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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

Einfluß drang, am meisten jedoch in den einst von Langobarden beherrschten
Teilen Italiens, in der häusigen Wiederholung solcher Szenen an Kirchen-
fassciden hervortritt. Andrerseits mag aber auch die orientalische Kunst mit
ihren Tierdarstellungen bestimmend auf die apulische eingewirkt haben. Denn
nicht umsonst sehen wir zwischen dem Rankenwerk der Tür- und Fenster¬
füllungen, an Kanzeln, Ciboricn, Bischofstühlen, Säulcnkapitellcn jene paarweis
gestellten Greife, Adler, Sperberköpfe oder Hirsche sitzen, die, dem Mythenkreise
persischer Neligionsanschauung entsprossen, schon früh in der Kunst Eingang
gefunden haben. Ebenso gehören die Kampf- und Jagdszenen, die Lanzen¬
stechen, die als fortlaufende Friese die Archivolten so vieler Kirchenportale in
der Terra ti Bari zieren, ursprünglich der orientalischen Kunstweise an. Frag¬
lich bleibt es nur, ob sie direkt von Kreuzfahrern oder auf dem Umweg über
Vyzanz in die abendländische Kunst eingeführt worden sind. Denn das byzan¬
tinische Kunstgewerbe, das sich unter der zielbewußter Herrschaft der Komnenen
zu hoher Vollendung emporgeschwungen und ganz Europa mit seinen Erzeug¬
nissen versorgte, hat sich ja mit Vorliebe solcher aus dem Orient stammender
Motive bedient. Man sehe sich daraufhin nur zum Beispiel die einzelnen
Platten an der berühmten Erztür des Hauptportals vom Dom zu Tram, die
Armbrustschützen, Meerweibchen, Centauren, Bewaffneten und daneben die gleichen
Darstellungen auf byzantinischen Bronzereliefs und Elfenbeinschnitzereien aus
jener Zeit an, und man wird über die Ähnlichkeit beider erstaunen. Der
Schöpfer dieser Türen, Varisano ti Trani, hat vermutlich seine Platten nach
bestimmten byzantinischen Vorlagen ausgeführt, da die gleichen Platten nicht
nur an den vom Künstler später geschaffnen Türen zu Monreale und Ravello,
sondern auch in Deutschland an den etwa ein halbes Jahrhundert vorher unter
byzantinischem Einfluß entstandnen Domtüren zu Augsburg wiederkehren.
Ebenso deutet die Art, wie diese Reliefs ohne bestimmte Reihenfolge auf dem
Holzkern aufgeheftet sind, wie sich einzelne Szenen, selbst biblischen Inhalts,
des öftern auf ein und derselben Tür wiederholen, auf eine durchaus unselb¬
ständige, sich äußerlich an fremde Vorbilder anschließende Arbeit hin. Man
sollte daher aufhören, diesen Künstler, weil er an Stelle der byzantinischen
Nielloarbeit. wie sie die Erztüren zu Amalfi, Salerno, Monte Cassino zeigen,
die Neliefbildnerei setzte, in Apulien als einen Vorläufer des Andrea Pisano
oder Ghiberti zu feiern. In technischer Hinsicht steht er jedenfalls weit hinter
jenem Meister Roger ti Melfi zurück, der im Jahre 1111 am Dom von Canosa
die Erztür für das Grabmal des Normannenfürsten Bohemund, des berühmten
Eroberers von Antiochien im ersten Kreuzzug, angefertigt hat. Denn weder
vor noch nach ihm hat es ein Künstler des Mittelalters gewagt, wie er, einen
ganzen Türflügel mitsamt den daran angebrachten Rosetten in einem Guß her¬
zustellen. Bertaux hat in seinem, Werke I/^re äans 1'ItMg rü^riäionalo
(Paris 1903) Seite 413 auf die Ähnlichkeit dieser Tür mit einer im vier¬
zehnten Jahrhundert entstandnen an der Moschee Olgay-el-Jussufs in Kairo
aufmerksam gemacht. Und einleuchtend erscheint es ja mich, daß sich ein technisch
so hoch entwickeltes Verfahren nur in einem Lande ausbilden konnte, das
damals, neben Mosul und Damaskus, die Kunst der Metallbearbeitung auf
eine solche Stufe der Vollendung gehoben hat. Weist doch auch die Aus-
zierung mit kufischen Inschriften, wie der kleine viereckige Kuppelbau überhaupt,
der besonders in seinen obern Teilen, dem achteckigen Tambour und der flachen
Kuppel darüber, viel eher einem Turbe, der Grabstätte eines türkischen Großen,
als der eines christlichen Fürsten gleicht, ans übermächtige orientalische Einflüsse


Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari

Einfluß drang, am meisten jedoch in den einst von Langobarden beherrschten
Teilen Italiens, in der häusigen Wiederholung solcher Szenen an Kirchen-
fassciden hervortritt. Andrerseits mag aber auch die orientalische Kunst mit
ihren Tierdarstellungen bestimmend auf die apulische eingewirkt haben. Denn
nicht umsonst sehen wir zwischen dem Rankenwerk der Tür- und Fenster¬
füllungen, an Kanzeln, Ciboricn, Bischofstühlen, Säulcnkapitellcn jene paarweis
gestellten Greife, Adler, Sperberköpfe oder Hirsche sitzen, die, dem Mythenkreise
persischer Neligionsanschauung entsprossen, schon früh in der Kunst Eingang
gefunden haben. Ebenso gehören die Kampf- und Jagdszenen, die Lanzen¬
stechen, die als fortlaufende Friese die Archivolten so vieler Kirchenportale in
der Terra ti Bari zieren, ursprünglich der orientalischen Kunstweise an. Frag¬
lich bleibt es nur, ob sie direkt von Kreuzfahrern oder auf dem Umweg über
Vyzanz in die abendländische Kunst eingeführt worden sind. Denn das byzan¬
tinische Kunstgewerbe, das sich unter der zielbewußter Herrschaft der Komnenen
zu hoher Vollendung emporgeschwungen und ganz Europa mit seinen Erzeug¬
nissen versorgte, hat sich ja mit Vorliebe solcher aus dem Orient stammender
Motive bedient. Man sehe sich daraufhin nur zum Beispiel die einzelnen
Platten an der berühmten Erztür des Hauptportals vom Dom zu Tram, die
Armbrustschützen, Meerweibchen, Centauren, Bewaffneten und daneben die gleichen
Darstellungen auf byzantinischen Bronzereliefs und Elfenbeinschnitzereien aus
jener Zeit an, und man wird über die Ähnlichkeit beider erstaunen. Der
Schöpfer dieser Türen, Varisano ti Trani, hat vermutlich seine Platten nach
bestimmten byzantinischen Vorlagen ausgeführt, da die gleichen Platten nicht
nur an den vom Künstler später geschaffnen Türen zu Monreale und Ravello,
sondern auch in Deutschland an den etwa ein halbes Jahrhundert vorher unter
byzantinischem Einfluß entstandnen Domtüren zu Augsburg wiederkehren.
Ebenso deutet die Art, wie diese Reliefs ohne bestimmte Reihenfolge auf dem
Holzkern aufgeheftet sind, wie sich einzelne Szenen, selbst biblischen Inhalts,
des öftern auf ein und derselben Tür wiederholen, auf eine durchaus unselb¬
ständige, sich äußerlich an fremde Vorbilder anschließende Arbeit hin. Man
sollte daher aufhören, diesen Künstler, weil er an Stelle der byzantinischen
Nielloarbeit. wie sie die Erztüren zu Amalfi, Salerno, Monte Cassino zeigen,
die Neliefbildnerei setzte, in Apulien als einen Vorläufer des Andrea Pisano
oder Ghiberti zu feiern. In technischer Hinsicht steht er jedenfalls weit hinter
jenem Meister Roger ti Melfi zurück, der im Jahre 1111 am Dom von Canosa
die Erztür für das Grabmal des Normannenfürsten Bohemund, des berühmten
Eroberers von Antiochien im ersten Kreuzzug, angefertigt hat. Denn weder
vor noch nach ihm hat es ein Künstler des Mittelalters gewagt, wie er, einen
ganzen Türflügel mitsamt den daran angebrachten Rosetten in einem Guß her¬
zustellen. Bertaux hat in seinem, Werke I/^re äans 1'ItMg rü^riäionalo
(Paris 1903) Seite 413 auf die Ähnlichkeit dieser Tür mit einer im vier¬
zehnten Jahrhundert entstandnen an der Moschee Olgay-el-Jussufs in Kairo
aufmerksam gemacht. Und einleuchtend erscheint es ja mich, daß sich ein technisch
so hoch entwickeltes Verfahren nur in einem Lande ausbilden konnte, das
damals, neben Mosul und Damaskus, die Kunst der Metallbearbeitung auf
eine solche Stufe der Vollendung gehoben hat. Weist doch auch die Aus-
zierung mit kufischen Inschriften, wie der kleine viereckige Kuppelbau überhaupt,
der besonders in seinen obern Teilen, dem achteckigen Tambour und der flachen
Kuppel darüber, viel eher einem Turbe, der Grabstätte eines türkischen Großen,
als der eines christlichen Fürsten gleicht, ans übermächtige orientalische Einflüsse


