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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat

gelangen. Früher spielte das deutsche Element aus dem Baltikum dort die
Hauptrolle, jetzt treten immer mehr Polen ein. Eine persönliche Beobachtung
an Ort und Stelle möge die Behauptung beleuchten. Im Jahre 1901 ist
es mir zuerst aufgefallen, daß auf den Korridoren des Senats polnische Laute
fielen -- im Jahre 1896 klang noch überall in der Unterhaltung der Beamten
die deutsche Sprache, im Jahre 1906 herrschte dagegen das polnische Idiom
vor. Gegenwärtig haben wir einen Marineminister, den die Polen als ihren
Landsmann reklamieren, und eine ganze Reihe von Direktoren in den ver¬
schleimen Ministerien, die nur als Polen bekannt sind. Der Einzug der polnischen
Sprache in die Korridore der höchsten russischen Gerichtsbehörden ist mir neben
tausend andern Erscheinungen des öffentlichen und privaten Lebens ein Symptom
dafür, daß ein wichtiger Teil der Staatsgeschäfte nicht ausschließlich von Trägern
der russischen Staatsidee, sondern von Leuten besorgt werden muß, die nach
Tradition und Erziehung eben dieser Idee feindlich gegenüberstehn. Wenn ich
diesen Dingen eine besondre Aufmerksamkeit schenke, so geschieht das, weil ich
fest davon überzeugt bin, daß jeder an der Politik irgendwie beteiligte Pole,
sei es in Preußen, Österreich oder Rußland, an welchem Platze er auch immer
stehn möge, daß jeder Pole dahin wirkt, der heutigen ideellen Polengemein¬
schaft den realen Ausdruck eines alle Teile umfassenden Polcnstaats zu schaffen.
Wer an der Berechtigung solcher Auffassungen zweifelt, blättre Wagners Polen-
spicgel durch, und er wird auf jeder Seite die Unterlagen finden.

Die polnische Idee hat somit ihre Werkzeuge bereits an den Stellen
Rußlands, von wo aus sie im geeigneten Augenblick wirken können, und hinter
ihnen steht die demokratische und fortschrittlich gesinnte russische Gesellschaft, die
durch die Vermittlung der Polen endlich Anschluß an den Westen gewinnen
will, an dem sie nach ihrer Auffassung durch die amtliche Freundschaft zwischen
Rußland und Deutschland verhindert wird.

Ehe ich auf die Konsequenzen dieser x"zu<ztrÄtic>n paeillMs der Polen in
den leitenden Stellen Rußlands näher eingehe, sei ein Blick zunächst vom Norden
zum Süden geworfen -- auf die Entwicklung der politischen Stellung
der Slawen in Österreich-Ungarn. Die Südslawen interessieren uns
zunächst in diesem Zusammenhange gar nicht. Ihre Stellung zum Deutschen
Reich ist im Grunde genommen nur von Belang in Balkanfragen. Da¬
gegen nötigen uns auch in Österreich die Polen das lebhafteste Interesse ab
und nach ihnen die Tschechen.




Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat

gelangen. Früher spielte das deutsche Element aus dem Baltikum dort die
Hauptrolle, jetzt treten immer mehr Polen ein. Eine persönliche Beobachtung
an Ort und Stelle möge die Behauptung beleuchten. Im Jahre 1901 ist
es mir zuerst aufgefallen, daß auf den Korridoren des Senats polnische Laute
fielen — im Jahre 1896 klang noch überall in der Unterhaltung der Beamten
die deutsche Sprache, im Jahre 1906 herrschte dagegen das polnische Idiom
vor. Gegenwärtig haben wir einen Marineminister, den die Polen als ihren
Landsmann reklamieren, und eine ganze Reihe von Direktoren in den ver¬
schleimen Ministerien, die nur als Polen bekannt sind. Der Einzug der polnischen
Sprache in die Korridore der höchsten russischen Gerichtsbehörden ist mir neben
tausend andern Erscheinungen des öffentlichen und privaten Lebens ein Symptom
dafür, daß ein wichtiger Teil der Staatsgeschäfte nicht ausschließlich von Trägern
der russischen Staatsidee, sondern von Leuten besorgt werden muß, die nach
Tradition und Erziehung eben dieser Idee feindlich gegenüberstehn. Wenn ich
diesen Dingen eine besondre Aufmerksamkeit schenke, so geschieht das, weil ich
fest davon überzeugt bin, daß jeder an der Politik irgendwie beteiligte Pole,
sei es in Preußen, Österreich oder Rußland, an welchem Platze er auch immer
stehn möge, daß jeder Pole dahin wirkt, der heutigen ideellen Polengemein¬
schaft den realen Ausdruck eines alle Teile umfassenden Polcnstaats zu schaffen.
Wer an der Berechtigung solcher Auffassungen zweifelt, blättre Wagners Polen-
spicgel durch, und er wird auf jeder Seite die Unterlagen finden.

