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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Henriette volge

strengenden Erwerb aufgab; nur einigen unbemittelten Schülerinnen erteilte
sie noch fernerhin unentgeltlich Unterricht. Allmählich bildete sich auch ein
Singkränzchen, an dem u. a. die beiden Brüder Schrey -- der eine der nach¬
malige bekannte Rechtsanwalt -- und der spätere Appellationsgerichtspräsident
Petschke teilnahmen. Mit dem Geiger Matthäi musizierte Henriette gern,
auch mit dem Cellisten Grcnser; später mit dem Geiger Abtrieb. Zu den
Freunden des Hauses gehörte ferner der junge Geistliche Gilbert, zuletzt Ge¬
heimer Kirchen- und Schulrat in Dresden, ein verständnisvoller Hörer.

Unter dem 23. Juni 1831 enthält ihr Tagebuch das Bekenntnis: "Mit
solchen Seelen, die mir nahe stehen, denen ich mich verwandt fühle, mag ich
gern scherzen, aber nie mit Menschen, die mich nicht versteh", dann ist mir
jeder Scherz zuwider, weil der Ernst mich nicht mit ihnen befreundete." Damit
verwandt ist der Zug. den Schumann von ihr berichtet: "Nie hörten wir eine
schlechte Komposition von ihr spielen; nie auch munterte sie Schlechtes auf.
Als Wirtin vielleicht genötigt, es hinzunehmen, zog sie dann vor zu
schweigen."

Im Frühjahr 1832 weilte sie ein paar Wochen in Berlin, ihrer "ersten --
geistigen Heimat", in seligem Genuß der Freundschaft und der Musik. Über
Taubert schreibt sie in ihr Tagebuch: "Lebten wir an einem Orte, wie wollte
ich durch ihn weiterstreben, immer tiefer in das Heiligtum der Kunst zu dringen.
Er schenkte mir seine Sonate, die er wunderschön vortrug. Die Sonate von
Onslow spielten wir -- wieviele neue Schönheiten entdeckte ich durch sein
herrliches Spiel!" Nach ihrer Heimkehr entspann sich zwischen beiden ein
reger Briefwechsel. Zu ihrem Geburtstag erhielt Henriette einen besonders
ausführlichen Brief von ihm, u. a. über sein derzeitiges Schaffen und seinen
Wunsch, sich bald einmal in Leipzig hören zu lassen, dann über Mendelssohns
wohlverdiente Erfolge, die ihm fast Neid einflößen; "ich kann ja, tröstet er
sich, den Leuten wohl auch Freude machen". Jener Wunsch kam im folgenden
Jahre zur Ausführung: Taubert spielte am Reformatiousfest im Gewandhaus¬
konzert, dann in zwei eignen, und es erwuchs zwischen ihm und Voigt ein
freundschaftliches Verhältnis, das sich bis zum Tode bewährt, auch auf das
jüngere Geschlecht vererbt hat. Inzwischen hatte das Voigtsche Ehepaar -- wie
es scheint, durch den Cellisten Johann Benjamin Groß, der den Winter 1832/33
in Leipzig zubrachte und viel mit Henriette musizierte -- den Hofrat Rochlitz
kennen gelernt, mit dem sich, wie sie in ihr Tagebuch schreibt, "ihrem Innern
eine neue Welt aufschloß", und der ihr bald ein wahrhaft väterlicher Freund
wurde. (Näheres darüber im "Leipziger Kalender" für 1908, S. 103 ff.) Ende
August 1833 besuchte Mendelssohn Voigts auf der Durchreise und verlebte
mit ihnen einen Abend bei dem Sänger Hauser. Er spielte seine Lieder
ohne Worte sowie das Capriccio in K-moll, dann mit Henriette vierbändig
sein Ottetto. Das Tagebuch berichtet darüber: "Es ging ganz herrlich, und
seine Zufriedenheit schuf mir den Abend zu einem der glücklichsten in der


