Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Reichsfinanzreform

Der Mehrbedarf des Reiches ist für die Jahre 1909 bis 1913 auf
Milliarden berechnet worden, der durch die neuen Steuern zu decken ist.
Tatsächlich würden durch diese eben noch ungedeckt bleiben 194,1 Millionen
Mark, die, falls nicht zufolge der Entwicklung der wirtschaftlichen Konjunktur
ein tatsächlich besseres Ergebnis, als in den Einnahmeanschlägen vorgesehn ist,
eintreten sollte, nur im Wege weiterer strengster Sparsamkeit zu beschaffen
sein würden.

Die Frage, in welchen Beziehungen die Sparmöglichkeit und damit die
Möglichkeit von Abstrichen am Mehrbedarf besteht, wird dann eingehend erörtert,
zugleich aber vor einer falschen Scheinsparsamkeit gewarnt.

Das achte Kapitel erörtert in sehr interessanter Weise die Leistungs¬
fähigkeit Deutschlands im Vergleich mit andern Ländern. Als
allgemeinen Dnrchschnittssatz konnte man um die Jahrhundertwende einen
Standard von rund 200 Milliarden Volksvermögen annehmen und eine jähr¬
liche Vermehrung in Zeiten ständiger Wirtschaftsentwicklung von rund 2 Prozent
feststellen. Dagegen läßt sich das gesamte Volkseinkommen mit einem ziemlichen
Grade von Sicherheit auf mindestens rund 30 Milliarden jährlich als unterste
Grenze berechnen. Von diesen 30 Milliarden würde also der Gesamtbetrag
der neuen Steuern nur ein Sechzigste! in Anspruch nehmen. Bleibt man bei
der durchschnittlichen Schätzung, daß sich das Volksvermögen um 2 Prozent
seines Bestandes jährlich vermehre, so gelangt man nunmehr zu einem Ver¬
mögenswachstum über 5 bis 6 Milliarden, wovon durch die neuen Steuern
ein knappes Zehntel absorbiert werden würde. Dabei wird an der Hand der
Statistik für die einzelnen Bundesstaaten dargetan, daß überall seit 1896 das
Einkommen wesentlich stärker gestiegen ist als die Bevölkerung,
in zahlreichen Fällen mehr als doppelt so stark. Ebenso wiesen die Einlagen
bei den Sparkassen zwischen den Jahren 1875 und 1907 ein Anwachsen von
rund 1870 auf 13890 Millionen Mark oder eine Steigerung wie von 100
auf 743 auf. Die Kreditoren und Depositen der deutschen Depositenbanken
stiegen von 1883 bis 1907 von 313 auf 7050 Millionen oder wie 100 auf
867 Millionen. Hiervon sind allerdings nur die Depositen als Spareinlagen
""gesehn. Immerhin stiegen aber gerade sie auf das neunfache (die Kreditoren
nur auf das achtfache). Die Depositen betrugen 1883 284 Millionen, 1907
2643 Millionen. Die fremden Gelder, die den deutschen Kreditgenossenschaften
anvertraut wurden, betrugen bei dem Allgemeinen Verband 1880 353,1 Millionen,
1V07 916,5 Millionen, beim Darmstädter Verband 1896 109 Millionen,
1906 1373 Millionen. Die Versicherungswerte der Immobilien bei den öffent¬
lichen Zwangsversicherungsanstalten stiegen in dem Zeitraum 1875 bis 1909
pro Kopf der Bevölkerung von 763 auf 1458 Mark, das heißt um 465 Mark.
Im Jahre 1909 ist mit etwa 140 Millionen Versicherungswerten zu rechnen.
Der Wert des Hausmobiliars der einzelnen Familien hat sich nach von
Rasp um ein Fünftel vergrößert. Andrerseits wird die Steigerung der


Die Reichsfinanzreform

Der Mehrbedarf des Reiches ist für die Jahre 1909 bis 1913 auf
Milliarden berechnet worden, der durch die neuen Steuern zu decken ist.
Tatsächlich würden durch diese eben noch ungedeckt bleiben 194,1 Millionen
Mark, die, falls nicht zufolge der Entwicklung der wirtschaftlichen Konjunktur
ein tatsächlich besseres Ergebnis, als in den Einnahmeanschlägen vorgesehn ist,
eintreten sollte, nur im Wege weiterer strengster Sparsamkeit zu beschaffen
sein würden.

