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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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öfter die Messe. Als das sein Vater erfuhr, verbot er es ihm und zwang ihn,
seine katholischen Bücher zu verbrennen. Er wandte sich nun an einen Kaplan,
zu dem er bald Vertrauen faßte. Auch das kam heraus und wurde ihm ver¬
boten. Als Student der Rechte in Berlin konnte er am Umgange mit Katholiken
nicht gehindert werden; er verkehrte mit dem Dominikanerpater Ceslaus (Graf
Robicmo); ein Enkel Karl Friedrichs von Savignh und Urenkel Fr. Leopolds
Grafen Stolberg gehörte zu seinen intimsten Freunden. Am 11. April 1884
notierte er in sein Tagebuch, er habe zum letztenmal der Andacht wegen eine
Protestantische Kirche besucht. Er studierte neben seiner Fachwissenschaft die
Kirchenväter, den Buddhismus, den Koran, lernte in Italien katholische Kunst
und katholisches Leben kennen, nahm in England, Schottland, Schweden, Livland
Protestantische Eindrücke in sich auf; in Heidelberg ekelte ihn das Studenten¬
leben an. Bei seiner Familie fand er keine Spur von Verständnis dafür, daß
ihm die Religion Herzenssache war; in den mündlichen und schriftlichen Aus¬
einandersetzungen mit Bater, Vettern und Basen wurden immer nur weltliche
Erwägungen geltend gemacht. Ein Senator äußerte: "Ja, glaubt denn der junge
M., daß man ihn als Katholiken im Justizdienste brauchen kann?" Ich schrieb
mir das, bemerkt er dazu, "hinter die Ohren und richtete meinen Sinn auf
höhere Dinge". Sein Vater erklärte es für Pflicht eines jeden, in der Religion
zu bleiben, in der er geboren sei. Nur in zwei Fällen halte er einen Religions¬
wechsel für erlaubt: wenn einer das Mädchen, das er liebe, auf andre Weise
nicht zur Frau bekommen könne, und wenn einer in einem andersgläubigen
Lande von Berufs wegen zu leben gezwungen sei. Das seien gerade zwei Gründe,
erwiderte der Sohn, die, weil sie mit Überzeugung nichts zu schaffen hätten,
den Übertritt nicht rechtfertigen würden. Er vollzog seine Konversion 1890 in
Berlin, und zwar heimlich, weil er fürchtete, seine Familie werde ihn vielleicht
mit physischer Gewalt daran hindern.

Interessant ist die Art und Weise, wie er einem protestantischen Freunde
gegenüber die Ordensgelübde verteidigt. "In deinem ganzen Raisonnement
vergißt du, daß wir die Ordensgelübde mit voller Erkenntnis ihres Inhalts
und vollkommner persönlicher Freiheit ablegen. Sonst gelten Gelübde nichts.
Wo ist denn da der "unmoralische Zwang"? Ein religiöses Gelübde ist zehn¬
tausendmal weniger erzwungen als ein Fahnen-, Amts- oder Untertaneneid.
Hat man dich etwa gefragt, ob du dein Jahr addieren wolltest? Wird man
dich fragen, ob du Steuern zahlen, die Staatsgesetze beobachten, der Obrigkeit
gehorchen willst? In einen Orden dagegen tritt man freiwillig ein." Abgesehn
dcwon, daß die Freiwilligkeit keineswegs in allen Fällen so über jeden Zweifel
erhaben ist, wie der junge Herr meint, übersieht er zweierlei: daß der den
Staatsgesetzen geleistete Gehorsam nur die Einfügung in die unumgänglich
notwendige soziale Ordnung bedeutet, ohne die wahrhaft menschliches Dasein
unmöglich ist, während die katholischen Orden nnr vorübergehend ein soziales


Grenzboten I 1909 84
OstliolioÄ

öfter die Messe. Als das sein Vater erfuhr, verbot er es ihm und zwang ihn,
seine katholischen Bücher zu verbrennen. Er wandte sich nun an einen Kaplan,
zu dem er bald Vertrauen faßte. Auch das kam heraus und wurde ihm ver¬
boten. Als Student der Rechte in Berlin konnte er am Umgange mit Katholiken
nicht gehindert werden; er verkehrte mit dem Dominikanerpater Ceslaus (Graf
Robicmo); ein Enkel Karl Friedrichs von Savignh und Urenkel Fr. Leopolds
Grafen Stolberg gehörte zu seinen intimsten Freunden. Am 11. April 1884
notierte er in sein Tagebuch, er habe zum letztenmal der Andacht wegen eine
Protestantische Kirche besucht. Er studierte neben seiner Fachwissenschaft die
Kirchenväter, den Buddhismus, den Koran, lernte in Italien katholische Kunst
und katholisches Leben kennen, nahm in England, Schottland, Schweden, Livland
Protestantische Eindrücke in sich auf; in Heidelberg ekelte ihn das Studenten¬
leben an. Bei seiner Familie fand er keine Spur von Verständnis dafür, daß
ihm die Religion Herzenssache war; in den mündlichen und schriftlichen Aus¬
einandersetzungen mit Bater, Vettern und Basen wurden immer nur weltliche
Erwägungen geltend gemacht. Ein Senator äußerte: „Ja, glaubt denn der junge
M., daß man ihn als Katholiken im Justizdienste brauchen kann?" Ich schrieb
mir das, bemerkt er dazu, „hinter die Ohren und richtete meinen Sinn auf
höhere Dinge". Sein Vater erklärte es für Pflicht eines jeden, in der Religion
zu bleiben, in der er geboren sei. Nur in zwei Fällen halte er einen Religions¬
wechsel für erlaubt: wenn einer das Mädchen, das er liebe, auf andre Weise
nicht zur Frau bekommen könne, und wenn einer in einem andersgläubigen
Lande von Berufs wegen zu leben gezwungen sei. Das seien gerade zwei Gründe,
erwiderte der Sohn, die, weil sie mit Überzeugung nichts zu schaffen hätten,
den Übertritt nicht rechtfertigen würden. Er vollzog seine Konversion 1890 in
Berlin, und zwar heimlich, weil er fürchtete, seine Familie werde ihn vielleicht
mit physischer Gewalt daran hindern.