Henriette volge

strengenden Erwerb aufgab; nur einigen unbemittelten Schülerinnen erteilte
sie noch fernerhin unentgeltlich Unterricht. Allmählich bildete sich auch ein
Singkränzchen, an dem u. a. die beiden Brüder Schrey — der eine der nach¬
malige bekannte Rechtsanwalt — und der spätere Appellationsgerichtspräsident
Petschke teilnahmen. Mit dem Geiger Matthäi musizierte Henriette gern,
auch mit dem Cellisten Grcnser; später mit dem Geiger Abtrieb. Zu den
Freunden des Hauses gehörte ferner der junge Geistliche Gilbert, zuletzt Ge¬
heimer Kirchen- und Schulrat in Dresden, ein verständnisvoller Hörer.

Unter dem 23. Juni 1831 enthält ihr Tagebuch das Bekenntnis: „Mit
solchen Seelen, die mir nahe stehen, denen ich mich verwandt fühle, mag ich
gern scherzen, aber nie mit Menschen, die mich nicht versteh», dann ist mir
jeder Scherz zuwider, weil der Ernst mich nicht mit ihnen befreundete." Damit
verwandt ist der Zug. den Schumann von ihr berichtet: „Nie hörten wir eine
schlechte Komposition von ihr spielen; nie auch munterte sie Schlechtes auf.
Als Wirtin vielleicht genötigt, es hinzunehmen, zog sie dann vor zu
schweigen."

Im Frühjahr 1832 weilte sie ein paar Wochen in Berlin, ihrer „ersten —
geistigen Heimat", in seligem Genuß der Freundschaft und der Musik. Über
Taubert schreibt sie in ihr Tagebuch: „Lebten wir an einem Orte, wie wollte
ich durch ihn weiterstreben, immer tiefer in das Heiligtum der Kunst zu dringen.
Er schenkte mir seine Sonate, die er wunderschön vortrug. Die Sonate von
Onslow spielten wir — wieviele neue Schönheiten entdeckte ich durch sein
herrliches Spiel!" Nach ihrer Heimkehr entspann sich zwischen beiden ein
reger Briefwechsel. Zu ihrem Geburtstag erhielt Henriette einen besonders
ausführlichen Brief von ihm, u. a. über sein derzeitiges Schaffen und seinen
Wunsch, sich bald einmal in Leipzig hören zu lassen, dann über Mendelssohns
wohlverdiente Erfolge, die ihm fast Neid einflößen; „ich kann ja, tröstet er
sich, den Leuten wohl auch Freude machen". Jener Wunsch kam im folgenden
Jahre zur Ausführung: Taubert spielte am Reformatiousfest im Gewandhaus¬
konzert, dann in zwei eignen, und es erwuchs zwischen ihm und Voigt ein
freundschaftliches Verhältnis, das sich bis zum Tode bewährt, auch auf das
jüngere Geschlecht vererbt hat. Inzwischen hatte das Voigtsche Ehepaar — wie
es scheint, durch den Cellisten Johann Benjamin Groß, der den Winter 1832/33
in Leipzig zubrachte und viel mit Henriette musizierte — den Hofrat Rochlitz
kennen gelernt, mit dem sich, wie sie in ihr Tagebuch schreibt, „ihrem Innern
eine neue Welt aufschloß", und der ihr bald ein wahrhaft väterlicher Freund
wurde. (Näheres darüber im „Leipziger Kalender" für 1908, S. 103 ff.) Ende
August 1833 besuchte Mendelssohn Voigts auf der Durchreise und verlebte
mit ihnen einen Abend bei dem Sänger Hauser. Er spielte seine Lieder
ohne Worte sowie das Capriccio in K-moll, dann mit Henriette vierbändig
sein Ottetto. Das Tagebuch berichtet darüber: „Es ging ganz herrlich, und
seine Zufriedenheit schuf mir den Abend zu einem der glücklichsten in der


