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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

kraft namentlich auch die Pflege der Einbildungskraft, des Gemüts, des
Willens, dann weiterhin der körperlichen Anlagen und Kräfte, kurz all der
verschiednen Seiten, die die Komponenten der Gesamtpersönlichkeit bilden, die
körperliche und die geistige, die menschliche und die bürgerliche, die nationale
und -- neuerdings mit steigendem Nachdruck betont -- die soziale. Fürwahr
ein hohes und edles Ziel, das wir gern anerkennen und uns aneignen
möchten, dem wir auch tatsächlich schon längst, schon lange vor den Predigten
der Schulreformer, nachgestrebt haben und nachstreben, dessen große Worte
wir aber doch der harten Wirklichkeit der Tatsachen gegenüber einer nähern
einschränkenden Bestimmung unterwerfen müssen.

Eine solche liegt erstens in der zunehmenden Beschränkung der Erziehungs¬
mittel, der sich die Schule und die persönliche Einwirkung der Lehrer mehr und
mehr ausgesetzt sieht. Neben sie und zum Teil an ihre Stelle, ja ihr gegenüber
sind im Laufe der Jahrzehnte in wachsendem Umfange und mit steigendem
Nachdruck andre Einflüsse von recht aufdringlichen Gewicht getreten: die all¬
gemeine dienstliche Ordnung, das Elternhaus, die gesellschaftlichen Beziehungen,
die ganze Umwelt, in der die Jugend lebt, zu der nachgerade namentlich auch
die Presse, besonders die Tagespresse zu rechnen ist, endlich auch die poli¬
tischen Parteien und die Parlamente, lauter Einflüsse, die der Schule nicht
immer in förderlichem Sinne zur Seite, gar häufig auch gegenüberstehn.
Unter diesen Umständen muß diese und müssen namentlich ihre ausführenden
Organe die Verantwortung für die Erfüllung oder Nichterfüllung jener so be¬
stimmten hohen Erziehungsaufgabe zu einem guten Teile von sich ablehnen
und die häufigen meist freilich ganz einseitigen oder übertriebnen Klagen, die
sich nach dieser Seite vernehmbar machen, als wesentlich durch die nicht selten
"unlautere" Konkurrenz jener andern erzieherischen Faktoren mindestens mit
hervorgerufen bezeichnen. Die Schule ist eben nicht, entfernt nicht, jeden¬
falls nicht mehr jener große Pan, nicht im guten Sinne als Heiland, nicht
im schlimmen als Sündenbock, zu dem die Schulparteien sie heute machen
möchten., '. ,, ^' : - - . ,?, ^7 ^,..^-..^

Wenn diese erste Einschränkung in der Stellung der Schule begründet
ist, so liegt eine andre im Charakter der Schüler. Diese nämlich sind nicht
bloß freie Einzelpersönlichkeiten, nur zum "Sichausleben" in ihrer besondern
Art bestimmt, sondern sie sind auch Glieder eines in eine feste Ordnung
organisierten Ganzen, in das sie sich mit der individuellen Art ihrer werdenden
Persönlichkeit einzufügen haben. Die uralte und ewige Wahrheit, daß man
zur wcihren Freiheit der Persönlichkeit nur durch die Zucht des Gehorsams
und der Selbstbeschränkung gelangt, sollte doch bei der Stellung jener hohen
Erziehungsaufgabe nicht vergessen werden. Wie sagt auch der, den man in
den letzten Jahren so oft und so gern -- nicht immer mir innerm Rechte --
genannt und zitiert hat? "Nur allein durch seine Sitte kann er frei und
mächtig sein." >/7 - ,


Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung

kraft namentlich auch die Pflege der Einbildungskraft, des Gemüts, des
Willens, dann weiterhin der körperlichen Anlagen und Kräfte, kurz all der
verschiednen Seiten, die die Komponenten der Gesamtpersönlichkeit bilden, die
körperliche und die geistige, die menschliche und die bürgerliche, die nationale
und — neuerdings mit steigendem Nachdruck betont — die soziale. Fürwahr
ein hohes und edles Ziel, das wir gern anerkennen und uns aneignen
möchten, dem wir auch tatsächlich schon längst, schon lange vor den Predigten
der Schulreformer, nachgestrebt haben und nachstreben, dessen große Worte
wir aber doch der harten Wirklichkeit der Tatsachen gegenüber einer nähern
einschränkenden Bestimmung unterwerfen müssen.

Eine solche liegt erstens in der zunehmenden Beschränkung der Erziehungs¬
mittel, der sich die Schule und die persönliche Einwirkung der Lehrer mehr und
mehr ausgesetzt sieht. Neben sie und zum Teil an ihre Stelle, ja ihr gegenüber
sind im Laufe der Jahrzehnte in wachsendem Umfange und mit steigendem
Nachdruck andre Einflüsse von recht aufdringlichen Gewicht getreten: die all¬
gemeine dienstliche Ordnung, das Elternhaus, die gesellschaftlichen Beziehungen,
die ganze Umwelt, in der die Jugend lebt, zu der nachgerade namentlich auch
die Presse, besonders die Tagespresse zu rechnen ist, endlich auch die poli¬
tischen Parteien und die Parlamente, lauter Einflüsse, die der Schule nicht
immer in förderlichem Sinne zur Seite, gar häufig auch gegenüberstehn.
Unter diesen Umständen muß diese und müssen namentlich ihre ausführenden
Organe die Verantwortung für die Erfüllung oder Nichterfüllung jener so be¬
stimmten hohen Erziehungsaufgabe zu einem guten Teile von sich ablehnen
und die häufigen meist freilich ganz einseitigen oder übertriebnen Klagen, die
sich nach dieser Seite vernehmbar machen, als wesentlich durch die nicht selten
„unlautere" Konkurrenz jener andern erzieherischen Faktoren mindestens mit
hervorgerufen bezeichnen. Die Schule ist eben nicht, entfernt nicht, jeden¬
falls nicht mehr jener große Pan, nicht im guten Sinne als Heiland, nicht
im schlimmen als Sündenbock, zu dem die Schulparteien sie heute machen
möchten., '. ,, ^' : - - . ,?, ^7 ^,..^-..^

