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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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freiwillig in eine geeignete Anstalt begibt, so bleibt nichts übrig, als die Frage
unentschieden zu lassen.

Auch die Vorschrift in Paragraph 75 Absatz 2 des Entwurfs, die von der
Vorbereitung des Gutachtens des Sachverständigen handelt, hat bei Psy¬
chiatern Anlaß zu Bedenken gegeben. Sie lautet: Dem Sachverständigen kann
uns sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von
Zeugen und Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden; auch kann
ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, bei der Vernehmung von Zeugen
und Beschuldigten zugegen zu sein und Fragen an sie zu richten. Eine Reihe
von Psychiatern hat sich nun dahin ausgesprochen, daß es nötig sei, in Para¬
graph 75 zweimal "kann" durch "ist" zu ersetzen, da den irrenärztlichen Sach¬
verständigen hier oder dort Schwierigkeiten gemacht worden sind, wenn sie
Akteneinsicht und unmittelbare Zeugenbefragung wünschten. Die vorgeschlagne
Änderung würde aber zur Folge haben, daß auch andre nicht psychiatrische
und überhaupt nicht ärztliche Sachverständige die Aktencinsicht und das Recht
zur unmittelbaren Fragestellung beanspruchen dürften, was mit Unzuträglich¬
keiten verbunden sein könnte. Zur Beurteilung des Geisteszustandes sind
sorgfältige Aktendnrchsicht und persönliche Befragung ganz gewiß von unschätz¬
barem Wert. Den berechtigten Wünschen der Irrenärzte usw. würde hinreichend
Rechnung getragen durch folgenden Zusatz zu Paragraph 75: "Handelt es
sich um die Untersuchung des Geisteszustandes, so müssen solche Anträge des
Sachverständigen tunlichst berücksichtigt werden."

In Paragraph 71 Absatz 3 des Entwurfs heißt es: An Stelle der Ver¬
nehmung eines Sachverständigen kann in geeigneten Fällen das Gutachten einer
Fachbehörde eingeholt werden. -- Eine allgemeine Bestimmung, daß in der
Regel die Fachbehörde erst in höherer Instanz sprechen soll, ist nicht gegeben.
Bei psychiatrischen Begutachtungen und überhaupt in medizinischen Dingen ist
es aber wünschenswert, daß die Fachbehörde, das ist die medizinische Fakultät
oder das Medizinalkollegium, erst dann in Tätigkeit tritt, wenn ein Obergut-
uchten über verschieden lautende Beurteilungen nötig, wenn die Richtigkeit
eines oder mehrerer Gutachten zweifelhaft erscheint. Auch die wissenschaftliche
Deputation in Berlin spricht nur, wenn schon ein Gutachten abgegeben worden
ist- Als besondre Bestimmung kann es ja erwähnt bleiben, daß in geeigneten
Fällen -- es kann gewiß solche, die mit der Medizin gar nichts zu tun haben,
geben -- gleich die Fachbehörde befragt werden darf. Aber es ist unzweck¬
mäßig, im Gesetz nur diese Ausnahme namhaft zu machen. Man gestalte den
Absatz 3 des Paragraphen 71 des Entwurfs also folgendermaßen: "Nach
Gehör eines oder mehrerer Sachverständiger kann das Gutachten einer Fach¬
behörde eingeholt werden. In geeigneten Füllen kann dies an Stelle der
Vernehmung eines Sachverständigen geschehen."

Für den Gerichtsarzt wie für den Anstaltsirrenarzt ist der Paragraph
von größtem Interesse, in dem die Einweisung eines Angeschuldigten


freiwillig in eine geeignete Anstalt begibt, so bleibt nichts übrig, als die Frage
unentschieden zu lassen.

Auch die Vorschrift in Paragraph 75 Absatz 2 des Entwurfs, die von der
Vorbereitung des Gutachtens des Sachverständigen handelt, hat bei Psy¬
chiatern Anlaß zu Bedenken gegeben. Sie lautet: Dem Sachverständigen kann
uns sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von
Zeugen und Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden; auch kann
ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, bei der Vernehmung von Zeugen
und Beschuldigten zugegen zu sein und Fragen an sie zu richten. Eine Reihe
von Psychiatern hat sich nun dahin ausgesprochen, daß es nötig sei, in Para¬
graph 75 zweimal „kann" durch „ist" zu ersetzen, da den irrenärztlichen Sach¬
verständigen hier oder dort Schwierigkeiten gemacht worden sind, wenn sie
Akteneinsicht und unmittelbare Zeugenbefragung wünschten. Die vorgeschlagne
Änderung würde aber zur Folge haben, daß auch andre nicht psychiatrische
und überhaupt nicht ärztliche Sachverständige die Aktencinsicht und das Recht
zur unmittelbaren Fragestellung beanspruchen dürften, was mit Unzuträglich¬
keiten verbunden sein könnte. Zur Beurteilung des Geisteszustandes sind
sorgfältige Aktendnrchsicht und persönliche Befragung ganz gewiß von unschätz¬
barem Wert. Den berechtigten Wünschen der Irrenärzte usw. würde hinreichend
Rechnung getragen durch folgenden Zusatz zu Paragraph 75: „Handelt es
sich um die Untersuchung des Geisteszustandes, so müssen solche Anträge des
Sachverständigen tunlichst berücksichtigt werden."

