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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Im April 1870 feierten sie ihren ersten großen Sieg in der allgemeinen
Politik Österreichs durch die Berufung eines besondern galizischen Ministers in
das Wiener Kabinett. Seit 1370 ist also der polnische Einfluß auf das Kabinett
mindestens durch ein polnisches Mitglied gesichert. In Wirklichkeit gibt es, glaube
ich. seit vierzig Jahren kein österreichisches Kabinett, dem nicht mindestens zwei
Polen angehörten, wenn wir das gegenwärtige nicht rechnen. Unter diesen
Bedingungen kann es kaum auffallen, daß es schon im Jahre 1872 den Polen
gelungen war, "das deutsche Element in den Städten Galiziens fast völlig zu
verdrängen oder zu polonisieren" (Kölner II, Seite 163).*) Die Polen haben
durch das Mißlingen des letzten Aufstandes gelernt, sich in ihrer politischen
Beendigung weise Müßigung aufzuerlegen. Die oft und arg gescholtene Partei
der Stanczyken hat sich in dieser Beziehung unbedingt große Verdienste um
die Nation erworben.

Die sich tatsächlich vollziehende Stärkung der polnischen Position in
Österreich ist aber dann vor allen Dingen durch den Egoismus der deutschen
Magnaten möglich geworden. Die deutschen Magnaten haben ihre kulturelle
und politische Mission in Österreich durchaus verkannt. Sie sahen ihr Interesse
nicht in einem Zusammengehn mit den mittlern und den untern Schichten des
Deutschtums, sondern in einem solchen mit den klerikalen Magnaten aller
Nationen. Sie waren unter dem Deckmantel des Österreichertums international
wie die Führer der Sozialdemokraten.

In der Ära Taaffe von 1879 bis 1893 sollten die natürlichen Folgen
jener selbstsüchtigen Politik ausreifen und zu ihrem Recht kommen. Der einstige
deutsche Bundesstaat, der auf dem Frankfurter Fürstentag im Jahre 1863 noch
die Vorherrschaft unter den deutschen Staaten verlangte, aber schon 1866 durch
den Prager Frieden ausgeschlossen war und sich durch den Dualismus zu dem
österreichisch-ungarischen Staatenbund umgestaltet hatte, sollte nun in der
zisleithanischen Hälfte zu einem Polyglotten, föderativ geeinigten Staatenbund
der Königreiche und Länder umgewandelt werde", worin sich das zahlenmäßige
Übergewicht der slawischen Stämme selbst zur Geltung bringen konnte.

Die Dezemberverfassung, die auf Österreich als auf einem deutschen Staate
fußte, hielt dem nationalen Ansturm nicht stand, und unter ihren Trümmern,
meint Kölner nicht mit Unrecht, wurden nicht nur die Grundfesten der bürger¬
lichen Freiheit, sondern auch die deutsche Vergangenheit Österreichs verschüttet.
Die Slawisierung Österreichs setzte mächtig ein. Die Verdrängung der deutschen
Elemente aus der Beamtenschaft, der Kampf gegen die deutsche Sprache in
allen Ländern der Krone Habsburg, die Boykottbewegung gegen die Erzeugnisse
deutschen Fleißes sind die äußern Anzeichen dafür.

Durch die Koalition der deutsch-klerikalen mit den slawisch-nationalen
Elementen wurde die deutsche Opposition gelähmt, deren durch die Geschichte



Vergleiche meinen Aufsatz Deutsch-slawische Beziehungen in Ur. 1 der Grenzboten vonIs09, S. I3ff.

Im April 1870 feierten sie ihren ersten großen Sieg in der allgemeinen
Politik Österreichs durch die Berufung eines besondern galizischen Ministers in
das Wiener Kabinett. Seit 1370 ist also der polnische Einfluß auf das Kabinett
mindestens durch ein polnisches Mitglied gesichert. In Wirklichkeit gibt es, glaube
ich. seit vierzig Jahren kein österreichisches Kabinett, dem nicht mindestens zwei
Polen angehörten, wenn wir das gegenwärtige nicht rechnen. Unter diesen
Bedingungen kann es kaum auffallen, daß es schon im Jahre 1872 den Polen
gelungen war, „das deutsche Element in den Städten Galiziens fast völlig zu
verdrängen oder zu polonisieren" (Kölner II, Seite 163).*) Die Polen haben
durch das Mißlingen des letzten Aufstandes gelernt, sich in ihrer politischen
Beendigung weise Müßigung aufzuerlegen. Die oft und arg gescholtene Partei
der Stanczyken hat sich in dieser Beziehung unbedingt große Verdienste um
die Nation erworben.

Die sich tatsächlich vollziehende Stärkung der polnischen Position in
Österreich ist aber dann vor allen Dingen durch den Egoismus der deutschen
Magnaten möglich geworden. Die deutschen Magnaten haben ihre kulturelle
und politische Mission in Österreich durchaus verkannt. Sie sahen ihr Interesse
nicht in einem Zusammengehn mit den mittlern und den untern Schichten des
Deutschtums, sondern in einem solchen mit den klerikalen Magnaten aller
Nationen. Sie waren unter dem Deckmantel des Österreichertums international
wie die Führer der Sozialdemokraten.

