Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

wunderbar erscheinen, fährt der Verfasser fort, "daß durch Ambrosius Cicero
verchristlicht worden ist, noch wunderbarer ist, daß kurz vorher Cicero einen
Heiden zum Christentum" bekehrt hatte, und daß dieser sein Neophyt kein
andrer war als die spätere Säule des Christentums, die Zierde und der Stolz
der abendländischen Kirche. Augustin". Dieser erzählt in den Konfessionen, wie
Ciceros Dialog Hortensius einen völligen Umschlag seiner Neigungen bewirkt
und seinem Dichten und Trachten die Richtung auf Gott gegeben habe, sodaß
ihm von da an "alle eiteln Hoffnungen" schal und leer erschienen seien; nicht
durch die Form, sondern durch den Gehalt seines Buches habe ihn Cicero ge¬
fesselt. (Zielinski übertreibt; vou dieser Erschütterung seiner Seele, die
Augustin als neunzehnjähriger erlebte, wars bis zu seiner elf Jahre später
erfolgten Bekehrung noch weit.) Dieses seiner Ansicht nach epochemachende
Ereignis bestimmt den Verfasser, noch einmal genau anzugeben, wie die
Christianisierung Ciceros -- das heißt seiner Philosophie, denn die Reden be¬
achtete man nicht, und die Briefe wurden vergessen -- zu verstehen sei. Diese
Philosophie habe eiuen positiven, einen negativen und einen skeptischen Teil.
Der positive sei die Moral, der negative die Verwerfung aller jenseitigen Ein¬
flüsse auf den Menschen, der skeptische die Metaphysik; zwar habe Cicero am
Dasein Gottes und an der Unsterblichkeit der Seele festgehalten, doch diese
wie alle metaphysischen Behauptungen zu dem gerechnet, was einem jeden je
nach seiner Individualität so oder anders erscheint (ist", sunt ut äisxutanwr),
während die Moralgcbote feststehn müssen, wenn nicht die menschliche Gesell¬
schaft zugrunde gehn soll. Die Kirche habe nun den zweiten und dritten Be¬
standteil entschieden zurückgewiesen, den ersten angenommen, aber nur inhaltlich,
von dem Geiste, ans dem dieser Inhalt geflossen, sei ihr Geist das Gegenteil.
Cicero sei von der Göttlichkeit und Güte der Menschennatur überzeugt; wenn
er sich des christlichen Sprachgebrauchs bedient Hütte, würde er gesagt haben,
es gebe nur eine Gnade, die Schöpfuugsgnade. Die Sittlichkeit fließe aus
der Vernunft des Menschen, werde durch den freien Willen verwirklicht, be¬
tätige sich in der freien Pflichterfüllung und trage ihren Lohn in sich: die
Glückseligkeit; jenseitige Fortdauer sei nicht ausgeschlossen, aber dem Weisen
genüge das Bewußtsein seiner Tugend zum Glück. Das alles habe Augustin
mit dem Erbsünd- und Erlösungsdogma in sein Gegenteil verkehrt. Freilich
habe dieser Wendung der in die Kirche eingedrungne Ciceronicmismus opponiert,
in der Person des Pelagius und seiner Anhänger, und der Pelagianismus
sei nie ganz überwunden worden; die katholische Kirche habe mit ihrem
Semipelagianismus beide Richtungen versöhnt. Das zuletzt angeführte ist
mehlig, und daß der moderne Mensch die augustinischen Übertreibungen un¬
annehmbar findet, versteht sich von selbst. Aber es ist eine nicht weniger un¬
geheuerliche Übertreibung, wenn Zielinski meint, mit der Behauptung, nur
dnrch die Beziehung auf Gott werde das sittlich Gute vollkommen, darum
seien die Tugenden der Heiden eigentlich Laster, habe Augustin nicht bloß den


wunderbar erscheinen, fährt der Verfasser fort, „daß durch Ambrosius Cicero
