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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der parnassus in Neustedel

Überssetzen Ssie, Seidelbast.

Seidelbast übersetzte: Geniale Künste gelernt zu haben.

Sseidelbast, Ssie ssind ein geniales Kamel. Edle Künste gelernt zu haben,
einheimische Künste, nicht fremde, minderwertige Ware aus Paris! Edle Künste
zu verstehn macht aus Barbaren gebildete Menschen. Meinen Sie, Bherlitz -- der
Professor verhandelte, wenn er seine Klasse anredete, immer mit dem Ersten, wie
wenn dieser, ähnlich wie im englischen Parlamente, der Sprecher der Versammlung
gewesen wäre --, meinen Ssie, Bherlitz, daß unser Theater eine Stätte inAsnuarura
MriuiQ sein werde?

Nein, Herr Professor.

^ Ssehen Ssie. Was wird man uns vorsetzen? Kadelburg, Moser, Suder¬
mann, Ibsen, Shaw. Pfui Teufel! Was wird man bringen? Operetten, Posten,
Ehebruchsgeschichten, günstigenfalls Alt-Heidelberg und das Weiße Rössel. Ist das
ein Theater? ist das eine Sache, der man ohne Reue ein paar Stunden opfern
kann? Das rechte Theater soll der Ort sein, wo die Stimme der Gottheit ver¬
nommen wird, wo die Schritte des Schicksals hallen, wo die eindringliche Klage
des Leids ertönt, wo das Herz erbebt vor dem Gewaltigen, Unabwendbaren.
Äschylus, Sophokles, ich lasse mir noch Shakespeare und Schiller gefallen, was
darüber ist, ist vom Übel. Meinen Ssie, Bherlitz, daß unsre guten Bürger
Katharsis empfinden werden, wenn sie das Theater verlassen? Nein, Hunger.
Oder vielmehr Durst nach einem Schoppen Spatenbräu. (Jubelnder Beifall.)
Meinen Sie, daß unsre häkelnden und Kaffee trinkenden jungen Mädchen im
Theater lernen werden, Heldenmutter zu werden? Sie werden sich in die Lieb¬
haber auf der Bühne verlieben. (Brüllender Beifall. Trampeln mit den Füßen.)
Dhaa! -- Nun aber wird es Zeit, daß wir an unsre Ode kommen.

Herr Professor, sagte Berlitz, es wird gleich ausklingeln.

Sso? Nun, es ist kein Schade, daß wir uns eine Stunde beim griechischen
Theater aufgehalten haben. Aber nehmen Sie sich eine Lehre daraus, gehen Sie
nie in eins dieser modernen Sudelstücke. Es verdirbt die Menschen, uso Sinn
"öff InAömios. Ssie ssind nicht wert, von Ohren gehört zu werden, die den Wohl¬
klang des griechischen Anapäst vernommen haben. Versprechen Sie mir das.

Berlitz erhob sich feierlich, erhob die rechte Hand und sagte: Ich verspreche
es im Namen der Klasse.

Nun klingelte es. Der Herr Professor schlug sein Buch zu und stieg vom
Katheder herab wie Cato von der Rednerbühne, nachdem er abermals beschlossen
hatte, Karthago zu zerstören. Darum hieß er auch der Cato. Mit seinem bürger¬
lichen Namen -- wir haben das noch nicht gesagt -- hieß er Professor Doktor
Theodor Icilius.

Die Primaner, die beabsichtigt hatten, eine Stunde in süßem Halbschlafe zu¬
zubringen, waren nicht zum Schlafen gekommen, sondern hatten mit Aufmerksam¬
keit zugehört. Und der kleine Barries rieb sich seine etwas breit gefesselte Hinter¬
seite und sagte: Donnerkiel, der Cato ist aber ein Kerl. Und er fand keinen
Widerspruch. (Fortsetzung folgt)




Der parnassus in Neustedel

Überssetzen Ssie, Seidelbast.

Seidelbast übersetzte: Geniale Künste gelernt zu haben.

Sseidelbast, Ssie ssind ein geniales Kamel. Edle Künste gelernt zu haben,
einheimische Künste, nicht fremde, minderwertige Ware aus Paris! Edle Künste
zu verstehn macht aus Barbaren gebildete Menschen. Meinen Sie, Bherlitz — der
Professor verhandelte, wenn er seine Klasse anredete, immer mit dem Ersten, wie
wenn dieser, ähnlich wie im englischen Parlamente, der Sprecher der Versammlung
gewesen wäre —, meinen Ssie, Bherlitz, daß unser Theater eine Stätte inAsnuarura
MriuiQ sein werde?

Nein, Herr Professor.

^ Ssehen Ssie. Was wird man uns vorsetzen? Kadelburg, Moser, Suder¬
mann, Ibsen, Shaw. Pfui Teufel! Was wird man bringen? Operetten, Posten,
Ehebruchsgeschichten, günstigenfalls Alt-Heidelberg und das Weiße Rössel. Ist das
ein Theater? ist das eine Sache, der man ohne Reue ein paar Stunden opfern
kann? Das rechte Theater soll der Ort sein, wo die Stimme der Gottheit ver¬
nommen wird, wo die Schritte des Schicksals hallen, wo die eindringliche Klage
des Leids ertönt, wo das Herz erbebt vor dem Gewaltigen, Unabwendbaren.
Äschylus, Sophokles, ich lasse mir noch Shakespeare und Schiller gefallen, was
darüber ist, ist vom Übel. Meinen Ssie, Bherlitz, daß unsre guten Bürger
Katharsis empfinden werden, wenn sie das Theater verlassen? Nein, Hunger.
Oder vielmehr Durst nach einem Schoppen Spatenbräu. (Jubelnder Beifall.)
Meinen Sie, daß unsre häkelnden und Kaffee trinkenden jungen Mädchen im
Theater lernen werden, Heldenmutter zu werden? Sie werden sich in die Lieb¬
haber auf der Bühne verlieben. (Brüllender Beifall. Trampeln mit den Füßen.)
Dhaa! — Nun aber wird es Zeit, daß wir an unsre Ode kommen.

