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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Dame mit dem Grden

ihrer Ausstattung war von ihren Dienerinnen gesponnen, und zwar aus Kokons
eigner Zucht.

Nachdem die Hochzeitsnufregung nachgelassen hatte, bekamen wir Besuch von
vierzig chinesischen Aristokraten. Sie zogen in einer Kavalkade von Kuramas bei
uns ein, prächtig angetan, einen imponierender Anblick darbietend. Ich lief nach
dem Feuerhaken; denn ich dachte, vielleicht seien sie gekommen, um "uns Missionaren"
ein Ende zu machen. Aber, denk nur, sie hatten von unsrer Schule und dem
Kindergarten gehört und waren gekommen, um für die chinesische Regierung unsre
Einrichtung, unsre Lehrweise kennen zu lernen. Sie machten die Runde durch die
Schule und kamen auch zu den Kleinsten. Diese waren ganzlich überwältigt beim
Anblick der schwarzäugigen, wildblickenden Herren, aber sie machten doch ganz
schön all ihre Kunststückchen vor. Die Gäste waren so erfreut, daß sie den ganzen
Morgen blieben und uns ihre unmaßgebende Anerkennung aussprachen. Als sie
aufbrachen, fragte ich den Dolmetscher, ob die Hoheiten meinem unwürdigen Ich
gnädigst gestatten würden, ihre geehrten Photographien abzunehmen. Ist es zu
glauben! Die alten Kerle bliesen sich ans wie Kropftauben und kicherten und
zierten sich wie Schulmädchen! Sie standen in einer Reihe und grinsten mich
an, während ich den Kodack knipfte. Wenn das Bild gelingt, sende ich dir
einen Abzug.

Heute morgen mußte ich den Kindergottesdienst halten. Nächstens werde ich
noch öffentlich beten müssen. Ich sehe es kommen! Die Lektion war über den
Verlornen Sohn, ein Thema, über das ich ans Erfahrung rede. Die japanischen
Jungens verstanden vielleicht jedes dritte Wort, aber sie folgten mir höchst auf¬
merksam. Als ich mitten im feierlichsten Erklären war, fiel mir plötzlich ein Bild
ein, das Jack früher hatte. Es stellte ein mageres, kleines Kalb dar, das die
Straße hinunterrast, weil weiter hinten ein faul aussehender Bummler daherschlürft.
Darunter stand die Geschichte: "Bossy, lauf davon, dort kommt der Verlorne Sohn!"
Diese Erinnerung machte meiner Predigt jählings ein Ende, und statt dessen er¬
zählte ich den Jungens eine Bärengeschichte.

Wie gern ich heute abend bei dir reingucken möchte und vor dem Kamin auf
der Erde hocken und plaudern! Ich werde schrecklich altmodisch sein, wenn ich
heimkomme, aber denk nur, wie unterhaltend! Ich habe genug famose Anekdoten
gesammelt für den Rest meines Lebens.

Um des Himmels willen schicke mir ein paar Hutnadeln, aber nette lange
mit hübschen Köpfen. Und wenn du diesen Winter nach Newyork gehst, so
besorge mir zwei Flaschen Veilchenextrakt. Viel herzliche Grüße euch allen, und
tausend Küsse den Kindern zu Hause. sorgst du auch, daß sie mich nicht etwa
vergessen?

(Fortsetzung folgt)




Ärenzboten I 190986
Die Dame mit dem Grden

ihrer Ausstattung war von ihren Dienerinnen gesponnen, und zwar aus Kokons
eigner Zucht.

Nachdem die Hochzeitsnufregung nachgelassen hatte, bekamen wir Besuch von
vierzig chinesischen Aristokraten. Sie zogen in einer Kavalkade von Kuramas bei
uns ein, prächtig angetan, einen imponierender Anblick darbietend. Ich lief nach
dem Feuerhaken; denn ich dachte, vielleicht seien sie gekommen, um „uns Missionaren"
ein Ende zu machen. Aber, denk nur, sie hatten von unsrer Schule und dem
Kindergarten gehört und waren gekommen, um für die chinesische Regierung unsre
Einrichtung, unsre Lehrweise kennen zu lernen. Sie machten die Runde durch die
Schule und kamen auch zu den Kleinsten. Diese waren ganzlich überwältigt beim
Anblick der schwarzäugigen, wildblickenden Herren, aber sie machten doch ganz
schön all ihre Kunststückchen vor. Die Gäste waren so erfreut, daß sie den ganzen
Morgen blieben und uns ihre unmaßgebende Anerkennung aussprachen. Als sie
aufbrachen, fragte ich den Dolmetscher, ob die Hoheiten meinem unwürdigen Ich
gnädigst gestatten würden, ihre geehrten Photographien abzunehmen. Ist es zu
glauben! Die alten Kerle bliesen sich ans wie Kropftauben und kicherten und
zierten sich wie Schulmädchen! Sie standen in einer Reihe und grinsten mich
an, während ich den Kodack knipfte. Wenn das Bild gelingt, sende ich dir
einen Abzug.

Heute morgen mußte ich den Kindergottesdienst halten. Nächstens werde ich
noch öffentlich beten müssen. Ich sehe es kommen! Die Lektion war über den
Verlornen Sohn, ein Thema, über das ich ans Erfahrung rede. Die japanischen
Jungens verstanden vielleicht jedes dritte Wort, aber sie folgten mir höchst auf¬
merksam. Als ich mitten im feierlichsten Erklären war, fiel mir plötzlich ein Bild
ein, das Jack früher hatte. Es stellte ein mageres, kleines Kalb dar, das die
Straße hinunterrast, weil weiter hinten ein faul aussehender Bummler daherschlürft.
Darunter stand die Geschichte: „Bossy, lauf davon, dort kommt der Verlorne Sohn!"
Diese Erinnerung machte meiner Predigt jählings ein Ende, und statt dessen er¬
zählte ich den Jungens eine Bärengeschichte.

Wie gern ich heute abend bei dir reingucken möchte und vor dem Kamin auf
der Erde hocken und plaudern! Ich werde schrecklich altmodisch sein, wenn ich
heimkomme, aber denk nur, wie unterhaltend! Ich habe genug famose Anekdoten
gesammelt für den Rest meines Lebens.

Um des Himmels willen schicke mir ein paar Hutnadeln, aber nette lange
mit hübschen Köpfen. Und wenn du diesen Winter nach Newyork gehst, so
besorge mir zwei Flaschen Veilchenextrakt. Viel herzliche Grüße euch allen, und
tausend Küsse den Kindern zu Hause. sorgst du auch, daß sie mich nicht etwa
vergessen?

(Fortsetzung folgt)




Ärenzboten I 190986
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/669>, abgerufen am 03.07.2024.