verchristlicht worden ist, noch wunderbarer ist, daß kurz vorher Cicero einen
Heiden zum Christentum« bekehrt hatte, und daß dieser sein Neophyt kein
andrer war als die spätere Säule des Christentums, die Zierde und der Stolz
der abendländischen Kirche. Augustin". Dieser erzählt in den Konfessionen, wie
Ciceros Dialog Hortensius einen völligen Umschlag seiner Neigungen bewirkt
und seinem Dichten und Trachten die Richtung auf Gott gegeben habe, sodaß
ihm von da an „alle eiteln Hoffnungen" schal und leer erschienen seien; nicht
durch die Form, sondern durch den Gehalt seines Buches habe ihn Cicero ge¬
fesselt. (Zielinski übertreibt; vou dieser Erschütterung seiner Seele, die
Augustin als neunzehnjähriger erlebte, wars bis zu seiner elf Jahre später
erfolgten Bekehrung noch weit.) Dieses seiner Ansicht nach epochemachende
Ereignis bestimmt den Verfasser, noch einmal genau anzugeben, wie die
Christianisierung Ciceros — das heißt seiner Philosophie, denn die Reden be¬
achtete man nicht, und die Briefe wurden vergessen — zu verstehen sei. Diese
Philosophie habe eiuen positiven, einen negativen und einen skeptischen Teil.
Der positive sei die Moral, der negative die Verwerfung aller jenseitigen Ein¬
flüsse auf den Menschen, der skeptische die Metaphysik; zwar habe Cicero am
Dasein Gottes und an der Unsterblichkeit der Seele festgehalten, doch diese
wie alle metaphysischen Behauptungen zu dem gerechnet, was einem jeden je
nach seiner Individualität so oder anders erscheint (ist», sunt ut äisxutanwr),
während die Moralgcbote feststehn müssen, wenn nicht die menschliche Gesell¬
schaft zugrunde gehn soll. Die Kirche habe nun den zweiten und dritten Be¬
standteil entschieden zurückgewiesen, den ersten angenommen, aber nur inhaltlich,
von dem Geiste, ans dem dieser Inhalt geflossen, sei ihr Geist das Gegenteil.
Cicero sei von der Göttlichkeit und Güte der Menschennatur überzeugt; wenn
er sich des christlichen Sprachgebrauchs bedient Hütte, würde er gesagt haben,
es gebe nur eine Gnade, die Schöpfuugsgnade. Die Sittlichkeit fließe aus
der Vernunft des Menschen, werde durch den freien Willen verwirklicht, be¬
tätige sich in der freien Pflichterfüllung und trage ihren Lohn in sich: die
Glückseligkeit; jenseitige Fortdauer sei nicht ausgeschlossen, aber dem Weisen
genüge das Bewußtsein seiner Tugend zum Glück. Das alles habe Augustin
mit dem Erbsünd- und Erlösungsdogma in sein Gegenteil verkehrt. Freilich
habe dieser Wendung der in die Kirche eingedrungne Ciceronicmismus opponiert,
in der Person des Pelagius und seiner Anhänger, und der Pelagianismus
sei nie ganz überwunden worden; die katholische Kirche habe mit ihrem
Semipelagianismus beide Richtungen versöhnt. Das zuletzt angeführte ist
mehlig, und daß der moderne Mensch die augustinischen Übertreibungen un¬
annehmbar findet, versteht sich von selbst. Aber es ist eine nicht weniger un¬
geheuerliche Übertreibung, wenn Zielinski meint, mit der Behauptung, nur
dnrch die Beziehung auf Gott werde das sittlich Gute vollkommen, darum
seien die Tugenden der Heiden eigentlich Laster, habe Augustin nicht bloß den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312802"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1729" prev="#ID_1728" next="#ID_1730"> wunderbar erscheinen, fährt der Verfasser fort, &#x201E;daß durch Ambrosius Cicero<lb/>