Die Frage, in welchen Beziehungen die Sparmöglichkeit und damit die
Möglichkeit von Abstrichen am Mehrbedarf besteht, wird dann eingehend erörtert,
zugleich aber vor einer falschen Scheinsparsamkeit gewarnt.

Das achte Kapitel erörtert in sehr interessanter Weise die Leistungs¬
fähigkeit Deutschlands im Vergleich mit andern Ländern. Als
allgemeinen Dnrchschnittssatz konnte man um die Jahrhundertwende einen
Standard von rund 200 Milliarden Volksvermögen annehmen und eine jähr¬
liche Vermehrung in Zeiten ständiger Wirtschaftsentwicklung von rund 2 Prozent
feststellen. Dagegen läßt sich das gesamte Volkseinkommen mit einem ziemlichen
Grade von Sicherheit auf mindestens rund 30 Milliarden jährlich als unterste
Grenze berechnen. Von diesen 30 Milliarden würde also der Gesamtbetrag
der neuen Steuern nur ein Sechzigste! in Anspruch nehmen. Bleibt man bei
der durchschnittlichen Schätzung, daß sich das Volksvermögen um 2 Prozent
seines Bestandes jährlich vermehre, so gelangt man nunmehr zu einem Ver¬
mögenswachstum über 5 bis 6 Milliarden, wovon durch die neuen Steuern
ein knappes Zehntel absorbiert werden würde. Dabei wird an der Hand der
Statistik für die einzelnen Bundesstaaten dargetan, daß überall seit 1896 das
Einkommen wesentlich stärker gestiegen ist als die Bevölkerung,
in zahlreichen Fällen mehr als doppelt so stark. Ebenso wiesen die Einlagen
bei den Sparkassen zwischen den Jahren 1875 und 1907 ein Anwachsen von
rund 1870 auf 13890 Millionen Mark oder eine Steigerung wie von 100
auf 743 auf. Die Kreditoren und Depositen der deutschen Depositenbanken
stiegen von 1883 bis 1907 von 313 auf 7050 Millionen oder wie 100 auf
867 Millionen. Hiervon sind allerdings nur die Depositen als Spareinlagen
«"gesehn. Immerhin stiegen aber gerade sie auf das neunfache (die Kreditoren
nur auf das achtfache). Die Depositen betrugen 1883 284 Millionen, 1907
2643 Millionen. Die fremden Gelder, die den deutschen Kreditgenossenschaften
anvertraut wurden, betrugen bei dem Allgemeinen Verband 1880 353,1 Millionen,
1V07 916,5 Millionen, beim Darmstädter Verband 1896 109 Millionen,
1906 1373 Millionen. Die Versicherungswerte der Immobilien bei den öffent¬
lichen Zwangsversicherungsanstalten stiegen in dem Zeitraum 1875 bis 1909
pro Kopf der Bevölkerung von 763 auf 1458 Mark, das heißt um 465 Mark.
Im Jahre 1909 ist mit etwa 140 Millionen Versicherungswerten zu rechnen.
Der Wert des Hausmobiliars der einzelnen Familien hat sich nach von
Rasp um ein Fünftel vergrößert. Andrerseits wird die Steigerung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312992"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Reichsfinanzreform</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2635"> Der Mehrbedarf des Reiches ist für die Jahre 1909 bis 1913 auf<lb/>
Milliarden berechnet worden, der durch die neuen Steuern zu decken ist.<lb/>
Tatsächlich würden durch diese eben noch ungedeckt bleiben 194,1 Millionen<lb/>
Mark, die, falls nicht zufolge der Entwicklung der wirtschaftlichen Konjunktur<lb/>
ein tatsächlich besseres Ergebnis, als in den Einnahmeanschlägen vorgesehn ist,<lb/>
