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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Roman Lothringens

läßt. Eine solche Auslegung gibt Barres unserm alten, guten Rheinlied,
dessen erste und letzte Strophe wir hier in seiner Übersetzung einfügen wollen:

In volstts Kanäoous haben wir also den ersten Roman der annektierten
Lothringer vor uns. Maurice Barres ist einer der begabtesten, aber auch
einer der meist umstrittnen Schriftsteller des heutigen Frankreichs. Barres
ist eben nicht nur Schriftsteller, sondern auch Politiker, und zwar ein
äußerst kampflustiger Politiker, wie die Boulangerzeit bewiesen hat, und wie
wir noch heute in der Deputierteukammer beobachten können. Er hat den
ausgearteten Parlamentarismus der Demokratie grimmig verhöhnt, und die
Parteigegner rächen sich für die empfangner Geißelhiebe dadurch, daß sie den
Schriftsteller herabsetzen. Wenn ein so scharfer Widersacher Barres wie der
Sozialist de Presscnse dem Verfasser des Romans as I'Lnsr^is nationale seine
Bewunderung ausspricht -- was neulich im Palais Bourbon geschah --, so
erregt das bei den Radikalen Verwundern, ja Entrüstung.

Wir wollen hier dem Beispiel Pressenses folgen und dem Mann, der ein
unversöhnlicher Gegner des Bismarckischen Neudeutschland ist, trotzdem gerecht
zu werden suchen. Barres gehört zu jenen Franzosen, die ihr Volk aus der
Wüste des Wurzel- und überlieferungslosen Jakobinertums zu den Quellen der
alten, nationalen Kraft zurückführen wollen. Barres ist, wie Albert Sorel
in seinen nachgelassenen Rotes se?orei-g,it>8 mit Recht von ihm sagt, von allen
Beschwörern der Bolkscnergie der, dessen Stimme am tiefsten in die Seele
der heutigen Jugend eingedrungen ist. Auf wenige zeitgenössische Franzosen
paßt so das Wort La-Rochefoueaulds: I/aevent an p-Z^s, on 1'ein est irö,
äöiueurs clans l'ssprit et äg-us 1s ocsur voulus ains 1o IkMMZs. Wir wollen
die Echtheit der Heimatliebe Barres nicht bezweifeln; aber er kokettiert doch
gar zu sehr mit ihr. Gesuchtheit und Manier entstellen auch seine Sprache,
seinen Stil. Barres schreibt ein Französisch, das durch seinen Glanz gefangen¬
nimmt, das sogar oft durch große Kraft überrascht, dessen Hauptreiz aber in
einer duftigen Eleganz besteht. Schade nur, daß dieser Duft oft nicht der
Geruch der frischen Blumen Lothringens, sondern Pariser Parfüm ist. Wenige
verstehn es wie Barres, in der Seele einer Landschaft zu lesen und diese
Seele wiederzugeben; die Menschen in einen innigen, geheimnisvollen Zu¬
sammenhang mit der Erde zu bringen, aus der sie leben, mit der Luft, in der
sie atmen. Alle diese Vorzüge zeigt sein neustes Buch, und es hält sich dabei
frei von manchen Fehlern früherer Werke; die Sprache fließt in anmutigen,


Der Roman Lothringens

läßt. Eine solche Auslegung gibt Barres unserm alten, guten Rheinlied,
dessen erste und letzte Strophe wir hier in seiner Übersetzung einfügen wollen:

In volstts Kanäoous haben wir also den ersten Roman der annektierten
Lothringer vor uns. Maurice Barres ist einer der begabtesten, aber auch
einer der meist umstrittnen Schriftsteller des heutigen Frankreichs. Barres
ist eben nicht nur Schriftsteller, sondern auch Politiker, und zwar ein
äußerst kampflustiger Politiker, wie die Boulangerzeit bewiesen hat, und wie
wir noch heute in der Deputierteukammer beobachten können. Er hat den
ausgearteten Parlamentarismus der Demokratie grimmig verhöhnt, und die
Parteigegner rächen sich für die empfangner Geißelhiebe dadurch, daß sie den
Schriftsteller herabsetzen. Wenn ein so scharfer Widersacher Barres wie der
Sozialist de Presscnse dem Verfasser des Romans as I'Lnsr^is nationale seine
Bewunderung ausspricht — was neulich im Palais Bourbon geschah —, so
erregt das bei den Radikalen Verwundern, ja Entrüstung.

