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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm der Lrste als Schriftsteller

des Prinzen direkt entgegenliefen, und er schreibt mit dem ganzen Feuer der
Überzeugung dazu folgendes:

Wer eine Armeeverfassung beurteilen will, fragt gewöhnlich zuerst nach der
Dauer der Dienstzeit und nach dem Modus der Beurlaubung, um zu ermessen, ob
1. die Dienstzeit ausreicht, den Rekruten zu einem wirklichen Soldaten erziehen zu
können, und 2. in welchem Verhältnis die Beurlaubung zu der Dienstzeit steht?
Der Grundsatz, auf den es a.ni 2 ankommt, kann kein andrer sein als ein richtiges
Verhältnis der Dienstzeit zur Beurlaubung, das heißt: beide müssen so abgemessen
sein, daß das dem Soldaten Gelehrte und Anerzogne sich während seiner Be¬
urlaubung nicht zu sehr verwische. Wenn man nnn die Preußischen Heereseinrichtungen
ins Auge faßt, so wird man einräumen müssen, daß hier durch Einführung der
Landwehr ein Beurlaubungssystem in kolossalstem Maßstabe geschaffen worden ist.
Die Beurlaubung umfaßt neun bis zehn Jahre, teils im Reserve-, teils im Land¬
wehrverhältnis, während welcher eine zwei- bis dreimalige Einziehung auf vierzehn
Tage stattfindet. Zu dieser langen Beurlaubung (die im gewöhnlichen Sprachgebrauch
die "Verpflichtung zu den verschiednen Dienstkategorien" genannt wird) steht nun die
Dienstzeit bei der Fahne in völlig richtigem Verhältnis, denn die bereits angeführte
Dauer derselben für die verschiednen Waffengattungen ist eine nnnnterbrochne.

Der Schöpfer dieser Verfassung, Kriegsminister von Boyen, erkannte mit deur
ihm eigentümlichen klaren Blicke, daß eine beurlaubte Landwehr nur dann innern
Halt und Kriegstüchtigkeit haben könne, wenn die Mannschaften eine so feste und
gediegne erste Kriegserziehung erhalten hätten, die es möglich macht, daß jene zwei-
bis dreimalige Einziehung ans vierzehn Tage hinreicht, um das Erlernte "nieder
aufzufrischen und zu verlebendigen.. .. Aber auch in den neusten Tagen hat diese
Landwehr Beweise ihrer Pflichttreue, ihres Gehorsams und ihrer Disziplin gegeben.
Inmitten einer Krisis, wie sie so leicht kein Staat zu bestehn gehabt gegenüber den
Wühlereien, die kein Mittel unversucht ließen, um das Volk zum Abfall von seinem
rechtmäßigen Monarchen zu verleiten, konnte der König von Preußen ihr vertrauen.
Er ruft fünfzig Bataillone Landwehr aus dem Herzen seines Volkes zusammen, und
wie mit einem Zauberschlage stehn diese 50090 Mann nnter dem Gewehr. Wahrlich,
ein gleich ehrendes Zeichen für die Gesinnung des Volkes als für die wahre
Soldatenehre!

Wodurch wurde nun ein so glänzendes Resultat möglich!

Allein durch die wahrhaft militärische Erziehung, die dem Preußischen Soldaten
zuteil wird, in der Gewöhnung desselben an den Dienst, in der Art nud Weise,
wie ihm die Pflichten und Obliegenheiten dieses Dienstes zu eigen gemacht werden,
und in dem Verständnis, warum diese überhaupt von ihm verlangt werden müssen.
Zu dem allen aber gehört Zeit! Unbegreiflich erscheint daher die fast stereotyp
gewordne Ansicht, daß ein Infanterist sich in sechs Monaten ausbilden lasse! Wenn
darunter das bloße AuSexerziereu der Eingestellten verstanden wird, so ist sechs
Monate eine zu lange Frist. In sechs bis zehn Wochen ist derjenige Grad der Aus¬
bildung, welcher zum Eintreten in das Bataillon genügt, vollkommen zu erreichen.
Was aber ist dann der Eingestellte geworden? Ein ausexerzierter Rekrut, aber
wahrlich kein crzogner Soldat! Das ist es, was jene banalen Urteile übersehn. Schon
bei Paragraph 15 haben wir gezeigt, wie die Zuverlässigkeit einer Truppe in der
längern Erziehung derselben zu den wahren Soldatentugenden besteht, und wie
hierzu namentlich das Vertrauen der Obern zu den Untergebnen und umgekehrt
gehöre. Daß sich ein solches Resultat aber nicht in einem halben Jahre erzielen
läßt, muß sogar dem Laien klar sein, um wie viel mehr aber demjenigen Offizier,


