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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Exerzierreglement für die Fußartillerie

schlechte Erfahrungen damit machte. In den Jahren nach dem Kriege gelang
es bald, die Zeitzünder so zu vervollkommnen, daß sie absolut sicher wirkten,
und damit kam ein neues Geschoß auf, das heute das Hanptkampfgeschvß der
Feldartillerie bildet, das Schrapnell.

Das Schrapnell besteht aus einer Stahlbüchse, die mit einer großen Zahl
kleiner Bleikugeln und einer Pulverladung gefüllt ist. Es wird mit Hilfe des
Brennzünders vor und oberhalb des Gegners zur Explosion gebracht und streut
nun eiuen Regen von Bleikugeln in den Gegner hinein. Das Schrapnell ist
also ein bis kurz vor dem Ziel zusammengehaltner Schrotschuß. Es ist leicht
einzusehen, daß die Flugbahnen der einzelnen Teile des in der Luft krepierten
Schrapnells in ihrer Gesamtheit einen gekrümmten Kegel bilden müssen, dessen
mittlere Linie mit der verlängerten Bahn des ganzen Geschosses zusammenfällt.
Der Winkel an der Spitze dieses Kegels hängt hauptsächlich von der Stärke der
Pulverladung innerhalb des Schrapnells ab. Wenn diese sehr groß ist, so werden
die Sprengteile weit auseinandergestreut, und die Treffwirkung gegen ein be¬
stimmtes Ziel, zum Beispiel ein feindliches Geschütz oder eine feindliche Infanterie¬
kolonne, ist geringer, als wenn die Sprengladung klein ist und die Teile in
einem spitzern Kegel gegen das Ziel geschlendert werden. So groß nun auch
die Wirkung eines solchen Schusses gegen Ziele von einer gewissen Höhe ist,
so genügt sie doch nicht gegen Ziele hinter Deckungen, und zwar um so weniger,
je rasanter die Geschoßbahn ist.

Um diesem Mangel abzuhelfen, konstruierte mau ein neues Geschoß, die
sogenannte Sprenggranate, ein stählernes Hohlgeschoß mit außerordentlich stark¬
wirkender Sprengladung und einem Dvppelzünder, der als Aufschlag und als
Brennzünder benutzt werden konnte. Wenn dieses Geschoß durch den Brenn¬
zünder zur Explosion gebracht wird, so wird es nach allen Seiten auseinander-
gerissen, und zwar infolge der starken Ladung in zahllose kleine Splitter, die
eine vernichtende Wirkung haben, und da sie teilweise senkrecht nach unten und
sogar nach rückwärts geschleudert werden, auch Ziele hinter Deckungen zu er¬
reichen vermögen, aber mir wenn das Geschoß in ihrer Nähe zur Explosion
kommt. Während ein Schrapnell seine Kugeln und Sprengteile auf einen zwar
nicht breiten aber tiefen Raum hinpeitscht, sodaß ein nicht zu großer Fehler
in der Entfernung gar nicht weiter schädlich ist, wenn nur dafür gesorgt wird,
daß die Sprengpnnkte immer vor dem Ziele liegen, wirkt eine Sprenggranate,
deren zahllose Sprengstücke nach allen Seiten, aber infolge ihrer Kleinheit nicht
sehr weit fliegen, nur in der Nähe ihres Sprengpunktes. Darin liegt die
Schwäche dieses Geschosses: es erfordert ein außerordentlich präzises Schießen,
eine Genauigkeit der Vevvachtuug und Bedienung, auf die man im Feldkriege
nicht mit Sicherheit rechnen kann.

Nach langen Versuchen erkannte man, daß es nicht möglich sei, auf diesem
Wege weiterzukommen, und man entschloß sich, den Gedanken eines Einheits-
geschtttzes fallen zu lassen. Neben der Feldkanone, deren Konstruktion in


Das neue Exerzierreglement für die Fußartillerie

schlechte Erfahrungen damit machte. In den Jahren nach dem Kriege gelang
es bald, die Zeitzünder so zu vervollkommnen, daß sie absolut sicher wirkten,
und damit kam ein neues Geschoß auf, das heute das Hanptkampfgeschvß der
Feldartillerie bildet, das Schrapnell.

Das Schrapnell besteht aus einer Stahlbüchse, die mit einer großen Zahl
kleiner Bleikugeln und einer Pulverladung gefüllt ist. Es wird mit Hilfe des
Brennzünders vor und oberhalb des Gegners zur Explosion gebracht und streut
nun eiuen Regen von Bleikugeln in den Gegner hinein. Das Schrapnell ist
also ein bis kurz vor dem Ziel zusammengehaltner Schrotschuß. Es ist leicht
einzusehen, daß die Flugbahnen der einzelnen Teile des in der Luft krepierten
Schrapnells in ihrer Gesamtheit einen gekrümmten Kegel bilden müssen, dessen
mittlere Linie mit der verlängerten Bahn des ganzen Geschosses zusammenfällt.
Der Winkel an der Spitze dieses Kegels hängt hauptsächlich von der Stärke der
Pulverladung innerhalb des Schrapnells ab. Wenn diese sehr groß ist, so werden
die Sprengteile weit auseinandergestreut, und die Treffwirkung gegen ein be¬
stimmtes Ziel, zum Beispiel ein feindliches Geschütz oder eine feindliche Infanterie¬
kolonne, ist geringer, als wenn die Sprengladung klein ist und die Teile in
einem spitzern Kegel gegen das Ziel geschlendert werden. So groß nun auch
die Wirkung eines solchen Schusses gegen Ziele von einer gewissen Höhe ist,
so genügt sie doch nicht gegen Ziele hinter Deckungen, und zwar um so weniger,
je rasanter die Geschoßbahn ist.