verchristlicht worden ist, noch wunderbarer ist, daß kurz vorher Cicero einen<lb/>
Heiden zum Christentum« bekehrt hatte, und daß dieser sein Neophyt kein<lb/>
andrer war als die spätere Säule des Christentums, die Zierde und der Stolz<lb/>
der abendländischen Kirche. Augustin". Dieser erzählt in den Konfessionen, wie<lb/>
Ciceros Dialog Hortensius einen völligen Umschlag seiner Neigungen bewirkt<lb/>
und seinem Dichten und Trachten die Richtung auf Gott gegeben habe, sodaß<lb/>
ihm von da an &#x201E;alle eiteln Hoffnungen" schal und leer erschienen seien; nicht<lb/>
durch die Form, sondern durch den Gehalt seines Buches habe ihn Cicero ge¬<lb/>
fesselt. (Zielinski übertreibt; vou dieser Erschütterung seiner Seele, die<lb/>
Augustin als neunzehnjähriger erlebte, wars bis zu seiner elf Jahre später<lb/>
erfolgten Bekehrung noch weit.) Dieses seiner Ansicht nach epochemachende<lb/>
Ereignis bestimmt den Verfasser, noch einmal genau anzugeben, wie die<lb/>
Christianisierung Ciceros &#x2014; das heißt seiner Philosophie, denn die Reden be¬<lb/>
achtete man nicht, und die Briefe wurden vergessen &#x2014; zu verstehen sei. Diese<lb/>
Philosophie habe eiuen positiven, einen negativen und einen skeptischen Teil.<lb/>
Der positive sei die Moral, der negative die Verwerfung aller jenseitigen Ein¬<lb/>
flüsse auf den Menschen, der skeptische die Metaphysik; zwar habe Cicero am<lb/>
Dasein Gottes und an der Unsterblichkeit der Seele festgehalten, doch diese<lb/>
wie alle metaphysischen Behauptungen zu dem gerechnet, was einem jeden je<lb/>
nach seiner Individualität so oder anders erscheint (ist», sunt ut äisxutanwr),<lb/>
während die Moralgcbote feststehn müssen, wenn nicht die menschliche Gesell¬<lb/>
schaft zugrunde gehn soll. Die Kirche habe nun den zweiten und dritten Be¬<lb/>
standteil entschieden zurückgewiesen, den ersten angenommen, aber nur inhaltlich,<lb/>
von dem Geiste, ans dem dieser Inhalt geflossen, sei ihr Geist das Gegenteil.<lb/>
Cicero sei von der Göttlichkeit und Güte der Menschennatur überzeugt; wenn<lb/>
er sich des christlichen Sprachgebrauchs bedient Hütte, würde er gesagt haben,<lb/>
es gebe nur eine Gnade, die Schöpfuugsgnade. Die Sittlichkeit fließe aus<lb/>
der Vernunft des Menschen, werde durch den freien Willen verwirklicht, be¬<lb/>
tätige sich in der freien Pflichterfüllung und trage ihren Lohn in sich: die<lb/>
Glückseligkeit; jenseitige Fortdauer sei nicht ausgeschlossen, aber dem Weisen<lb/>
genüge das Bewußtsein seiner Tugend zum Glück. Das alles habe Augustin<lb/>
mit dem Erbsünd- und Erlösungsdogma in sein Gegenteil verkehrt. Freilich<lb/>
habe dieser Wendung der in die Kirche eingedrungne Ciceronicmismus opponiert,<lb/>
in der Person des Pelagius und seiner Anhänger, und der Pelagianismus<lb/>
sei nie ganz überwunden worden; die katholische Kirche habe mit ihrem<lb/>
Semipelagianismus beide Richtungen versöhnt. Das zuletzt angeführte ist<lb/>
mehlig, und daß der moderne Mensch die augustinischen Übertreibungen un¬<lb/>
annehmbar findet, versteht sich von selbst. Aber es ist eine nicht weniger un¬<lb/>
geheuerliche Übertreibung, wenn Zielinski meint, mit der Behauptung, nur<lb/>
dnrch die Beziehung auf Gott werde das sittlich Gute vollkommen, darum<lb/>
