Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
LÄtliolios,

Wurde von seinen irischen Amtsbrüdern hinausgebissen und kehrte, da ihm
das verräucherte Cincinnati und das ganze zu moderne Nordamerika eigentlich
nicht gefällt, sehr gern nach Europa zurück. Im Vatikan arrangiert er seitdem
mit Perosi Konzerte, läßt aber auch das Reisen nicht und predigt manchmal in
Hamburg und Umgegend. In seinen Reiseberichten fehlt es nicht an hübschen
Anekdoten. Hier soll nur noch einer seiner theologischen Argumentationen:
auf dem Boden vernünftiger Grundelemente könnten zwar Mythen wachsen,
ihm aber sei es undenkbar, daß aus Mythen, als welche die heutige
Kritik die biblischen Erzählungen auffasse, das streng logische System der
katholischen Dogmatik hervorgegangen sei, und seiner großdeutscheu Idee ge¬
dacht werden: die Glaubensspaltung habe die weltbeherrschenden und zur
Weltherrschaft berufnen Deutschen zu einer unter den andern Nationen er¬
niedrigt. In Ägypten, das er im Jahre 1907 wiederum besucht hat, findet
er, daß die englische Herrschaft die Lage der Bauern nicht gebessert habe; Lord
Cromer ist andrer Meinung.

Eine vortreffliche Charakteristik der großen Konfessionen liefert Dr. Karl
Sell, Professor der Kirchengeschichte an der Universität Bonn, in seinem
Buche: Katholizismus und Protestantismus in Geschichte, Religion,
Politik, Kultur (Leipzig, Quelle und Meyer, 1908). Die vier Haupt¬
abschnitte nennt schon der Titel. Es wird von derselben Versöhnungstendenz
beseelt wie mein letztes Buch, auch in der Auffassung steht es diesem sehr
nahe, unterscheidet sich jedoch von ihm in der Auswahl und Anordnung des
Stoffes. "Das Neue dieses Versuchs, heißt es im Vorwort, dürfte sein, daß
der Gegenstand rein geschichtlich behandelt wird und nicht polemisch oder
apologetisch als eine Streitfrage zwischen Konfessionen und Religionen", und
in der Einleitung: "Völlig ausgeschlossen mußte bei einer solchen Betrachtung
die Methode des konfessionellen Kleinkrieges sein, die so oft mit einem nicht
geringen Erfolg dem Prinzip einer Konfession die Schuld alles dessen auf¬
bürdet, was doch nur der Fehler seiner einzelnen Vertreter und die Folge
einer sehr mangelhaften Vertretung des Prinzips ist." Gegen den Schluß
lesen wir: "Es könnten in Sachen des Kultus, der Organisation, des
künstlerischen Geschmacks, in der Zurückdrängung eines sich breit machenden,
undeutschen Chauvinismus hinter das wahrhaft Humane die Protestanten von
den Katholiken, es könnten in der Verinnerlichung der Vorstellung von der
Kirche, in der pflichtmäßigen Berücksichtigung nationaler Eigentümlichkeiten,
in der treuen Anhänglichkeit an das Vaterland, nicht bloß an den Heimat¬
boden, die Katholiken von den Protestanten lernen. . . . Lassen wir jeder der
beiden Konfessionen das subjektive Recht, sich für das wahre oder das beste
Christentum zu halten, wie ja auch so ziemlich jede Nation sich für das beste
Exemplar der Menschheit hält. Man könnte dabei dennoch öffentlich und
rechtlich auf die Geltendmachung dieses Rechts der andern Konfession gegen¬
über verzichten, indem man die Entscheidung über den Prozeß der beiden


LÄtliolios,

Wurde von seinen irischen Amtsbrüdern hinausgebissen und kehrte, da ihm
das verräucherte Cincinnati und das ganze zu moderne Nordamerika eigentlich
nicht gefällt, sehr gern nach Europa zurück. Im Vatikan arrangiert er seitdem
mit Perosi Konzerte, läßt aber auch das Reisen nicht und predigt manchmal in
Hamburg und Umgegend. In seinen Reiseberichten fehlt es nicht an hübschen
Anekdoten. Hier soll nur noch einer seiner theologischen Argumentationen:
auf dem Boden vernünftiger Grundelemente könnten zwar Mythen wachsen,
ihm aber sei es undenkbar, daß aus Mythen, als welche die heutige
Kritik die biblischen Erzählungen auffasse, das streng logische System der
katholischen Dogmatik hervorgegangen sei, und seiner großdeutscheu Idee ge¬
dacht werden: die Glaubensspaltung habe die weltbeherrschenden und zur
Weltherrschaft berufnen Deutschen zu einer unter den andern Nationen er¬
niedrigt. In Ägypten, das er im Jahre 1907 wiederum besucht hat, findet
er, daß die englische Herrschaft die Lage der Bauern nicht gebessert habe; Lord
Cromer ist andrer Meinung.