Die polnische Idee hat somit ihre Werkzeuge bereits an den Stellen
Rußlands, von wo aus sie im geeigneten Augenblick wirken können, und hinter
ihnen steht die demokratische und fortschrittlich gesinnte russische Gesellschaft, die
durch die Vermittlung der Polen endlich Anschluß an den Westen gewinnen
will, an dem sie nach ihrer Auffassung durch die amtliche Freundschaft zwischen
Rußland und Deutschland verhindert wird.

Ehe ich auf die Konsequenzen dieser x«zu<ztrÄtic>n paeillMs der Polen in
den leitenden Stellen Rußlands näher eingehe, sei ein Blick zunächst vom Norden
zum Süden geworfen — auf die Entwicklung der politischen Stellung
der Slawen in Österreich-Ungarn. Die Südslawen interessieren uns
zunächst in diesem Zusammenhange gar nicht. Ihre Stellung zum Deutschen
Reich ist im Grunde genommen nur von Belang in Balkanfragen. Da¬
gegen nötigen uns auch in Österreich die Polen das lebhafteste Interesse ab
und nach ihnen die Tschechen.




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[0542] Das allslawische problein und der deutsche Nationalstaat gelangen. Früher spielte das deutsche Element aus dem Baltikum dort die Hauptrolle, jetzt treten immer mehr Polen ein. Eine persönliche Beobachtung an Ort und Stelle möge die Behauptung beleuchten. Im Jahre 1901 ist es mir zuerst aufgefallen, daß auf den Korridoren des Senats polnische Laute fielen — im Jahre 1896 klang noch überall in der Unterhaltung der Beamten die deutsche Sprache, im Jahre 1906 herrschte dagegen das polnische Idiom vor. Gegenwärtig haben wir einen Marineminister, den die Polen als ihren Landsmann reklamieren, und eine ganze Reihe von Direktoren in den ver¬ schleimen Ministerien, die nur als Polen bekannt sind. Der Einzug der polnischen Sprache in die Korridore der höchsten russischen Gerichtsbehörden ist mir neben tausend andern Erscheinungen des öffentlichen und privaten Lebens ein Symptom dafür, daß ein wichtiger Teil der Staatsgeschäfte nicht ausschließlich von Trägern der russischen Staatsidee, sondern von Leuten besorgt werden muß, die nach Tradition und Erziehung eben dieser Idee feindlich gegenüberstehn. Wenn ich diesen Dingen eine besondre Aufmerksamkeit schenke, so geschieht das, weil ich fest davon überzeugt bin, daß jeder an der Politik irgendwie beteiligte Pole, sei es in Preußen, Österreich oder Rußland, an welchem Platze er auch immer stehn möge, daß jeder Pole dahin wirkt, der heutigen ideellen Polengemein¬ schaft den realen Ausdruck eines alle Teile umfassenden Polcnstaats zu schaffen. Wer an der Berechtigung solcher Auffassungen zweifelt, blättre Wagners Polen- spicgel durch, und er wird auf jeder Seite die Unterlagen finden. Die polnische Idee hat somit ihre Werkzeuge bereits an den Stellen Rußlands, von wo aus sie im geeigneten Augenblick wirken können, und hinter ihnen steht die demokratische und fortschrittlich gesinnte russische Gesellschaft, die durch die Vermittlung der Polen endlich Anschluß an den Westen gewinnen will, an dem sie nach ihrer Auffassung durch die amtliche Freundschaft zwischen Rußland und Deutschland verhindert wird. Ehe ich auf die Konsequenzen dieser x«zu<ztrÄtic>n paeillMs der Polen in den leitenden Stellen Rußlands näher eingehe, sei ein Blick zunächst vom Norden zum Süden geworfen — auf die Entwicklung der politischen Stellung der Slawen in Österreich-Ungarn. Die Südslawen interessieren uns zunächst in diesem Zusammenhange gar nicht. Ihre Stellung zum Deutschen Reich ist im Grunde genommen nur von Belang in Balkanfragen. Da¬ gegen nötigen uns auch in Österreich die Polen das lebhafteste Interesse ab und nach ihnen die Tschechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/542>, abgerufen am 12.12.2024.