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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Irrenärztliche Münsche zur neuen Strafprozeßordnung

Es ist schon ein Fortschritt, daß nach dem Entwurf die Zeit von sechs
Wochen für Beobachtung in der Irrenanstalt dann überschritten werden darf,
wenn der Angeschuldigte damit einverstanden ist. Es ist aber ein dringendes
Bedürfnis, daß diese Frist auch ohne seine Einwilligung in besondern Fällen
bis zur Dauer von nochmals sechs Wochen verlängert werden könne. Na¬
mentlich wenn mehrere Begutachter hintereinander ihre Beobachtungen anstellen
sollen, genügt erfahrungsgemäß die Gesamtbeobachtungszeit von einmal sechs
Wochen oft nicht. Es hat schon zu großen Schwierigkeiten geführt, wenn die
Zeit von einmal sechs Wochen verbraucht und weitere exakte Beobachtung nötig
war. Sehr wichtig ist der von rechtsanwaltschastlicher Seite in der Dresdner
Vereinigung gemachte Vorschlag, die Zeit der Beobachtung in der öffentlichen
Irrenanstalt entsprechend der Untersuchungshaft ganz oder teilweise auf die
Strafe anzurechnen.

Fänden diese Anträge Zustimmung, so wäre Paragraph 80 des Entwurfs
in folgender Weise abzuändern. Absatz 2 erster Satz würde beginnen: "Er¬
klärt der Sachverständige, daß die erforderliche Begutachtung außerhalb einer
Irrenanstalt nicht ausführbar ist, und wird sie -- auch nicht dadurch ermög¬
licht, daß der Beschuldigte sich freiwillig in eine öffentliche Irrenanstalt auf¬
nehmen läßt, so kann" usw. Absatz 3 würde heißen: "Sobald die Beobachtungen
zur Abgabe des Gutachtens ausreichen, hat der Sachverständige dem Gericht
Anzeige zu machen. Die Unterbringung in der Anstalt darf ohne Einwilligung
des Angeschuldigten die Dauer von sechs Wochen nur dann und zwar höchstens
um sechs weitere Wochen überschreiten, wenn sie in demselben Verfahren oder
einem andern Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstande hat, wiederholt
und zwar zur Vorbereitung des Gutachtens eines zweiten Sachverständigen
angeordnet wird. Die in der öffentlichen Irrenanstalt zum Zwecke der Be¬
obachtung zugebrachte Zeit kann bei Fällung des Urteils auf die erkannte
Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden."

Ganz ausgeschlossen ist übrigens die Privatirrenanstalt nach der vorge¬
schlagnen Fassung auch nicht. Der Angeschuldigte kann ja, solange er sich
auf freiem Fuße befindet, freiwillig in eine Privatanstalt gehn, dafern der
Sachverständige nicht erklärt, die erforderliche Beobachtung sei außerhalb einer
Irrenanstalt nicht ausführbar. Dann aber sollte allein die öffentliche Irren¬
anstalt in Frage kommen.

Nach Paragraph 313 des Entwurfs steht übrigens dem Beschuldigten auch
gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts noch das Rechtsmittel der
weitern Beschwerde zu. Man hat gefürchtet, daß durch die Einräumung
weiterer Beschwerde die Beobachtungszeit zu weit hinausgeschoben und der
Sachverhalt verdunkelt werden könnte. Die Juristen versichern jedoch, daß
diese weitere Beschwerde längstens in einer Woche erledigt werde.

Das für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient äußerst wichtige
Berufsgeheimnis wird vom Strafgesetzbuch in Paragraph 300 geschützt.


Irrenärztliche Münsche zur neuen Strafprozeßordnung

Es ist schon ein Fortschritt, daß nach dem Entwurf die Zeit von sechs
Wochen für Beobachtung in der Irrenanstalt dann überschritten werden darf,
wenn der Angeschuldigte damit einverstanden ist. Es ist aber ein dringendes
Bedürfnis, daß diese Frist auch ohne seine Einwilligung in besondern Fällen
bis zur Dauer von nochmals sechs Wochen verlängert werden könne. Na¬
mentlich wenn mehrere Begutachter hintereinander ihre Beobachtungen anstellen
sollen, genügt erfahrungsgemäß die Gesamtbeobachtungszeit von einmal sechs
Wochen oft nicht. Es hat schon zu großen Schwierigkeiten geführt, wenn die
Zeit von einmal sechs Wochen verbraucht und weitere exakte Beobachtung nötig
war. Sehr wichtig ist der von rechtsanwaltschastlicher Seite in der Dresdner
Vereinigung gemachte Vorschlag, die Zeit der Beobachtung in der öffentlichen
Irrenanstalt entsprechend der Untersuchungshaft ganz oder teilweise auf die
Strafe anzurechnen.