Kaiser Wilhelm der Lrste als Schriftsteller

des Prinzen direkt entgegenliefen, und er schreibt mit dem ganzen Feuer der
Überzeugung dazu folgendes:

Wer eine Armeeverfassung beurteilen will, fragt gewöhnlich zuerst nach der
Dauer der Dienstzeit und nach dem Modus der Beurlaubung, um zu ermessen, ob
1. die Dienstzeit ausreicht, den Rekruten zu einem wirklichen Soldaten erziehen zu
können, und 2. in welchem Verhältnis die Beurlaubung zu der Dienstzeit steht?
Der Grundsatz, auf den es a.ni 2 ankommt, kann kein andrer sein als ein richtiges
Verhältnis der Dienstzeit zur Beurlaubung, das heißt: beide müssen so abgemessen
sein, daß das dem Soldaten Gelehrte und Anerzogne sich während seiner Be¬
urlaubung nicht zu sehr verwische. Wenn man nnn die Preußischen Heereseinrichtungen
ins Auge faßt, so wird man einräumen müssen, daß hier durch Einführung der
Landwehr ein Beurlaubungssystem in kolossalstem Maßstabe geschaffen worden ist.
Die Beurlaubung umfaßt neun bis zehn Jahre, teils im Reserve-, teils im Land¬
wehrverhältnis, während welcher eine zwei- bis dreimalige Einziehung auf vierzehn
Tage stattfindet. Zu dieser langen Beurlaubung (die im gewöhnlichen Sprachgebrauch
die „Verpflichtung zu den verschiednen Dienstkategorien" genannt wird) steht nun die
Dienstzeit bei der Fahne in völlig richtigem Verhältnis, denn die bereits angeführte
Dauer derselben für die verschiednen Waffengattungen ist eine nnnnterbrochne.

Der Schöpfer dieser Verfassung, Kriegsminister von Boyen, erkannte mit deur
ihm eigentümlichen klaren Blicke, daß eine beurlaubte Landwehr nur dann innern
Halt und Kriegstüchtigkeit haben könne, wenn die Mannschaften eine so feste und
gediegne erste Kriegserziehung erhalten hätten, die es möglich macht, daß jene zwei-
bis dreimalige Einziehung ans vierzehn Tage hinreicht, um das Erlernte »nieder
aufzufrischen und zu verlebendigen.. .. Aber auch in den neusten Tagen hat diese
Landwehr Beweise ihrer Pflichttreue, ihres Gehorsams und ihrer Disziplin gegeben.
Inmitten einer Krisis, wie sie so leicht kein Staat zu bestehn gehabt gegenüber den
Wühlereien, die kein Mittel unversucht ließen, um das Volk zum Abfall von seinem
rechtmäßigen Monarchen zu verleiten, konnte der König von Preußen ihr vertrauen.
Er ruft fünfzig Bataillone Landwehr aus dem Herzen seines Volkes zusammen, und
wie mit einem Zauberschlage stehn diese 50090 Mann nnter dem Gewehr. Wahrlich,
ein gleich ehrendes Zeichen für die Gesinnung des Volkes als für die wahre
Soldatenehre!

Wodurch wurde nun ein so glänzendes Resultat möglich!

Allein durch die wahrhaft militärische Erziehung, die dem Preußischen Soldaten
zuteil wird, in der Gewöhnung desselben an den Dienst, in der Art nud Weise,
wie ihm die Pflichten und Obliegenheiten dieses Dienstes zu eigen gemacht werden,
und in dem Verständnis, warum diese überhaupt von ihm verlangt werden müssen.
Zu dem allen aber gehört Zeit! Unbegreiflich erscheint daher die fast stereotyp
gewordne Ansicht, daß ein Infanterist sich in sechs Monaten ausbilden lasse! Wenn
darunter das bloße AuSexerziereu der Eingestellten verstanden wird, so ist sechs
Monate eine zu lange Frist. In sechs bis zehn Wochen ist derjenige Grad der Aus¬
bildung, welcher zum Eintreten in das Bataillon genügt, vollkommen zu erreichen.
Was aber ist dann der Eingestellte geworden? Ein ausexerzierter Rekrut, aber
wahrlich kein crzogner Soldat! Das ist es, was jene banalen Urteile übersehn. Schon
bei Paragraph 15 haben wir gezeigt, wie die Zuverlässigkeit einer Truppe in der
längern Erziehung derselben zu den wahren Soldatentugenden besteht, und wie
hierzu namentlich das Vertrauen der Obern zu den Untergebnen und umgekehrt
gehöre. Daß sich ein solches Resultat aber nicht in einem halben Jahre erzielen
läßt, muß sogar dem Laien klar sein, um wie viel mehr aber demjenigen Offizier,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/548>, abgerufen am 12.12.2024.