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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Ver Roman Lothringens

lustig, die anspruchsvoll auftreten und dabei insgeheim erbärmlich krausem
müssen. Junge deutsche Lassen benehmen sich gegen französisch sprechende
Familien rüpelhaft, und Deutsche sind es, die die üppigen Obstbäume plündern,
die der Lothringer nicht anrührte. "Ihre Landsleute wissen sich überall zu
nähren", sagt Madame Baudoche zu Asmus. Warum auch nicht? Wenn
man Provinzen, Milliarden und Pendülen stiehlt, wird man ein paar arm¬
selige Kirschen nicht schonen. Die deutschen Frauen spielen, wie immer in
diesen französischen Geschichten, eine lächerliche Rolle. Die ostpreußische Braut
ist natürlich eine schwerfällige Walküre. Sie will warten, bis ihr Asmus die
gehörige Überlegenheit über sie hat; ohne solche Unterordnung der Frau ist
eines Deutschen Eheglück undenkbar. Was sonst von ihr erzählt wird, ist so
einfältig und abgeschmackt, daß man es bedauern muß -- im Interesse des
vornehmen Akademikers Barres. Auch ein Konzert wird geschildert; da werden
die gesellschaftlichen Manieren der Einwanderer kräftig verhöhnt. Colette ist
durch die "falsche Sentimentalität in Musselin" abgestoßen, und ihre lothringische
Sittsamkeit ist empört über das Verhalten einer deutschen Braut, die vor
ihrem Bräutigam, einem Offizier natürlich, sitzt, ihn mit dem rechten Arm um¬
faßt, die linke Hand mit den Händen des Geliebten auf dem Säbelgriff vereint
und ihren Kopf schmachtend an die Hüfte des Kriegers lehnt, der sie seinerseits
martialisch von oben herab betrachtet! Wenn man sich diese Szene vergegen¬
wärtigt -- was nach der verwickelten Darstellung des Romans nicht leicht
ist --, wird man Colette nnr Recht geben können. Den Beweis aber, daß
das echt deutsch ist, hat sich Barres geschenkt.

Der sogenannte Held ist ein unausstehlicher, lederner Geselle. Ein "klas¬
sischer Deutscher", denn er trägt einen grünlichen Filzhut, ist matratzeuartig
in einen unmöglichen Überrock eingepolstert, trügt eine ebenso unmögliche
Kravatte und mit ranzigem Fett geschmierte plumpe Stiefel; benimmt sich un¬
manierlich bei Tisch, erinnert daran, daß er auf den Doktortitel Anspruch hat,
schlägt rücksichtslos und laut die Türen zu, tritt bei den Damen mit
qualmender Tabakspfeife und vollem Bierkrug ein und begeht die auserlesensten
Taktlosigkeiten gegen die Empfindungen -- insbesondre die patriotischen --
der Baudoche. Die Kulturerrungenschaften Französisch-Lothringens erfüllen
ihn mit Erstaunen, und jeder Kenner Lothringens wird mit Überraschung lesen,
daß sogar die Hygiene in den altfranzösischen Häusern besser ist als im
modernen Deutschland. Der französische Kamin und die französische Küche
werden gefeiert und dabei manches Wahre über die Absonderlichkeiten neu¬
deutscher Wohnungseinrichtungen gesagt. Als die Salvatorzeit kommt, hält
es der "klassische Deutsche" für seine Pflicht, sich in der unanständigsten Weise
zu betrinken, und als ihm Colette Vorhaltungen macht, antwortet er: "Das
sind so unsre Sitten!" Als er die Schönheiten von Nancy mit der nötigen
Pedanterie studiert, ist er schon so französiert, daß er sich des reichlichen Bier¬
genusses schämt. Er leistet sich da den wiederum klassischem Ausspruch: "Wenn


Ver Roman Lothringens

lustig, die anspruchsvoll auftreten und dabei insgeheim erbärmlich krausem
müssen. Junge deutsche Lassen benehmen sich gegen französisch sprechende
Familien rüpelhaft, und Deutsche sind es, die die üppigen Obstbäume plündern,
die der Lothringer nicht anrührte. „Ihre Landsleute wissen sich überall zu
nähren", sagt Madame Baudoche zu Asmus. Warum auch nicht? Wenn
man Provinzen, Milliarden und Pendülen stiehlt, wird man ein paar arm¬
selige Kirschen nicht schonen. Die deutschen Frauen spielen, wie immer in
diesen französischen Geschichten, eine lächerliche Rolle. Die ostpreußische Braut
ist natürlich eine schwerfällige Walküre. Sie will warten, bis ihr Asmus die
gehörige Überlegenheit über sie hat; ohne solche Unterordnung der Frau ist
eines Deutschen Eheglück undenkbar. Was sonst von ihr erzählt wird, ist so
einfältig und abgeschmackt, daß man es bedauern muß — im Interesse des
vornehmen Akademikers Barres. Auch ein Konzert wird geschildert; da werden
die gesellschaftlichen Manieren der Einwanderer kräftig verhöhnt. Colette ist
durch die „falsche Sentimentalität in Musselin" abgestoßen, und ihre lothringische
Sittsamkeit ist empört über das Verhalten einer deutschen Braut, die vor
ihrem Bräutigam, einem Offizier natürlich, sitzt, ihn mit dem rechten Arm um¬
faßt, die linke Hand mit den Händen des Geliebten auf dem Säbelgriff vereint
und ihren Kopf schmachtend an die Hüfte des Kriegers lehnt, der sie seinerseits
martialisch von oben herab betrachtet! Wenn man sich diese Szene vergegen¬
wärtigt — was nach der verwickelten Darstellung des Romans nicht leicht
ist —, wird man Colette nnr Recht geben können. Den Beweis aber, daß
das echt deutsch ist, hat sich Barres geschenkt.