eintreten sollte, nur im Wege weiterer strengster Sparsamkeit zu beschaffen<lb/>
sein würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2636"> Die Frage, in welchen Beziehungen die Sparmöglichkeit und damit die<lb/>
Möglichkeit von Abstrichen am Mehrbedarf besteht, wird dann eingehend erörtert,<lb/>
zugleich aber vor einer falschen Scheinsparsamkeit gewarnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2637" next="#ID_2638"> Das achte Kapitel erörtert in sehr interessanter Weise die Leistungs¬<lb/>
fähigkeit Deutschlands im Vergleich mit andern Ländern. Als<lb/>
allgemeinen Dnrchschnittssatz konnte man um die Jahrhundertwende einen<lb/>
Standard von rund 200 Milliarden Volksvermögen annehmen und eine jähr¬<lb/>
liche Vermehrung in Zeiten ständiger Wirtschaftsentwicklung von rund 2 Prozent<lb/>
feststellen. Dagegen läßt sich das gesamte Volkseinkommen mit einem ziemlichen<lb/>
Grade von Sicherheit auf mindestens rund 30 Milliarden jährlich als unterste<lb/>
Grenze berechnen. Von diesen 30 Milliarden würde also der Gesamtbetrag<lb/>
der neuen Steuern nur ein Sechzigste! in Anspruch nehmen. Bleibt man bei<lb/>
der durchschnittlichen Schätzung, daß sich das Volksvermögen um 2 Prozent<lb/>
seines Bestandes jährlich vermehre, so gelangt man nunmehr zu einem Ver¬<lb/>
mögenswachstum über 5 bis 6 Milliarden, wovon durch die neuen Steuern<lb/>
ein knappes Zehntel absorbiert werden würde. Dabei wird an der Hand der<lb/>
Statistik für die einzelnen Bundesstaaten dargetan, daß überall seit 1896 das<lb/>
Einkommen wesentlich stärker gestiegen ist als die Bevölkerung,<lb/>
in zahlreichen Fällen mehr als doppelt so stark. Ebenso wiesen die Einlagen<lb/>
bei den Sparkassen zwischen den Jahren 1875 und 1907 ein Anwachsen von<lb/>
rund 1870 auf 13890 Millionen Mark oder eine Steigerung wie von 100<lb/>
auf 743 auf. Die Kreditoren und Depositen der deutschen Depositenbanken<lb/>
stiegen von 1883 bis 1907 von 313 auf 7050 Millionen oder wie 100 auf<lb/>
867 Millionen. Hiervon sind allerdings nur die Depositen als Spareinlagen<lb/>
«"gesehn. Immerhin stiegen aber gerade sie auf das neunfache (die Kreditoren<lb/>
nur auf das achtfache). Die Depositen betrugen 1883 284 Millionen, 1907<lb/>
2643 Millionen. Die fremden Gelder, die den deutschen Kreditgenossenschaften<lb/>
anvertraut wurden, betrugen bei dem Allgemeinen Verband 1880 353,1 Millionen,<lb/>
1V07 916,5 Millionen, beim Darmstädter Verband 1896 109 Millionen,<lb/>
1906 1373 Millionen. Die Versicherungswerte der Immobilien bei den öffent¬<lb/>
lichen Zwangsversicherungsanstalten stiegen in dem Zeitraum 1875 bis 1909<lb/>
pro Kopf der Bevölkerung von 763 auf 1458 Mark, das heißt um 465 Mark.<lb/>
Im Jahre 1909 ist mit etwa 140 Millionen Versicherungswerten zu rechnen.<lb/>
Der Wert des Hausmobiliars der einzelnen Familien hat sich nach von<lb/>