Interessant ist die Art und Weise, wie er einem protestantischen Freunde
gegenüber die Ordensgelübde verteidigt. „In deinem ganzen Raisonnement
vergißt du, daß wir die Ordensgelübde mit voller Erkenntnis ihres Inhalts
und vollkommner persönlicher Freiheit ablegen. Sonst gelten Gelübde nichts.
Wo ist denn da der »unmoralische Zwang«? Ein religiöses Gelübde ist zehn¬
tausendmal weniger erzwungen als ein Fahnen-, Amts- oder Untertaneneid.
Hat man dich etwa gefragt, ob du dein Jahr addieren wolltest? Wird man
dich fragen, ob du Steuern zahlen, die Staatsgesetze beobachten, der Obrigkeit
gehorchen willst? In einen Orden dagegen tritt man freiwillig ein." Abgesehn
dcwon, daß die Freiwilligkeit keineswegs in allen Fällen so über jeden Zweifel
erhaben ist, wie der junge Herr meint, übersieht er zweierlei: daß der den
Staatsgesetzen geleistete Gehorsam nur die Einfügung in die unumgänglich
notwendige soziale Ordnung bedeutet, ohne die wahrhaft menschliches Dasein
unmöglich ist, während die katholischen Orden nnr vorübergehend ein soziales


Grenzboten I 1909 84
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[0653] OstliolioÄ öfter die Messe. Als das sein Vater erfuhr, verbot er es ihm und zwang ihn, seine katholischen Bücher zu verbrennen. Er wandte sich nun an einen Kaplan, zu dem er bald Vertrauen faßte. Auch das kam heraus und wurde ihm ver¬ boten. Als Student der Rechte in Berlin konnte er am Umgange mit Katholiken nicht gehindert werden; er verkehrte mit dem Dominikanerpater Ceslaus (Graf Robicmo); ein Enkel Karl Friedrichs von Savignh und Urenkel Fr. Leopolds Grafen Stolberg gehörte zu seinen intimsten Freunden. Am 11. April 1884 notierte er in sein Tagebuch, er habe zum letztenmal der Andacht wegen eine Protestantische Kirche besucht. Er studierte neben seiner Fachwissenschaft die Kirchenväter, den Buddhismus, den Koran, lernte in Italien katholische Kunst und katholisches Leben kennen, nahm in England, Schottland, Schweden, Livland Protestantische Eindrücke in sich auf; in Heidelberg ekelte ihn das Studenten¬ leben an. Bei seiner Familie fand er keine Spur von Verständnis dafür, daß ihm die Religion Herzenssache war; in den mündlichen und schriftlichen Aus¬ einandersetzungen mit Bater, Vettern und Basen wurden immer nur weltliche Erwägungen geltend gemacht. Ein Senator äußerte: „Ja, glaubt denn der junge M., daß man ihn als Katholiken im Justizdienste brauchen kann?" Ich schrieb mir das, bemerkt er dazu, „hinter die Ohren und richtete meinen Sinn auf höhere Dinge". Sein Vater erklärte es für Pflicht eines jeden, in der Religion zu bleiben, in der er geboren sei. Nur in zwei Fällen halte er einen Religions¬ wechsel für erlaubt: wenn einer das Mädchen, das er liebe, auf andre Weise nicht zur Frau bekommen könne, und wenn einer in einem andersgläubigen Lande von Berufs wegen zu leben gezwungen sei. Das seien gerade zwei Gründe, erwiderte der Sohn, die, weil sie mit Überzeugung nichts zu schaffen hätten, den Übertritt nicht rechtfertigen würden. Er vollzog seine Konversion 1890 in Berlin, und zwar heimlich, weil er fürchtete, seine Familie werde ihn vielleicht mit physischer Gewalt daran hindern. Interessant ist die Art und Weise, wie er einem protestantischen Freunde gegenüber die Ordensgelübde verteidigt. „In deinem ganzen Raisonnement vergißt du, daß wir die Ordensgelübde mit voller Erkenntnis ihres Inhalts und vollkommner persönlicher Freiheit ablegen. Sonst gelten Gelübde nichts. Wo ist denn da der »unmoralische Zwang«? Ein religiöses Gelübde ist zehn¬ tausendmal weniger erzwungen als ein Fahnen-, Amts- oder Untertaneneid. Hat man dich etwa gefragt, ob du dein Jahr addieren wolltest? Wird man dich fragen, ob du Steuern zahlen, die Staatsgesetze beobachten, der Obrigkeit gehorchen willst? In einen Orden dagegen tritt man freiwillig ein." Abgesehn dcwon, daß die Freiwilligkeit keineswegs in allen Fällen so über jeden Zweifel erhaben ist, wie der junge Herr meint, übersieht er zweierlei: daß der den Staatsgesetzen geleistete Gehorsam nur die Einfügung in die unumgänglich notwendige soziale Ordnung bedeutet, ohne die wahrhaft menschliches Dasein unmöglich ist, während die katholischen Orden nnr vorübergehend ein soziales Grenzboten I 1909 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/653>, abgerufen am 23.07.2024.