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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Von" eignen Leben

Dichter oder Künstler in seinen Werken selbst von sich und seinem Leben
kundgibt. Mein eignes Leben wenigstens ist still und einfach gewesen und
bietet wenig, was andre interessieren kann. Gleichwohl will ich dem
Wunsch, davon zu erzählen, gern nachkommen, richte jedoch die Augen auf
ein Stück Leben, das fertig Und abgeschlossen in schöner Ferne hinter mir
liegt, und werde von dorther nur einige zarte Linien nach der Gegenwart
hinüberziehn.

Geboren bin ich in Großalmerode, einem hessischen Städtchen, das, zwischen
Wäldern und Bergen eingebettet, mir meinen größten Reichtum an Naturbildern
geschenkt hat. obwohl ich mich schon in früher Jugend von ihm trennen mußte.
Schön ist es, eine Vaterstadt zu haben, die einem auch nach vielen Jahren
auf Schritt und Tritt vertraute Bilder zeigt, und durch deren Straßen und
Gassen wandelnd man ein bekanntes Gesicht nach dem andern wiederfindet.
Ich sehe in meiner Vaterstadt nur noch einige bekannte Straßen- und Häuser¬
winkel, die Menschen sind mir fremd geworden, ich kenne sie nicht mehr, und
sie kennen mich ebensowenig. Aber auch das Bild der Stadt und ihrer
nächsten Umgebung hat sich stark verändert. Über Wiesen und Hügeln, darauf
wir uns einst tummeln durften, ragen rauchende Schlote empor, die Eisen¬
bahn fährt über unsre Spazierpfade dahin, und selbst die Straßenbrunnen,
die sonst Tag und Nacht in steinernen Becken rauschten, fließen jetzt nicht
mehr. Nur die Berge stehn noch wie vorzeiten, ernst und waldgekrönt, und
weiter hinaus gibt es noch heimliche und vertraute Wiesengründe, in denen
der Bach über ausgcwaschne Steine springt und da und dort ein moosgrünes
Mühlrad geruhsam wie vorzeiten auf- und niedersteigt.

Auch als wir nach Kassel übergesiedelt waren, bin ich noch manch liebes
mal durch die alte Vaterstadt gewandert, dem Hohen Meißner zu und über
ihn hinweg in die Heimat meines Vaters. Das war dann eine vergnügliche
Vetternstraße, Wald und Wiese und ein munteres Flüßchen immer zur Seite,
alle paar Stunden auch ein befreundetes Haus in der Erwartung, das gute
Rast und Atzung verhieß. An diesen Wandrungen im hellen Morgensonnen¬
schein oder im stillen Abcndgold haften meine liebsten Erinnerungen. Meine
Mutter kannte eine Menge schöner alter Lieder und Melodien, und wenn sie,
der Bürde ihres arbeitsvollen Lebens für eine Weile entledigt, den an¬
strengenden Teil des Weges hinter sich hatte und nun vom Meißner herab
ans das gesegnete, im Abendlicht erglänzende Land nach der Werra hin nieder¬
schaute, dann leuchtete es in ihren stillen, freundlichen Augen hell auf, und
die nun schon lange verstummte liebe Stimme hob eine Melodie nach der
andern aus dem Herzen empor. Daß mir später, wo ich mich selbst in Vers
und Reim versuchte, der Ton des Volksliedes immer im Ohre lag, und daß
ich auch heute, da ich mich längst der Prosa ergeben habe, danach trachte,
das, was ich zu erzählen habe, aufs einfachste und mit den schlichten Natur-
lauten auszusprechen, die die Volksdichtung so unvergleichlich schön und


Von« eignen Leben

Dichter oder Künstler in seinen Werken selbst von sich und seinem Leben
kundgibt. Mein eignes Leben wenigstens ist still und einfach gewesen und
bietet wenig, was andre interessieren kann. Gleichwohl will ich dem
Wunsch, davon zu erzählen, gern nachkommen, richte jedoch die Augen auf
ein Stück Leben, das fertig Und abgeschlossen in schöner Ferne hinter mir
liegt, und werde von dorther nur einige zarte Linien nach der Gegenwart
hinüberziehn.

Geboren bin ich in Großalmerode, einem hessischen Städtchen, das, zwischen
Wäldern und Bergen eingebettet, mir meinen größten Reichtum an Naturbildern
geschenkt hat. obwohl ich mich schon in früher Jugend von ihm trennen mußte.
Schön ist es, eine Vaterstadt zu haben, die einem auch nach vielen Jahren
auf Schritt und Tritt vertraute Bilder zeigt, und durch deren Straßen und
Gassen wandelnd man ein bekanntes Gesicht nach dem andern wiederfindet.
Ich sehe in meiner Vaterstadt nur noch einige bekannte Straßen- und Häuser¬
winkel, die Menschen sind mir fremd geworden, ich kenne sie nicht mehr, und
sie kennen mich ebensowenig. Aber auch das Bild der Stadt und ihrer
nächsten Umgebung hat sich stark verändert. Über Wiesen und Hügeln, darauf
wir uns einst tummeln durften, ragen rauchende Schlote empor, die Eisen¬
bahn fährt über unsre Spazierpfade dahin, und selbst die Straßenbrunnen,
die sonst Tag und Nacht in steinernen Becken rauschten, fließen jetzt nicht
mehr. Nur die Berge stehn noch wie vorzeiten, ernst und waldgekrönt, und
weiter hinaus gibt es noch heimliche und vertraute Wiesengründe, in denen
der Bach über ausgcwaschne Steine springt und da und dort ein moosgrünes
Mühlrad geruhsam wie vorzeiten auf- und niedersteigt.

Auch als wir nach Kassel übergesiedelt waren, bin ich noch manch liebes
mal durch die alte Vaterstadt gewandert, dem Hohen Meißner zu und über
ihn hinweg in die Heimat meines Vaters. Das war dann eine vergnügliche
Vetternstraße, Wald und Wiese und ein munteres Flüßchen immer zur Seite,
alle paar Stunden auch ein befreundetes Haus in der Erwartung, das gute
Rast und Atzung verhieß. An diesen Wandrungen im hellen Morgensonnen¬
schein oder im stillen Abcndgold haften meine liebsten Erinnerungen. Meine
Mutter kannte eine Menge schöner alter Lieder und Melodien, und wenn sie,
der Bürde ihres arbeitsvollen Lebens für eine Weile entledigt, den an¬
strengenden Teil des Weges hinter sich hatte und nun vom Meißner herab
ans das gesegnete, im Abendlicht erglänzende Land nach der Werra hin nieder¬
schaute, dann leuchtete es in ihren stillen, freundlichen Augen hell auf, und
die nun schon lange verstummte liebe Stimme hob eine Melodie nach der
andern aus dem Herzen empor. Daß mir später, wo ich mich selbst in Vers
und Reim versuchte, der Ton des Volksliedes immer im Ohre lag, und daß
ich auch heute, da ich mich längst der Prosa ergeben habe, danach trachte,
das, was ich zu erzählen habe, aufs einfachste und mit den schlichten Natur-
lauten auszusprechen, die die Volksdichtung so unvergleichlich schön und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/90>, abgerufen am 12.12.2024.