Wir wollen hier dem Beispiel Pressenses folgen und dem Mann, der ein
unversöhnlicher Gegner des Bismarckischen Neudeutschland ist, trotzdem gerecht
zu werden suchen. Barres gehört zu jenen Franzosen, die ihr Volk aus der
Wüste des Wurzel- und überlieferungslosen Jakobinertums zu den Quellen der
alten, nationalen Kraft zurückführen wollen. Barres ist, wie Albert Sorel
in seinen nachgelassenen Rotes se?orei-g,it>8 mit Recht von ihm sagt, von allen
Beschwörern der Bolkscnergie der, dessen Stimme am tiefsten in die Seele
der heutigen Jugend eingedrungen ist. Auf wenige zeitgenössische Franzosen
paßt so das Wort La-Rochefoueaulds: I/aevent an p-Z^s, on 1'ein est irö,
äöiueurs clans l'ssprit et äg-us 1s ocsur voulus ains 1o IkMMZs. Wir wollen
die Echtheit der Heimatliebe Barres nicht bezweifeln; aber er kokettiert doch
gar zu sehr mit ihr. Gesuchtheit und Manier entstellen auch seine Sprache,
seinen Stil. Barres schreibt ein Französisch, das durch seinen Glanz gefangen¬
nimmt, das sogar oft durch große Kraft überrascht, dessen Hauptreiz aber in
einer duftigen Eleganz besteht. Schade nur, daß dieser Duft oft nicht der
Geruch der frischen Blumen Lothringens, sondern Pariser Parfüm ist. Wenige
verstehn es wie Barres, in der Seele einer Landschaft zu lesen und diese
Seele wiederzugeben; die Menschen in einen innigen, geheimnisvollen Zu¬
sammenhang mit der Erde zu bringen, aus der sie leben, mit der Luft, in der
sie atmen. Alle diese Vorzüge zeigt sein neustes Buch, und es hält sich dabei
frei von manchen Fehlern früherer Werke; die Sprache fließt in anmutigen,


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[0508] Der Roman Lothringens läßt. Eine solche Auslegung gibt Barres unserm alten, guten Rheinlied, dessen erste und letzte Strophe wir hier in seiner Übersetzung einfügen wollen: In volstts Kanäoous haben wir also den ersten Roman der annektierten Lothringer vor uns. Maurice Barres ist einer der begabtesten, aber auch einer der meist umstrittnen Schriftsteller des heutigen Frankreichs. Barres ist eben nicht nur Schriftsteller, sondern auch Politiker, und zwar ein äußerst kampflustiger Politiker, wie die Boulangerzeit bewiesen hat, und wie wir noch heute in der Deputierteukammer beobachten können. Er hat den ausgearteten Parlamentarismus der Demokratie grimmig verhöhnt, und die Parteigegner rächen sich für die empfangner Geißelhiebe dadurch, daß sie den Schriftsteller herabsetzen. Wenn ein so scharfer Widersacher Barres wie der Sozialist de Presscnse dem Verfasser des Romans as I'Lnsr^is nationale seine Bewunderung ausspricht — was neulich im Palais Bourbon geschah —, so erregt das bei den Radikalen Verwundern, ja Entrüstung. Wir wollen hier dem Beispiel Pressenses folgen und dem Mann, der ein unversöhnlicher Gegner des Bismarckischen Neudeutschland ist, trotzdem gerecht zu werden suchen. Barres gehört zu jenen Franzosen, die ihr Volk aus der Wüste des Wurzel- und überlieferungslosen Jakobinertums zu den Quellen der alten, nationalen Kraft zurückführen wollen. Barres ist, wie Albert Sorel in seinen nachgelassenen Rotes se?orei-g,it>8 mit Recht von ihm sagt, von allen Beschwörern der Bolkscnergie der, dessen Stimme am tiefsten in die Seele der heutigen Jugend eingedrungen ist. Auf wenige zeitgenössische Franzosen paßt so das Wort La-Rochefoueaulds: I/aevent an p-Z^s, on 1'ein est irö, äöiueurs clans l'ssprit et äg-us 1s ocsur voulus ains 1o IkMMZs. Wir wollen die Echtheit der Heimatliebe Barres nicht bezweifeln; aber er kokettiert doch gar zu sehr mit ihr. Gesuchtheit und Manier entstellen auch seine Sprache, seinen Stil. Barres schreibt ein Französisch, das durch seinen Glanz gefangen¬ nimmt, das sogar oft durch große Kraft überrascht, dessen Hauptreiz aber in einer duftigen Eleganz besteht. Schade nur, daß dieser Duft oft nicht der Geruch der frischen Blumen Lothringens, sondern Pariser Parfüm ist. Wenige verstehn es wie Barres, in der Seele einer Landschaft zu lesen und diese Seele wiederzugeben; die Menschen in einen innigen, geheimnisvollen Zu¬ sammenhang mit der Erde zu bringen, aus der sie leben, mit der Luft, in der sie atmen. Alle diese Vorzüge zeigt sein neustes Buch, und es hält sich dabei frei von manchen Fehlern früherer Werke; die Sprache fließt in anmutigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/508>, abgerufen am 23.07.2024.