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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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eine lange, sich in ertötender Regelmäßigkeit hinziehende, kerzengerade Straße
Passieren, die völlig schattenlos ist. und in der schon im Vorfrühzahr. der Zeit
unsers Besuches, die Strahlen der Sonne unbarmherzig wie em heißes Bugel¬
eisen wirken. Gar nicht schnell genug kann man dieser Pein entfüehn. um
die ..Alameda". oder ..Placeo de la Merced" genannt, zu erreichen, einen mit
hübschen Gartenanlagen geschmückten Platz, der einen herrlichen Blick auf die
Altstadt und den in einer Tiefe von zweihundert Metern dahmtosenden Fluß
gewährt. Im Hintergrunde erhebt sich aus der Sierra de Grazalema der
Cerro de San Cristobal mit seinen fünf Gipfeln, dem sich ein ganzer Gebirgs-
kranz angliedert. An seinem Fuße, an der fruchtbaren Vega vou Ronda. die
an Bodenkultur der von Granada wenig nachgibt, steigt ein Plateau auf. das
durch den Guadalevin. der hier auch Guadiaro genannt wird, in zwei Teile
geschieden ist.

Es wäre vergebne Mühe, den überwältigenden Eindruck des Wassersturzes
schildern zu wollen, den dieses Naturschauspiel voll wilder Romantik auf den
Besucher ausübt! In schwindelnder Tiefe, halb von phantastischen Felsformen
verdeckt, hören wir. von frischer Bergluft umweht, die Wasser des Flusses in
donnerartigem Schwall dahinströmen. Und dieser ungeheure Abgrund, in den
wir von der Brücke schauen, liegt mitten in der Stadt. Er hat den Charakter
einer klaffenden Felsspalte, die sich nach unten erweitert. Oben auf der
Straße setzt sich hüben und drüben das Trottoir fort, als hätte die neue Zeit
keine Beziehung zu den Naturgewalten, die schon von den Mauren zu ihrem
Dienst nutzbar gemacht wurden. Tief unten gewahren wir Überreste von
Mühlen eigenartiger Gestalt, die zur Zeit der Maurenherrschaft in Betrieb
waren. Üppige Vegetation sprießt um die verfallnen Bauwerke, klettert an
den steilen Felswänden empor und überzieht sie mit verschlungnen Gewirr
von Kaktuspflanzen, zwischen denen ab und zu schlanke Bäume des Südens
aufragen. Oben an der Schlucht träumen kaum mehr kenntliche Fragmente
eines ehemals berühmten Maurenschlosses von der lange vcrschwundnen Zeit
ihres Glanzes. Erdbeben und Kriege, zuletzt die Invasion der Franzosen 1808.
haben an seinem Ruin gearbeitet. .Heute sind kaum einige Stellen des frühern
Mosaikfußbodens mehr zu erkennen. Gras und Buschwerk wachsen zum
größten Teil darauf, und einige hungrige Ziege" verunglimpfen mit ihrer
Gegenwart diese historische Stätte. Aber den köstlichen Blick auf die Land¬
schaft konnte ihr kein Wandel der Zeiten rauben. Den wußten schon die
Römer, die noch vor den Mauren hier waren, zu schätzen, als sie auf der
Spitze des Plateaus die "Arunda" erbauten, die heute "Ciudad" heißt und
.Altstadt" bedeutet, während die nüchterne Neustadt von den "katholischen
Königen" gegründet wurde, die Ronda noch ein Jahrzehnt vor Granada nach
zwanzigtägiger Belagerung im Jahre 1485 eroberten.

Andre bauliche Überreste sind vom Schicksal etwas milder behandelt
worden. So die jetzige Kirche Santa Maria le Mayor, die ursprünglichGre


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eine lange, sich in ertötender Regelmäßigkeit hinziehende, kerzengerade Straße
Passieren, die völlig schattenlos ist. und in der schon im Vorfrühzahr. der Zeit
unsers Besuches, die Strahlen der Sonne unbarmherzig wie em heißes Bugel¬
eisen wirken. Gar nicht schnell genug kann man dieser Pein entfüehn. um
die ..Alameda". oder ..Placeo de la Merced» genannt, zu erreichen, einen mit
hübschen Gartenanlagen geschmückten Platz, der einen herrlichen Blick auf die
Altstadt und den in einer Tiefe von zweihundert Metern dahmtosenden Fluß
gewährt. Im Hintergrunde erhebt sich aus der Sierra de Grazalema der
Cerro de San Cristobal mit seinen fünf Gipfeln, dem sich ein ganzer Gebirgs-
kranz angliedert. An seinem Fuße, an der fruchtbaren Vega vou Ronda. die
an Bodenkultur der von Granada wenig nachgibt, steigt ein Plateau auf. das
durch den Guadalevin. der hier auch Guadiaro genannt wird, in zwei Teile
geschieden ist.

