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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm der Erste als Schriftsteller

Recht, danach zu fragen und sich zu überzeugen, wie der so Bevorzugte die ihm
gewordne Begünstigung benutzt hat. Das alles ist aber auf der Universität nicht
möglich, da wir annehmen müssen, daß der Lehrstuhl für Kriegswissenschaften gerade
deshalb dort beliebt wird, um die mit der Art des Universitätsunterrichtes ver-
bundnen Eigentümlichkeiten auch den Offizieren zuteil werden zu lassen. Wollte
man aber Einrichtungen treffen, welche diese Eigentümlichkeiten zu beseitigen be¬
stimmt wären, so würden diese nicht allein der bisherigen akademischen Praxis ent¬
gegenstehen, sondern man würde auch vollends nicht begreifen, weshalb man dann
die bestehenden höhern Militärlehranstalten aufgeben soll? Sonach erscheint der
Paragraph 66 einer Theorie zuliebe entstanden zu sein, und bei Streichung des¬
selben ist auf die praktische Seite Rücksicht genommen worden.

Der Artikel 12 des Entwurfs hat sich mit Disziplin und Rechtspflege
beschäftigt. Der Entwurf hatte bestimmt, daß die Militärgerichte im Frieden
nur über Dienstvergehen und Dienstverbrechen zu erkennen haben, für gemeine
Verbrechen und Vergehen sollten aber im Frieden die gewöhnlichen Gerichte
zuständig sein. Und ferner wollten sie den Militärgerichten Geschworne bei¬
fügen. Des weitern hatte der Entwurf in Paragraph 70 einfach und kate¬
gorisch bestimmt: "Die Ehrengerichte sind abzuschaffen." Fast noch lakonischer
wirkt die Bemerkung des Prinzen dazu: "Ganz zu streichen." Die Motive,
die ihn veranlaßten, sowohl gegen die Übertragung der Ahndung gemeiner
Vergehen und Verbrechen an die gewöhnlichen Gerichte sowie die Hinzu¬
ziehung von Geschwornen abzulehnen, hat er in folgenden Sätzen niedergelegt:

Auch hier glauben wir eine den Zeittheorien gemachte Konzession zu erkennen,
da die Motive sich auf die einfache Äußerung beschränken: "Die hier vorgeschlagnen
Bestimmungen möchten sich Wohl von selbst rechtfertigen, ohne daß es deren weiterer
Motivierung bedarf." Wir sind keineswegs dieser Ansicht, weil wir die große
Schwierigkeit nicht verkennen, welche in der Auffindung eines bestimmten Unter¬
schiedes zwischen Dienstvergehen und Verbrechen mit gemeinen Vergehen und Ver¬
brechen besteht. Wie oft greifen beide ineinander oder kumulieren sich! Wie oft
würde also eine doppelte Prozedur nötig sein und dadurch eine unerwünschte Ver¬
schleppung der Untersuchung veranlaßt werden. Ist nun aber der Geschäftsgang
bei Zivilgerichten langsamer überhaupt, als militärische Verhältnisse zulassen, gibt
es bei der Beurteilung gemeiner Verbrechen im Kriegerstande Rücksichten, welche
auf die Eigentümlichkeit des Standes genommen werden müssen, kann die Disziplin,
welche ein Zivilgericht weder anzuerkennen noch zu beachten hat, darunter leiden, so
müssen wir bei dem Grundsätze stehen bleiben, daß den Militärgerichten in Krieg
und Frieden die volle Strafgewalt erhalten bleibe, wenn man nicht einen der
festesten Grundsteine aus dem Heerwesen verlieren will.

Obgleich wir fürchten, daß in vielen Fällen die Öffentlichkeit und Münd¬
lichkeit der Militärgerichtsverhandlungen nicht günstig auf die Erhaltung der Di¬
sziplin wirken wird und ein Terrorisieren der Richter durch die Zuhörer nicht außer
aller Berechnung liegen sollte, so wollen wir doch nichts dagegen erinnern. Da¬
gegen müssen wir uns gegen die Einführung von Geschwornen erklären, insofern
ihnen das Recht zustehen soll, von der Anklage ohne höhere Bestätigung freizu¬
sprechen. Ein solches Recht würde gegen alle bisher anerkannten Grundsätze der
militärischen Hierarchie verstoßen. Nur der Kriegsherr darf zugleich der oberste
Richter sein, und nur er kann in einzelnen Fällen dies Recht höhern Befehls-


