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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Roman Lothringens

leichtem Fluß dahin, und die Darstellung ist von größerer Schlichtheit als sonst.
Die Bilder aus dem französischen Metz, die Wanderungen dnrch die Umgebung
der alten Lothringerstadt, der Ausflug nach Gorze und die Gedächtnisfeier
für die gefallnen Franzosen in der Kathedrale sind kleine Meisterwerke. Dazu
ausgestreut über das ganze Buch eine Fülle feiner Bemerkungen und Worte
von tiefem, echtem Klang. Auch die deutschfeindliche Tendenz zeigt sich weniger
grobdrähtig als in ssrvios cle l'^IlömaZ'us, wenn sie sich im vorliegenden
Buch noch oft genug über Geschmack und vornehmes Maß, auf die sich der
Autor so viel zugute tut, hinwegsetzt.

Der Gymnasiallehrer Dr. Friedrich Asmus aus Königsberg ist nach Metz
versetzt und nimmt dort bei den Damen Baudoche Wohnung. Großmutter und
Enkelin -- Reste einer durch die Ereignisse von 1870/71 verarmten französisch¬
lothringischen Familie. Die Not zwingt die Damen, die von einer winzigen
Pension und etwas Schneiderei leben, an einen "Prussien" Zimmer zu ver¬
mieten. Er kommt mit den ganzen Vorurteilen des Eroberers nach Lothringen
und will die Annektierten zu borussischen Kulturidealen erziehen. Natürlich
ist er es aber, der dem Zauber der alten Stadt, der teils lieblichen, teils
schwermütigen Landschaft, der französischen Lebensformen, Anschauungen, Bil¬
dung und Sprache unterliegt. Die langsame Bekehrung wird durch die Liebe
zu Colette vollendet. Er entschließt sich mit bemerkenswerter Kaltblütigkeit,
seiner Braut daheim den Abschied zu geben, und wird sich nach den Ferien
das Jawort der zögernden Colette holen. In der Lothringerin empört sich
aber zu guter Letzt der französische Patriotismus mehr und mehr gegen die
Liebe zu den? Landesfeind, und bei dem Requiem für die Opfer des Krieges
wird es ihr klar, daß die französische Ehre von ihr den Verzicht auf die Liebe
des Barbaren verlangt. An der Kirchentür macht sie dem bestürzten Asmus
ihre Entscheidung bekannt. Colette kehrt mit ihrer Großmutter in die Wohnung
am Moselkai zurück; sie wird voraussichtlich einsam durchs Leben gehn, aber
sie wird den Gräbern, der Sprache, dem Gedanken ihres Volkes treu bleiben.

Diese einfache Fabel gibt den Rahmen ab zu einer Gegenüberstellung
deutscher und französischer Charaktere. Das neudeutsch-geschmacklose moderne
Metz der Einwanderer spielt eine traurige Rolle neben dem c-i-cUvant Metz
der Eingevornen. In den Villen der Umgebung haben die teutonischen
Parvenus alle feinen Reize durch ihre abgeschmackten Einfälle zerstört. Auch
nicht ein einziger wahrhaft liebenswürdiger Vertreter des Deutschtums wird
uns gezeigt. Die Kollegen des Dr. Asmus sind natürlich xMAeriliarnstW mit
Landsknechtmanieren, die nach Elsaß-Lothringen auch noch die Picardie, Artois,
Flandern, Champagne, Burgund und Freunde-Comte der Wonnen der Germa¬
nisierung teilhaftig werden lassen wollen. Der deutsche Arbeiter ist ein
Trunkenbold, der sein Geld in der Schenke perdue, den seine lothringische Frau
haßt, und den die eignen Kinder als Prussien verachten, wenn er daheim alles
kurz und klein schlüge. Man macht sich auch über die deutschen Beamten


Der Roman Lothringens

leichtem Fluß dahin, und die Darstellung ist von größerer Schlichtheit als sonst.
Die Bilder aus dem französischen Metz, die Wanderungen dnrch die Umgebung
der alten Lothringerstadt, der Ausflug nach Gorze und die Gedächtnisfeier
für die gefallnen Franzosen in der Kathedrale sind kleine Meisterwerke. Dazu
ausgestreut über das ganze Buch eine Fülle feiner Bemerkungen und Worte
von tiefem, echtem Klang. Auch die deutschfeindliche Tendenz zeigt sich weniger
grobdrähtig als in ssrvios cle l'^IlömaZ'us, wenn sie sich im vorliegenden
Buch noch oft genug über Geschmack und vornehmes Maß, auf die sich der
Autor so viel zugute tut, hinwegsetzt.

Der Gymnasiallehrer Dr. Friedrich Asmus aus Königsberg ist nach Metz
versetzt und nimmt dort bei den Damen Baudoche Wohnung. Großmutter und
Enkelin — Reste einer durch die Ereignisse von 1870/71 verarmten französisch¬
lothringischen Familie. Die Not zwingt die Damen, die von einer winzigen
Pension und etwas Schneiderei leben, an einen „Prussien" Zimmer zu ver¬
mieten. Er kommt mit den ganzen Vorurteilen des Eroberers nach Lothringen
und will die Annektierten zu borussischen Kulturidealen erziehen. Natürlich
ist er es aber, der dem Zauber der alten Stadt, der teils lieblichen, teils
schwermütigen Landschaft, der französischen Lebensformen, Anschauungen, Bil¬
dung und Sprache unterliegt. Die langsame Bekehrung wird durch die Liebe
zu Colette vollendet. Er entschließt sich mit bemerkenswerter Kaltblütigkeit,
seiner Braut daheim den Abschied zu geben, und wird sich nach den Ferien
das Jawort der zögernden Colette holen. In der Lothringerin empört sich
aber zu guter Letzt der französische Patriotismus mehr und mehr gegen die
Liebe zu den? Landesfeind, und bei dem Requiem für die Opfer des Krieges
wird es ihr klar, daß die französische Ehre von ihr den Verzicht auf die Liebe
des Barbaren verlangt. An der Kirchentür macht sie dem bestürzten Asmus
ihre Entscheidung bekannt. Colette kehrt mit ihrer Großmutter in die Wohnung
am Moselkai zurück; sie wird voraussichtlich einsam durchs Leben gehn, aber
sie wird den Gräbern, der Sprache, dem Gedanken ihres Volkes treu bleiben.