Es wäre vergebne Mühe, den überwältigenden Eindruck des Wassersturzes
schildern zu wollen, den dieses Naturschauspiel voll wilder Romantik auf den
Besucher ausübt! In schwindelnder Tiefe, halb von phantastischen Felsformen
verdeckt, hören wir. von frischer Bergluft umweht, die Wasser des Flusses in
donnerartigem Schwall dahinströmen. Und dieser ungeheure Abgrund, in den
wir von der Brücke schauen, liegt mitten in der Stadt. Er hat den Charakter
einer klaffenden Felsspalte, die sich nach unten erweitert. Oben auf der
Straße setzt sich hüben und drüben das Trottoir fort, als hätte die neue Zeit
keine Beziehung zu den Naturgewalten, die schon von den Mauren zu ihrem
Dienst nutzbar gemacht wurden. Tief unten gewahren wir Überreste von
Mühlen eigenartiger Gestalt, die zur Zeit der Maurenherrschaft in Betrieb
waren. Üppige Vegetation sprießt um die verfallnen Bauwerke, klettert an
den steilen Felswänden empor und überzieht sie mit verschlungnen Gewirr
von Kaktuspflanzen, zwischen denen ab und zu schlanke Bäume des Südens
aufragen. Oben an der Schlucht träumen kaum mehr kenntliche Fragmente
eines ehemals berühmten Maurenschlosses von der lange vcrschwundnen Zeit
ihres Glanzes. Erdbeben und Kriege, zuletzt die Invasion der Franzosen 1808.
haben an seinem Ruin gearbeitet. .Heute sind kaum einige Stellen des frühern
Mosaikfußbodens mehr zu erkennen. Gras und Buschwerk wachsen zum
größten Teil darauf, und einige hungrige Ziege« verunglimpfen mit ihrer
Gegenwart diese historische Stätte. Aber den köstlichen Blick auf die Land¬
schaft konnte ihr kein Wandel der Zeiten rauben. Den wußten schon die
Römer, die noch vor den Mauren hier waren, zu schätzen, als sie auf der
Spitze des Plateaus die „Arunda" erbauten, die heute „Ciudad" heißt und
.Altstadt" bedeutet, während die nüchterne Neustadt von den „katholischen
Königen" gegründet wurde, die Ronda noch ein Jahrzehnt vor Granada nach
zwanzigtägiger Belagerung im Jahre 1485 eroberten.

Andre bauliche Überreste sind vom Schicksal etwas milder behandelt
worden. So die jetzige Kirche Santa Maria le Mayor, die ursprünglichGre


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[0553] Rout-t eine lange, sich in ertötender Regelmäßigkeit hinziehende, kerzengerade Straße Passieren, die völlig schattenlos ist. und in der schon im Vorfrühzahr. der Zeit unsers Besuches, die Strahlen der Sonne unbarmherzig wie em heißes Bugel¬ eisen wirken. Gar nicht schnell genug kann man dieser Pein entfüehn. um die ..Alameda". oder ..Placeo de la Merced» genannt, zu erreichen, einen mit hübschen Gartenanlagen geschmückten Platz, der einen herrlichen Blick auf die Altstadt und den in einer Tiefe von zweihundert Metern dahmtosenden Fluß gewährt. Im Hintergrunde erhebt sich aus der Sierra de Grazalema der Cerro de San Cristobal mit seinen fünf Gipfeln, dem sich ein ganzer Gebirgs- kranz angliedert. An seinem Fuße, an der fruchtbaren Vega vou Ronda. die an Bodenkultur der von Granada wenig nachgibt, steigt ein Plateau auf. das durch den Guadalevin. der hier auch Guadiaro genannt wird, in zwei Teile geschieden ist. Es wäre vergebne Mühe, den überwältigenden Eindruck des Wassersturzes schildern zu wollen, den dieses Naturschauspiel voll wilder Romantik auf den Besucher ausübt! In schwindelnder Tiefe, halb von phantastischen Felsformen verdeckt, hören wir. von frischer Bergluft umweht, die Wasser des Flusses in donnerartigem Schwall dahinströmen. Und dieser ungeheure Abgrund, in den wir von der Brücke schauen, liegt mitten in der Stadt. Er hat den Charakter einer klaffenden Felsspalte, die sich nach unten erweitert. Oben auf der Straße setzt sich hüben und drüben das Trottoir fort, als hätte die neue Zeit keine Beziehung zu den Naturgewalten, die schon von den Mauren zu ihrem Dienst nutzbar gemacht wurden. Tief unten gewahren wir Überreste von Mühlen eigenartiger Gestalt, die zur Zeit der Maurenherrschaft in Betrieb waren. Üppige Vegetation sprießt um die verfallnen Bauwerke, klettert an den steilen Felswänden empor und überzieht sie mit verschlungnen Gewirr von Kaktuspflanzen, zwischen denen ab und zu schlanke Bäume des Südens aufragen. Oben an der Schlucht träumen kaum mehr kenntliche Fragmente eines ehemals berühmten Maurenschlosses von der lange vcrschwundnen Zeit ihres Glanzes. Erdbeben und Kriege, zuletzt die Invasion der Franzosen 1808. haben an seinem Ruin gearbeitet. .Heute sind kaum einige Stellen des frühern Mosaikfußbodens mehr zu erkennen. Gras und Buschwerk wachsen zum größten Teil darauf, und einige hungrige Ziege« verunglimpfen mit ihrer Gegenwart diese historische Stätte. Aber den köstlichen Blick auf die Land¬ schaft konnte ihr kein Wandel der Zeiten rauben. Den wußten schon die Römer, die noch vor den Mauren hier waren, zu schätzen, als sie auf der Spitze des Plateaus die „Arunda" erbauten, die heute „Ciudad" heißt und .Altstadt" bedeutet, während die nüchterne Neustadt von den „katholischen Königen" gegründet wurde, die Ronda noch ein Jahrzehnt vor Granada nach zwanzigtägiger Belagerung im Jahre 1485 eroberten. Andre bauliche Überreste sind vom Schicksal etwas milder behandelt worden. So die jetzige Kirche Santa Maria le Mayor, die ursprünglichGre nzboten I 190» 7'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/553>, abgerufen am 23.07.2024.