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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das allslawische Problem Und der deutsche Nationalstaat

Magnaten in Krakau und Wien in Kulturangelegenheiten bekämpften, die
Leitung der großpolnischen Angelegenheiten ihnen aber nicht ohne gewissen
Takt überließen.

Für die großpolnische Sache war die Stellung der Polen im öster¬
reichischen Rcichsrat so günstig wie nur möglich. Konnte doch in ein und
derselben Sitzung der Minister polnischer Nationalität für die deutschland¬
feindliche Politik des Reichs sprechen, während der polnische Abgeordnete gleich
darauf gegen sie auftrat. Auf der andern Seite konnte die polnische Sprachen¬
frage dem Forum des Reichsrath entzogen und ausschließlich im Landtag zu
Lemberg behandelt werden. In Lemberg erwiesen sich aber die Stanczyken
als Reaktionäre und betrachteten getreu der Geschichte ihrer Vorfahren die
Bildung als ein Prärogativ der Besitzenden. Dadurch gerieten sie nicht nur
in Gegensatz zu den Ruthenen, sondern auch zu ihren eignen demokratischen
Stammesbrüdern. Die Tschechen ihrerseits erhielten zwanzig Jahre später als
die Polen ebenfalls einen Landsmannminister und durch ihn Einfluß auf die
Zentralregierung.

Die polnischen und tschechischen Demokraten konnten sich alsdann in dem
gemeinsamen Bestreben nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten
und geheimen Wahlrechts finden. Ihm gesellte sich der Wunsch bei, die wirt¬
schaftliche Konkurrenz der Deutschen niederzuwerfen. Die also verbündeten
Westslawcn haben dieses Ziel im Jahre 1906 erreicht, unterstützt von den
Südslawen, deren politische Aufrüttlung sich die Tschechen angelegen sein ließen.

Die Slawisierung Österreichs hat somit wenigstens in der innern Politik
im Laufe der letzten Jahrzehnte ganz außerordentlich große Fortschritte gemacht.
Vollendet aber -- wenigstens in politischer Beziehung -- kann sie nur werden:
entweder durch die Beseitigung der konservativ-klerikalen Magnaten auf dem
Wege sozialer Revolution oder durch Übertritt der Magnaten auf die Seite
der einzelnen slawischen Nationalitäten. Mancher in Böhmen wohnende Edel¬
mann mit deutschem Namen hat schon sein tschechisches Herz erkannt, und mancher
dürfte noch zu dieser Erkenntnis kommen, wenn es dem Deutschtum nicht ge¬
lingen sollte, seinen alten Einfluß wieder zu gewinnen. Damit aber würden
die nach altem Herkommen zu Beratern der Krone gewählten Männer nicht
nur als Vertreter der deutschen Sache ans der innern Politik ausscheiden,
sondern auch aus der äußern. Ich sehe diese Möglichkeit als wahrscheinlich
"n. da es mir ausgeschlossen erscheint, daß der weitern Demokratisierung der
Politik in Österreich, das ist gleichbedeutend mit Slawisierung. anders als
durch Staatsstreich und Blutvergießen ein Halt geboten werden könnte.




Wer das Volksempfinden als den letzten und mächtigsten Pfeiler Pott¬
aschen Lebens anerkennt, wird auch ohne weiteres damit einverstanden sein,
^cum ich die in Nußland und Österreich angebahnte Jdeencntwicklung als


Das allslawische Problem Und der deutsche Nationalstaat

Magnaten in Krakau und Wien in Kulturangelegenheiten bekämpften, die
Leitung der großpolnischen Angelegenheiten ihnen aber nicht ohne gewissen
Takt überließen.

Für die großpolnische Sache war die Stellung der Polen im öster¬
reichischen Rcichsrat so günstig wie nur möglich. Konnte doch in ein und
derselben Sitzung der Minister polnischer Nationalität für die deutschland¬
feindliche Politik des Reichs sprechen, während der polnische Abgeordnete gleich
darauf gegen sie auftrat. Auf der andern Seite konnte die polnische Sprachen¬
frage dem Forum des Reichsrath entzogen und ausschließlich im Landtag zu
Lemberg behandelt werden. In Lemberg erwiesen sich aber die Stanczyken
als Reaktionäre und betrachteten getreu der Geschichte ihrer Vorfahren die
Bildung als ein Prärogativ der Besitzenden. Dadurch gerieten sie nicht nur
in Gegensatz zu den Ruthenen, sondern auch zu ihren eignen demokratischen
Stammesbrüdern. Die Tschechen ihrerseits erhielten zwanzig Jahre später als
die Polen ebenfalls einen Landsmannminister und durch ihn Einfluß auf die
Zentralregierung.

Die polnischen und tschechischen Demokraten konnten sich alsdann in dem
gemeinsamen Bestreben nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten
und geheimen Wahlrechts finden. Ihm gesellte sich der Wunsch bei, die wirt¬
schaftliche Konkurrenz der Deutschen niederzuwerfen. Die also verbündeten
Westslawcn haben dieses Ziel im Jahre 1906 erreicht, unterstützt von den
Südslawen, deren politische Aufrüttlung sich die Tschechen angelegen sein ließen.

