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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Gxerzierreglement für du- Fußartillerie

Die Fußartillerie als solche ist kurz nach dein Feldzuge von 1870/71
geschaffen worden. Man hatte damals erkannt, daß die Aufgaben der Artillerie
zu vielseitig waren, als daß sie von einer einheitlich ausgebildeten Truppe
hätten gelöst werden können. Man teilte deshalb die Artillerie in eine bespannte
Feldartillerie, die mit einem sehr beweglichen, aber doch für alle Aufgaben des
Feldkrieges ausreichenden Geschütz ausgerüstet wurde, und eine unbespmmte
Fußartillerie, deren Aufgabe die Bedienung der schweren Geschütze war, die zur
Verwendung im Festungskriege bestimmt waren. Diese Organisation und gegen¬
seitige Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche hat sich so lange durchaus bewährt,
als angenommen werden konnte, daß die Feldartillcrie allen Anforderungen
gewachsen sei, die der Feldkrieg an die Artillerie stellt. Zweifel daran tauchten
auf, als die Einführung der weittragenden Jnfanteriegewehre mit rauchschwachem
Pulver zu den bekannten großen Änderungen in der Taktik führte. Die ge-
schloßnen Jnfcmterieformationen, die früher in kurzen Abständen hinter wenig
gedeckten Schützenlinien zu folgen pflegten, die Artillerielinien, die in nahezu
offner Stellung die Höhen bekrönten, verschwanden mehr und mehr, und es
trat die vielbesprochnc "Leere" des Schlachtfeldes dafür ein. Man lernte die
Artillerie hinter den Höhen aufzustellen. Die Infanterie zerteilte sich schon auf
weiten Entfernungen in kleine Einheiten, die sich unter vorsichtigster Gelände-
ausuntzung an den Feind heranarbeiteten. Offres deckungsloses Gelände wurde
nach Möglichkeit vermieden, und wo es überschritten werden mußte, geschah
dies unter sorgsamer gegenseitiger Feuerunterstützung in kleinen Einheiten und
in raschen Sprünge". Auch lernte man allmählich den Spaten wieder schätzen,
der während des Feldzuges gegen Frankreich und nachher nicht in sehr hohem
Ansehn gestanden hatte. Hatten doch den Franzosen ihre Schützengräben bei
Wörth, Spichern, Se. Privat lind anderswo wenig genützt. Die verheerenden
Wirkungen des modernen Feuers zwangen aber dazu, alle Mittel anzuwenden,
die zur Verminderung der Verluste mithalfen. Der ostnsiatische Krieg hat gezeigt,
bis zu welcher raffinierter Vollendung eine geschickte, tapfere Truppe es in
der Ausnutzung dieser Hilfsmittel bringen kann.

Für die Feldartillerie ergab sich aus alledem eine neue vorher wenig
beachtete Aufgabe, nämlich die, den Feind hinter seinen Deckungen aufzusuchen
und zu bekämpfen. Dazu war sie mit ihrer damaligen Munition und ihrem
damaligen Geschütz kaum imstande.

Die Feldartillerie braucht ihrer Natur nach ein Flachbnhugeschütz, das
heißt ein Geschütz mit langem Rohr, das mit großer Pulverladung und hoher
Anfangsgeschwindigkeit das Geschoß in rasauter, das heißt möglichst flacher
und möglichst wagerechter Bahn schleudert. Das unmittelbare Gegenstück zur
Kanone -- mit diesem Worte im engern Sinne bezeichnet man Flachbahn¬
geschütze -- bildet der Mörser, der ein kurzes Rohr hat und mit einer im
Verhältnis zum Geschoßgewicht kleinen Pulverladung ein Geschoß in hohem
Bogen schleudert, sodaß dieses mit entsprechend steilem Einfallwinkel von oben


Das neue Gxerzierreglement für du- Fußartillerie

Die Fußartillerie als solche ist kurz nach dein Feldzuge von 1870/71
geschaffen worden. Man hatte damals erkannt, daß die Aufgaben der Artillerie
zu vielseitig waren, als daß sie von einer einheitlich ausgebildeten Truppe
hätten gelöst werden können. Man teilte deshalb die Artillerie in eine bespannte
Feldartillerie, die mit einem sehr beweglichen, aber doch für alle Aufgaben des
Feldkrieges ausreichenden Geschütz ausgerüstet wurde, und eine unbespmmte
Fußartillerie, deren Aufgabe die Bedienung der schweren Geschütze war, die zur
Verwendung im Festungskriege bestimmt waren. Diese Organisation und gegen¬
seitige Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche hat sich so lange durchaus bewährt,
als angenommen werden konnte, daß die Feldartillcrie allen Anforderungen
gewachsen sei, die der Feldkrieg an die Artillerie stellt. Zweifel daran tauchten
auf, als die Einführung der weittragenden Jnfanteriegewehre mit rauchschwachem
Pulver zu den bekannten großen Änderungen in der Taktik führte. Die ge-
schloßnen Jnfcmterieformationen, die früher in kurzen Abständen hinter wenig
gedeckten Schützenlinien zu folgen pflegten, die Artillerielinien, die in nahezu
offner Stellung die Höhen bekrönten, verschwanden mehr und mehr, und es
trat die vielbesprochnc „Leere" des Schlachtfeldes dafür ein. Man lernte die
Artillerie hinter den Höhen aufzustellen. Die Infanterie zerteilte sich schon auf
weiten Entfernungen in kleine Einheiten, die sich unter vorsichtigster Gelände-
ausuntzung an den Feind heranarbeiteten. Offres deckungsloses Gelände wurde
nach Möglichkeit vermieden, und wo es überschritten werden mußte, geschah
dies unter sorgsamer gegenseitiger Feuerunterstützung in kleinen Einheiten und
in raschen Sprünge». Auch lernte man allmählich den Spaten wieder schätzen,
der während des Feldzuges gegen Frankreich und nachher nicht in sehr hohem
Ansehn gestanden hatte. Hatten doch den Franzosen ihre Schützengräben bei
Wörth, Spichern, Se. Privat lind anderswo wenig genützt. Die verheerenden
Wirkungen des modernen Feuers zwangen aber dazu, alle Mittel anzuwenden,
die zur Verminderung der Verluste mithalfen. Der ostnsiatische Krieg hat gezeigt,
bis zu welcher raffinierter Vollendung eine geschickte, tapfere Truppe es in
der Ausnutzung dieser Hilfsmittel bringen kann.