Um diesem Mangel abzuhelfen, konstruierte mau ein neues Geschoß, die
sogenannte Sprenggranate, ein stählernes Hohlgeschoß mit außerordentlich stark¬
wirkender Sprengladung und einem Dvppelzünder, der als Aufschlag und als
Brennzünder benutzt werden konnte. Wenn dieses Geschoß durch den Brenn¬
zünder zur Explosion gebracht wird, so wird es nach allen Seiten auseinander-
gerissen, und zwar infolge der starken Ladung in zahllose kleine Splitter, die
eine vernichtende Wirkung haben, und da sie teilweise senkrecht nach unten und
sogar nach rückwärts geschleudert werden, auch Ziele hinter Deckungen zu er¬
reichen vermögen, aber mir wenn das Geschoß in ihrer Nähe zur Explosion
kommt. Während ein Schrapnell seine Kugeln und Sprengteile auf einen zwar
nicht breiten aber tiefen Raum hinpeitscht, sodaß ein nicht zu großer Fehler
in der Entfernung gar nicht weiter schädlich ist, wenn nur dafür gesorgt wird,
daß die Sprengpnnkte immer vor dem Ziele liegen, wirkt eine Sprenggranate,
deren zahllose Sprengstücke nach allen Seiten, aber infolge ihrer Kleinheit nicht
sehr weit fliegen, nur in der Nähe ihres Sprengpunktes. Darin liegt die
Schwäche dieses Geschosses: es erfordert ein außerordentlich präzises Schießen,
eine Genauigkeit der Vevvachtuug und Bedienung, auf die man im Feldkriege
nicht mit Sicherheit rechnen kann.

Nach langen Versuchen erkannte man, daß es nicht möglich sei, auf diesem
Wege weiterzukommen, und man entschloß sich, den Gedanken eines Einheits-
geschtttzes fallen zu lassen. Neben der Feldkanone, deren Konstruktion in


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[0632] Das neue Exerzierreglement für die Fußartillerie schlechte Erfahrungen damit machte. In den Jahren nach dem Kriege gelang es bald, die Zeitzünder so zu vervollkommnen, daß sie absolut sicher wirkten, und damit kam ein neues Geschoß auf, das heute das Hanptkampfgeschvß der Feldartillerie bildet, das Schrapnell. Das Schrapnell besteht aus einer Stahlbüchse, die mit einer großen Zahl kleiner Bleikugeln und einer Pulverladung gefüllt ist. Es wird mit Hilfe des Brennzünders vor und oberhalb des Gegners zur Explosion gebracht und streut nun eiuen Regen von Bleikugeln in den Gegner hinein. Das Schrapnell ist also ein bis kurz vor dem Ziel zusammengehaltner Schrotschuß. Es ist leicht einzusehen, daß die Flugbahnen der einzelnen Teile des in der Luft krepierten Schrapnells in ihrer Gesamtheit einen gekrümmten Kegel bilden müssen, dessen mittlere Linie mit der verlängerten Bahn des ganzen Geschosses zusammenfällt. Der Winkel an der Spitze dieses Kegels hängt hauptsächlich von der Stärke der Pulverladung innerhalb des Schrapnells ab. Wenn diese sehr groß ist, so werden die Sprengteile weit auseinandergestreut, und die Treffwirkung gegen ein be¬ stimmtes Ziel, zum Beispiel ein feindliches Geschütz oder eine feindliche Infanterie¬ kolonne, ist geringer, als wenn die Sprengladung klein ist und die Teile in einem spitzern Kegel gegen das Ziel geschlendert werden. So groß nun auch die Wirkung eines solchen Schusses gegen Ziele von einer gewissen Höhe ist, so genügt sie doch nicht gegen Ziele hinter Deckungen, und zwar um so weniger, je rasanter die Geschoßbahn ist. Um diesem Mangel abzuhelfen, konstruierte mau ein neues Geschoß, die sogenannte Sprenggranate, ein stählernes Hohlgeschoß mit außerordentlich stark¬ wirkender Sprengladung und einem Dvppelzünder, der als Aufschlag und als Brennzünder benutzt werden konnte. Wenn dieses Geschoß durch den Brenn¬ zünder zur Explosion gebracht wird, so wird es nach allen Seiten auseinander- gerissen, und zwar infolge der starken Ladung in zahllose kleine Splitter, die eine vernichtende Wirkung haben, und da sie teilweise senkrecht nach unten und sogar nach rückwärts geschleudert werden, auch Ziele hinter Deckungen zu er¬ reichen vermögen, aber mir wenn das Geschoß in ihrer Nähe zur Explosion kommt. Während ein Schrapnell seine Kugeln und Sprengteile auf einen zwar nicht breiten aber tiefen Raum hinpeitscht, sodaß ein nicht zu großer Fehler in der Entfernung gar nicht weiter schädlich ist, wenn nur dafür gesorgt wird, daß die Sprengpnnkte immer vor dem Ziele liegen, wirkt eine Sprenggranate, deren zahllose Sprengstücke nach allen Seiten, aber infolge ihrer Kleinheit nicht sehr weit fliegen, nur in der Nähe ihres Sprengpunktes. Darin liegt die Schwäche dieses Geschosses: es erfordert ein außerordentlich präzises Schießen, eine Genauigkeit der Vevvachtuug und Bedienung, auf die man im Feldkriege nicht mit Sicherheit rechnen kann. Nach langen Versuchen erkannte man, daß es nicht möglich sei, auf diesem Wege weiterzukommen, und man entschloß sich, den Gedanken eines Einheits- geschtttzes fallen zu lassen. Neben der Feldkanone, deren Konstruktion in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/632>, abgerufen am 23.07.2024.