Eine vortreffliche Charakteristik der großen Konfessionen liefert Dr. Karl
Sell, Professor der Kirchengeschichte an der Universität Bonn, in seinem
Buche: Katholizismus und Protestantismus in Geschichte, Religion,
Politik, Kultur (Leipzig, Quelle und Meyer, 1908). Die vier Haupt¬
abschnitte nennt schon der Titel. Es wird von derselben Versöhnungstendenz
beseelt wie mein letztes Buch, auch in der Auffassung steht es diesem sehr
nahe, unterscheidet sich jedoch von ihm in der Auswahl und Anordnung des
Stoffes. „Das Neue dieses Versuchs, heißt es im Vorwort, dürfte sein, daß
der Gegenstand rein geschichtlich behandelt wird und nicht polemisch oder
apologetisch als eine Streitfrage zwischen Konfessionen und Religionen", und
in der Einleitung: „Völlig ausgeschlossen mußte bei einer solchen Betrachtung
die Methode des konfessionellen Kleinkrieges sein, die so oft mit einem nicht
geringen Erfolg dem Prinzip einer Konfession die Schuld alles dessen auf¬
bürdet, was doch nur der Fehler seiner einzelnen Vertreter und die Folge
einer sehr mangelhaften Vertretung des Prinzips ist." Gegen den Schluß
lesen wir: „Es könnten in Sachen des Kultus, der Organisation, des
künstlerischen Geschmacks, in der Zurückdrängung eines sich breit machenden,
undeutschen Chauvinismus hinter das wahrhaft Humane die Protestanten von
den Katholiken, es könnten in der Verinnerlichung der Vorstellung von der
Kirche, in der pflichtmäßigen Berücksichtigung nationaler Eigentümlichkeiten,
in der treuen Anhänglichkeit an das Vaterland, nicht bloß an den Heimat¬
boden, die Katholiken von den Protestanten lernen. . . . Lassen wir jeder der
beiden Konfessionen das subjektive Recht, sich für das wahre oder das beste
Christentum zu halten, wie ja auch so ziemlich jede Nation sich für das beste
Exemplar der Menschheit hält. Man könnte dabei dennoch öffentlich und
rechtlich auf die Geltendmachung dieses Rechts der andern Konfession gegen¬
über verzichten, indem man die Entscheidung über den Prozeß der beiden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313008"/>
          <fw type="header" place="top"> LÄtliolios,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2679" prev="#ID_2678"> Wurde von seinen irischen Amtsbrüdern hinausgebissen und kehrte, da ihm<lb/>
das verräucherte Cincinnati und das ganze zu moderne Nordamerika eigentlich<lb/>
nicht gefällt, sehr gern nach Europa zurück. Im Vatikan arrangiert er seitdem<lb/>
mit Perosi Konzerte, läßt aber auch das Reisen nicht und predigt manchmal in<lb/>
Hamburg und Umgegend. In seinen Reiseberichten fehlt es nicht an hübschen<lb/>
Anekdoten. Hier soll nur noch einer seiner theologischen Argumentationen:<lb/>
auf dem Boden vernünftiger Grundelemente könnten zwar Mythen wachsen,<lb/>
ihm aber sei es undenkbar, daß aus Mythen, als welche die heutige<lb/>
Kritik die biblischen Erzählungen auffasse, das streng logische System der<lb/>
katholischen Dogmatik hervorgegangen sei, und seiner großdeutscheu Idee ge¬<lb/>
dacht werden: die Glaubensspaltung habe die weltbeherrschenden und zur<lb/>
Weltherrschaft berufnen Deutschen zu einer unter den andern Nationen er¬<lb/>
niedrigt. In Ägypten, das er im Jahre 1907 wiederum besucht hat, findet<lb/>
er, daß die englische Herrschaft die Lage der Bauern nicht gebessert habe; Lord<lb/>
Cromer ist andrer Meinung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2680" next="#ID_2681"> Eine vortreffliche Charakteristik der großen Konfessionen liefert Dr. Karl<lb/>
Sell, Professor der Kirchengeschichte an der Universität Bonn, in seinem<lb/>
Buche: Katholizismus und Protestantismus in Geschichte, Religion,<lb/>
Politik, Kultur (Leipzig, Quelle und Meyer, 1908). Die vier Haupt¬<lb/>
abschnitte nennt schon der Titel. Es wird von derselben Versöhnungstendenz<lb/>
beseelt wie mein letztes Buch, auch in der Auffassung steht es diesem sehr<lb/>
nahe, unterscheidet sich jedoch von ihm in der Auswahl und Anordnung des<lb/>
Stoffes. &#x201E;Das Neue dieses Versuchs, heißt es im Vorwort, dürfte sein, daß<lb/>
der Gegenstand rein geschichtlich behandelt wird und nicht polemisch oder<lb/>
apologetisch als eine Streitfrage zwischen Konfessionen und Religionen", und<lb/>
in der Einleitung: &#x201E;Völlig ausgeschlossen mußte bei einer solchen Betrachtung<lb/>
die Methode des konfessionellen Kleinkrieges sein, die so oft mit einem nicht<lb/>
geringen Erfolg dem Prinzip einer Konfession die Schuld alles dessen auf¬<lb/>
