Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Die Reform des Erbrechts lassen wird, unendlich bevorzugt sind vor denen, die beim Tode des Ernährers Aber ein andres rechtspolitisches Bedenken bedarf der Erwägung: ob Unter welcher Voraussetzung ist denn überhaupt ein gesetzliches Erbrecht Schließlich ein finanzpolitisches Bedenken, das mit Nachdruck vou I. Conrad Conrad gibt selbst zu, daß das Erbrecht des Staates, auch wenn es zur Die Reform des Erbrechts lassen wird, unendlich bevorzugt sind vor denen, die beim Tode des Ernährers Aber ein andres rechtspolitisches Bedenken bedarf der Erwägung: ob Unter welcher Voraussetzung ist denn überhaupt ein gesetzliches Erbrecht Schließlich ein finanzpolitisches Bedenken, das mit Nachdruck vou I. Conrad Conrad gibt selbst zu, daß das Erbrecht des Staates, auch wenn es zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312836"/> <fw type="header" place="top"> Die Reform des Erbrechts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1890" prev="#ID_1889"> lassen wird, unendlich bevorzugt sind vor denen, die beim Tode des Ernährers<lb/> mittellos zurückbleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1891"> Aber ein andres rechtspolitisches Bedenken bedarf der Erwägung: ob<lb/> denn gerade der Staat der richtige Erbe für erblose Nachlasse sei, ob nicht<lb/> besser öffentliche Körperschaften, die dem Einzelnen näher stehn, wie ins¬<lb/> besondre die Gemeinden, zur Erbschaft zuzulassen seien. Wäre dieses Be¬<lb/> denken zutreffend, so würde sich daraus allerdings ergeben, daß die Erbrechts¬<lb/> reform von der Reichsfinanzreform loszulösen sei. Aber ich halte es nicht für<lb/> zutreffend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1892"> Unter welcher Voraussetzung ist denn überhaupt ein gesetzliches Erbrecht<lb/> öffentlich-rechtlicher Verbände zu rechtfertigen? Doch wohl nur unter dieser,<lb/> daß Staat und Gemeinde heute an dem Gedeihen des Einzelnen und seines<lb/> Vermögens mehr beteiligt sind als die Verwandten, die nicht zur engsten<lb/> Familie, zum Hause, gehören. Nicht nur, daß der Staat durch seine Ein¬<lb/> richtungen für das leibliche Wohl, die geistige und sittliche Ausbildung seiner<lb/> Mitglieder sorgt; er ist auch der mächtige Förderer vou Landwirtschaft, Industrie<lb/> »ud Handel; auf staatliches Wirken gründet sich das Vermögen des Einzelnen<lb/> uicht minder als auf dessen persönliche Kraft. Und wenn diese Kraft versagt,<lb/> wenn auch die engste Familie nicht imstande ist, den Einzelnen zu erhalten,<lb/> so ist es schließlich wieder der Staat, der für ihn eintreten muß. Allerdings<lb/> teilt er sich in diese Fürsorge für das Einzelwohl mit andern öffentlich-recht¬<lb/> lichen Verbunden, insbesondre den Gemeinden, und dies könnte den Gedanken<lb/> rechtfertigen, daß den Gemeinden ein Anteil am Nachlaß der Gemeindemitglieder<lb/> einzuräumen sei. Dem steht aber entgegen, daß den verschiednen Arten dieser<lb/> Verbände ein sehr verschiednes Maß an Aufgaben zugewiesen ist, sodaß ein<lb/> einigermaßen gerechter Verteilungsmaßstab kaum zu finden sein dürfte. Es wird<lb/> deshalb das richtigste sein, was der Entwurf vorschlägt: der Staat, als das<lb/> Gemeinwesen, von dem die andern ihr Recht herleiten, ist Erbe. Da aber das<lb/> Deutsche Reich ein Bundesstaat ist, so haben sich Reich und Einzelstaat in die<lb/> Erbschaft zu teilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1893"> Schließlich ein finanzpolitisches Bedenken, das mit Nachdruck vou I. Conrad<lb/> (im Band 36, Heft 5 seiner Jahrbücher) geltend gemacht worden ist. Ist es<lb/> nichtig, das Erbrecht des Staates zur Deckung laufender Ausgaben zu benutzen,<lb/> ist es also richtig, die Erbrechtsreform mit einer Finanzreform zu verbinden,<lb/> die laufende Bedürfnisse befriedigen will? So gewichtig dieses Bedenken ist,<lb/> es muß doch zurücktreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1894"> Conrad gibt selbst zu, daß das Erbrecht des Staates, auch wenn es zur<lb/> Ansammlung von Fonds benutzt wird, der Staatskasse eine wesentliche Hilfe<lb/> bei Deckung laufender Ausgaben leisten kann, sofern es die Schulden und die<lb/> außerordentlichen Ausgabe» mindert. Und wenn es eine finanzielle Hilfe bietet,<lb/> s° ist jetzt der Zeitpunkt gegeben, es einzuführen, jetzt, wo das Wohl des Reiches<lb/> gebieterisch die Eröffnung neuer Einnahmequellen heischt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0485]
Die Reform des Erbrechts
lassen wird, unendlich bevorzugt sind vor denen, die beim Tode des Ernährers
mittellos zurückbleiben.