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[0408] Henriette volge strengenden Erwerb aufgab; nur einigen unbemittelten Schülerinnen erteilte sie noch fernerhin unentgeltlich Unterricht. Allmählich bildete sich auch ein Singkränzchen, an dem u. a. die beiden Brüder Schrey — der eine der nach¬ malige bekannte Rechtsanwalt — und der spätere Appellationsgerichtspräsident Petschke teilnahmen. Mit dem Geiger Matthäi musizierte Henriette gern, auch mit dem Cellisten Grcnser; später mit dem Geiger Abtrieb. Zu den Freunden des Hauses gehörte ferner der junge Geistliche Gilbert, zuletzt Ge¬ heimer Kirchen- und Schulrat in Dresden, ein verständnisvoller Hörer. Unter dem 23. Juni 1831 enthält ihr Tagebuch das Bekenntnis: „Mit solchen Seelen, die mir nahe stehen, denen ich mich verwandt fühle, mag ich gern scherzen, aber nie mit Menschen, die mich nicht versteh», dann ist mir jeder Scherz zuwider, weil der Ernst mich nicht mit ihnen befreundete." Damit verwandt ist der Zug. den Schumann von ihr berichtet: „Nie hörten wir eine schlechte Komposition von ihr spielen; nie auch munterte sie Schlechtes auf. Als Wirtin vielleicht genötigt, es hinzunehmen, zog sie dann vor zu schweigen." Im Frühjahr 1832 weilte sie ein paar Wochen in Berlin, ihrer „ersten — geistigen Heimat", in seligem Genuß der Freundschaft und der Musik. Über Taubert schreibt sie in ihr Tagebuch: „Lebten wir an einem Orte, wie wollte ich durch ihn weiterstreben, immer tiefer in das Heiligtum der Kunst zu dringen. Er schenkte mir seine Sonate, die er wunderschön vortrug. Die Sonate von Onslow spielten wir — wieviele neue Schönheiten entdeckte ich durch sein herrliches Spiel!" Nach ihrer Heimkehr entspann sich zwischen beiden ein reger Briefwechsel. Zu ihrem Geburtstag erhielt Henriette einen besonders ausführlichen Brief von ihm, u. a. über sein derzeitiges Schaffen und seinen Wunsch, sich bald einmal in Leipzig hören zu lassen, dann über Mendelssohns wohlverdiente Erfolge, die ihm fast Neid einflößen; „ich kann ja, tröstet er sich, den Leuten wohl auch Freude machen". Jener Wunsch kam im folgenden Jahre zur Ausführung: Taubert spielte am Reformatiousfest im Gewandhaus¬ konzert, dann in zwei eignen, und es erwuchs zwischen ihm und Voigt ein freundschaftliches Verhältnis, das sich bis zum Tode bewährt, auch auf das jüngere Geschlecht vererbt hat. Inzwischen hatte das Voigtsche Ehepaar — wie es scheint, durch den Cellisten Johann Benjamin Groß, der den Winter 1832/33 in Leipzig zubrachte und viel mit Henriette musizierte — den Hofrat Rochlitz kennen gelernt, mit dem sich, wie sie in ihr Tagebuch schreibt, „ihrem Innern eine neue Welt aufschloß", und der ihr bald ein wahrhaft väterlicher Freund wurde. (Näheres darüber im „Leipziger Kalender" für 1908, S. 103 ff.) Ende August 1833 besuchte Mendelssohn Voigts auf der Durchreise und verlebte mit ihnen einen Abend bei dem Sänger Hauser. Er spielte seine Lieder ohne Worte sowie das Capriccio in K-moll, dann mit Henriette vierbändig sein Ottetto. Das Tagebuch berichtet darüber: „Es ging ganz herrlich, und seine Zufriedenheit schuf mir den Abend zu einem der glücklichsten in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/408>, abgerufen am 03.07.2024.