Herr Professor, sagte Berlitz, es wird gleich ausklingeln.

Sso? Nun, es ist kein Schade, daß wir uns eine Stunde beim griechischen
Theater aufgehalten haben. Aber nehmen Sie sich eine Lehre daraus, gehen Sie
nie in eins dieser modernen Sudelstücke. Es verdirbt die Menschen, uso Sinn
«öff InAömios. Ssie ssind nicht wert, von Ohren gehört zu werden, die den Wohl¬
klang des griechischen Anapäst vernommen haben. Versprechen Sie mir das.

Berlitz erhob sich feierlich, erhob die rechte Hand und sagte: Ich verspreche
es im Namen der Klasse.

Nun klingelte es. Der Herr Professor schlug sein Buch zu und stieg vom
Katheder herab wie Cato von der Rednerbühne, nachdem er abermals beschlossen
hatte, Karthago zu zerstören. Darum hieß er auch der Cato. Mit seinem bürger¬
lichen Namen — wir haben das noch nicht gesagt — hieß er Professor Doktor
Theodor Icilius.

Die Primaner, die beabsichtigt hatten, eine Stunde in süßem Halbschlafe zu¬
zubringen, waren nicht zum Schlafen gekommen, sondern hatten mit Aufmerksam¬
keit zugehört. Und der kleine Barries rieb sich seine etwas breit gefesselte Hinter¬
seite und sagte: Donnerkiel, der Cato ist aber ein Kerl. Und er fand keinen
Widerspruch. (Fortsetzung folgt)




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[0058] Der parnassus in Neustedel Überssetzen Ssie, Seidelbast. Seidelbast übersetzte: Geniale Künste gelernt zu haben. Sseidelbast, Ssie ssind ein geniales Kamel. Edle Künste gelernt zu haben, einheimische Künste, nicht fremde, minderwertige Ware aus Paris! Edle Künste zu verstehn macht aus Barbaren gebildete Menschen. Meinen Sie, Bherlitz — der Professor verhandelte, wenn er seine Klasse anredete, immer mit dem Ersten, wie wenn dieser, ähnlich wie im englischen Parlamente, der Sprecher der Versammlung gewesen wäre —, meinen Ssie, Bherlitz, daß unser Theater eine Stätte inAsnuarura MriuiQ sein werde? Nein, Herr Professor. ^ Ssehen Ssie. Was wird man uns vorsetzen? Kadelburg, Moser, Suder¬ mann, Ibsen, Shaw. Pfui Teufel! Was wird man bringen? Operetten, Posten, Ehebruchsgeschichten, günstigenfalls Alt-Heidelberg und das Weiße Rössel. Ist das ein Theater? ist das eine Sache, der man ohne Reue ein paar Stunden opfern kann? Das rechte Theater soll der Ort sein, wo die Stimme der Gottheit ver¬ nommen wird, wo die Schritte des Schicksals hallen, wo die eindringliche Klage des Leids ertönt, wo das Herz erbebt vor dem Gewaltigen, Unabwendbaren. Äschylus, Sophokles, ich lasse mir noch Shakespeare und Schiller gefallen, was darüber ist, ist vom Übel. Meinen Ssie, Bherlitz, daß unsre guten Bürger Katharsis empfinden werden, wenn sie das Theater verlassen? Nein, Hunger. Oder vielmehr Durst nach einem Schoppen Spatenbräu. (Jubelnder Beifall.) Meinen Sie, daß unsre häkelnden und Kaffee trinkenden jungen Mädchen im Theater lernen werden, Heldenmutter zu werden? Sie werden sich in die Lieb¬ haber auf der Bühne verlieben. (Brüllender Beifall. Trampeln mit den Füßen.) Dhaa! — Nun aber wird es Zeit, daß wir an unsre Ode kommen. Herr Professor, sagte Berlitz, es wird gleich ausklingeln. Sso? Nun, es ist kein Schade, daß wir uns eine Stunde beim griechischen Theater aufgehalten haben. Aber nehmen Sie sich eine Lehre daraus, gehen Sie nie in eins dieser modernen Sudelstücke. Es verdirbt die Menschen, uso Sinn «öff InAömios. Ssie ssind nicht wert, von Ohren gehört zu werden, die den Wohl¬ klang des griechischen Anapäst vernommen haben. Versprechen Sie mir das. Berlitz erhob sich feierlich, erhob die rechte Hand und sagte: Ich verspreche es im Namen der Klasse. Nun klingelte es. Der Herr Professor schlug sein Buch zu und stieg vom Katheder herab wie Cato von der Rednerbühne, nachdem er abermals beschlossen hatte, Karthago zu zerstören. Darum hieß er auch der Cato. Mit seinem bürger¬ lichen Namen — wir haben das noch nicht gesagt — hieß er Professor Doktor Theodor Icilius. Die Primaner, die beabsichtigt hatten, eine Stunde in süßem Halbschlafe zu¬ zubringen, waren nicht zum Schlafen gekommen, sondern hatten mit Aufmerksam¬ keit zugehört. Und der kleine Barries rieb sich seine etwas breit gefesselte Hinter¬ seite und sagte: Donnerkiel, der Cato ist aber ein Kerl. Und er fand keinen Widerspruch. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/58>, abgerufen am 23.07.2024.