Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Weder bei der auf höchst unsichrer Grundlage ruhenden Abstimmung der Kommissions- Wieder wurde auch der altbekannte Sturmlauf gegen die Kommandogewalt Maßgebliches und Unmaßgebliches Weder bei der auf höchst unsichrer Grundlage ruhenden Abstimmung der Kommissions- Wieder wurde auch der altbekannte Sturmlauf gegen die Kommandogewalt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0675" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313026"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2759" prev="#ID_2758"> Weder bei der auf höchst unsichrer Grundlage ruhenden Abstimmung der Kommissions-<lb/> mitglieder noch bei den das Material hierzu liefernden Urteilen der Vorgesetzten<lb/> kam ein sehr wichtiges Moment zu seinem Recht, nttmlich die Verantwortung, die<lb/> ein Ehrenmann auf sich ruhen fühlt, wenn er durch sein persönliches Urteil das<lb/> Schicksal eines Untergebnen in der Hand hat. Übrigens weiß bei uns jeder Vor¬<lb/> gesetzte, der Qualifikationsberichte zu schreiben hat — und das sind bei uns außer<lb/> der verhciltnißmäßig geringen Zahl von Kommandeuren selbständiger Bataillone<lb/> nur die Befehlshaber vom Regimentskommandeur aufwärts —, daß er mit diesen<lb/> Berichten seinen eignen Vorgesetzten wieder eine Unterlage liefert, wonach sie ihn<lb/> selbst beurteilen. Wer in diesen Sachen Bescheid weiß, wird Beispiele anführen<lb/> können, daß sich höhere Offiziere durch unzutreffende oder unzureichende Bericht¬<lb/> erstattung über die ihnen unterstellten Offiziere selbst das Grab gegraben haben.<lb/> Nun wird plötzlich behauptet, alle Übelstände, die wirklich oder vermeintlich bei<lb/> der persönlichen Beurteilung der Offiziere gelegentlich eintreten, seien darauf<lb/> zurückzuführen, daß die Berichte geheim sind. Man kann getrost behaupten: wären<lb/> sie öffentlich, so würden die Übelstände dieselben sein, nur würde man dann auf<lb/> die demütigende und beleidigende Rücksichtslosigkeit hinweisen, die darin liegt, daß<lb/> ein Offizier bis zum General hinauf wie ein Schulknabe beständig zu hören be¬<lb/> kommt, wie man über seine Persönlichkeit denkt. Abgesehen davon würden un¬<lb/> mögliche Zustände eintreten, da jedes ungünstige Urteil in den Augen des davon<lb/> betroffnen auch als ungerecht gelten würde. Es genügt in Wahrheit, daß ein<lb/> Offizier erfährt, wenn gegen seine Befähigung und seine Leistungen etwas so<lb/> gravierendes vorliegt, daß seine Laufbahn gefährdet erscheint, und das wird kein<lb/> Vorgesetzter seinen Untergebne» vorenthalten. Der Kriegsminister wies mit Recht<lb/> darauf hin, daß öffentliche Qnalifikationsberichte die Vorgesetzten nur dazu zwingen<lb/> würden, inoffiziell besondre Erkundigungen über die Offiziere einzuziehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2760" next="#ID_2761"> Wieder wurde auch der altbekannte Sturmlauf gegen die Kommandogewalt<lb/> und die Stellung des Militärkabiuetts unternommen. Herr v. Einem konnte dem¬<lb/> gegenüber betonen, daß er die Verfassung hinter sich habe. Ohne Änderung der<lb/> Verfassung würden die Wünsche der Opposition in Wahrheit nicht zu verwirklichen<lb/> sein. Weiter richtete sich die Kritik gegen die Ehrengerichte und dann gegen die<lb/> angebliche Bevorzugung des Adels in der Armee. Ganz wird man es den<lb/> Parteien, die sich als besondre Vertreter des Bürgertums fühlen, nicht verdenken<lb/> können, daß sie auf diesen Punkt ein scharfes Augenmerk haben. In Preußen<lb/> besteht der Kern der alten Militärfamilien, deren Söhne schon durch Vererbung<lb/> und Überlieferung die natürlichen Träger militärischer Traditionen sind, noch immer<lb/> aus den Adelsfamilien, und die Versuchung der Regimenter, die großen Zulauf<lb/> haben, die Angehörigen dieser Familien bei der Annahme von Offiziersaspiranten<lb/> zu bevorzugen, ist sehr groß. Die Zahl der bürgerlichen alten Militärfamilien<lb/> schmilzt schon deshalb immer etwas zusammen, weil bürgerlichen Offizieren, sobald<lb/> sie in höhere Stellen gelangen, in der Regel der Adel verliehen wird. Bet den<lb/> heutigen sozialen Verhältnissen des gebildeten Bürgertums ist aber eine Scheidung<lb/> von Adel und Bürgertum und eine Feruhcütung neuer bürgerlicher Elemente aus<lb/> dem Offizierkorps nicht zu rechtfertigen. Das hat anch der Kriegsminister offen<lb/> zugegeben. Nur schießt die freisinnige Kritik über das Ziel hinaus, wenn sie eine<lb/> Statistik aufmacht, wie viele Adlige und Bürgerliche in hohen Stellen und im<lb/> Generalstab sind. Gesetzt, die verantwortlichen Stellen stellten sich wirklich auf den<lb/> Standpunkt des Freisinns, so würde folgendes geschehen müssen: Nachdem die<lb/> Qualifikation der zur Versetzung in den Generalstab bestimmten Offiziere festgestellt<lb/> worden ist, macht der Chef des Generalstabes die Entdeckung, daß darunter ebenso</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0675]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Weder bei der auf höchst unsichrer Grundlage ruhenden Abstimmung der Kommissions-
