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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Reichsfinanzreform

durch das System, das Defizit von Reich und Einzelstaaten durch immer neue
Begehung von Anleihen und eine gedankenlose Vermehrung unsrer Schulden
zu decken, weiter wie bisher vernachlässigt, so werden im Kriegsfalle bei dem
niedern Kursstand unsrer Renten die nötigen Mittel nur mühsam und zu
sehr ungünstigen Bedingungen zur Verfügung stehn. Abgesehen aber von
der Eventualität eines Krieges liegt die Gefahr vor. daß die uns feind¬
lichen Staaten im Vertrauen auf unsre finanzielle Schwäche uns bereits im
diplomatischen Wege Aktionen einleiten, die. wenn man an tue finanzielle
Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches glauben wollte, niemals in Frage
kommen würde.

Da aber die politische Macht eines Volkes nicht mehr allein auf seiner
militärisch-politischen Stärke, sondern auf der Summe aller seiner Volkskräfte,
der finanziellen und kulturellen so gut wie der militärischen und politischen
beruht, so wird eine Ordnung der Reichsfinanzen, die eine Stärkung des
durch die bisherige Anlcihewirtschaft geschwächten und diskreditierten deutschen
Geldmarktes zur Folge haben würde, eine Verbesserung unsrer internationalen
Stellung herbeiführen, da dieser nur so imstande sein kann, fremde geld¬
bedürftige Staaten von dem finanziellen Einfluß andrer Großmächte und semen
politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu befreien.

Nachdem des weitern an den ausländischen/ Preßstimmen zur Reichs-
finanzreform nachgewiesen worden ist. daß das Ausland die allgemeine Be¬
deutung der Finanznot für die deutschen Verhältnisse durchaus erkennt, wird
die Reichsfinanzreform in ihrer Beziehung zur innern Politik und
schließlich die Stellung der politischen Parteien zu jener erörtert.
Es wird mit Recht die Notwendigkeit einer langfristigen Finanz¬
reform betont und darauf hingewiesen, daß der Zug unsrer Staatspolitik
auf langfristige Bündnisse und Verträge politischer und wirtschaftlicher Art
nach außen, langfristige Tarife und Vereinbarungen nach innen, Ausbau von
Heer und Flotte auf Grund langfristiger Probleme. Sozialpolitik mit stetigem
Fortschritt zu weitgestcckten Zielen gehe; nirgends eine unbedingte und un¬
abänderliche Festlegung, aber überall ein weitausschauender Plan; auf dem
Gebiete der Finanzen habe das gegenteilige Verhalten unheilvoll gewirkt;
solle aber das politische Leben gesunden, so müsse das Jahr 1909 eine lang-
listige Finanzreform bringen.

Hinsichtlich der Stellung der politischen Parteien zur Reichs¬
finanzreform bemerkt die Schrift, daß die allgemeine Auffassung dahin
ginge, daß diese Reform eine bittere Notwendigkeit sei; auch zweifle mit Aus¬
nahme der äußersten Linken kaum eine politische Partei daran, daß die
schlechte Finanzlage Deutschlands nicht aus einer schlechten wirtschaftlichen
Lage des Volkes hervorgehe, sondern daß sie in allererster Linie auf politische
Gründe zurückzuführen sei. Es sei nicht das Nichtkönnen, das die Finanznot


Die Reichsfinanzreform

durch das System, das Defizit von Reich und Einzelstaaten durch immer neue
Begehung von Anleihen und eine gedankenlose Vermehrung unsrer Schulden
zu decken, weiter wie bisher vernachlässigt, so werden im Kriegsfalle bei dem
niedern Kursstand unsrer Renten die nötigen Mittel nur mühsam und zu
sehr ungünstigen Bedingungen zur Verfügung stehn. Abgesehen aber von
der Eventualität eines Krieges liegt die Gefahr vor. daß die uns feind¬
lichen Staaten im Vertrauen auf unsre finanzielle Schwäche uns bereits im
diplomatischen Wege Aktionen einleiten, die. wenn man an tue finanzielle
Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches glauben wollte, niemals in Frage
kommen würde.

Da aber die politische Macht eines Volkes nicht mehr allein auf seiner
militärisch-politischen Stärke, sondern auf der Summe aller seiner Volkskräfte,
der finanziellen und kulturellen so gut wie der militärischen und politischen
beruht, so wird eine Ordnung der Reichsfinanzen, die eine Stärkung des
durch die bisherige Anlcihewirtschaft geschwächten und diskreditierten deutschen
Geldmarktes zur Folge haben würde, eine Verbesserung unsrer internationalen
Stellung herbeiführen, da dieser nur so imstande sein kann, fremde geld¬
bedürftige Staaten von dem finanziellen Einfluß andrer Großmächte und semen
politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu befreien.

