Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Negierung hat also, wenn sie festbleibt, jetzt die allerbeste Stütze gegen die klein¬ Übrigens ist es sehr bemerkenswert, wie sich die Anschauungen über die ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Negierung hat also, wenn sie festbleibt, jetzt die allerbeste Stütze gegen die klein¬ Übrigens ist es sehr bemerkenswert, wie sich die Anschauungen über die ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312825"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1853" prev="#ID_1852"> Negierung hat also, wenn sie festbleibt, jetzt die allerbeste Stütze gegen die klein¬<lb/> lichen Quertreibereien, an denen die Reichsfinanzreforin zu scheitern droht. Nur<lb/> das wird unter allen Umständen verlangt, daß nicht der Verbrauch allein besteuert<lb/> wird, um den Reichsbedarf zu decken, sondern daß anch irgendwie der Besitz dazu<lb/> herangezogen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1854" next="#ID_1855"> Übrigens ist es sehr bemerkenswert, wie sich die Anschauungen über die ge¬<lb/> eignetste Art der Besteuerung im Laufe der Zeit wandeln. In alten Zeiten fand<lb/> man gar nichts darin, Verbrauchsartikel mit Abgaben — und noch dazu Abgaben<lb/> von nicht selten außerordentlicher Höhe — zu belegen, während eine uns oft<lb/> geradezu unverständliche Überempfindlichkeit in bezug auf die unmittelbare Be¬<lb/> steuerung des freien Besitzes herrschte. Der Historiker kann den Grund leicht auf¬<lb/> decken; die auf dem Verbrauch ruhenden Abgaben waren den herrschenden An¬<lb/> schauungen geläufig, weil sie zum großen Teil aus alten Regalien stammten und<lb/> mit dem Wirtschaftssystem der Zeit und der ursprünglichen Beschaffungsweise der<lb/> Artikel in Zusammenhang standen, während die direkten Steuern wesentlich an den<lb/> Gedanken der Unfreiheit und Abhängigkeit — einem Gedanken, der damals größere<lb/> rechtliche Bedeutung und ganz andre Konsequenzen hatte — gebunden waren und<lb/> deshalb, wo es irgend anging, abgelehnt wurden. Der abstrakte Staatsbegriff als<lb/> Verkörperung eines für das Gemeinwohl wirkenden Willens war noch nicht ge¬<lb/> nügend befestigt, um das streng individualisierte Eigentumsrecht nach irgendeiner<lb/> Richtung erweitern zu können. Heute ist es nun gerade umgekehrt geworden. Der<lb/> Staatsbegriff hat sich durchgesetzt, und man verzeiht dem Staate auch den Eingriff<lb/> in das individuelle Eigentumsrecht, wenn er einer durch seine Zwecke bedingten<lb/> Notwendigkeit und der sozialen Gerechtigkeit dient. Und weil man heute alles<lb/> nach dein Maßstabe der sozialen Gerechtigkeit mißt, darum zieht man heute die<lb/> Besteuerung des Besitzes sogar der Besteuerung des Verbrauchs vor, soweit nicht<lb/> etwa Luxussteuern in Frage komme». Aber von diesem strengen Schema kommt<lb/> man, der Not gehorchend, anch schon wieder ab. In den Luxussteuern scheinen<lb/> sich die Neigungen derer, die die Steuerpflicht möglichst von der direkten Belastung<lb/> des Besitzes auf die indirekte des Verbrauchs abwälzen wollen, und derer, die vor¬<lb/> nehmlich die besitzenden Klassen treffen wollen, zu begegnen. Nur schade, daß die<lb/> Luxussteuern nichts einbringen. Und wenn man dann einen Luxus als Steuer¬<lb/> objekt sucht, das vielleicht doch einigermaßen einträglich sein könnte, dann stößt man<lb/> auf die Frage: Was ist Luxus? Man entdeckt, daß es zahlreiche Übergänge vom<lb/> absolut notwendigen Verbrauch zum Luxus gibt, und daß jede Grenze, die innerhalb<lb/> dieses Übergangsgebiets gezogen wird, mehr oder weniger willkürlich ist. Wenn<lb/> der Begriff „soziale Gerechtigkeit" ernst genommen wird und nicht nur ein ver¬<lb/> hüllender und beschönigender Ausdruck für soziale» Neid ist, dann fehlt jede innere<lb/> Berechtigung für einen Standpunkt, der den nicht notwendigen Verbrauch mir da<lb/> besteuern will, wo größere Wertobjekte im Verbrauch der reichen Leute in Frage<lb/> kommen. Wem seine Mittel es gestatten, täglich Champagner zu trinken, ohne<lb/> den Vorwurf der UnWirtschaftlichkeit zu verdienen, der braucht nicht gewissermaßen<lb/> vom Staate am Vermögen gestraft zu erscheinen gegenüber einem andern, der wenig<lb/> Mittel hat, der aber täglich ein Bier oder Schnaps mehr durch seine Kehle rinnen<lb/> läßt, als seine Verhältnisse erlauben. Gerecht ist es also, den nicht notwendigen<lb/> Verbrauch seinem Werte entsprechend zu besteuern, also den Champagner hoch, das<lb/> Bier entsprechend geringer, weil die Wertverhältnisse es so erfordern, nicht aber<lb/> den Champagner hoch, das Bier verschwindend gering oder gar nicht, weil der<lb/> Champagner von reichen, das Bier von cirmern Leuten getrunken wird. Die Er¬<lb/> kenntnis, daß, wenn erst einmal das Prinzip der Luxussteuer und damit eben die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Negierung hat also, wenn sie festbleibt, jetzt die allerbeste Stütze gegen die klein¬
lichen Quertreibereien, an denen die Reichsfinanzreforin zu scheitern droht. Nur
das wird unter allen Umständen verlangt, daß nicht der Verbrauch allein besteuert
wird, um den Reichsbedarf zu decken, sondern daß anch irgendwie der Besitz dazu
herangezogen wird.