Der sogenannte Held ist ein unausstehlicher, lederner Geselle. Ein „klas¬
sischer Deutscher", denn er trägt einen grünlichen Filzhut, ist matratzeuartig
in einen unmöglichen Überrock eingepolstert, trügt eine ebenso unmögliche
Kravatte und mit ranzigem Fett geschmierte plumpe Stiefel; benimmt sich un¬
manierlich bei Tisch, erinnert daran, daß er auf den Doktortitel Anspruch hat,
schlägt rücksichtslos und laut die Türen zu, tritt bei den Damen mit
qualmender Tabakspfeife und vollem Bierkrug ein und begeht die auserlesensten
Taktlosigkeiten gegen die Empfindungen — insbesondre die patriotischen —
der Baudoche. Die Kulturerrungenschaften Französisch-Lothringens erfüllen
ihn mit Erstaunen, und jeder Kenner Lothringens wird mit Überraschung lesen,
daß sogar die Hygiene in den altfranzösischen Häusern besser ist als im
modernen Deutschland. Der französische Kamin und die französische Küche
werden gefeiert und dabei manches Wahre über die Absonderlichkeiten neu¬
deutscher Wohnungseinrichtungen gesagt. Als die Salvatorzeit kommt, hält
es der „klassische Deutsche" für seine Pflicht, sich in der unanständigsten Weise
zu betrinken, und als ihm Colette Vorhaltungen macht, antwortet er: „Das
sind so unsre Sitten!" Als er die Schönheiten von Nancy mit der nötigen
Pedanterie studiert, ist er schon so französiert, daß er sich des reichlichen Bier¬
genusses schämt. Er leistet sich da den wiederum klassischem Ausspruch: „Wenn


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[0510] Ver Roman Lothringens lustig, die anspruchsvoll auftreten und dabei insgeheim erbärmlich krausem müssen. Junge deutsche Lassen benehmen sich gegen französisch sprechende Familien rüpelhaft, und Deutsche sind es, die die üppigen Obstbäume plündern, die der Lothringer nicht anrührte. „Ihre Landsleute wissen sich überall zu nähren", sagt Madame Baudoche zu Asmus. Warum auch nicht? Wenn man Provinzen, Milliarden und Pendülen stiehlt, wird man ein paar arm¬ selige Kirschen nicht schonen. Die deutschen Frauen spielen, wie immer in diesen französischen Geschichten, eine lächerliche Rolle. Die ostpreußische Braut ist natürlich eine schwerfällige Walküre. Sie will warten, bis ihr Asmus die gehörige Überlegenheit über sie hat; ohne solche Unterordnung der Frau ist eines Deutschen Eheglück undenkbar. Was sonst von ihr erzählt wird, ist so einfältig und abgeschmackt, daß man es bedauern muß — im Interesse des vornehmen Akademikers Barres. Auch ein Konzert wird geschildert; da werden die gesellschaftlichen Manieren der Einwanderer kräftig verhöhnt. Colette ist durch die „falsche Sentimentalität in Musselin" abgestoßen, und ihre lothringische Sittsamkeit ist empört über das Verhalten einer deutschen Braut, die vor ihrem Bräutigam, einem Offizier natürlich, sitzt, ihn mit dem rechten Arm um¬ faßt, die linke Hand mit den Händen des Geliebten auf dem Säbelgriff vereint und ihren Kopf schmachtend an die Hüfte des Kriegers lehnt, der sie seinerseits martialisch von oben herab betrachtet! Wenn man sich diese Szene vergegen¬ wärtigt — was nach der verwickelten Darstellung des Romans nicht leicht ist —, wird man Colette nnr Recht geben können. Den Beweis aber, daß das echt deutsch ist, hat sich Barres geschenkt. Der sogenannte Held ist ein unausstehlicher, lederner Geselle. Ein „klas¬ sischer Deutscher", denn er trägt einen grünlichen Filzhut, ist matratzeuartig in einen unmöglichen Überrock eingepolstert, trügt eine ebenso unmögliche Kravatte und mit ranzigem Fett geschmierte plumpe Stiefel; benimmt sich un¬ manierlich bei Tisch, erinnert daran, daß er auf den Doktortitel Anspruch hat, schlägt rücksichtslos und laut die Türen zu, tritt bei den Damen mit qualmender Tabakspfeife und vollem Bierkrug ein und begeht die auserlesensten Taktlosigkeiten gegen die Empfindungen — insbesondre die patriotischen — der Baudoche. Die Kulturerrungenschaften Französisch-Lothringens erfüllen ihn mit Erstaunen, und jeder Kenner Lothringens wird mit Überraschung lesen, daß sogar die Hygiene in den altfranzösischen Häusern besser ist als im modernen Deutschland. Der französische Kamin und die französische Küche werden gefeiert und dabei manches Wahre über die Absonderlichkeiten neu¬ deutscher Wohnungseinrichtungen gesagt. Als die Salvatorzeit kommt, hält es der „klassische Deutsche" für seine Pflicht, sich in der unanständigsten Weise zu betrinken, und als ihm Colette Vorhaltungen macht, antwortet er: „Das sind so unsre Sitten!" Als er die Schönheiten von Nancy mit der nötigen Pedanterie studiert, ist er schon so französiert, daß er sich des reichlichen Bier¬ genusses schämt. Er leistet sich da den wiederum klassischem Ausspruch: „Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/510>, abgerufen am 03.07.2024.