Diese einfache Fabel gibt den Rahmen ab zu einer Gegenüberstellung
deutscher und französischer Charaktere. Das neudeutsch-geschmacklose moderne
Metz der Einwanderer spielt eine traurige Rolle neben dem c-i-cUvant Metz
der Eingevornen. In den Villen der Umgebung haben die teutonischen
Parvenus alle feinen Reize durch ihre abgeschmackten Einfälle zerstört. Auch
nicht ein einziger wahrhaft liebenswürdiger Vertreter des Deutschtums wird
uns gezeigt. Die Kollegen des Dr. Asmus sind natürlich xMAeriliarnstW mit
Landsknechtmanieren, die nach Elsaß-Lothringen auch noch die Picardie, Artois,
Flandern, Champagne, Burgund und Freunde-Comte der Wonnen der Germa¬
nisierung teilhaftig werden lassen wollen. Der deutsche Arbeiter ist ein
Trunkenbold, der sein Geld in der Schenke perdue, den seine lothringische Frau
haßt, und den die eignen Kinder als Prussien verachten, wenn er daheim alles
kurz und klein schlüge. Man macht sich auch über die deutschen Beamten


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[0509] Der Roman Lothringens leichtem Fluß dahin, und die Darstellung ist von größerer Schlichtheit als sonst. Die Bilder aus dem französischen Metz, die Wanderungen dnrch die Umgebung der alten Lothringerstadt, der Ausflug nach Gorze und die Gedächtnisfeier für die gefallnen Franzosen in der Kathedrale sind kleine Meisterwerke. Dazu ausgestreut über das ganze Buch eine Fülle feiner Bemerkungen und Worte von tiefem, echtem Klang. Auch die deutschfeindliche Tendenz zeigt sich weniger grobdrähtig als in ssrvios cle l'^IlömaZ'us, wenn sie sich im vorliegenden Buch noch oft genug über Geschmack und vornehmes Maß, auf die sich der Autor so viel zugute tut, hinwegsetzt. Der Gymnasiallehrer Dr. Friedrich Asmus aus Königsberg ist nach Metz versetzt und nimmt dort bei den Damen Baudoche Wohnung. Großmutter und Enkelin — Reste einer durch die Ereignisse von 1870/71 verarmten französisch¬ lothringischen Familie. Die Not zwingt die Damen, die von einer winzigen Pension und etwas Schneiderei leben, an einen „Prussien" Zimmer zu ver¬ mieten. Er kommt mit den ganzen Vorurteilen des Eroberers nach Lothringen und will die Annektierten zu borussischen Kulturidealen erziehen. Natürlich ist er es aber, der dem Zauber der alten Stadt, der teils lieblichen, teils schwermütigen Landschaft, der französischen Lebensformen, Anschauungen, Bil¬ dung und Sprache unterliegt. Die langsame Bekehrung wird durch die Liebe zu Colette vollendet. Er entschließt sich mit bemerkenswerter Kaltblütigkeit, seiner Braut daheim den Abschied zu geben, und wird sich nach den Ferien das Jawort der zögernden Colette holen. In der Lothringerin empört sich aber zu guter Letzt der französische Patriotismus mehr und mehr gegen die Liebe zu den? Landesfeind, und bei dem Requiem für die Opfer des Krieges wird es ihr klar, daß die französische Ehre von ihr den Verzicht auf die Liebe des Barbaren verlangt. An der Kirchentür macht sie dem bestürzten Asmus ihre Entscheidung bekannt. Colette kehrt mit ihrer Großmutter in die Wohnung am Moselkai zurück; sie wird voraussichtlich einsam durchs Leben gehn, aber sie wird den Gräbern, der Sprache, dem Gedanken ihres Volkes treu bleiben. Diese einfache Fabel gibt den Rahmen ab zu einer Gegenüberstellung deutscher und französischer Charaktere. Das neudeutsch-geschmacklose moderne Metz der Einwanderer spielt eine traurige Rolle neben dem c-i-cUvant Metz der Eingevornen. In den Villen der Umgebung haben die teutonischen Parvenus alle feinen Reize durch ihre abgeschmackten Einfälle zerstört. Auch nicht ein einziger wahrhaft liebenswürdiger Vertreter des Deutschtums wird uns gezeigt. Die Kollegen des Dr. Asmus sind natürlich xMAeriliarnstW mit Landsknechtmanieren, die nach Elsaß-Lothringen auch noch die Picardie, Artois, Flandern, Champagne, Burgund und Freunde-Comte der Wonnen der Germa¬ nisierung teilhaftig werden lassen wollen. Der deutsche Arbeiter ist ein Trunkenbold, der sein Geld in der Schenke perdue, den seine lothringische Frau haßt, und den die eignen Kinder als Prussien verachten, wenn er daheim alles kurz und klein schlüge. Man macht sich auch über die deutschen Beamten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/509>, abgerufen am 12.12.2024.