Aber ein andres rechtspolitisches Bedenken bedarf der Erwägung: ob
denn gerade der Staat der richtige Erbe für erblose Nachlasse sei, ob nicht
besser öffentliche Körperschaften, die dem Einzelnen näher stehn, wie ins¬
besondre die Gemeinden, zur Erbschaft zuzulassen seien. Wäre dieses Be¬
denken zutreffend, so würde sich daraus allerdings ergeben, daß die Erbrechts¬
reform von der Reichsfinanzreform loszulösen sei. Aber ich halte es nicht für
zutreffend.
Unter welcher Voraussetzung ist denn überhaupt ein gesetzliches Erbrecht
öffentlich-rechtlicher Verbände zu rechtfertigen? Doch wohl nur unter dieser,
daß Staat und Gemeinde heute an dem Gedeihen des Einzelnen und seines
Vermögens mehr beteiligt sind als die Verwandten, die nicht zur engsten
Familie, zum Hause, gehören. Nicht nur, daß der Staat durch seine Ein¬
richtungen für das leibliche Wohl, die geistige und sittliche Ausbildung seiner
Mitglieder sorgt; er ist auch der mächtige Förderer vou Landwirtschaft, Industrie
»ud Handel; auf staatliches Wirken gründet sich das Vermögen des Einzelnen
uicht minder als auf dessen persönliche Kraft. Und wenn diese Kraft versagt,
wenn auch die engste Familie nicht imstande ist, den Einzelnen zu erhalten,
so ist es schließlich wieder der Staat, der für ihn eintreten muß. Allerdings
teilt er sich in diese Fürsorge für das Einzelwohl mit andern öffentlich-recht¬
lichen Verbunden, insbesondre den Gemeinden, und dies könnte den Gedanken
rechtfertigen, daß den Gemeinden ein Anteil am Nachlaß der Gemeindemitglieder
einzuräumen sei. Dem steht aber entgegen, daß den verschiednen Arten dieser
Verbände ein sehr verschiednes Maß an Aufgaben zugewiesen ist, sodaß ein
einigermaßen gerechter Verteilungsmaßstab kaum zu finden sein dürfte. Es wird
deshalb das richtigste sein, was der Entwurf vorschlägt: der Staat, als das
Gemeinwesen, von dem die andern ihr Recht herleiten, ist Erbe. Da aber das
Deutsche Reich ein Bundesstaat ist, so haben sich Reich und Einzelstaat in die
Erbschaft zu teilen.
Schließlich ein finanzpolitisches Bedenken, das mit Nachdruck vou I. Conrad
(im Band 36, Heft 5 seiner Jahrbücher) geltend gemacht worden ist. Ist es
nichtig, das Erbrecht des Staates zur Deckung laufender Ausgaben zu benutzen,
ist es also richtig, die Erbrechtsreform mit einer Finanzreform zu verbinden,
die laufende Bedürfnisse befriedigen will? So gewichtig dieses Bedenken ist,
es muß doch zurücktreten.
Conrad gibt selbst zu, daß das Erbrecht des Staates, auch wenn es zur
Ansammlung von Fonds benutzt wird, der Staatskasse eine wesentliche Hilfe
bei Deckung laufender Ausgaben leisten kann, sofern es die Schulden und die
außerordentlichen Ausgabe» mindert. Und wenn es eine finanzielle Hilfe bietet,
s° ist jetzt der Zeitpunkt gegeben, es einzuführen, jetzt, wo das Wohl des Reiches
gebieterisch die Eröffnung neuer Einnahmequellen heischt.
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