Für die Feldartillerie ergab sich aus alledem eine neue vorher wenig
beachtete Aufgabe, nämlich die, den Feind hinter seinen Deckungen aufzusuchen
und zu bekämpfen. Dazu war sie mit ihrer damaligen Munition und ihrem
damaligen Geschütz kaum imstande.

Die Feldartillerie braucht ihrer Natur nach ein Flachbnhugeschütz, das
heißt ein Geschütz mit langem Rohr, das mit großer Pulverladung und hoher
Anfangsgeschwindigkeit das Geschoß in rasauter, das heißt möglichst flacher
und möglichst wagerechter Bahn schleudert. Das unmittelbare Gegenstück zur
Kanone — mit diesem Worte im engern Sinne bezeichnet man Flachbahn¬
geschütze — bildet der Mörser, der ein kurzes Rohr hat und mit einer im
Verhältnis zum Geschoßgewicht kleinen Pulverladung ein Geschoß in hohem
Bogen schleudert, sodaß dieses mit entsprechend steilem Einfallwinkel von oben


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[0630] Das neue Gxerzierreglement für du- Fußartillerie Die Fußartillerie als solche ist kurz nach dein Feldzuge von 1870/71 geschaffen worden. Man hatte damals erkannt, daß die Aufgaben der Artillerie zu vielseitig waren, als daß sie von einer einheitlich ausgebildeten Truppe hätten gelöst werden können. Man teilte deshalb die Artillerie in eine bespannte Feldartillerie, die mit einem sehr beweglichen, aber doch für alle Aufgaben des Feldkrieges ausreichenden Geschütz ausgerüstet wurde, und eine unbespmmte Fußartillerie, deren Aufgabe die Bedienung der schweren Geschütze war, die zur Verwendung im Festungskriege bestimmt waren. Diese Organisation und gegen¬ seitige Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche hat sich so lange durchaus bewährt, als angenommen werden konnte, daß die Feldartillcrie allen Anforderungen gewachsen sei, die der Feldkrieg an die Artillerie stellt. Zweifel daran tauchten auf, als die Einführung der weittragenden Jnfanteriegewehre mit rauchschwachem Pulver zu den bekannten großen Änderungen in der Taktik führte. Die ge- schloßnen Jnfcmterieformationen, die früher in kurzen Abständen hinter wenig gedeckten Schützenlinien zu folgen pflegten, die Artillerielinien, die in nahezu offner Stellung die Höhen bekrönten, verschwanden mehr und mehr, und es trat die vielbesprochnc „Leere" des Schlachtfeldes dafür ein. Man lernte die Artillerie hinter den Höhen aufzustellen. Die Infanterie zerteilte sich schon auf weiten Entfernungen in kleine Einheiten, die sich unter vorsichtigster Gelände- ausuntzung an den Feind heranarbeiteten. Offres deckungsloses Gelände wurde nach Möglichkeit vermieden, und wo es überschritten werden mußte, geschah dies unter sorgsamer gegenseitiger Feuerunterstützung in kleinen Einheiten und in raschen Sprünge». Auch lernte man allmählich den Spaten wieder schätzen, der während des Feldzuges gegen Frankreich und nachher nicht in sehr hohem Ansehn gestanden hatte. Hatten doch den Franzosen ihre Schützengräben bei Wörth, Spichern, Se. Privat lind anderswo wenig genützt. Die verheerenden Wirkungen des modernen Feuers zwangen aber dazu, alle Mittel anzuwenden, die zur Verminderung der Verluste mithalfen. Der ostnsiatische Krieg hat gezeigt, bis zu welcher raffinierter Vollendung eine geschickte, tapfere Truppe es in der Ausnutzung dieser Hilfsmittel bringen kann. Für die Feldartillerie ergab sich aus alledem eine neue vorher wenig beachtete Aufgabe, nämlich die, den Feind hinter seinen Deckungen aufzusuchen und zu bekämpfen. Dazu war sie mit ihrer damaligen Munition und ihrem damaligen Geschütz kaum imstande. Die Feldartillerie braucht ihrer Natur nach ein Flachbnhugeschütz, das heißt ein Geschütz mit langem Rohr, das mit großer Pulverladung und hoher Anfangsgeschwindigkeit das Geschoß in rasauter, das heißt möglichst flacher und möglichst wagerechter Bahn schleudert. Das unmittelbare Gegenstück zur Kanone — mit diesem Worte im engern Sinne bezeichnet man Flachbahn¬ geschütze — bildet der Mörser, der ein kurzes Rohr hat und mit einer im Verhältnis zum Geschoßgewicht kleinen Pulverladung ein Geschoß in hohem Bogen schleudert, sodaß dieses mit entsprechend steilem Einfallwinkel von oben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/630>, abgerufen am 23.07.2024.