Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Line verlassene Handelsstraße und ihre Znkunftsanssichten Straßen gefolgt, warum nicht auch in diesem Falle? Ein Schienenweg von Da ergibt sich denn eine neue gegenüber dem Umwege über Verona Das Zukunftsbild, das wir entrollt haben, wäre bei allen seinen Licht¬ Line verlassene Handelsstraße und ihre Znkunftsanssichten Straßen gefolgt, warum nicht auch in diesem Falle? Ein Schienenweg von Da ergibt sich denn eine neue gegenüber dem Umwege über Verona Das Zukunftsbild, das wir entrollt haben, wäre bei allen seinen Licht¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312402"/> <fw type="header" place="top"> Line verlassene Handelsstraße und ihre Znkunftsanssichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_174" prev="#ID_173"> Straßen gefolgt, warum nicht auch in diesem Falle? Ein Schienenweg von<lb/> Mals über Taufers, Münster, Santa Maria böte bei den oben geschilderten<lb/> Höhenverhältnissen bis nach San Giacomo hin kaum beachtenswerte Schwierig¬<lb/> keiten. Erst in der Durchbohrung des Bergrückens würden solche erwachsen,<lb/> über den der Scalepaß nach Vormio hinüberführt. Doch was bedeutet für<lb/> die heutige Technik die Erbauung eines Tunnels von wenigen Kilometern<lb/> Länge! Bei dem Scaletunuel wäre freilich mit der Möglichkeit eines Wcisser-<lb/> einbrnchs von oben her zu rechnen, denn der sich auf der Paßhöhe befindende<lb/> Sealesee soll unterirdische Abflüsse haben. Eine im Tale des Braulio ober¬<lb/> halb des alten Bades von Bormio aus der Felswand hervorbrechende starke<lb/> Wassermasse, vom Volke irrig Addaquelle genannt — die Adda entspringt in<lb/> Wirklichkeit sechs Stunden weiter nördlich am Alpisellapasse —, gilt als ein<lb/> Abfluß jenes Sees. Die Ingenieure wissen jedoch, wie zum Beispiel die Er¬<lb/> fahrungen beim Bau des Simplontnnnels gezeigt haben, auch dafür Rat.<lb/> Zweifellos würden die Kosten der Erbauung eines Schienenwegs von Mals<lb/> über San Giacomo nach Bormio nicht allzugroß werden, die Vorteile aber<lb/> bedeutend sein. Für das Veltlin, namentlich für dessen vom Verkehr heute<lb/> stark abgeschnittenen obern Teil, die alte Grafschaft Bornno, bräche eine neue<lb/> Zeit an.' Das Städtchen Bormio, das einstmals, als der mittelalterliche<lb/> Transithandel durch seine Mauern ging, zehntausend Einwohner zählte, während<lb/> es heute kaum noch zweitausend hat, würde von neuem aufblühen, seine be¬<lb/> rühmten, schon den Römern bekannten Heilquellen, ebenso wie die des benach¬<lb/> barten Badeorts Santa Caterina, wo heute fast uur Italiener die Kur ge¬<lb/> brauchen, würden von Kranken ans weiter Ferne her aufgesucht werden, die<lb/> sich jetzt der beschwerlichen weiten Reise wegen nicht dazu bequemen. Das<lb/> obere Äddatal würde der Sitz einer Industrie, die sich gegenwärtig bei dem<lb/> Fehlen eines Schienenwegs dort nicht ansiedeln kann. Ein Blick auf die Karte<lb/> läßt aber auch die größere, über das örtliche Interesse weit hinausgreifende Be¬<lb/> deutung einer Bahnverbindung aus dem Veltlin nach Tirol erkennen, namentlich,<lb/> wenn man berücksichtigt, daß die Fortsetzung der Vintschgaubahn von Mals bis<lb/> Landeck an der Arlbergbcchn beschlossene Sache ist, und daß sich Österreich und<lb/> Bayern geeinigt haben. Anschlußbahnen durch die bayrischen Alpen an die<lb/> Arlbergbahn herz»stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_175"> Da ergibt sich denn eine neue gegenüber dem Umwege über Verona<lb/> und den Brenner kürzere Schienenverbindung Mailand-Collao-Tircmo-<lb/> Bormio-Mals-Landeck-Innsbruck und eine solche von Mals über Meran<lb/> nach Bozen sowie neue Anschlusse nach Bayern, sei es von Landeck über den<lb/> Fernpaß nach Reutte-Kempten-Augsburg-München oder von Zirl über<lb/> Mittenwald-Partenkirchen nach München. Was ist das anders, als das<lb/> Wiederaufleben des mittelalterlichen Handelswegs aus Oberitalien nach Süd-<lb/> deutschland mit Zuhilfenahme der modernen Verkehrsmittel! Zur Erbauung<lb/> der Bahn Bormio-Mals brauchten Italien und Österreich allerdings die<lb/> Zustimmung der Schweiz, deren Gebiet der neue Schienenweg von Münster<lb/> an der tiroler Grenze bis zum Ausgangspunkt des Val Morn in der Nähe<lb/> von San Giacomo durchschneiden würde. Doch von dieser Seite würden<lb/> Schwierigkeiten sicherlich nicht zu erwarten sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_176" next="#ID_177"> Das Zukunftsbild, das wir entrollt haben, wäre bei allen seinen Licht¬<lb/> seiten nicht uach jedermanns Geschmack. Da sind in erster Linie die Verehrer<lb/> einer wildromantischen Gebirgseinsamkeit, denen die Erbauung einer Eisen¬<lb/> bahn durch jenes entlegne Gebiet empfindlich ihre Kreise stören würde. Wer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Line verlassene Handelsstraße und ihre Znkunftsanssichten