Übrigens ist es sehr bemerkenswert, wie sich die Anschauungen über die ge¬
eignetste Art der Besteuerung im Laufe der Zeit wandeln. In alten Zeiten fand
man gar nichts darin, Verbrauchsartikel mit Abgaben — und noch dazu Abgaben
von nicht selten außerordentlicher Höhe — zu belegen, während eine uns oft
geradezu unverständliche Überempfindlichkeit in bezug auf die unmittelbare Be¬
steuerung des freien Besitzes herrschte. Der Historiker kann den Grund leicht auf¬
decken; die auf dem Verbrauch ruhenden Abgaben waren den herrschenden An¬
schauungen geläufig, weil sie zum großen Teil aus alten Regalien stammten und
mit dem Wirtschaftssystem der Zeit und der ursprünglichen Beschaffungsweise der
Artikel in Zusammenhang standen, während die direkten Steuern wesentlich an den
Gedanken der Unfreiheit und Abhängigkeit — einem Gedanken, der damals größere
rechtliche Bedeutung und ganz andre Konsequenzen hatte — gebunden waren und
deshalb, wo es irgend anging, abgelehnt wurden. Der abstrakte Staatsbegriff als
Verkörperung eines für das Gemeinwohl wirkenden Willens war noch nicht ge¬
nügend befestigt, um das streng individualisierte Eigentumsrecht nach irgendeiner
Richtung erweitern zu können. Heute ist es nun gerade umgekehrt geworden. Der
Staatsbegriff hat sich durchgesetzt, und man verzeiht dem Staate auch den Eingriff
in das individuelle Eigentumsrecht, wenn er einer durch seine Zwecke bedingten
Notwendigkeit und der sozialen Gerechtigkeit dient. Und weil man heute alles
nach dein Maßstabe der sozialen Gerechtigkeit mißt, darum zieht man heute die
Besteuerung des Besitzes sogar der Besteuerung des Verbrauchs vor, soweit nicht
etwa Luxussteuern in Frage komme». Aber von diesem strengen Schema kommt
man, der Not gehorchend, anch schon wieder ab. In den Luxussteuern scheinen
sich die Neigungen derer, die die Steuerpflicht möglichst von der direkten Belastung
des Besitzes auf die indirekte des Verbrauchs abwälzen wollen, und derer, die vor¬
nehmlich die besitzenden Klassen treffen wollen, zu begegnen. Nur schade, daß die
Luxussteuern nichts einbringen. Und wenn man dann einen Luxus als Steuer¬
objekt sucht, das vielleicht doch einigermaßen einträglich sein könnte, dann stößt man
auf die Frage: Was ist Luxus? Man entdeckt, daß es zahlreiche Übergänge vom
absolut notwendigen Verbrauch zum Luxus gibt, und daß jede Grenze, die innerhalb
dieses Übergangsgebiets gezogen wird, mehr oder weniger willkürlich ist. Wenn
der Begriff „soziale Gerechtigkeit" ernst genommen wird und nicht nur ein ver¬
hüllender und beschönigender Ausdruck für soziale» Neid ist, dann fehlt jede innere
Berechtigung für einen Standpunkt, der den nicht notwendigen Verbrauch mir da
besteuern will, wo größere Wertobjekte im Verbrauch der reichen Leute in Frage
kommen. Wem seine Mittel es gestatten, täglich Champagner zu trinken, ohne
den Vorwurf der UnWirtschaftlichkeit zu verdienen, der braucht nicht gewissermaßen
vom Staate am Vermögen gestraft zu erscheinen gegenüber einem andern, der wenig
Mittel hat, der aber täglich ein Bier oder Schnaps mehr durch seine Kehle rinnen
läßt, als seine Verhältnisse erlauben. Gerecht ist es also, den nicht notwendigen
Verbrauch seinem Werte entsprechend zu besteuern, also den Champagner hoch, das
Bier entsprechend geringer, weil die Wertverhältnisse es so erfordern, nicht aber
den Champagner hoch, das Bier verschwindend gering oder gar nicht, weil der
Champagner von reichen, das Bier von cirmern Leuten getrunken wird. Die Er¬
kenntnis, daß, wenn erst einmal das Prinzip der Luxussteuer und damit eben die
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