In Paragraph 71 Absatz 3 des Entwurfs heißt es: An Stelle der Ver¬
nehmung eines Sachverständigen kann in geeigneten Fällen das Gutachten einer
Fachbehörde eingeholt werden. — Eine allgemeine Bestimmung, daß in der
Regel die Fachbehörde erst in höherer Instanz sprechen soll, ist nicht gegeben.
Bei psychiatrischen Begutachtungen und überhaupt in medizinischen Dingen ist
es aber wünschenswert, daß die Fachbehörde, das ist die medizinische Fakultät
oder das Medizinalkollegium, erst dann in Tätigkeit tritt, wenn ein Obergut-
uchten über verschieden lautende Beurteilungen nötig, wenn die Richtigkeit
eines oder mehrerer Gutachten zweifelhaft erscheint. Auch die wissenschaftliche
Deputation in Berlin spricht nur, wenn schon ein Gutachten abgegeben worden
ist- Als besondre Bestimmung kann es ja erwähnt bleiben, daß in geeigneten
Fällen — es kann gewiß solche, die mit der Medizin gar nichts zu tun haben,
geben — gleich die Fachbehörde befragt werden darf. Aber es ist unzweck¬
mäßig, im Gesetz nur diese Ausnahme namhaft zu machen. Man gestalte den
Absatz 3 des Paragraphen 71 des Entwurfs also folgendermaßen: „Nach
Gehör eines oder mehrerer Sachverständiger kann das Gutachten einer Fach¬
behörde eingeholt werden. In geeigneten Füllen kann dies an Stelle der
Vernehmung eines Sachverständigen geschehen."

Für den Gerichtsarzt wie für den Anstaltsirrenarzt ist der Paragraph
von größtem Interesse, in dem die Einweisung eines Angeschuldigten


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[0499] freiwillig in eine geeignete Anstalt begibt, so bleibt nichts übrig, als die Frage unentschieden zu lassen. Auch die Vorschrift in Paragraph 75 Absatz 2 des Entwurfs, die von der Vorbereitung des Gutachtens des Sachverständigen handelt, hat bei Psy¬ chiatern Anlaß zu Bedenken gegeben. Sie lautet: Dem Sachverständigen kann uns sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden; auch kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, bei der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten zugegen zu sein und Fragen an sie zu richten. Eine Reihe von Psychiatern hat sich nun dahin ausgesprochen, daß es nötig sei, in Para¬ graph 75 zweimal „kann" durch „ist" zu ersetzen, da den irrenärztlichen Sach¬ verständigen hier oder dort Schwierigkeiten gemacht worden sind, wenn sie Akteneinsicht und unmittelbare Zeugenbefragung wünschten. Die vorgeschlagne Änderung würde aber zur Folge haben, daß auch andre nicht psychiatrische und überhaupt nicht ärztliche Sachverständige die Aktencinsicht und das Recht zur unmittelbaren Fragestellung beanspruchen dürften, was mit Unzuträglich¬ keiten verbunden sein könnte. Zur Beurteilung des Geisteszustandes sind sorgfältige Aktendnrchsicht und persönliche Befragung ganz gewiß von unschätz¬ barem Wert. Den berechtigten Wünschen der Irrenärzte usw. würde hinreichend Rechnung getragen durch folgenden Zusatz zu Paragraph 75: „Handelt es sich um die Untersuchung des Geisteszustandes, so müssen solche Anträge des Sachverständigen tunlichst berücksichtigt werden." In Paragraph 71 Absatz 3 des Entwurfs heißt es: An Stelle der Ver¬ nehmung eines Sachverständigen kann in geeigneten Fällen das Gutachten einer Fachbehörde eingeholt werden. — Eine allgemeine Bestimmung, daß in der Regel die Fachbehörde erst in höherer Instanz sprechen soll, ist nicht gegeben. Bei psychiatrischen Begutachtungen und überhaupt in medizinischen Dingen ist es aber wünschenswert, daß die Fachbehörde, das ist die medizinische Fakultät oder das Medizinalkollegium, erst dann in Tätigkeit tritt, wenn ein Obergut- uchten über verschieden lautende Beurteilungen nötig, wenn die Richtigkeit eines oder mehrerer Gutachten zweifelhaft erscheint. Auch die wissenschaftliche Deputation in Berlin spricht nur, wenn schon ein Gutachten abgegeben worden ist- Als besondre Bestimmung kann es ja erwähnt bleiben, daß in geeigneten Fällen — es kann gewiß solche, die mit der Medizin gar nichts zu tun haben, geben — gleich die Fachbehörde befragt werden darf. Aber es ist unzweck¬ mäßig, im Gesetz nur diese Ausnahme namhaft zu machen. Man gestalte den Absatz 3 des Paragraphen 71 des Entwurfs also folgendermaßen: „Nach Gehör eines oder mehrerer Sachverständiger kann das Gutachten einer Fach¬ behörde eingeholt werden. In geeigneten Füllen kann dies an Stelle der Vernehmung eines Sachverständigen geschehen." Für den Gerichtsarzt wie für den Anstaltsirrenarzt ist der Paragraph von größtem Interesse, in dem die Einweisung eines Angeschuldigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/499>, abgerufen am 23.07.2024.