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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Schriftsteller, die erstens kein andres Problem aufzutreiben wissen und zweitens
sich gern darauf beschränken, weil die Masse der Leser doch immer lieber
sinnlich als geistig angeregt werden will." Seit reichlich einem Jahre nennt
man das "normwidrige Empfinden", wobei man nur nicht gleich an Ver¬
brechen und Laster denken sollte, an denen es übrigens auch die "Normalen"
bekanntlich nicht fehlen lassen. Es ist klar, daß für so empfindende Männer
einer der Hauptgründe protestantischer Abneigung gegen den Katholizismus
nicht existiert, ja daß solchen die Kirche des Priesterzölibats und der Ordens¬
gelübde ungemein sympathisch sein muß. Albings Betrachtungen legen aber
zugleich die Frage nahe, ob diese "Abnormität" gewisse Kulturmissionen, wie
sie solche im Sokratismus und in der griechischen Plastik, im mittelalterlichen
Mönchstum und in einzelnen ledig gebliebner Großgeistern geübt hat, nicht
in allen Zeiten zu üben habe.

Man erfährt aus den Briefen weiter, daß sich Albing eine Zeit lang
mit Unterrichten beschäftigt hat -- einen eigentlichen Beruf scheint er zunächst
nicht gehabt zu haben --, und daß er viel gereist ist. Er war öfter in
Italien, sechzehnmal in der Schweiz, dann in Palästina und Ägypten, in
England, wiederholt, das erstemal beinahe drei Jahre lang, in Nordamerika.
Das zweitemal hat er den Jellowstonepark, den er ausführlich beschreibt, und
Mexiko besucht, wo ihn der Umstand, daß des vortrefflichen Porfirio Diaz
Regiment antiklerikal ist, hätte nachdenklich machen können. Von Kalifornien
aus reiste er durch den Stillen Ozean nach Enropa zurück, lernte die
Sandwichinseln und Japan kennen. Seine Heimat, wenn bei einem Globe¬
trotter von einer solchen gesprochen werden kann, wurde dann Rom, wo er
als päpstlicher Geheimkämmerer lebt und unter anderm bei dem Besuche, den
unser Kaiser mit zweien seiner Söhne am 4. Mai 1903 im Vatikan abstattete,
nebst andern Monsignori die Honneurs gemacht hat. Er wurde den Prinzen
und dem Reichskanzler vorgestellt und hörte alles, was vor und nach der
zeugenlosen Zwiesprache im Privatzimmer des Papstes dieser und der Kaiser
in der Anticamera sprachen. Der Kaiser erklärte unter anderm sein Geschenk:
drei Riesenalbums mit Photographien des Metzer Domportals. Sehr ver¬
ständig bemerkt Albing: "Ich schreibe dir nichts von dem, was gesprochen
wurde, weil man so leicht falsch zitiert." Nur den harmlosen, zu deutschen
Bischöfen gesprochnen Satz, in dem Kaiser Wilhelm seinen Wunsch, der Papst
möge noch lange in guter Gesundheit am Leben bleiben, ausspricht, führt er
an. Fast vierzig Jahre alt, läßt sich Albing zum Priester weihen und sucht,
weil ihm der Bureaudienst im Vatikan nicht zusagt, einen Wirkungskreis in
Nordamerika. Er beobachtet dort, wie sich die Kirche allen neuen Bedürfnissen
anschmiegt. So ist in einer Newyorker Kirche für Zeitungsjungen, Schrift¬
setzer und dergleichen Leute um Mitternacht Messe und Predigt eingerichtet,
und in einer andern werden Sonntags acht bis zehn Messen nacheinander
gefeiert und wird nach jeder, natürlich nur kurz, gepredigt. Er selbst aber


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Schriftsteller, die erstens kein andres Problem aufzutreiben wissen und zweitens
sich gern darauf beschränken, weil die Masse der Leser doch immer lieber
sinnlich als geistig angeregt werden will." Seit reichlich einem Jahre nennt
man das „normwidrige Empfinden", wobei man nur nicht gleich an Ver¬
brechen und Laster denken sollte, an denen es übrigens auch die „Normalen"
bekanntlich nicht fehlen lassen. Es ist klar, daß für so empfindende Männer
einer der Hauptgründe protestantischer Abneigung gegen den Katholizismus
nicht existiert, ja daß solchen die Kirche des Priesterzölibats und der Ordens¬
gelübde ungemein sympathisch sein muß. Albings Betrachtungen legen aber
zugleich die Frage nahe, ob diese „Abnormität" gewisse Kulturmissionen, wie
sie solche im Sokratismus und in der griechischen Plastik, im mittelalterlichen
Mönchstum und in einzelnen ledig gebliebner Großgeistern geübt hat, nicht
in allen Zeiten zu üben habe.

Man erfährt aus den Briefen weiter, daß sich Albing eine Zeit lang
mit Unterrichten beschäftigt hat — einen eigentlichen Beruf scheint er zunächst
nicht gehabt zu haben —, und daß er viel gereist ist. Er war öfter in
Italien, sechzehnmal in der Schweiz, dann in Palästina und Ägypten, in
England, wiederholt, das erstemal beinahe drei Jahre lang, in Nordamerika.
Das zweitemal hat er den Jellowstonepark, den er ausführlich beschreibt, und
Mexiko besucht, wo ihn der Umstand, daß des vortrefflichen Porfirio Diaz
Regiment antiklerikal ist, hätte nachdenklich machen können. Von Kalifornien
aus reiste er durch den Stillen Ozean nach Enropa zurück, lernte die
Sandwichinseln und Japan kennen. Seine Heimat, wenn bei einem Globe¬
trotter von einer solchen gesprochen werden kann, wurde dann Rom, wo er
als päpstlicher Geheimkämmerer lebt und unter anderm bei dem Besuche, den
unser Kaiser mit zweien seiner Söhne am 4. Mai 1903 im Vatikan abstattete,
nebst andern Monsignori die Honneurs gemacht hat. Er wurde den Prinzen
und dem Reichskanzler vorgestellt und hörte alles, was vor und nach der
zeugenlosen Zwiesprache im Privatzimmer des Papstes dieser und der Kaiser
in der Anticamera sprachen. Der Kaiser erklärte unter anderm sein Geschenk:
drei Riesenalbums mit Photographien des Metzer Domportals. Sehr ver¬
ständig bemerkt Albing: „Ich schreibe dir nichts von dem, was gesprochen
wurde, weil man so leicht falsch zitiert." Nur den harmlosen, zu deutschen
Bischöfen gesprochnen Satz, in dem Kaiser Wilhelm seinen Wunsch, der Papst
möge noch lange in guter Gesundheit am Leben bleiben, ausspricht, führt er
an. Fast vierzig Jahre alt, läßt sich Albing zum Priester weihen und sucht,
weil ihm der Bureaudienst im Vatikan nicht zusagt, einen Wirkungskreis in
Nordamerika. Er beobachtet dort, wie sich die Kirche allen neuen Bedürfnissen
anschmiegt. So ist in einer Newyorker Kirche für Zeitungsjungen, Schrift¬
setzer und dergleichen Leute um Mitternacht Messe und Predigt eingerichtet,
und in einer andern werden Sonntags acht bis zehn Messen nacheinander
gefeiert und wird nach jeder, natürlich nur kurz, gepredigt. Er selbst aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/656>, abgerufen am 23.07.2024.