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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

lichkeit des einzelnen, wie sie ja überall vorkommt, aber auch überall sonst der
öffentlichen Diskussion entzogen bleibt, sondern nach feiten der Grundlagen unsers
Wirkens mehr als andern Schulsystemen und Lehrerkreisen gegenüber herum-
zumäkeln, herumzudoktern, Herumzuschulmeistern. Jede Laune kurzsichtiger und
flüchtiger Tagesmeinung und Gassenbildung setzt sich auf den selbstgezimmerten
Thron an Stelle der in jahrzehntelanger Bewährung, in gründlichster Selbst-
Prüfung, in der Erfahrung einer oft langen Berufsarbeit gewonnenen und
befestigten Grundsätze, und das sonst so hochgestellte und der Volksschule
gegenüber unbedingt geforderte Allheilmittel der "fachmännischer Bildung" --
hier soll es auf einmal nichts mehr gelten? Und sollte jener Brauch oder
vielmehr Mißbrauch wirklich förderlich sein für die Persönlichkeitsbildung, ins¬
besondre bei ungefestigten, unselbständigen, zaghaften Naturen, wie sie sich
aus naheliegenden Gründen in unsrer Mitte vielleicht eher finden als ander¬
wärts, eine Persönlichkeitsbildung, die doch die unerläßliche Voraussetzung ist
für das Werk der Persönlichkeitserziehung an den Schülern? Also höre man
doch endlich auf mit dieser Schul- und Lehrermäkelei, die die Grenzen einer
berechtigten, ja gewiß notwendigen Kritik in ihrer oft so unfeinen Form weit
überschreitet und uns dem hohen Ziele, das man uns steckt, nicht näher zu
bringen vermag, vielmehr nur weiter davon abzuführen droht.

Neben dieser Forderung, die sich nach außen kehrt, geben wir noch einem
Wunsche, einer Bitte Ausdruck, die sich nach oben richtet. Das äußere und
innere Wachstum unsers Bildungswesens nach Zahl, Größe, Mannigfaltigkeit
der Schulen, die im Verhältnis dazu steigende Schwierigkeit der obersten Leitung,
die zunehmende Vielseitigkeit der Ansprüche -- all das drängt die Schulver¬
waltungen ja wohl mit einer gewissen Notwendigkeit dazu, die strenge Durch¬
führung eiuer festen äußern Ordnung in höherm Maße zu verlangen als bisher.
Wenn unserm Unterrichtsbetrieb früher ein großes, ein sehr großes, vielleicht ein
zu großes Maß von Freiheit und Selbständigkeit zwar nicht des Schaffens -- das
genossen wir früher so wenig als heutzutage -- aber doch des Seins und
Wirkens für die einzelne Lehrpersönlichkeit wie für die ganzen Lehrkomplexe
vergönnt war, so ist das nun anders geworden, und zwar -- nach dem Gesetz
der abwechselnden Extreme in den Kontrasten -- gründlich anders. Es mußte
anders werden. Aber man vergesse nicht, daß man das Gut einer größern
Einheitlichkeit, einer straffem Zusammenfassung, einer zunehmenden Nivellierung
oder auch Schablonisierung nicht umsonst gewinnt, und daß der Preis dafür
doch kein kleiner ist, die Beschränkung persönlich-individuellen Wirkens. Möge
man ihn nicht höher bemessen, als durchaus notwendig ist. Denn jenem Interesse
einheitlicher Reglementierung steht andrerseits die Erwägung gegenüber, daß
kein Beruf, soll er anders wahrhaft fruchtbringend geübt werden, der Schabloni¬
sierung mehr widerstrebt und ein ziemliches Maß von persönlicher Freiheit des
Wirkens nötiger hat als der des Lehrers und Erziehers, in der Auffassung
und Behandlung der Personen und der Lehrstoffe wie -- in geringerm


Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

lichkeit des einzelnen, wie sie ja überall vorkommt, aber auch überall sonst der
öffentlichen Diskussion entzogen bleibt, sondern nach feiten der Grundlagen unsers
Wirkens mehr als andern Schulsystemen und Lehrerkreisen gegenüber herum-
zumäkeln, herumzudoktern, Herumzuschulmeistern. Jede Laune kurzsichtiger und
flüchtiger Tagesmeinung und Gassenbildung setzt sich auf den selbstgezimmerten
Thron an Stelle der in jahrzehntelanger Bewährung, in gründlichster Selbst-
Prüfung, in der Erfahrung einer oft langen Berufsarbeit gewonnenen und
befestigten Grundsätze, und das sonst so hochgestellte und der Volksschule
gegenüber unbedingt geforderte Allheilmittel der „fachmännischer Bildung" —
hier soll es auf einmal nichts mehr gelten? Und sollte jener Brauch oder
vielmehr Mißbrauch wirklich förderlich sein für die Persönlichkeitsbildung, ins¬
besondre bei ungefestigten, unselbständigen, zaghaften Naturen, wie sie sich
aus naheliegenden Gründen in unsrer Mitte vielleicht eher finden als ander¬
wärts, eine Persönlichkeitsbildung, die doch die unerläßliche Voraussetzung ist
für das Werk der Persönlichkeitserziehung an den Schülern? Also höre man
doch endlich auf mit dieser Schul- und Lehrermäkelei, die die Grenzen einer
berechtigten, ja gewiß notwendigen Kritik in ihrer oft so unfeinen Form weit
überschreitet und uns dem hohen Ziele, das man uns steckt, nicht näher zu
bringen vermag, vielmehr nur weiter davon abzuführen droht.