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[0364] Die mittelalterliche Kirchenbaukunst in der Terra ti Bari Einfluß drang, am meisten jedoch in den einst von Langobarden beherrschten Teilen Italiens, in der häusigen Wiederholung solcher Szenen an Kirchen- fassciden hervortritt. Andrerseits mag aber auch die orientalische Kunst mit ihren Tierdarstellungen bestimmend auf die apulische eingewirkt haben. Denn nicht umsonst sehen wir zwischen dem Rankenwerk der Tür- und Fenster¬ füllungen, an Kanzeln, Ciboricn, Bischofstühlen, Säulcnkapitellcn jene paarweis gestellten Greife, Adler, Sperberköpfe oder Hirsche sitzen, die, dem Mythenkreise persischer Neligionsanschauung entsprossen, schon früh in der Kunst Eingang gefunden haben. Ebenso gehören die Kampf- und Jagdszenen, die Lanzen¬ stechen, die als fortlaufende Friese die Archivolten so vieler Kirchenportale in der Terra ti Bari zieren, ursprünglich der orientalischen Kunstweise an. Frag¬ lich bleibt es nur, ob sie direkt von Kreuzfahrern oder auf dem Umweg über Vyzanz in die abendländische Kunst eingeführt worden sind. Denn das byzan¬ tinische Kunstgewerbe, das sich unter der zielbewußter Herrschaft der Komnenen zu hoher Vollendung emporgeschwungen und ganz Europa mit seinen Erzeug¬ nissen versorgte, hat sich ja mit Vorliebe solcher aus dem Orient stammender Motive bedient. Man sehe sich daraufhin nur zum Beispiel die einzelnen Platten an der berühmten Erztür des Hauptportals vom Dom zu Tram, die Armbrustschützen, Meerweibchen, Centauren, Bewaffneten und daneben die gleichen Darstellungen auf byzantinischen Bronzereliefs und Elfenbeinschnitzereien aus jener Zeit an, und man wird über die Ähnlichkeit beider erstaunen. Der Schöpfer dieser Türen, Varisano ti Trani, hat vermutlich seine Platten nach bestimmten byzantinischen Vorlagen ausgeführt, da die gleichen Platten nicht nur an den vom Künstler später geschaffnen Türen zu Monreale und Ravello, sondern auch in Deutschland an den etwa ein halbes Jahrhundert vorher unter byzantinischem Einfluß entstandnen Domtüren zu Augsburg wiederkehren. Ebenso deutet die Art, wie diese Reliefs ohne bestimmte Reihenfolge auf dem Holzkern aufgeheftet sind, wie sich einzelne Szenen, selbst biblischen Inhalts, des öftern auf ein und derselben Tür wiederholen, auf eine durchaus unselb¬ ständige, sich äußerlich an fremde Vorbilder anschließende Arbeit hin. Man sollte daher aufhören, diesen Künstler, weil er an Stelle der byzantinischen Nielloarbeit. wie sie die Erztüren zu Amalfi, Salerno, Monte Cassino zeigen, die Neliefbildnerei setzte, in Apulien als einen Vorläufer des Andrea Pisano oder Ghiberti zu feiern. In technischer Hinsicht steht er jedenfalls weit hinter jenem Meister Roger ti Melfi zurück, der im Jahre 1111 am Dom von Canosa die Erztür für das Grabmal des Normannenfürsten Bohemund, des berühmten Eroberers von Antiochien im ersten Kreuzzug, angefertigt hat. Denn weder vor noch nach ihm hat es ein Künstler des Mittelalters gewagt, wie er, einen ganzen Türflügel mitsamt den daran angebrachten Rosetten in einem Guß her¬ zustellen. Bertaux hat in seinem, Werke I/^re äans 1'ItMg rü^riäionalo (Paris 1903) Seite 413 auf die Ähnlichkeit dieser Tür mit einer im vier¬ zehnten Jahrhundert entstandnen an der Moschee Olgay-el-Jussufs in Kairo aufmerksam gemacht. Und einleuchtend erscheint es ja mich, daß sich ein technisch so hoch entwickeltes Verfahren nur in einem Lande ausbilden konnte, das damals, neben Mosul und Damaskus, die Kunst der Metallbearbeitung auf eine solche Stufe der Vollendung gehoben hat. Weist doch auch die Aus- zierung mit kufischen Inschriften, wie der kleine viereckige Kuppelbau überhaupt, der besonders in seinen obern Teilen, dem achteckigen Tambour und der flachen Kuppel darüber, viel eher einem Turbe, der Grabstätte eines türkischen Großen, als der eines christlichen Fürsten gleicht, ans übermächtige orientalische Einflüsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/364>, abgerufen am 12.12.2024.