Straßen gefolgt, warum nicht auch in diesem Falle? Ein Schienenweg von
Mals über Taufers, Münster, Santa Maria böte bei den oben geschilderten
Höhenverhältnissen bis nach San Giacomo hin kaum beachtenswerte Schwierig¬
keiten. Erst in der Durchbohrung des Bergrückens würden solche erwachsen,
über den der Scalepaß nach Vormio hinüberführt. Doch was bedeutet für
die heutige Technik die Erbauung eines Tunnels von wenigen Kilometern
Länge! Bei dem Scaletunuel wäre freilich mit der Möglichkeit eines Wcisser-
einbrnchs von oben her zu rechnen, denn der sich auf der Paßhöhe befindende
Sealesee soll unterirdische Abflüsse haben. Eine im Tale des Braulio ober¬
halb des alten Bades von Bormio aus der Felswand hervorbrechende starke
Wassermasse, vom Volke irrig Addaquelle genannt — die Adda entspringt in
Wirklichkeit sechs Stunden weiter nördlich am Alpisellapasse —, gilt als ein
Abfluß jenes Sees. Die Ingenieure wissen jedoch, wie zum Beispiel die Er¬
fahrungen beim Bau des Simplontnnnels gezeigt haben, auch dafür Rat.
Zweifellos würden die Kosten der Erbauung eines Schienenwegs von Mals
über San Giacomo nach Bormio nicht allzugroß werden, die Vorteile aber
bedeutend sein. Für das Veltlin, namentlich für dessen vom Verkehr heute
stark abgeschnittenen obern Teil, die alte Grafschaft Bornno, bräche eine neue
Zeit an.' Das Städtchen Bormio, das einstmals, als der mittelalterliche
Transithandel durch seine Mauern ging, zehntausend Einwohner zählte, während
es heute kaum noch zweitausend hat, würde von neuem aufblühen, seine be¬
rühmten, schon den Römern bekannten Heilquellen, ebenso wie die des benach¬
barten Badeorts Santa Caterina, wo heute fast uur Italiener die Kur ge¬
brauchen, würden von Kranken ans weiter Ferne her aufgesucht werden, die
sich jetzt der beschwerlichen weiten Reise wegen nicht dazu bequemen. Das
obere Äddatal würde der Sitz einer Industrie, die sich gegenwärtig bei dem
Fehlen eines Schienenwegs dort nicht ansiedeln kann. Ein Blick auf die Karte
läßt aber auch die größere, über das örtliche Interesse weit hinausgreifende Be¬
deutung einer Bahnverbindung aus dem Veltlin nach Tirol erkennen, namentlich,
wenn man berücksichtigt, daß die Fortsetzung der Vintschgaubahn von Mals bis
Landeck an der Arlbergbcchn beschlossene Sache ist, und daß sich Österreich und
Bayern geeinigt haben. Anschlußbahnen durch die bayrischen Alpen an die
Arlbergbahn herz»stellen.
Da ergibt sich denn eine neue gegenüber dem Umwege über Verona
und den Brenner kürzere Schienenverbindung Mailand-Collao-Tircmo-
Bormio-Mals-Landeck-Innsbruck und eine solche von Mals über Meran
nach Bozen sowie neue Anschlusse nach Bayern, sei es von Landeck über den
Fernpaß nach Reutte-Kempten-Augsburg-München oder von Zirl über
Mittenwald-Partenkirchen nach München. Was ist das anders, als das
Wiederaufleben des mittelalterlichen Handelswegs aus Oberitalien nach Süd-
deutschland mit Zuhilfenahme der modernen Verkehrsmittel! Zur Erbauung
der Bahn Bormio-Mals brauchten Italien und Österreich allerdings die
Zustimmung der Schweiz, deren Gebiet der neue Schienenweg von Münster
an der tiroler Grenze bis zum Ausgangspunkt des Val Morn in der Nähe
von San Giacomo durchschneiden würde. Doch von dieser Seite würden
Schwierigkeiten sicherlich nicht zu erwarten sein.
Das Zukunftsbild, das wir entrollt haben, wäre bei allen seinen Licht¬
seiten nicht uach jedermanns Geschmack. Da sind in erster Linie die Verehrer
einer wildromantischen Gebirgseinsamkeit, denen die Erbauung einer Eisen¬
bahn durch jenes entlegne Gebiet empfindlich ihre Kreise stören würde. Wer
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