Neben dieser Forderung, die sich nach außen kehrt, geben wir noch einem
Wunsche, einer Bitte Ausdruck, die sich nach oben richtet. Das äußere und
innere Wachstum unsers Bildungswesens nach Zahl, Größe, Mannigfaltigkeit
der Schulen, die im Verhältnis dazu steigende Schwierigkeit der obersten Leitung,
die zunehmende Vielseitigkeit der Ansprüche — all das drängt die Schulver¬
waltungen ja wohl mit einer gewissen Notwendigkeit dazu, die strenge Durch¬
führung eiuer festen äußern Ordnung in höherm Maße zu verlangen als bisher.
Wenn unserm Unterrichtsbetrieb früher ein großes, ein sehr großes, vielleicht ein
zu großes Maß von Freiheit und Selbständigkeit zwar nicht des Schaffens — das
genossen wir früher so wenig als heutzutage — aber doch des Seins und
Wirkens für die einzelne Lehrpersönlichkeit wie für die ganzen Lehrkomplexe
vergönnt war, so ist das nun anders geworden, und zwar — nach dem Gesetz
der abwechselnden Extreme in den Kontrasten — gründlich anders. Es mußte
anders werden. Aber man vergesse nicht, daß man das Gut einer größern
Einheitlichkeit, einer straffem Zusammenfassung, einer zunehmenden Nivellierung
oder auch Schablonisierung nicht umsonst gewinnt, und daß der Preis dafür
doch kein kleiner ist, die Beschränkung persönlich-individuellen Wirkens. Möge
man ihn nicht höher bemessen, als durchaus notwendig ist. Denn jenem Interesse
einheitlicher Reglementierung steht andrerseits die Erwägung gegenüber, daß
kein Beruf, soll er anders wahrhaft fruchtbringend geübt werden, der Schabloni¬
sierung mehr widerstrebt und ein ziemliches Maß von persönlicher Freiheit des
Wirkens nötiger hat als der des Lehrers und Erziehers, in der Auffassung
und Behandlung der Personen und der Lehrstoffe wie — in geringerm


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[0399] Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung lichkeit des einzelnen, wie sie ja überall vorkommt, aber auch überall sonst der öffentlichen Diskussion entzogen bleibt, sondern nach feiten der Grundlagen unsers Wirkens mehr als andern Schulsystemen und Lehrerkreisen gegenüber herum- zumäkeln, herumzudoktern, Herumzuschulmeistern. Jede Laune kurzsichtiger und flüchtiger Tagesmeinung und Gassenbildung setzt sich auf den selbstgezimmerten Thron an Stelle der in jahrzehntelanger Bewährung, in gründlichster Selbst- Prüfung, in der Erfahrung einer oft langen Berufsarbeit gewonnenen und befestigten Grundsätze, und das sonst so hochgestellte und der Volksschule gegenüber unbedingt geforderte Allheilmittel der „fachmännischer Bildung" — hier soll es auf einmal nichts mehr gelten? Und sollte jener Brauch oder vielmehr Mißbrauch wirklich förderlich sein für die Persönlichkeitsbildung, ins¬ besondre bei ungefestigten, unselbständigen, zaghaften Naturen, wie sie sich aus naheliegenden Gründen in unsrer Mitte vielleicht eher finden als ander¬ wärts, eine Persönlichkeitsbildung, die doch die unerläßliche Voraussetzung ist für das Werk der Persönlichkeitserziehung an den Schülern? Also höre man doch endlich auf mit dieser Schul- und Lehrermäkelei, die die Grenzen einer berechtigten, ja gewiß notwendigen Kritik in ihrer oft so unfeinen Form weit überschreitet und uns dem hohen Ziele, das man uns steckt, nicht näher zu bringen vermag, vielmehr nur weiter davon abzuführen droht. Neben dieser Forderung, die sich nach außen kehrt, geben wir noch einem Wunsche, einer Bitte Ausdruck, die sich nach oben richtet. Das äußere und innere Wachstum unsers Bildungswesens nach Zahl, Größe, Mannigfaltigkeit der Schulen, die im Verhältnis dazu steigende Schwierigkeit der obersten Leitung, die zunehmende Vielseitigkeit der Ansprüche — all das drängt die Schulver¬ waltungen ja wohl mit einer gewissen Notwendigkeit dazu, die strenge Durch¬ führung eiuer festen äußern Ordnung in höherm Maße zu verlangen als bisher. Wenn unserm Unterrichtsbetrieb früher ein großes, ein sehr großes, vielleicht ein zu großes Maß von Freiheit und Selbständigkeit zwar nicht des Schaffens — das genossen wir früher so wenig als heutzutage — aber doch des Seins und Wirkens für die einzelne Lehrpersönlichkeit wie für die ganzen Lehrkomplexe vergönnt war, so ist das nun anders geworden, und zwar — nach dem Gesetz der abwechselnden Extreme in den Kontrasten — gründlich anders. Es mußte anders werden. Aber man vergesse nicht, daß man das Gut einer größern Einheitlichkeit, einer straffem Zusammenfassung, einer zunehmenden Nivellierung oder auch Schablonisierung nicht umsonst gewinnt, und daß der Preis dafür doch kein kleiner ist, die Beschränkung persönlich-individuellen Wirkens. Möge man ihn nicht höher bemessen, als durchaus notwendig ist. Denn jenem Interesse einheitlicher Reglementierung steht andrerseits die Erwägung gegenüber, daß kein Beruf, soll er anders wahrhaft fruchtbringend geübt werden, der Schabloni¬ sierung mehr widerstrebt und ein ziemliches Maß von persönlicher Freiheit des Wirkens nötiger hat als der des Lehrers und Erziehers, in der Auffassung und Behandlung der Personen und der Lehrstoffe wie — in geringerm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/399>, abgerufen am 23.07.2024.