Fänden diese Anträge Zustimmung, so wäre Paragraph 80 des Entwurfs
in folgender Weise abzuändern. Absatz 2 erster Satz würde beginnen: „Er¬
klärt der Sachverständige, daß die erforderliche Begutachtung außerhalb einer
Irrenanstalt nicht ausführbar ist, und wird sie — auch nicht dadurch ermög¬
licht, daß der Beschuldigte sich freiwillig in eine öffentliche Irrenanstalt auf¬
nehmen läßt, so kann" usw. Absatz 3 würde heißen: „Sobald die Beobachtungen
zur Abgabe des Gutachtens ausreichen, hat der Sachverständige dem Gericht
Anzeige zu machen. Die Unterbringung in der Anstalt darf ohne Einwilligung
des Angeschuldigten die Dauer von sechs Wochen nur dann und zwar höchstens
um sechs weitere Wochen überschreiten, wenn sie in demselben Verfahren oder
einem andern Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstande hat, wiederholt
und zwar zur Vorbereitung des Gutachtens eines zweiten Sachverständigen
angeordnet wird. Die in der öffentlichen Irrenanstalt zum Zwecke der Be¬
obachtung zugebrachte Zeit kann bei Fällung des Urteils auf die erkannte
Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden."

Ganz ausgeschlossen ist übrigens die Privatirrenanstalt nach der vorge¬
schlagnen Fassung auch nicht. Der Angeschuldigte kann ja, solange er sich
auf freiem Fuße befindet, freiwillig in eine Privatanstalt gehn, dafern der
Sachverständige nicht erklärt, die erforderliche Beobachtung sei außerhalb einer
Irrenanstalt nicht ausführbar. Dann aber sollte allein die öffentliche Irren¬
anstalt in Frage kommen.

Nach Paragraph 313 des Entwurfs steht übrigens dem Beschuldigten auch
gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts noch das Rechtsmittel der
weitern Beschwerde zu. Man hat gefürchtet, daß durch die Einräumung
weiterer Beschwerde die Beobachtungszeit zu weit hinausgeschoben und der
Sachverhalt verdunkelt werden könnte. Die Juristen versichern jedoch, daß
diese weitere Beschwerde längstens in einer Woche erledigt werde.

Das für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient äußerst wichtige
Berufsgeheimnis wird vom Strafgesetzbuch in Paragraph 300 geschützt.


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[0502] Irrenärztliche Münsche zur neuen Strafprozeßordnung Es ist schon ein Fortschritt, daß nach dem Entwurf die Zeit von sechs Wochen für Beobachtung in der Irrenanstalt dann überschritten werden darf, wenn der Angeschuldigte damit einverstanden ist. Es ist aber ein dringendes Bedürfnis, daß diese Frist auch ohne seine Einwilligung in besondern Fällen bis zur Dauer von nochmals sechs Wochen verlängert werden könne. Na¬ mentlich wenn mehrere Begutachter hintereinander ihre Beobachtungen anstellen sollen, genügt erfahrungsgemäß die Gesamtbeobachtungszeit von einmal sechs Wochen oft nicht. Es hat schon zu großen Schwierigkeiten geführt, wenn die Zeit von einmal sechs Wochen verbraucht und weitere exakte Beobachtung nötig war. Sehr wichtig ist der von rechtsanwaltschastlicher Seite in der Dresdner Vereinigung gemachte Vorschlag, die Zeit der Beobachtung in der öffentlichen Irrenanstalt entsprechend der Untersuchungshaft ganz oder teilweise auf die Strafe anzurechnen. Fänden diese Anträge Zustimmung, so wäre Paragraph 80 des Entwurfs in folgender Weise abzuändern. Absatz 2 erster Satz würde beginnen: „Er¬ klärt der Sachverständige, daß die erforderliche Begutachtung außerhalb einer Irrenanstalt nicht ausführbar ist, und wird sie — auch nicht dadurch ermög¬ licht, daß der Beschuldigte sich freiwillig in eine öffentliche Irrenanstalt auf¬ nehmen läßt, so kann" usw. Absatz 3 würde heißen: „Sobald die Beobachtungen zur Abgabe des Gutachtens ausreichen, hat der Sachverständige dem Gericht Anzeige zu machen. Die Unterbringung in der Anstalt darf ohne Einwilligung des Angeschuldigten die Dauer von sechs Wochen nur dann und zwar höchstens um sechs weitere Wochen überschreiten, wenn sie in demselben Verfahren oder einem andern Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstande hat, wiederholt und zwar zur Vorbereitung des Gutachtens eines zweiten Sachverständigen angeordnet wird. Die in der öffentlichen Irrenanstalt zum Zwecke der Be¬ obachtung zugebrachte Zeit kann bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden." Ganz ausgeschlossen ist übrigens die Privatirrenanstalt nach der vorge¬ schlagnen Fassung auch nicht. Der Angeschuldigte kann ja, solange er sich auf freiem Fuße befindet, freiwillig in eine Privatanstalt gehn, dafern der Sachverständige nicht erklärt, die erforderliche Beobachtung sei außerhalb einer Irrenanstalt nicht ausführbar. Dann aber sollte allein die öffentliche Irren¬ anstalt in Frage kommen. Nach Paragraph 313 des Entwurfs steht übrigens dem Beschuldigten auch gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts noch das Rechtsmittel der weitern Beschwerde zu. Man hat gefürchtet, daß durch die Einräumung weiterer Beschwerde die Beobachtungszeit zu weit hinausgeschoben und der Sachverhalt verdunkelt werden könnte. Die Juristen versichern jedoch, daß diese weitere Beschwerde längstens in einer Woche erledigt werde. Das für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient äußerst wichtige Berufsgeheimnis wird vom Strafgesetzbuch in Paragraph 300 geschützt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/502>, abgerufen am 23.07.2024.