Rasp um ein Fünftel vergrößert.  Andrerseits wird die Steigerung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0641] Die Reichsfinanzreform Der Mehrbedarf des Reiches ist für die Jahre 1909 bis 1913 auf Milliarden berechnet worden, der durch die neuen Steuern zu decken ist. Tatsächlich würden durch diese eben noch ungedeckt bleiben 194,1 Millionen Mark, die, falls nicht zufolge der Entwicklung der wirtschaftlichen Konjunktur ein tatsächlich besseres Ergebnis, als in den Einnahmeanschlägen vorgesehn ist, eintreten sollte, nur im Wege weiterer strengster Sparsamkeit zu beschaffen sein würden. Die Frage, in welchen Beziehungen die Sparmöglichkeit und damit die Möglichkeit von Abstrichen am Mehrbedarf besteht, wird dann eingehend erörtert, zugleich aber vor einer falschen Scheinsparsamkeit gewarnt. Das achte Kapitel erörtert in sehr interessanter Weise die Leistungs¬ fähigkeit Deutschlands im Vergleich mit andern Ländern. Als allgemeinen Dnrchschnittssatz konnte man um die Jahrhundertwende einen Standard von rund 200 Milliarden Volksvermögen annehmen und eine jähr¬ liche Vermehrung in Zeiten ständiger Wirtschaftsentwicklung von rund 2 Prozent feststellen. Dagegen läßt sich das gesamte Volkseinkommen mit einem ziemlichen Grade von Sicherheit auf mindestens rund 30 Milliarden jährlich als unterste Grenze berechnen. Von diesen 30 Milliarden würde also der Gesamtbetrag der neuen Steuern nur ein Sechzigste! in Anspruch nehmen. Bleibt man bei der durchschnittlichen Schätzung, daß sich das Volksvermögen um 2 Prozent seines Bestandes jährlich vermehre, so gelangt man nunmehr zu einem Ver¬ mögenswachstum über 5 bis 6 Milliarden, wovon durch die neuen Steuern ein knappes Zehntel absorbiert werden würde. Dabei wird an der Hand der Statistik für die einzelnen Bundesstaaten dargetan, daß überall seit 1896 das Einkommen wesentlich stärker gestiegen ist als die Bevölkerung, in zahlreichen Fällen mehr als doppelt so stark. Ebenso wiesen die Einlagen bei den Sparkassen zwischen den Jahren 1875 und 1907 ein Anwachsen von rund 1870 auf 13890 Millionen Mark oder eine Steigerung wie von 100 auf 743 auf. Die Kreditoren und Depositen der deutschen Depositenbanken stiegen von 1883 bis 1907 von 313 auf 7050 Millionen oder wie 100 auf 867 Millionen. Hiervon sind allerdings nur die Depositen als Spareinlagen «"gesehn. Immerhin stiegen aber gerade sie auf das neunfache (die Kreditoren nur auf das achtfache). Die Depositen betrugen 1883 284 Millionen, 1907 2643 Millionen. Die fremden Gelder, die den deutschen Kreditgenossenschaften anvertraut wurden, betrugen bei dem Allgemeinen Verband 1880 353,1 Millionen, 1V07 916,5 Millionen, beim Darmstädter Verband 1896 109 Millionen, 1906 1373 Millionen. Die Versicherungswerte der Immobilien bei den öffent¬ lichen Zwangsversicherungsanstalten stiegen in dem Zeitraum 1875 bis 1909 pro Kopf der Bevölkerung von 763 auf 1458 Mark, das heißt um 465 Mark. Im Jahre 1909 ist mit etwa 140 Millionen Versicherungswerten zu rechnen. Der Wert des Hausmobiliars der einzelnen Familien hat sich nach von Rasp um ein Fünftel vergrößert. Andrerseits wird die Steigerung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/641
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/641>, abgerufen am 26.08.2024.