Wenn diese erste Einschränkung in der Stellung der Schule begründet
ist, so liegt eine andre im Charakter der Schüler. Diese nämlich sind nicht
bloß freie Einzelpersönlichkeiten, nur zum „Sichausleben" in ihrer besondern
Art bestimmt, sondern sie sind auch Glieder eines in eine feste Ordnung
organisierten Ganzen, in das sie sich mit der individuellen Art ihrer werdenden
Persönlichkeit einzufügen haben. Die uralte und ewige Wahrheit, daß man
zur wcihren Freiheit der Persönlichkeit nur durch die Zucht des Gehorsams
und der Selbstbeschränkung gelangt, sollte doch bei der Stellung jener hohen
Erziehungsaufgabe nicht vergessen werden. Wie sagt auch der, den man in
den letzten Jahren so oft und so gern — nicht immer mir innerm Rechte —
genannt und zitiert hat? „Nur allein durch seine Sitte kann er frei und
mächtig sein." >/7 - ,


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[0395] Über die Forderung der Persönlichkeitserziehung kraft namentlich auch die Pflege der Einbildungskraft, des Gemüts, des Willens, dann weiterhin der körperlichen Anlagen und Kräfte, kurz all der verschiednen Seiten, die die Komponenten der Gesamtpersönlichkeit bilden, die körperliche und die geistige, die menschliche und die bürgerliche, die nationale und — neuerdings mit steigendem Nachdruck betont — die soziale. Fürwahr ein hohes und edles Ziel, das wir gern anerkennen und uns aneignen möchten, dem wir auch tatsächlich schon längst, schon lange vor den Predigten der Schulreformer, nachgestrebt haben und nachstreben, dessen große Worte wir aber doch der harten Wirklichkeit der Tatsachen gegenüber einer nähern einschränkenden Bestimmung unterwerfen müssen. Eine solche liegt erstens in der zunehmenden Beschränkung der Erziehungs¬ mittel, der sich die Schule und die persönliche Einwirkung der Lehrer mehr und mehr ausgesetzt sieht. Neben sie und zum Teil an ihre Stelle, ja ihr gegenüber sind im Laufe der Jahrzehnte in wachsendem Umfange und mit steigendem Nachdruck andre Einflüsse von recht aufdringlichen Gewicht getreten: die all¬ gemeine dienstliche Ordnung, das Elternhaus, die gesellschaftlichen Beziehungen, die ganze Umwelt, in der die Jugend lebt, zu der nachgerade namentlich auch die Presse, besonders die Tagespresse zu rechnen ist, endlich auch die poli¬ tischen Parteien und die Parlamente, lauter Einflüsse, die der Schule nicht immer in förderlichem Sinne zur Seite, gar häufig auch gegenüberstehn. Unter diesen Umständen muß diese und müssen namentlich ihre ausführenden Organe die Verantwortung für die Erfüllung oder Nichterfüllung jener so be¬ stimmten hohen Erziehungsaufgabe zu einem guten Teile von sich ablehnen und die häufigen meist freilich ganz einseitigen oder übertriebnen Klagen, die sich nach dieser Seite vernehmbar machen, als wesentlich durch die nicht selten „unlautere" Konkurrenz jener andern erzieherischen Faktoren mindestens mit hervorgerufen bezeichnen. Die Schule ist eben nicht, entfernt nicht, jeden¬ falls nicht mehr jener große Pan, nicht im guten Sinne als Heiland, nicht im schlimmen als Sündenbock, zu dem die Schulparteien sie heute machen möchten., '. ,, ^' : - - . ,?, ^7 ^,..^-..^ Wenn diese erste Einschränkung in der Stellung der Schule begründet ist, so liegt eine andre im Charakter der Schüler. Diese nämlich sind nicht bloß freie Einzelpersönlichkeiten, nur zum „Sichausleben" in ihrer besondern Art bestimmt, sondern sie sind auch Glieder eines in eine feste Ordnung organisierten Ganzen, in das sie sich mit der individuellen Art ihrer werdenden Persönlichkeit einzufügen haben. Die uralte und ewige Wahrheit, daß man zur wcihren Freiheit der Persönlichkeit nur durch die Zucht des Gehorsams und der Selbstbeschränkung gelangt, sollte doch bei der Stellung jener hohen Erziehungsaufgabe nicht vergessen werden. Wie sagt auch der, den man in den letzten Jahren so oft und so gern — nicht immer mir innerm Rechte — genannt und zitiert hat? „Nur allein durch seine Sitte kann er frei und mächtig sein." >/7 - ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/395>, abgerufen am 12.12.2024.