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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Otto Gildemeister, Ludwig Bamberger, Alexander Meyer

Bamberger und Meyer waren hervorragende Parlamentarier. Aber
Bamberger war der stärkere, schon weil er leichter zum Worte griff, mehr
Feuer und mehr Initiative hatte. Er sprach schneidig und trachtete danach,
seinen Gegner ernstlich und schwer zu verwunden. In den achtziger Jahren
hat Bismarck in ihm sicher den gefährlichsten parlamentarischen Feind gesehen.
Er war die größte geistige Kraft der sogenannten sczessionistischen Partei und
dessen, was von ihr in dem spätern Linksliberalismus aufging.

Nachdem er anfänglich in Mainz gewählt worden war, hatte er in Bingen-
Alzey einen Wahlkreis gefunden, der ihm treu blieb, bis er 1893 mit dem Ende
der Legislaturperiode erklärte, uicht wieder gewählt werden zu wollen. Wegen
seiner besondern Stellung zur kirchenpolitischen Frage hielten auch zahlreiche
Katholiken zu ihm. Nach seinem Ausscheiden wurde erst Schmidt-Elberfeld
gewählt, dann verschoben sich die Parteiverhältnisse des Wahlkreises vollständig.
Daß er aufhörte, sich am parlamentarischen Leben noch unmittelbar zu beteiligen,
war ein schwerer Schlag für den Linksliberalismus; vollends war Bambergers
Tod im Mürz 1899 ein Verhängnis für seine Partei.

Es ist schon hier und da berührt worden, daß sich die Zeiten für das
"Mcmchestertnm" -- um noch einmal diesen schiefen aber gebräuchlichen Ausdruck
beizubehalten -- gänzlich änderten. Von allen Seiten wurde es zurückgedrängt.
Aus der Handelskrise der siebziger Jahre ging der Sieg der Schutzzollpartei
innerhalb der Industrie hervor. Bismarck erfüllte deren Verlangen, indem er
der Landwirtschaft die Lebensmittelzölle verschaffte, womit sich das fortan die
meisten Verhältnisse beherrschende Bündnis zwischen Landwirtschaft und Industrie
bildete. Am ersten, schon im Frühsommer 1879, kam der Freihandel zu Fall.
Und bald darauf führte Bismarck die schon im Juli 1878, gleich nach dem
Tode Pius des Neunten begonnenen Verhandlungen mit Rom weiter, die zwar
noch nicht zum Frieden führten, aber doch die freihündlerischen Liberalen ent¬
wurzelten, weil Bismarck nun wiederholt Mehrheiten mit den? Zentrum bilden
konnte. Auch innerhalb der früher fast ganz freihändlerischen Nationalliberalcn
kam der Schutzzoll zur Herrschaft. Aus mancherlei Gründen trennte sich 1881
der linke Flügel von den Bennigsen, Miquel, Hcunmacher usw. Man gründete
die sezessionistische Partei, und diese errang in der Reichstagswahl von 1881
große Erfolge: sie wiederholten sich niemals. Vielmehr machte das Agrariertum
alsdann Fortschritte. Von noch weit größerer Tragweite war, daß die Arbeiter¬
schaft immer vollständiger in die Netze der Sozialdemokratie geriet, sodaß viele
großstädtische und industrielle Wahlkreise vom Liberalismus abfielen. Man
suchte das 1834 durch Verschmelzung der Sezessionisten mit der alten Fort¬
schrittspartei zu der deutschfreisinnigen Partei zu bekämpfen. Auch das hatte
keine sonderlichen Früchte. 1890 trennte man sich wieder.

Doch das Schlimmste von allem für das Manchestertum war die voll¬
ständige innere Umwandlung der Anschauungen der Volkswirtschaftswissenschaft.
Das gesellschaftliche Leben zeitigte Erscheinungen, denen mit der Lehre vom


Otto Gildemeister, Ludwig Bamberger, Alexander Meyer

Bamberger und Meyer waren hervorragende Parlamentarier. Aber
Bamberger war der stärkere, schon weil er leichter zum Worte griff, mehr
Feuer und mehr Initiative hatte. Er sprach schneidig und trachtete danach,
seinen Gegner ernstlich und schwer zu verwunden. In den achtziger Jahren
hat Bismarck in ihm sicher den gefährlichsten parlamentarischen Feind gesehen.
Er war die größte geistige Kraft der sogenannten sczessionistischen Partei und
dessen, was von ihr in dem spätern Linksliberalismus aufging.

Nachdem er anfänglich in Mainz gewählt worden war, hatte er in Bingen-
Alzey einen Wahlkreis gefunden, der ihm treu blieb, bis er 1893 mit dem Ende
der Legislaturperiode erklärte, uicht wieder gewählt werden zu wollen. Wegen
seiner besondern Stellung zur kirchenpolitischen Frage hielten auch zahlreiche
Katholiken zu ihm. Nach seinem Ausscheiden wurde erst Schmidt-Elberfeld
gewählt, dann verschoben sich die Parteiverhältnisse des Wahlkreises vollständig.
Daß er aufhörte, sich am parlamentarischen Leben noch unmittelbar zu beteiligen,
war ein schwerer Schlag für den Linksliberalismus; vollends war Bambergers
Tod im Mürz 1899 ein Verhängnis für seine Partei.