Nachdem des weitern an den ausländischen/ Preßstimmen zur Reichs-
finanzreform nachgewiesen worden ist. daß das Ausland die allgemeine Be¬
deutung der Finanznot für die deutschen Verhältnisse durchaus erkennt, wird
die Reichsfinanzreform in ihrer Beziehung zur innern Politik und
schließlich die Stellung der politischen Parteien zu jener erörtert.
Es wird mit Recht die Notwendigkeit einer langfristigen Finanz¬
reform betont und darauf hingewiesen, daß der Zug unsrer Staatspolitik
auf langfristige Bündnisse und Verträge politischer und wirtschaftlicher Art
nach außen, langfristige Tarife und Vereinbarungen nach innen, Ausbau von
Heer und Flotte auf Grund langfristiger Probleme. Sozialpolitik mit stetigem
Fortschritt zu weitgestcckten Zielen gehe; nirgends eine unbedingte und un¬
abänderliche Festlegung, aber überall ein weitausschauender Plan; auf dem
Gebiete der Finanzen habe das gegenteilige Verhalten unheilvoll gewirkt;
solle aber das politische Leben gesunden, so müsse das Jahr 1909 eine lang-
listige Finanzreform bringen.

Hinsichtlich der Stellung der politischen Parteien zur Reichs¬
finanzreform bemerkt die Schrift, daß die allgemeine Auffassung dahin
ginge, daß diese Reform eine bittere Notwendigkeit sei; auch zweifle mit Aus¬
nahme der äußersten Linken kaum eine politische Partei daran, daß die
schlechte Finanzlage Deutschlands nicht aus einer schlechten wirtschaftlichen
Lage des Volkes hervorgehe, sondern daß sie in allererster Linie auf politische
Gründe zurückzuführen sei. Es sei nicht das Nichtkönnen, das die Finanznot


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[0531] Die Reichsfinanzreform durch das System, das Defizit von Reich und Einzelstaaten durch immer neue Begehung von Anleihen und eine gedankenlose Vermehrung unsrer Schulden zu decken, weiter wie bisher vernachlässigt, so werden im Kriegsfalle bei dem niedern Kursstand unsrer Renten die nötigen Mittel nur mühsam und zu sehr ungünstigen Bedingungen zur Verfügung stehn. Abgesehen aber von der Eventualität eines Krieges liegt die Gefahr vor. daß die uns feind¬ lichen Staaten im Vertrauen auf unsre finanzielle Schwäche uns bereits im diplomatischen Wege Aktionen einleiten, die. wenn man an tue finanzielle Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches glauben wollte, niemals in Frage kommen würde. Da aber die politische Macht eines Volkes nicht mehr allein auf seiner militärisch-politischen Stärke, sondern auf der Summe aller seiner Volkskräfte, der finanziellen und kulturellen so gut wie der militärischen und politischen beruht, so wird eine Ordnung der Reichsfinanzen, die eine Stärkung des durch die bisherige Anlcihewirtschaft geschwächten und diskreditierten deutschen Geldmarktes zur Folge haben würde, eine Verbesserung unsrer internationalen Stellung herbeiführen, da dieser nur so imstande sein kann, fremde geld¬ bedürftige Staaten von dem finanziellen Einfluß andrer Großmächte und semen politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu befreien. Nachdem des weitern an den ausländischen/ Preßstimmen zur Reichs- finanzreform nachgewiesen worden ist. daß das Ausland die allgemeine Be¬ deutung der Finanznot für die deutschen Verhältnisse durchaus erkennt, wird die Reichsfinanzreform in ihrer Beziehung zur innern Politik und schließlich die Stellung der politischen Parteien zu jener erörtert. Es wird mit Recht die Notwendigkeit einer langfristigen Finanz¬ reform betont und darauf hingewiesen, daß der Zug unsrer Staatspolitik auf langfristige Bündnisse und Verträge politischer und wirtschaftlicher Art nach außen, langfristige Tarife und Vereinbarungen nach innen, Ausbau von Heer und Flotte auf Grund langfristiger Probleme. Sozialpolitik mit stetigem Fortschritt zu weitgestcckten Zielen gehe; nirgends eine unbedingte und un¬ abänderliche Festlegung, aber überall ein weitausschauender Plan; auf dem Gebiete der Finanzen habe das gegenteilige Verhalten unheilvoll gewirkt; solle aber das politische Leben gesunden, so müsse das Jahr 1909 eine lang- listige Finanzreform bringen. Hinsichtlich der Stellung der politischen Parteien zur Reichs¬ finanzreform bemerkt die Schrift, daß die allgemeine Auffassung dahin ginge, daß diese Reform eine bittere Notwendigkeit sei; auch zweifle mit Aus¬ nahme der äußersten Linken kaum eine politische Partei daran, daß die schlechte Finanzlage Deutschlands nicht aus einer schlechten wirtschaftlichen Lage des Volkes hervorgehe, sondern daß sie in allererster Linie auf politische Gründe zurückzuführen sei. Es sei nicht das Nichtkönnen, das die Finanznot

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/531>, abgerufen am 23.07.2024.