seien die Tugenden der Heiden eigentlich Laster, habe Augustin nicht bloß den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] wunderbar erscheinen, fährt der Verfasser fort, „daß durch Ambrosius Cicero verchristlicht worden ist, noch wunderbarer ist, daß kurz vorher Cicero einen Heiden zum Christentum« bekehrt hatte, und daß dieser sein Neophyt kein andrer war als die spätere Säule des Christentums, die Zierde und der Stolz der abendländischen Kirche. Augustin". Dieser erzählt in den Konfessionen, wie Ciceros Dialog Hortensius einen völligen Umschlag seiner Neigungen bewirkt und seinem Dichten und Trachten die Richtung auf Gott gegeben habe, sodaß ihm von da an „alle eiteln Hoffnungen" schal und leer erschienen seien; nicht durch die Form, sondern durch den Gehalt seines Buches habe ihn Cicero ge¬ fesselt. (Zielinski übertreibt; vou dieser Erschütterung seiner Seele, die Augustin als neunzehnjähriger erlebte, wars bis zu seiner elf Jahre später erfolgten Bekehrung noch weit.) Dieses seiner Ansicht nach epochemachende Ereignis bestimmt den Verfasser, noch einmal genau anzugeben, wie die Christianisierung Ciceros — das heißt seiner Philosophie, denn die Reden be¬ achtete man nicht, und die Briefe wurden vergessen — zu verstehen sei. Diese Philosophie habe eiuen positiven, einen negativen und einen skeptischen Teil. Der positive sei die Moral, der negative die Verwerfung aller jenseitigen Ein¬ flüsse auf den Menschen, der skeptische die Metaphysik; zwar habe Cicero am Dasein Gottes und an der Unsterblichkeit der Seele festgehalten, doch diese wie alle metaphysischen Behauptungen zu dem gerechnet, was einem jeden je nach seiner Individualität so oder anders erscheint (ist», sunt ut äisxutanwr), während die Moralgcbote feststehn müssen, wenn nicht die menschliche Gesell¬ schaft zugrunde gehn soll. Die Kirche habe nun den zweiten und dritten Be¬ standteil entschieden zurückgewiesen, den ersten angenommen, aber nur inhaltlich, von dem Geiste, ans dem dieser Inhalt geflossen, sei ihr Geist das Gegenteil. Cicero sei von der Göttlichkeit und Güte der Menschennatur überzeugt; wenn er sich des christlichen Sprachgebrauchs bedient Hütte, würde er gesagt haben, es gebe nur eine Gnade, die Schöpfuugsgnade. Die Sittlichkeit fließe aus der Vernunft des Menschen, werde durch den freien Willen verwirklicht, be¬ tätige sich in der freien Pflichterfüllung und trage ihren Lohn in sich: die Glückseligkeit; jenseitige Fortdauer sei nicht ausgeschlossen, aber dem Weisen genüge das Bewußtsein seiner Tugend zum Glück. Das alles habe Augustin mit dem Erbsünd- und Erlösungsdogma in sein Gegenteil verkehrt. Freilich habe dieser Wendung der in die Kirche eingedrungne Ciceronicmismus opponiert, in der Person des Pelagius und seiner Anhänger, und der Pelagianismus sei nie ganz überwunden worden; die katholische Kirche habe mit ihrem Semipelagianismus beide Richtungen versöhnt. Das zuletzt angeführte ist mehlig, und daß der moderne Mensch die augustinischen Übertreibungen un¬ annehmbar findet, versteht sich von selbst. Aber es ist eine nicht weniger un¬ geheuerliche Übertreibung, wenn Zielinski meint, mit der Behauptung, nur dnrch die Beziehung auf Gott werde das sittlich Gute vollkommen, darum seien die Tugenden der Heiden eigentlich Laster, habe Augustin nicht bloß den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/451>, abgerufen am 23.07.2024.