mitglieder noch bei den das Material hierzu liefernden Urteilen der Vorgesetzten
kam ein sehr wichtiges Moment zu seinem Recht, nttmlich die Verantwortung, die
ein Ehrenmann auf sich ruhen fühlt, wenn er durch sein persönliches Urteil das
Schicksal eines Untergebnen in der Hand hat. Übrigens weiß bei uns jeder Vor¬
gesetzte, der Qualifikationsberichte zu schreiben hat — und das sind bei uns außer
der verhciltnißmäßig geringen Zahl von Kommandeuren selbständiger Bataillone
nur die Befehlshaber vom Regimentskommandeur aufwärts —, daß er mit diesen
Berichten seinen eignen Vorgesetzten wieder eine Unterlage liefert, wonach sie ihn
selbst beurteilen. Wer in diesen Sachen Bescheid weiß, wird Beispiele anführen
können, daß sich höhere Offiziere durch unzutreffende oder unzureichende Bericht¬
erstattung über die ihnen unterstellten Offiziere selbst das Grab gegraben haben.
Nun wird plötzlich behauptet, alle Übelstände, die wirklich oder vermeintlich bei
der persönlichen Beurteilung der Offiziere gelegentlich eintreten, seien darauf
zurückzuführen, daß die Berichte geheim sind. Man kann getrost behaupten: wären
sie öffentlich, so würden die Übelstände dieselben sein, nur würde man dann auf
die demütigende und beleidigende Rücksichtslosigkeit hinweisen, die darin liegt, daß
ein Offizier bis zum General hinauf wie ein Schulknabe beständig zu hören be¬
kommt, wie man über seine Persönlichkeit denkt. Abgesehen davon würden un¬
mögliche Zustände eintreten, da jedes ungünstige Urteil in den Augen des davon
betroffnen auch als ungerecht gelten würde. Es genügt in Wahrheit, daß ein
Offizier erfährt, wenn gegen seine Befähigung und seine Leistungen etwas so
gravierendes vorliegt, daß seine Laufbahn gefährdet erscheint, und das wird kein
Vorgesetzter seinen Untergebne» vorenthalten. Der Kriegsminister wies mit Recht
darauf hin, daß öffentliche Qnalifikationsberichte die Vorgesetzten nur dazu zwingen
würden, inoffiziell besondre Erkundigungen über die Offiziere einzuziehen.
Wieder wurde auch der altbekannte Sturmlauf gegen die Kommandogewalt
und die Stellung des Militärkabiuetts unternommen. Herr v. Einem konnte dem¬
gegenüber betonen, daß er die Verfassung hinter sich habe. Ohne Änderung der
Verfassung würden die Wünsche der Opposition in Wahrheit nicht zu verwirklichen
sein. Weiter richtete sich die Kritik gegen die Ehrengerichte und dann gegen die
angebliche Bevorzugung des Adels in der Armee. Ganz wird man es den
Parteien, die sich als besondre Vertreter des Bürgertums fühlen, nicht verdenken
können, daß sie auf diesen Punkt ein scharfes Augenmerk haben. In Preußen
besteht der Kern der alten Militärfamilien, deren Söhne schon durch Vererbung
und Überlieferung die natürlichen Träger militärischer Traditionen sind, noch immer
aus den Adelsfamilien, und die Versuchung der Regimenter, die großen Zulauf
haben, die Angehörigen dieser Familien bei der Annahme von Offiziersaspiranten
zu bevorzugen, ist sehr groß. Die Zahl der bürgerlichen alten Militärfamilien
schmilzt schon deshalb immer etwas zusammen, weil bürgerlichen Offizieren, sobald
sie in höhere Stellen gelangen, in der Regel der Adel verliehen wird. Bet den
heutigen sozialen Verhältnissen des gebildeten Bürgertums ist aber eine Scheidung
von Adel und Bürgertum und eine Feruhcütung neuer bürgerlicher Elemente aus
dem Offizierkorps nicht zu rechtfertigen. Das hat anch der Kriegsminister offen
zugegeben. Nur schießt die freisinnige Kritik über das Ziel hinaus, wenn sie eine
Statistik aufmacht, wie viele Adlige und Bürgerliche in hohen Stellen und im
Generalstab sind. Gesetzt, die verantwortlichen Stellen stellten sich wirklich auf den
Standpunkt des Freisinns, so würde folgendes geschehen müssen: Nachdem die
Qualifikation der zur Versetzung in den Generalstab bestimmten Offiziere festgestellt
worden ist, macht der Chef des Generalstabes die Entdeckung, daß darunter ebenso
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