wieder
in der gewöhnlichen Art und Weise, wie sie sich daheim auch vergnügten; fast
vergessen war, was sie hergezogen hatte, ihre blöden Augen sahen kein Geheimnis
mehr, da es vor ihnen lag.

Einer schlich sich leise an der lenken Gesellschaft vorüber: Momme Tetens.
Er hatte mit noch ein paar andern Knechten zusammen für die Tiere gesorgt und
ging nun davon; sie hatten ihn mithinein nehmen wollen zum Essen und Trinken,
er aber war ohne Antwort gegangen. Hastig und achtlos verzehrte er jetzt ein
Stückchen Brot, das man ihm heute morgen eingepackt hatte, und dann bog er vom
Fahrweg ab auf den ersten Fußsteig, der waldeinwärts führte. Rasch und rascher
ging er vorwärts, ohne sich umzusehen, nur in dem Bestreben, sich möglichst zu
sichern vor einer Störung durch die andern. Endlich ging er langsamer — kein
menschlicher Laut drang mehr an sein Ohr. Und nun riß er die Mütze vom Kopf
und atmete tief, wie erlöst, auf. Wenn er doch auf einmal all die Wonne fassen
könnte, die ihn hier umgab! Das quälte ihn fast, dieses Nichtausschöpfenkönneu.
Gierig tranken seine Augen die überströmende Herrlichkeit, die er wohl heimlich
geahnt und heimlich gewußt hatte — aber doch nicht so, nicht so! Hätte er dieses
wohl je träumen können: diese grüngoldige Dämmerung, dies verwirrende Spiel der
Sonnenfunken, wie es durch das dichte Gezweig schlüpfte, wie es an den Stämmen
hinabglitt und nun metallisch auf dem Moosboden gleißte und glänzte! Und um
ihn herum all das heimliche Leben und Weben, all die jubilierenden Vogelstimmen
und dazu wie ein herber, nie gespürter Duft der kräftige, alles erfüllende Odem
des Waldes?

War es nicht beinahe, als ob man es selber in durstigen Zügen tränke, das
Leben, das in all den grauen Stämmen, durch die feinen Adern des grünen Laubes
pulsierte? Und wie es ihn von allen Seiten umhüllte, umfriedete, beschützte! Wie
Kiuder einen Kreis schließen um das Kleinste in der Mitte, so stellten sich immer
wieder die Bäume zusammen, wo er auch hinging — wie ernste Wächter, wie große
Brüder! Er blieb stehen und sah sich um und nickte den wunderlichen, gefurchten
Gesichtern der Stämme zu: Da bin ich! Wahrhaftig, da bin ich! Was sagt ihr
dazu? Schließlich legte er sich in wohliger Müdigkeit irgendwo hin ins Moos,
zu Füßen einer mächtigen Buche, deren Wurzeln auf der andern Seite hügelab
liefen, auf einen schmalen Fußweg hinunter.

Und nun, o Wald, laß dein größtes Wunder kommen! Horchst du nicht schon
selber auf seinen Schritt? Ist nicht deine Einsamkeit voll von Warten? Jubelst
du ihm nicht schon mit tausend Stimmen entgegen?

Um jene Wegebiegung wird es schreiten — mit sonnigen Augen und mit
schimmerndem Haar! Wie schwer ist das Warten, das letzte Warten, Franke! Aber
dn kommst, du kommst! Die andern halten dich nicht ...

Die müden Lider fielen ihm zu, noch einen Augenblick wehrte er sich vergeblich
gegen den Schlaf, und dann sank er wie in weiche ausgestreckte Arme hinein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/100>, abgerufen am 22.12.2024.