Es ist schon hier und da berührt worden, daß sich die Zeiten für das
„Mcmchestertnm" — um noch einmal diesen schiefen aber gebräuchlichen Ausdruck
beizubehalten — gänzlich änderten. Von allen Seiten wurde es zurückgedrängt.
Aus der Handelskrise der siebziger Jahre ging der Sieg der Schutzzollpartei
innerhalb der Industrie hervor. Bismarck erfüllte deren Verlangen, indem er
der Landwirtschaft die Lebensmittelzölle verschaffte, womit sich das fortan die
meisten Verhältnisse beherrschende Bündnis zwischen Landwirtschaft und Industrie
bildete. Am ersten, schon im Frühsommer 1879, kam der Freihandel zu Fall.
Und bald darauf führte Bismarck die schon im Juli 1878, gleich nach dem
Tode Pius des Neunten begonnenen Verhandlungen mit Rom weiter, die zwar
noch nicht zum Frieden führten, aber doch die freihündlerischen Liberalen ent¬
wurzelten, weil Bismarck nun wiederholt Mehrheiten mit den? Zentrum bilden
konnte. Auch innerhalb der früher fast ganz freihändlerischen Nationalliberalcn
kam der Schutzzoll zur Herrschaft. Aus mancherlei Gründen trennte sich 1881
der linke Flügel von den Bennigsen, Miquel, Hcunmacher usw. Man gründete
die sezessionistische Partei, und diese errang in der Reichstagswahl von 1881
große Erfolge: sie wiederholten sich niemals. Vielmehr machte das Agrariertum
alsdann Fortschritte. Von noch weit größerer Tragweite war, daß die Arbeiter¬
schaft immer vollständiger in die Netze der Sozialdemokratie geriet, sodaß viele
großstädtische und industrielle Wahlkreise vom Liberalismus abfielen. Man
suchte das 1834 durch Verschmelzung der Sezessionisten mit der alten Fort¬
schrittspartei zu der deutschfreisinnigen Partei zu bekämpfen. Auch das hatte
keine sonderlichen Früchte. 1890 trennte man sich wieder.

Doch das Schlimmste von allem für das Manchestertum war die voll¬
ständige innere Umwandlung der Anschauungen der Volkswirtschaftswissenschaft.
Das gesellschaftliche Leben zeitigte Erscheinungen, denen mit der Lehre vom


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[0444] Otto Gildemeister, Ludwig Bamberger, Alexander Meyer Bamberger und Meyer waren hervorragende Parlamentarier. Aber Bamberger war der stärkere, schon weil er leichter zum Worte griff, mehr Feuer und mehr Initiative hatte. Er sprach schneidig und trachtete danach, seinen Gegner ernstlich und schwer zu verwunden. In den achtziger Jahren hat Bismarck in ihm sicher den gefährlichsten parlamentarischen Feind gesehen. Er war die größte geistige Kraft der sogenannten sczessionistischen Partei und dessen, was von ihr in dem spätern Linksliberalismus aufging. Nachdem er anfänglich in Mainz gewählt worden war, hatte er in Bingen- Alzey einen Wahlkreis gefunden, der ihm treu blieb, bis er 1893 mit dem Ende der Legislaturperiode erklärte, uicht wieder gewählt werden zu wollen. Wegen seiner besondern Stellung zur kirchenpolitischen Frage hielten auch zahlreiche Katholiken zu ihm. Nach seinem Ausscheiden wurde erst Schmidt-Elberfeld gewählt, dann verschoben sich die Parteiverhältnisse des Wahlkreises vollständig. Daß er aufhörte, sich am parlamentarischen Leben noch unmittelbar zu beteiligen, war ein schwerer Schlag für den Linksliberalismus; vollends war Bambergers Tod im Mürz 1899 ein Verhängnis für seine Partei. Es ist schon hier und da berührt worden, daß sich die Zeiten für das „Mcmchestertnm" — um noch einmal diesen schiefen aber gebräuchlichen Ausdruck beizubehalten — gänzlich änderten. Von allen Seiten wurde es zurückgedrängt. Aus der Handelskrise der siebziger Jahre ging der Sieg der Schutzzollpartei innerhalb der Industrie hervor. Bismarck erfüllte deren Verlangen, indem er der Landwirtschaft die Lebensmittelzölle verschaffte, womit sich das fortan die meisten Verhältnisse beherrschende Bündnis zwischen Landwirtschaft und Industrie bildete. Am ersten, schon im Frühsommer 1879, kam der Freihandel zu Fall. Und bald darauf führte Bismarck die schon im Juli 1878, gleich nach dem Tode Pius des Neunten begonnenen Verhandlungen mit Rom weiter, die zwar noch nicht zum Frieden führten, aber doch die freihündlerischen Liberalen ent¬ wurzelten, weil Bismarck nun wiederholt Mehrheiten mit den? Zentrum bilden konnte. Auch innerhalb der früher fast ganz freihändlerischen Nationalliberalcn kam der Schutzzoll zur Herrschaft. Aus mancherlei Gründen trennte sich 1881 der linke Flügel von den Bennigsen, Miquel, Hcunmacher usw. Man gründete die sezessionistische Partei, und diese errang in der Reichstagswahl von 1881 große Erfolge: sie wiederholten sich niemals. Vielmehr machte das Agrariertum alsdann Fortschritte. Von noch weit größerer Tragweite war, daß die Arbeiter¬ schaft immer vollständiger in die Netze der Sozialdemokratie geriet, sodaß viele großstädtische und industrielle Wahlkreise vom Liberalismus abfielen. Man suchte das 1834 durch Verschmelzung der Sezessionisten mit der alten Fort¬ schrittspartei zu der deutschfreisinnigen Partei zu bekämpfen. Auch das hatte keine sonderlichen Früchte. 1890 trennte man sich wieder. Doch das Schlimmste von allem für das Manchestertum war die voll¬ ständige innere Umwandlung der Anschauungen der Volkswirtschaftswissenschaft. Das gesellschaftliche Leben zeitigte Erscheinungen, denen mit der Lehre vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/444>, abgerufen am 12.12.2024.