Kaiser Wilhelm der Erste als Schriftsteller

Recht, danach zu fragen und sich zu überzeugen, wie der so Bevorzugte die ihm
gewordne Begünstigung benutzt hat. Das alles ist aber auf der Universität nicht
möglich, da wir annehmen müssen, daß der Lehrstuhl für Kriegswissenschaften gerade
deshalb dort beliebt wird, um die mit der Art des Universitätsunterrichtes ver-
bundnen Eigentümlichkeiten auch den Offizieren zuteil werden zu lassen. Wollte
man aber Einrichtungen treffen, welche diese Eigentümlichkeiten zu beseitigen be¬
stimmt wären, so würden diese nicht allein der bisherigen akademischen Praxis ent¬
gegenstehen, sondern man würde auch vollends nicht begreifen, weshalb man dann
die bestehenden höhern Militärlehranstalten aufgeben soll? Sonach erscheint der
Paragraph 66 einer Theorie zuliebe entstanden zu sein, und bei Streichung des¬
selben ist auf die praktische Seite Rücksicht genommen worden.

Der Artikel 12 des Entwurfs hat sich mit Disziplin und Rechtspflege
beschäftigt. Der Entwurf hatte bestimmt, daß die Militärgerichte im Frieden
nur über Dienstvergehen und Dienstverbrechen zu erkennen haben, für gemeine
Verbrechen und Vergehen sollten aber im Frieden die gewöhnlichen Gerichte
zuständig sein. Und ferner wollten sie den Militärgerichten Geschworne bei¬
fügen. Des weitern hatte der Entwurf in Paragraph 70 einfach und kate¬
gorisch bestimmt: „Die Ehrengerichte sind abzuschaffen." Fast noch lakonischer
wirkt die Bemerkung des Prinzen dazu: „Ganz zu streichen." Die Motive,
die ihn veranlaßten, sowohl gegen die Übertragung der Ahndung gemeiner
Vergehen und Verbrechen an die gewöhnlichen Gerichte sowie die Hinzu¬
ziehung von Geschwornen abzulehnen, hat er in folgenden Sätzen niedergelegt:

Auch hier glauben wir eine den Zeittheorien gemachte Konzession zu erkennen,
da die Motive sich auf die einfache Äußerung beschränken: „Die hier vorgeschlagnen
Bestimmungen möchten sich Wohl von selbst rechtfertigen, ohne daß es deren weiterer
Motivierung bedarf." Wir sind keineswegs dieser Ansicht, weil wir die große
Schwierigkeit nicht verkennen, welche in der Auffindung eines bestimmten Unter¬
schiedes zwischen Dienstvergehen und Verbrechen mit gemeinen Vergehen und Ver¬
brechen besteht. Wie oft greifen beide ineinander oder kumulieren sich! Wie oft
würde also eine doppelte Prozedur nötig sein und dadurch eine unerwünschte Ver¬
schleppung der Untersuchung veranlaßt werden. Ist nun aber der Geschäftsgang
bei Zivilgerichten langsamer überhaupt, als militärische Verhältnisse zulassen, gibt
es bei der Beurteilung gemeiner Verbrechen im Kriegerstande Rücksichten, welche
auf die Eigentümlichkeit des Standes genommen werden müssen, kann die Disziplin,
welche ein Zivilgericht weder anzuerkennen noch zu beachten hat, darunter leiden, so
müssen wir bei dem Grundsätze stehen bleiben, daß den Militärgerichten in Krieg
und Frieden die volle Strafgewalt erhalten bleibe, wenn man nicht einen der
festesten Grundsteine aus dem Heerwesen verlieren will.

Obgleich wir fürchten, daß in vielen Fällen die Öffentlichkeit und Münd¬
lichkeit der Militärgerichtsverhandlungen nicht günstig auf die Erhaltung der Di¬
sziplin wirken wird und ein Terrorisieren der Richter durch die Zuhörer nicht außer
aller Berechnung liegen sollte, so wollen wir doch nichts dagegen erinnern. Da¬
gegen müssen wir uns gegen die Einführung von Geschwornen erklären, insofern
ihnen das Recht zustehen soll, von der Anklage ohne höhere Bestätigung freizu¬
sprechen. Ein solches Recht würde gegen alle bisher anerkannten Grundsätze der
militärischen Hierarchie verstoßen. Nur der Kriegsherr darf zugleich der oberste
Richter sein, und nur er kann in einzelnen Fällen dies Recht höhern Befehls-