In der Ära Taaffe von 1879 bis 1893 sollten die natürlichen Folgen
jener selbstsüchtigen Politik ausreifen und zu ihrem Recht kommen. Der einstige
deutsche Bundesstaat, der auf dem Frankfurter Fürstentag im Jahre 1863 noch
die Vorherrschaft unter den deutschen Staaten verlangte, aber schon 1866 durch
den Prager Frieden ausgeschlossen war und sich durch den Dualismus zu dem
österreichisch-ungarischen Staatenbund umgestaltet hatte, sollte nun in der
zisleithanischen Hälfte zu einem Polyglotten, föderativ geeinigten Staatenbund
der Königreiche und Länder umgewandelt werde«, worin sich das zahlenmäßige
Übergewicht der slawischen Stämme selbst zur Geltung bringen konnte.

Die Dezemberverfassung, die auf Österreich als auf einem deutschen Staate
fußte, hielt dem nationalen Ansturm nicht stand, und unter ihren Trümmern,
meint Kölner nicht mit Unrecht, wurden nicht nur die Grundfesten der bürger¬
lichen Freiheit, sondern auch die deutsche Vergangenheit Österreichs verschüttet.
Die Slawisierung Österreichs setzte mächtig ein. Die Verdrängung der deutschen
Elemente aus der Beamtenschaft, der Kampf gegen die deutsche Sprache in
allen Ländern der Krone Habsburg, die Boykottbewegung gegen die Erzeugnisse
deutschen Fleißes sind die äußern Anzeichen dafür.

Durch die Koalition der deutsch-klerikalen mit den slawisch-nationalen
Elementen wurde die deutsche Opposition gelähmt, deren durch die Geschichte



Vergleiche meinen Aufsatz Deutsch-slawische Beziehungen in Ur. 1 der Grenzboten vonIs09, S. I3ff.
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[0589] Im April 1870 feierten sie ihren ersten großen Sieg in der allgemeinen Politik Österreichs durch die Berufung eines besondern galizischen Ministers in das Wiener Kabinett. Seit 1370 ist also der polnische Einfluß auf das Kabinett mindestens durch ein polnisches Mitglied gesichert. In Wirklichkeit gibt es, glaube ich. seit vierzig Jahren kein österreichisches Kabinett, dem nicht mindestens zwei Polen angehörten, wenn wir das gegenwärtige nicht rechnen. Unter diesen Bedingungen kann es kaum auffallen, daß es schon im Jahre 1872 den Polen gelungen war, „das deutsche Element in den Städten Galiziens fast völlig zu verdrängen oder zu polonisieren" (Kölner II, Seite 163).*) Die Polen haben durch das Mißlingen des letzten Aufstandes gelernt, sich in ihrer politischen Beendigung weise Müßigung aufzuerlegen. Die oft und arg gescholtene Partei der Stanczyken hat sich in dieser Beziehung unbedingt große Verdienste um die Nation erworben. Die sich tatsächlich vollziehende Stärkung der polnischen Position in Österreich ist aber dann vor allen Dingen durch den Egoismus der deutschen Magnaten möglich geworden. Die deutschen Magnaten haben ihre kulturelle und politische Mission in Österreich durchaus verkannt. Sie sahen ihr Interesse nicht in einem Zusammengehn mit den mittlern und den untern Schichten des Deutschtums, sondern in einem solchen mit den klerikalen Magnaten aller Nationen. Sie waren unter dem Deckmantel des Österreichertums international wie die Führer der Sozialdemokraten. In der Ära Taaffe von 1879 bis 1893 sollten die natürlichen Folgen jener selbstsüchtigen Politik ausreifen und zu ihrem Recht kommen. Der einstige deutsche Bundesstaat, der auf dem Frankfurter Fürstentag im Jahre 1863 noch die Vorherrschaft unter den deutschen Staaten verlangte, aber schon 1866 durch den Prager Frieden ausgeschlossen war und sich durch den Dualismus zu dem österreichisch-ungarischen Staatenbund umgestaltet hatte, sollte nun in der zisleithanischen Hälfte zu einem Polyglotten, föderativ geeinigten Staatenbund der Königreiche und Länder umgewandelt werde«, worin sich das zahlenmäßige Übergewicht der slawischen Stämme selbst zur Geltung bringen konnte. Die Dezemberverfassung, die auf Österreich als auf einem deutschen Staate fußte, hielt dem nationalen Ansturm nicht stand, und unter ihren Trümmern, meint Kölner nicht mit Unrecht, wurden nicht nur die Grundfesten der bürger¬ lichen Freiheit, sondern auch die deutsche Vergangenheit Österreichs verschüttet. Die Slawisierung Österreichs setzte mächtig ein. Die Verdrängung der deutschen Elemente aus der Beamtenschaft, der Kampf gegen die deutsche Sprache in allen Ländern der Krone Habsburg, die Boykottbewegung gegen die Erzeugnisse deutschen Fleißes sind die äußern Anzeichen dafür. Durch die Koalition der deutsch-klerikalen mit den slawisch-nationalen Elementen wurde die deutsche Opposition gelähmt, deren durch die Geschichte Vergleiche meinen Aufsatz Deutsch-slawische Beziehungen in Ur. 1 der Grenzboten vonIs09, S. I3ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/589>, abgerufen am 23.07.2024.