Die Slawisierung Österreichs hat somit wenigstens in der innern Politik
im Laufe der letzten Jahrzehnte ganz außerordentlich große Fortschritte gemacht.
Vollendet aber — wenigstens in politischer Beziehung — kann sie nur werden:
entweder durch die Beseitigung der konservativ-klerikalen Magnaten auf dem
Wege sozialer Revolution oder durch Übertritt der Magnaten auf die Seite
der einzelnen slawischen Nationalitäten. Mancher in Böhmen wohnende Edel¬
mann mit deutschem Namen hat schon sein tschechisches Herz erkannt, und mancher
dürfte noch zu dieser Erkenntnis kommen, wenn es dem Deutschtum nicht ge¬
lingen sollte, seinen alten Einfluß wieder zu gewinnen. Damit aber würden
die nach altem Herkommen zu Beratern der Krone gewählten Männer nicht
nur als Vertreter der deutschen Sache ans der innern Politik ausscheiden,
sondern auch aus der äußern. Ich sehe diese Möglichkeit als wahrscheinlich
"n. da es mir ausgeschlossen erscheint, daß der weitern Demokratisierung der
Politik in Österreich, das ist gleichbedeutend mit Slawisierung. anders als
durch Staatsstreich und Blutvergießen ein Halt geboten werden könnte.




Wer das Volksempfinden als den letzten und mächtigsten Pfeiler Pott¬
aschen Lebens anerkennt, wird auch ohne weiteres damit einverstanden sein,
^cum ich die in Nußland und Österreich angebahnte Jdeencntwicklung als


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[0591] Das allslawische Problem Und der deutsche Nationalstaat Magnaten in Krakau und Wien in Kulturangelegenheiten bekämpften, die Leitung der großpolnischen Angelegenheiten ihnen aber nicht ohne gewissen Takt überließen. Für die großpolnische Sache war die Stellung der Polen im öster¬ reichischen Rcichsrat so günstig wie nur möglich. Konnte doch in ein und derselben Sitzung der Minister polnischer Nationalität für die deutschland¬ feindliche Politik des Reichs sprechen, während der polnische Abgeordnete gleich darauf gegen sie auftrat. Auf der andern Seite konnte die polnische Sprachen¬ frage dem Forum des Reichsrath entzogen und ausschließlich im Landtag zu Lemberg behandelt werden. In Lemberg erwiesen sich aber die Stanczyken als Reaktionäre und betrachteten getreu der Geschichte ihrer Vorfahren die Bildung als ein Prärogativ der Besitzenden. Dadurch gerieten sie nicht nur in Gegensatz zu den Ruthenen, sondern auch zu ihren eignen demokratischen Stammesbrüdern. Die Tschechen ihrerseits erhielten zwanzig Jahre später als die Polen ebenfalls einen Landsmannminister und durch ihn Einfluß auf die Zentralregierung. Die polnischen und tschechischen Demokraten konnten sich alsdann in dem gemeinsamen Bestreben nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts finden. Ihm gesellte sich der Wunsch bei, die wirt¬ schaftliche Konkurrenz der Deutschen niederzuwerfen. Die also verbündeten Westslawcn haben dieses Ziel im Jahre 1906 erreicht, unterstützt von den Südslawen, deren politische Aufrüttlung sich die Tschechen angelegen sein ließen. Die Slawisierung Österreichs hat somit wenigstens in der innern Politik im Laufe der letzten Jahrzehnte ganz außerordentlich große Fortschritte gemacht. Vollendet aber — wenigstens in politischer Beziehung — kann sie nur werden: entweder durch die Beseitigung der konservativ-klerikalen Magnaten auf dem Wege sozialer Revolution oder durch Übertritt der Magnaten auf die Seite der einzelnen slawischen Nationalitäten. Mancher in Böhmen wohnende Edel¬ mann mit deutschem Namen hat schon sein tschechisches Herz erkannt, und mancher dürfte noch zu dieser Erkenntnis kommen, wenn es dem Deutschtum nicht ge¬ lingen sollte, seinen alten Einfluß wieder zu gewinnen. Damit aber würden die nach altem Herkommen zu Beratern der Krone gewählten Männer nicht nur als Vertreter der deutschen Sache ans der innern Politik ausscheiden, sondern auch aus der äußern. Ich sehe diese Möglichkeit als wahrscheinlich "n. da es mir ausgeschlossen erscheint, daß der weitern Demokratisierung der Politik in Österreich, das ist gleichbedeutend mit Slawisierung. anders als durch Staatsstreich und Blutvergießen ein Halt geboten werden könnte. Wer das Volksempfinden als den letzten und mächtigsten Pfeiler Pott¬ aschen Lebens anerkennt, wird auch ohne weiteres damit einverstanden sein, ^cum ich die in Nußland und Österreich angebahnte Jdeencntwicklung als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/591>, abgerufen am 03.07.2024.