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[0604] Kaiser Wilhelm der Erste als Schriftsteller Recht, danach zu fragen und sich zu überzeugen, wie der so Bevorzugte die ihm gewordne Begünstigung benutzt hat. Das alles ist aber auf der Universität nicht möglich, da wir annehmen müssen, daß der Lehrstuhl für Kriegswissenschaften gerade deshalb dort beliebt wird, um die mit der Art des Universitätsunterrichtes ver- bundnen Eigentümlichkeiten auch den Offizieren zuteil werden zu lassen. Wollte man aber Einrichtungen treffen, welche diese Eigentümlichkeiten zu beseitigen be¬ stimmt wären, so würden diese nicht allein der bisherigen akademischen Praxis ent¬ gegenstehen, sondern man würde auch vollends nicht begreifen, weshalb man dann die bestehenden höhern Militärlehranstalten aufgeben soll? Sonach erscheint der Paragraph 66 einer Theorie zuliebe entstanden zu sein, und bei Streichung des¬ selben ist auf die praktische Seite Rücksicht genommen worden. Der Artikel 12 des Entwurfs hat sich mit Disziplin und Rechtspflege beschäftigt. Der Entwurf hatte bestimmt, daß die Militärgerichte im Frieden nur über Dienstvergehen und Dienstverbrechen zu erkennen haben, für gemeine Verbrechen und Vergehen sollten aber im Frieden die gewöhnlichen Gerichte zuständig sein. Und ferner wollten sie den Militärgerichten Geschworne bei¬ fügen. Des weitern hatte der Entwurf in Paragraph 70 einfach und kate¬ gorisch bestimmt: „Die Ehrengerichte sind abzuschaffen." Fast noch lakonischer wirkt die Bemerkung des Prinzen dazu: „Ganz zu streichen." Die Motive, die ihn veranlaßten, sowohl gegen die Übertragung der Ahndung gemeiner Vergehen und Verbrechen an die gewöhnlichen Gerichte sowie die Hinzu¬ ziehung von Geschwornen abzulehnen, hat er in folgenden Sätzen niedergelegt: Auch hier glauben wir eine den Zeittheorien gemachte Konzession zu erkennen, da die Motive sich auf die einfache Äußerung beschränken: „Die hier vorgeschlagnen Bestimmungen möchten sich Wohl von selbst rechtfertigen, ohne daß es deren weiterer Motivierung bedarf." Wir sind keineswegs dieser Ansicht, weil wir die große Schwierigkeit nicht verkennen, welche in der Auffindung eines bestimmten Unter¬ schiedes zwischen Dienstvergehen und Verbrechen mit gemeinen Vergehen und Ver¬ brechen besteht. Wie oft greifen beide ineinander oder kumulieren sich! Wie oft würde also eine doppelte Prozedur nötig sein und dadurch eine unerwünschte Ver¬ schleppung der Untersuchung veranlaßt werden. Ist nun aber der Geschäftsgang bei Zivilgerichten langsamer überhaupt, als militärische Verhältnisse zulassen, gibt es bei der Beurteilung gemeiner Verbrechen im Kriegerstande Rücksichten, welche auf die Eigentümlichkeit des Standes genommen werden müssen, kann die Disziplin, welche ein Zivilgericht weder anzuerkennen noch zu beachten hat, darunter leiden, so müssen wir bei dem Grundsätze stehen bleiben, daß den Militärgerichten in Krieg und Frieden die volle Strafgewalt erhalten bleibe, wenn man nicht einen der festesten Grundsteine aus dem Heerwesen verlieren will. Obgleich wir fürchten, daß in vielen Fällen die Öffentlichkeit und Münd¬ lichkeit der Militärgerichtsverhandlungen nicht günstig auf die Erhaltung der Di¬ sziplin wirken wird und ein Terrorisieren der Richter durch die Zuhörer nicht außer aller Berechnung liegen sollte, so wollen wir doch nichts dagegen erinnern. Da¬ gegen müssen wir uns gegen die Einführung von Geschwornen erklären, insofern ihnen das Recht zustehen soll, von der Anklage ohne höhere Bestätigung freizu¬ sprechen. Ein solches Recht würde gegen alle bisher anerkannten Grundsätze der militärischen Hierarchie verstoßen. Nur der Kriegsherr darf zugleich der oberste Richter sein, und nur er kann in einzelnen Fällen dies Recht höhern Befehls-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/604>, abgerufen am 12.12.2024.