bürdet, was doch nur der Fehler seiner einzelnen Vertreter und die Folge<lb/>
einer sehr mangelhaften Vertretung des Prinzips ist." Gegen den Schluß<lb/>
lesen wir: &#x201E;Es könnten in Sachen des Kultus, der Organisation, des<lb/>
künstlerischen Geschmacks, in der Zurückdrängung eines sich breit machenden,<lb/>
undeutschen Chauvinismus hinter das wahrhaft Humane die Protestanten von<lb/>
den Katholiken, es könnten in der Verinnerlichung der Vorstellung von der<lb/>
Kirche, in der pflichtmäßigen Berücksichtigung nationaler Eigentümlichkeiten,<lb/>
in der treuen Anhänglichkeit an das Vaterland, nicht bloß an den Heimat¬<lb/>
boden, die Katholiken von den Protestanten lernen. . . . Lassen wir jeder der<lb/>
beiden Konfessionen das subjektive Recht, sich für das wahre oder das beste<lb/>
Christentum zu halten, wie ja auch so ziemlich jede Nation sich für das beste<lb/>
Exemplar der Menschheit hält. Man könnte dabei dennoch öffentlich und<lb/>
rechtlich auf die Geltendmachung dieses Rechts der andern Konfession gegen¬<lb/>
über verzichten, indem man die Entscheidung über den Prozeß der beiden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0657] LÄtliolios, Wurde von seinen irischen Amtsbrüdern hinausgebissen und kehrte, da ihm das verräucherte Cincinnati und das ganze zu moderne Nordamerika eigentlich nicht gefällt, sehr gern nach Europa zurück. Im Vatikan arrangiert er seitdem mit Perosi Konzerte, läßt aber auch das Reisen nicht und predigt manchmal in Hamburg und Umgegend. In seinen Reiseberichten fehlt es nicht an hübschen Anekdoten. Hier soll nur noch einer seiner theologischen Argumentationen: auf dem Boden vernünftiger Grundelemente könnten zwar Mythen wachsen, ihm aber sei es undenkbar, daß aus Mythen, als welche die heutige Kritik die biblischen Erzählungen auffasse, das streng logische System der katholischen Dogmatik hervorgegangen sei, und seiner großdeutscheu Idee ge¬ dacht werden: die Glaubensspaltung habe die weltbeherrschenden und zur Weltherrschaft berufnen Deutschen zu einer unter den andern Nationen er¬ niedrigt. In Ägypten, das er im Jahre 1907 wiederum besucht hat, findet er, daß die englische Herrschaft die Lage der Bauern nicht gebessert habe; Lord Cromer ist andrer Meinung. Eine vortreffliche Charakteristik der großen Konfessionen liefert Dr. Karl Sell, Professor der Kirchengeschichte an der Universität Bonn, in seinem Buche: Katholizismus und Protestantismus in Geschichte, Religion, Politik, Kultur (Leipzig, Quelle und Meyer, 1908). Die vier Haupt¬ abschnitte nennt schon der Titel. Es wird von derselben Versöhnungstendenz beseelt wie mein letztes Buch, auch in der Auffassung steht es diesem sehr nahe, unterscheidet sich jedoch von ihm in der Auswahl und Anordnung des Stoffes. „Das Neue dieses Versuchs, heißt es im Vorwort, dürfte sein, daß der Gegenstand rein geschichtlich behandelt wird und nicht polemisch oder apologetisch als eine Streitfrage zwischen Konfessionen und Religionen", und in der Einleitung: „Völlig ausgeschlossen mußte bei einer solchen Betrachtung die Methode des konfessionellen Kleinkrieges sein, die so oft mit einem nicht geringen Erfolg dem Prinzip einer Konfession die Schuld alles dessen auf¬ bürdet, was doch nur der Fehler seiner einzelnen Vertreter und die Folge einer sehr mangelhaften Vertretung des Prinzips ist." Gegen den Schluß lesen wir: „Es könnten in Sachen des Kultus, der Organisation, des künstlerischen Geschmacks, in der Zurückdrängung eines sich breit machenden, undeutschen Chauvinismus hinter das wahrhaft Humane die Protestanten von den Katholiken, es könnten in der Verinnerlichung der Vorstellung von der Kirche, in der pflichtmäßigen Berücksichtigung nationaler Eigentümlichkeiten, in der treuen Anhänglichkeit an das Vaterland, nicht bloß an den Heimat¬ boden, die Katholiken von den Protestanten lernen. . . . Lassen wir jeder der beiden Konfessionen das subjektive Recht, sich für das wahre oder das beste Christentum zu halten, wie ja auch so ziemlich jede Nation sich für das beste Exemplar der Menschheit hält. Man könnte dabei dennoch öffentlich und rechtlich auf die Geltendmachung dieses Rechts der andern Konfession gegen¬ über verzichten, indem man die Entscheidung über den Prozeß der beiden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/657
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/657>, abgerufen am 23.07.2024.